Protokoll der Sitzung vom 09.10.2013

Ich will aber heute nicht die Kontroverse in den Mittelpunkt stellen,

(Lachen bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Nein!)

obwohl wir durchaus einige klärungsbedürftige Fragen im Umgang miteinander haben. Es gibt solche Fragen. Wir ma chen Ihnen Angebote. In nicht öffentlichen Sitzungen des Ar beitskreises reden Sie so, und hier im Parlament reden Sie an ders. Das ist, finde ich, ein Problem.

Wir wollen uns einigen: Es gibt Korridore, bei denen wir ei nigungsfähig sind. Die Koalition hat sich bereits bewegt. Sie kam übrigens nicht von maximalen und auch nicht von radi kalen Positionen herunter, sondern sie hat sich am Durch schnitt dessen orientiert, was in den 16 Bundesländern an Re geln für die direkte Demokratie bereits vorhanden ist. Daran haben wir uns orientiert. Wir haben uns an Bayern orientiert, wo unter einer CSU-Alleinregierung weitgehende Bürgerbe teiligungsmöglichkeiten und Regeln der direkten Demokratie möglich waren und sind. Von Radikalität kann also da keine Rede sein. Vielmehr ist das ein vernünftiges Maß.

Jetzt einigen wir uns – da bin ich einmal zuversichtlich – in einem Korridorbereich, den Kollege Professor Goll angedeu tet hat. Über einzelne Dinge muss man noch reden, aber das ist mit uns selbstverständlich machbar. Das hätten wir auch schon längst haben können, wenn nicht ständig hintenherum diese Debatte geführt worden wäre: „Der Planungsleitfaden muss erst vorgelegt werden, dies und jenes muss erst passie ren.“ Wir könnten bereits ein Paket haben, Herr Hauk; das wissen Sie.

(Abg. Peter Hauk CDU: Das war doch vereinbart! Sie müssen sich einfach daran halten!)

Sie wissen das. Sie wollten einfach ein bisschen Muskeln zei gen und demonstrieren, dass die CDU eine wichtige Rolle spielt. Das sollte jetzt alles der Vergangenheit angehören.

Vor uns liegt in dieser Sache eine letzte gemeinsame Anstren gung. Wenn der 24. Oktober zu keinem Ergebnis führt, haben wir ein Problem. Lassen Sie uns diese Anstrengung unterneh men. Baden-Württemberg muss aus der Schlusslichtposition

bei der direkten Demokratie heraus. Wir müssen da dringend heraus.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Seit wenigen Tagen gibt es ein Ranking, einen Bundesländer vergleich, über die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger sowie die direkte Demokratie. Wir sind von Platz 15 auf Platz 16 zurückgefallen.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: An letzter Stelle! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Unter Ihrer Füh rung!)

Das Saarland hat uns überholt, weil dort in Sachen Volksbe gehren/Volksentscheid etwas gemacht worden ist.

(Unruhe bei Abgeordneten der CDU)

Das ist so. Wir sind damit in hohem Maß unzufrieden, denn in dieser interfraktionellen Arbeitsgruppe kommen wir schon seit Anfang dieses Jahres nicht wirklich voran. Deshalb ap pelliere ich an Sie: Jetzt muss der Durchbruch kommen. Es gibt ein paar Zielmarken, die wir erreichen müssen: Volksin itiative, Volksbegehren, Senkung der Quoren. Wir sind ge sprächsbereit. Der genannte Korridor ist, wie gesagt, mach bar. Auch beim kommunalen Bürgerbegehren und Bürgerent scheid geht es um eine Senkung der Quoren. Ebenso muss die Bauleitplanung – sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU, gehen Sie da bis zum 24. Oktober noch einmal in sich – bürgerentscheidsfähig werden.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Auch da gibt es Einigungsmöglichkeiten. Informieren Sie sich noch einmal in Bayern. In Bayern ist kein Investor vergrault worden; in Bayern herrscht kein Chaos in der kommunalen Wirtschaft, obwohl dort Fragen der Bauleitplanung bürgerent scheidsfähig sind. Wir werden auch in diesem Bereich mit Mitte und Maß eine vernünftige Regelung finden können. Dann haben wir ein Gesamtpaket. Abschließend wird die Staatsrätin – das hat sie Ihnen ja auch zugesagt – den Pla nungsleitfaden vorstellen.

Ich glaube, wenn wir dieses Gesamtpaket schnüren – da ste hen wir jetzt gemeinsam in der Verantwortung –, verhelfen wir Baden-Württemberg vom Mittelmaß zur Rolle als Mus terland. Das ist nach wie vor unser Anspruch.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Für die SPD-Fraktion spricht Kolle ge Sakellariou.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Aktuelle Debatte, die wir heute führen, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat auch mich vor die Frage gestellt, warum wir über dieses Thema, bei dem doch große Einigkeit herrscht, hier diskutieren. Es ist eine Grundsatzdebatte, die heute hier parallel, begleitend zu der interfraktionellen Arbeitsgruppe geführt werden soll.

Deshalb will auch ich mit Grundsätzlichem anfangen, und zwar mit Ausführungen zur Demokratie. Ich möchte an den

Archon Solon erinnern, der im Jahr 594 vor Christi Geburt die Urdemokratie in die Wege geleitet hat.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Oi! Sie haben nur fünf Minuten Redezeit!)

Wir wissen das deswegen so genau, weil wir, der zuständige Arbeitskreis der SPD-Fraktion, in der vergangenen Woche in Athen waren, auf der Akropolis, der Stätte, in der die Bürger von Athen, nachdem sie sich mittels direkter Bürgerbeteili gung mit ihrem Gemeinwesen so sehr identifiziert hatten, die Tyrannen eingeschlossen hatten.

(Zuruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU)

Heute, 2 607 Jahre nach Solon, lese ich pünktlich zur heutigen Debatte auf der ersten Seite der Frankfurter Allgemeinen Zei tung: „Einfach weniger Demokratie“. Da wird der Generalse kretär der FIFA, Jérôme Valcke, zitiert, der unverblümt ein gesteht, dass es mit weniger Demokratie leichter sei, sportli che Großveranstaltungen durchzuführen, weil die Bürger läs tig würden, beispielsweise durch Demonstrationen wie in Bra silien.

Das Thema „Direkte Bürgerbeteiligung“ steht also zu Recht auf der Tagesordnung und muss zu Recht grundsätzlich und gründlich diskutiert werden.

(Vereinzelt Beifall)

Insofern bedanke ich mich für diese Debatte. Denn wir haben in Baden-Württemberg mit direkter Bürgerbeteiligung ganz andere Erfahrungen gemacht, nämlich gute. Wir wollen sie ausbauen, und dafür dient auch diese interfraktionelle Arbeits gemeinschaft. Ich begrüße es sehr, dass sich die beiden Oppo sitionsfraktionen für deren Einbindung bedankt haben. Auch für die konstruktive Mitarbeit in diesem Gremium möchte ich mich ausdrücklich bedanken. Denn wir müssen und wollen hier weiterkommen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen sowie Abgeord neten der FDP/DVP)

Die Themen sind im Grunde angesprochen worden: frühzei tige Bürgerbeteiligung, Planungsleitfaden. Es ist frühzeitig et was vorgelegt worden und kontrovers darüber diskutiert wor den. Aber es handelt sich nun einmal um alleiniges Regie rungshandeln. Ich bitte wirklich darum – ich spüre ja, dass wir alle bei der Diskussion über die direkte Demokratie und die Bürgerbeteiligung vorankommen wollen; wir haben Korrido re geschaffen, mit denen wir uns nähergekommen sind; wahr scheinlich werden wir am 24. Oktober sogar zu einem Ab schluss kommen –: Machen Sie Ihre Entscheidung nicht von Maßnahmen abhängig, die ausschließlich im alleinigen Re gierungshandeln liegen.

Das hat es vorher nicht gegeben. Die breite Beteiligung ist ein Novum, das in der Bevölkerung gut ankommt. Springen Sie in diesem Punkt über Ihren Schatten, damit wir sagen können: Wir, das Parlament insgesamt, haben für alle Bürger Verbes serungen erreicht – gerade bei der direkten Demokratie und dem Thema Politikverdrossenheit, das heute auf der Titelsei te der Frankfurter Allgemeinen Zeitung problematisiert wur de.

Bei den einzelnen Punkten – Quoren, kommunale Bürgerbe teiligung – sind wir sowohl bei den Bürgerbegehren als auch den Bürgerentscheiden wirklich schon kurz vor dem Ziel. Bei den Bürgerentscheiden auf Landkreisebene wird es auch keine größeren Probleme geben. Aber zu den Leitplanken der direk ten Demokratie gehören auch politische Parteien sowie Bür ger, die sich in politischen Parteien engagieren. Eine weitere Leitplanke sind Bürger, die bei Kommunalwahlen antreten, die sich in kommunalen Gremien beteiligen und auch entspre chende Rechte haben. In solchen Gremien sind Abwägungen zu treffen, die nicht ohne Weiteres vorgenommen werden dür fen, sondern wozu es gewisser Quoren bedarf.

Wir sind aber auf einem guten Weg. Kollege Sascha Binder wird sich in der zweiten Runde mit dem Thema „Landesweite Bürgerbeteiligung“ befassen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Für die Landesregierung spricht Herr Innenminister Gall.

Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen, werte Kollegen! Ich habe den Eindruck, die bisherige Debatte hat gezeigt, alle Fraktionen sind sich im Grundsatz darüber einig, dass die direkte Demokratie in un serem Land ausgebaut werden muss. Wir, das Land, sind nicht gern Schlusslicht. Deshalb bietet es sich besonders an, dass wir uns anstrengen, die direkte Demokratie auszubauen.

Es versteht sich von selbst, dass es einer offenen Diskussion darüber bedarf. Diese haben wir in den zurückliegenden Wo chen und Monaten geführt. Die Arbeit der interfraktionellen Arbeitsgruppe fand gar nicht in dem Umfang nicht öffentlich statt, wie Sie es geschildert haben, Herr Goll. Denn gerade in den letzten Wochen wurde im Vorfeld der Bundestagswahl das eine oder andere in der Öffentlichkeit diskutiert und versucht, ein wenig Politik zu machen.

Aber das Thema „Direkte Demokratie“ beschränkt sich nicht nur auf das, was wir in der interfraktionellen Arbeitsgruppe gemeinsam zu erarbeiten versucht haben, sondern es erstreckt sich – darauf lege ich großen Wert – seit zwei Jahren auf die gesamte Arbeit dieser neuen Landesregierung aus Grün-Rot. Das haben wir jedenfalls in vielen Bereichen unter Beweis ge stellt. Beispielsweise war es uns wichtig, dass Reformen, Pro jekte, die wir uns vorgenommen haben und die wir erarbeiten und umsetzen wollen, in einem breiten Beteiligungsprozess vorgestellt und erklärt werden, um Kritik und Anregungen auf zunehmen und einen offenen Dialog über die kontroversen Punkte zu führen. Das war in diesem Land nicht immer so.

Das gilt nicht nur für das, über was wir in der Arbeitsgruppe inhaltlich miteinander diskutieren, sondern galt auch z. B. für die von uns durchgeführte Polizeistrukturreform. Das Inter essenbekundungsverfahren, das ich in dieser Runde schon ein mal vorgestellt habe, zeigt in beispielhafter Weise, wie man versuchen kann, Beschäftigte, Beteiligte, Bürgerinnen und Bürger des Landes bei einem solchen Prozess mitzunehmen. Der Erfolg gibt uns recht. Das gilt übrigens auch für die Be teiligungsformen, die wir zur Gewährleistung von Transpa renz, zur Beteiligung der Öffentlichkeit gewählt haben, für die

vielen Diskussionen, die wir im Zusammenhang mit dem Na tionalpark in unserem Land geführt haben.

Das Innenministerium führte in allen Bereichen eine offene Diskussion und beteiligt sich im Arbeitskreis „Direkte Demokra tie“. Wir stehen aber nicht nur untereinander – innerhalb der Fraktionen – in Kontakt; wir haben diesen Beteiligungspro zess mit verschiedenen Interessengruppen – mit Gewerkschaf ten, mit sonstigen Vereinen und Verbänden, die Interesse an mehr direkter Demokratie haben – auch in die kommunalen Landesverbände hineingetragen und über die von uns vorge sehenen Beteiligungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten sehr intensiv diskutiert.

Herr Goll, Sie haben in der Aktuellen Debatte sinngemäß for muliert, dass Sie eine zeitgemäße Ausgestaltung forderten. Die Formulierung ist sehr geschickt gewählt. Denn dann stellt sich unweigerlich die Frage: Was ist eigentlich zeitgemäß? Dazu gehört, finde ich, die Erfahrung, die insbesondere Sie in der Vergangenheit gemacht haben, zu prüfen, zu bewerten, die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen und beispielsweise die Frage zu beantworten: Wären bestimmte Ergebnisse mög licherweise bei Anwendung direkter Demokratie besser ge wesen? Stuttgart 21 sei als eines von vielen Beispielen ge nannt.

Wenn man überlegt, was man wie besser machen kann, ist auch zu betrachten, wie sich die Lebenswirklichkeit der Men schen in einer modernen Gesellschaft – gerade auch in unse rem Bundesland Baden-Württemberg – verändert hat.

Zu berücksichtigen sind ferner die allgegenwärtige Verwen dung elektronischer Kommunikationsmittel, die zunehmende Mobilität der Menschen im Land Baden-Württemberg und ganz besonders die Veränderungen beim bürgerschaftlichen Engagement, zu dem die Menschen in unserem Land erfreu licherweise bereit sind. Das heißt, Abstand zu nehmen von ei ner umfassenden Verpflichtung der Bürgerschaft, die wir ge legentlich von ihr erwarten, sich in bestimmten Funktionen einzubringen, auf kommunaler Ebene Ämter zu übernehmen, sich dauerhaft an irgendwelche Verantwortung zu binden. Das mag man kritisieren, aber es ist nun einmal so. Deshalb müs sen wir dies bei neuen Beteiligungsformen berücksichtigen. Wir müssen erkennen, dass die Menschen projektbezogener teilhaben wollen und sich lieber einzelfallbezogenen Initiati ven anschließen wollen, als sich einer breiten Verantwortung zu stellen.

Zu dieser Debatte gehört auch Folgendes: Es gibt zwei Berei che, die ich bei aller Offenheit und allen modernen Formen der Bürgerbeteiligung nicht zur Disposition stellen möchte. Meines Erachtens sind wir da einer Meinung. Unsere verfas sungsrechtliche Ordnung ist im Grundsatz dadurch definiert, dass die parlamentarische Gesetzgebung nach wie vor Vor rang haben soll.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU, der Grünen und der SPD)

Da gibt es in diesem Haus keinen Dissens. Das heißt im Klar text: Plebiszitäre Elemente können und sollen diese ausdrück lich ergänzen – das ist unser aller Wunsch; das ist auch mein Wunsch –, aber nicht gänzlich und vollständig ersetzen.