Protokoll der Sitzung vom 21.05.2014

Aktuelle Debatte – Mehr Steuergerechtigkeit in Europa – internationale Steuergestaltungen bekämpfen – beantragt von der Fraktion der SPD

Es gilt die übliche Gesamtredezeit von 40 Minuten, wobei ich auch die Regierung bitte, sich an den vorgegebenen Rede zeitrahmen zu halten. Mit Blick auf § 60 Absatz 4 der Ge schäftsordnung bitte ich außerdem darum, die Debatte in frei er Rede zu führen.

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Maier das Wort.

Vielen Dank. – Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Die als zweiter Tagesordnungs punkt zu europapolitischen Themen heute Morgen zu behan delnde Aktuelle Debatte trägt den Titel: „Mehr Steuergerech tigkeit in Europa – internationale Steuergestaltungen bekämp fen“. Das Thema wurde von der SPD gewählt.

Zu Beginn dieser Debatte möchte ich mich ganz herzlich bei allen bedanken, die fleißig und ehrlich ihre Steuern zahlen

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Aha! – Gegenruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Er ist ein armer Kerl! – Weitere Zurufe)

und zum Wohlstand beitragen. Ich bedanke mich auch ganz herzlich bei den Finanzbeamtinnen und Finanzbeamten, die gute Arbeit leisten,

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Wie bewiesen wur de!)

die teilweise unter schwierigen gesetzlichen Bedingungen die Steuern eintreiben.

Die Landesregierung hat die Stärkung der Steuerverwaltung vorangetrieben. Für diese Legislaturperiode wurden 500 Stel

len bereitgestellt. Ein Technikpaket soll hier weitere Unter stützung leisten.

Trotz aller erfreulichen Nachrichten zu den Steuereinnahmen sowie der positiven Ergebnisse der Steuerschätzungen berei tet das Thema „Mehr Steuergerechtigkeit in Europa“ aber auch Sorge, und zwar wegen Steuerhinterziehung, wegen aggres siver Steuervermeidung und wegen der zahlreichen Steuer schlupflöcher. Die Hinterziehungssumme ist gewaltig. Euro paweit macht dies schätzungsweise 1 Billion € aus. Das ent spricht in etwa dem Umfang des Haushalts der gesamten Eu ropäischen Union.

Welche Steuerausfälle entstehen jetzt in Deutschland bzw. in Baden-Württemberg durch die Steuerschlupflöcher? Genaue Berechnungen sind natürlich schwierig, aber das DIW geht in einem Gutachten davon aus, dass für den deutschen Fiskus Steuerausfälle in Höhe von rund 30 Milliarden € jährlich zu verzeichnen sind. Das würde heruntergerechnet auf BadenWürttemberg bedeuten, dass 950 Millionen € weniger Steu ereinnahmen zur Verfügung stehen.

Die derzeitigen Steuergestaltungsmöglichkeiten international tätiger Unternehmen schaden der ganzen Gesellschaft. Sie führen zu einer Unterfinanzierung öffentlicher Haushalte mit der Folge, dass öffentliche Aufgaben schlechter wahrgenom men werden können. Die Steuergestaltungsmöglichkeiten sind ungerecht. Lohnabhängigen Arbeitnehmern können sie nicht vermittelt werden, und zudem benachteiligen sie die mittel ständischen Unternehmen in unserem Land, die Garant und Stütze unseres wirtschaftlichen Erfolgs in Baden-Württem berg sind.

Während der Mittelstand seinen Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens leistet, können internationale Konzerne ihre Verflechtungen für steuerliche Gestaltungen nutzen und Ge winne in Niedrigsteuersysteme abdrücken. Trotzdem nutzen diese international tätigen Unternehmen auch die vom deut schen Steuerzahler finanzierte Infrastruktur in Deutschland und Baden-Württemberg. Europa, die Bundesrepublik und auch unser Land können hierbei nicht wegsehen. Gerade jetzt, da Europa vor der Europawahl im Fokus der Aufmerksamkeit steht, muss man dieses Thema ansprechen und alle Verant wortlichen zum Handeln auffordern.

Baden-Württemberg handelt. Baden-Württemberg hat einiges bewegt. Es gibt eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die inter nationale Steuergestaltungsmodelle bekämpft. Zudem verfügt das Land über eine neu organisierte und personell stark auf gestockte Expertengruppe für ausländisches Steuerrecht. In dieser Hinsicht hat sich Baden-Württemberg schlagkräftig aufgestellt.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Die SPD-Fraktion unterstützt außerdem uneingeschränkt die kürzlich erarbeitete Bundesratsinitiative unseres Landes zur Be kämpfung internationaler Steuergestaltungen, die am 23. Mai in den Bundesrat eingebracht werden soll. Die Bundesregie rung wird hiermit aufgefordert, sich auf europäischer Ebene noch stärker dafür zu engagieren, die Möglichkeit der doppel ten Nichtbesteuerung von Einkünften zu beenden oder den doppelten Abzug von Betriebsausgaben unmöglich zu ma chen. Sie sehen, es gibt ganz interessante Möglichkeiten, die Steuer zu umgehen. Das müssen wir verhindern.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Karl Zim mermann CDU: Nennen Sie mal ein Beispiel!)

Der Wettlauf zwischen den EU-Staaten um den niedrigsten Steuersatz muss aufhören. Wir müssen erreichen, dass Unter nehmen ihre Steuern dort zahlen, wo sie ihre Gewinne erwirt schaften. Dazu brauchen wir einen automatischen Informati onsaustausch über Zinserträge, flankiert von einer europawei ten Pflicht zur Anzeige und Registrierung internationaler Steu ergestaltungen. Deutschland muss hierbei, wie auch schon Großbritannien, beispielhaft vorangehen und besonders Steu eroasen in Europa – davon gibt es noch einige –, aber auch weltweit trockenlegen.

Die ersten Erfolge bei der Bekämpfung der Steuerhinterzie hung geben der Bundesratsinitiative des Landes recht: Die Schweiz und jetzt auch Luxemburg und Österreich und auf internationaler Ebene sogar Singapur – somit kann man jetzt nicht einmal weltweit verschieben – haben sich inzwischen zu einem Informationsaustausch bereit erklärt. Insbesondere die Schweiz verfolgt jetzt eine Weißgeldstrategie, die vor al lem dadurch initiiert wurde, dass wir kein Steuerabkommen mit der Schweiz unterschrieben haben. Aber vor allem auch der Druck aus den USA – heute Morgen haben wir gehört, dass hohe Strafen für Banken ausgesprochen wurden – hat ge wirkt. Es war also wichtig, kein Steuerabkommen zu unter schreiben. Dadurch erzielen wir die besten Ergebnisse.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. An drea Lindlohr GRÜNE)

Als gleichermaßen wichtig betrachte ich den Ankauf von „Steuer-CDs“ und die öffentliche Berichterstattung über pro minente Steuersünder. Die Zahl der Selbstanzeigen ist in die Höhe geschnellt. Insgesamt gingen seit Februar 2010 bis heu te 20 952 Selbstanzeigen bei der Staatskasse ein und erhöh ten das Steueraufkommen um eine halbe Milliarde Euro. Auch die von unserem Land unterstützte Initiative zur Verschärfung der Selbstanzeige wird positiv dazu beitragen. Wir haben auf den Weg gebracht, dass bei einer Selbstanzeige mit einer Hin terziehungssumme von 25 000 € und mehr ein Strafzuschlag in Höhe von 10 % fällig wird; eine Hinterziehung in Höhe von 100 000 € führt zu einem Strafzuschlag in Höhe von 15 %, und ab 1 Million € werden 20 % fällig. Außerdem werden die strafrechtlichen Verjährungsfristen für einfache Steuerhinter ziehung von fünf auf zehn Jahre verlängert. Das ist für die Be troffenen sehr unangenehm. Es ist jetzt sehr viel Arbeit, nach zuweisen, welche Steuern man hinterzogen hat.

Ab dem 1. Januar 2015 wird es also sehr schwer für Zeitge nossen, die ihre Steuerpflicht umgehen wollen. Deshalb ist mein Appell an alle Sünder in Steuersachen: Nutzen Sie das Ihnen noch verbleibende enge Zeitfenster, um zur Steuerehr lichkeit zurückzukehren.

(Lachen des Abg. Winfried Mack CDU)

Darüber hinaus ist mein Appell an die Regierungen in Euro pa: Nutzen Sie alle Möglichkeiten, um auch international zu mehr Steuergerechtigkeit zu kommen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Bitte da hinten hinschauen!)

Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Paal.

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Er hat seine Steuern gezahlt!)

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal zu Ihnen, Herr Maier. Ich finde es unsäglich, Kriminelles mit Legalem zu vermischen. Das ha ben Sie gerade gemacht. Es wird suggeriert, dass es viele Be triebe gibt, die legale Spielräume nutzen, und das vermischen Sie mit kriminellem Handeln wie Steuerhinterziehung. Ich bit te und rate, dass wir hier differenzieren und keine Dinge mit einander vermischen, die nichts miteinander zu tun haben.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr gut!)

Meine Damen und Herren, das Thema zielt auf den Antrag der Landesregierung ab. Sie haben es gerade bereits gesagt: Am Freitag, dem 23. Mai, wird er im Bundesrat behandelt. Aller dings stellt sich mir die Frage nach der Sinnhaftigkeit dieser Bundesratsinitiative. Wenn man den Inhalt dieser Initiative einmal durchliest, erkennt man, dass dieser mit dem Inhalt des Koalitionsvertrags der Großen Koalition in Berlin weitgehend identisch ist. Ich lese Ihnen auszugsweise einmal vor, was dort steht. Die Große Koalition, sprich die CDU/CSU und die SPD, thematisieren die Verhinderung missbräuchlicher Nutzung von Steuersparmodellen, den Kampf gegen grenzüberschreitende Gewinnverlagerungen, eine umfassende Transparenz zwi schen Steuerverwaltungen, den Einsatz gegen schädlichen Steuerwettbewerb, die Verhinderung doppelter Nichtbesteue rung sowie des doppelten Betriebsausgabenabzugs.

2015 soll es eine Initiative vonseiten der OECD geben, um auf die internationale Steuervermeidung zu reagieren. Auch das enthält der Koalitionsvertrag. Dabei geht es um das The ma Briefkastenfirmen und um die steuerlichen Abzüge. Zu dem sind weitere Vereinbarungen bilateraler und multilatera ler Art angekündigt. Das alles ist im Koalitionsvertrag der Großen Koalition enthalten.

Meine Frage ist deshalb: Warum diese Bundesratsinitiative? Denn es liegt der Verdacht nahe, dass Sie hiermit auf einen fahrenden Zug aufspringen wollen. Ich sage Ihnen auch, wa rum. Es ist Wahlkampf, und das ist vermutlich der Grund für die Wahl dieses Themas.

Schauen wir uns einmal die Pressemitteilung von Ihnen, Herr Finanzminister, zu diesem Thema – deren Aussage finde ich wirklich nicht in Ordnung – an. Darin steht wortwörtlich – ich zitiere –:

Denn dadurch können sich vor allem einige Großkonzer ne aus der Verantwortung stehlen.

Das Wort „stehlen“ suggeriert vermutlich mit Absicht eine il legale Praxis. Das ist meiner Ansicht nach Stimmungsmache, die nicht in Ordnung ist. Dort steht weiter:

Das geht zulasten der Betriebe und Arbeitnehmer im Land, die ihre Steuern in voller Höhe bezahlen.

Herr Minister, wer ein legales Steuermodell nutzt – egal, ob wir es mögen oder nicht –, der bezahlt seine Steuer in voller

Höhe – zwar in niedriger, aber in voller Höhe. Wenn einzel ne internationale Unternehmen steuerlich günstige Regelun gen nutzen, ist das legal. Die Verantwortlichen von Unterneh men, die nicht an den Ausgaben sparen und die wirtschaftlich mögliche Einnahmen nicht generieren, handeln fahrlässig, und sie vernachlässigen ihre Pflicht – übrigens machen sie das im Allgemeinen auch nicht sehr lange.

Die Möglichkeit der legalen Steuerumgehung wird normaler weise von einem oder von mehreren Staaten auch ganz ab sichtlich geschaffen. Unternehmen vorzuwerfen, solche Mög lichkeiten dann zu nutzen, ist meiner Ansicht nach scheinhei lig. Ich rate hier wirklich zur Differenzierung: Wer steuerli che Anreize setzt oder entsprechende Möglichkeiten schafft, das ist die Politik; das sind wir. Wir sind entsprechend zum Handeln aufgefordert, wenn etwas aus dem Lot gerät. Des halb unterstützt die CDU-Landtagsfraktion ganz klar die Vor gehensweise der Bundesregierung, und die im Koalitionsver trag aufgeführten Punkte sprechen eine ganz klare Sprache. Ich nehme an, auch Sie, Herr Finanzminister, stehen zu die sen Punkten.

Wichtig ist, dass man erst nach gründlicher Analyse handelt; denn sonst vollführt man im Alleingang einen Schnellschuss, der auch ganz schnell einmal nach hinten losgehen kann.

Internationale Steuergestaltung kann nur europäisch bzw. in ternational geregelt und beeinflusst werden. Vereinbarungen sind auf EU- bzw. OECD-Ebene zu treffen, und dort muss auch verhandelt und gehandelt werden. Nationale Alleingän ge – ich habe es gerade gesagt – wären falsch. Sie fordern die se in Ihrem Antrag vor dem Bundesrat. Damit können wir uns jedoch ganz schnell ins eigene Fleisch schneiden.

Ein konkretes Beispiel hierfür ist das sogenannte Lizenzmo dell, das in den Niederlanden geschaffen wurde. Man muss genau untersuchen, ob man hier dagegen vorgeht. Man muss mit den Niederlanden sprechen und verhandeln; kein Thema. Aber wer hier Einzelmaßnahmen einleiten will, sollte sich zu vor darüber klar werden, dass wir in Deutschland durch die ses Modell einen Überschuss erzielen. Das deutsche Modell nutzen deutsche Firmen, um hier bei uns Gewinne, die im Ausland erwirtschaftet wurden, zu versteuern und dieses Geld damit nach Deutschland zu bringen. Eine Veränderung wür de eine Reaktion anderer Staaten herbeiführen, und dadurch könnte dieser bislang positive Saldo ganz schnell in sein Ge genteil verkehrt werden. Ich rate daher also zu Gründlichkeit und Vorsicht statt Hektik.

Übrigens sind die auch von Ihnen, Herr Maier, genannten Zah len zur Höhe der Steuerumgehung in Europa und in Deutsch land mehr als fraglich. Ich kann ihr Zustandekommen nicht nachvollziehen. Dort sind beispielsweise stille Reserven ent halten – ich wüsste nicht, was das Vorhalten stiller Reserven mit Steuerumgehung zu tun hat –,

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

ebenso wie Steuervergünstigungen, die von den Finanzbehör den genehmigt wurden. Im Sinne einer sachlichen Diskussi on rate ich einfach, mit solchen Zahlen etwas vorsichtig zu sein.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr rich tig!)

Bei aller Notwendigkeit, über legale Steuergestaltungsmodel le zur Vermeidung von Gewinnsteuern zu diskutieren und die se nach Möglichkeit abzustellen, müssen wir doch wissen: Es gibt – das gebe ich zu – unschöne Einzelfälle, die man an schauen muss. Aber, Herr Finanzminister, Ihr Job ist eigent lich ein ganz anderer. Sie sind verantwortlich für die Haus haltspolitik dieses Landes, für die Haushaltspolitik von Ba den-Württemberg.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Jawohl!)