Frau Präsidentin, ver ehrte Kolleginnen, geehrte Kollegen! Manchmal ist es viel leicht ganz gut, wenn man in Bildern spricht. So will ich mei ne heutigen Ausführungen zur Plenardebatte über den Haus halt mit der Frage beginnen, warum der von 1954 bis 1955 er baute Fernsehturm von Stuttgart noch nicht umgefallen ist.
Damals hat es in der Nachbarschaft Menschen gegeben, die dies befürchteten; manche sollen sogar ihre Grundstücke ver kauft haben. Es wird das Bonmot erzählt, die Frau des Archi tekten Fritz Leonhardt solle ihrem Mann morgens immer nach einem Blick aus dem Fenster zugerufen haben: Der Turm steht noch!
Der Stuttgarter Fernsehturm ist nicht umgefallen, und er wird auch nicht umfallen. Warum ist das so? Weil er auf einem ganz besonders konstruierten Fundament ruht. Dieses Fundament ist nicht sichtbar, und doch ist es tragend notwendig für das Wahrzeichen der Stadt Stuttgart.
So ähnlich verhält es sich mit unserem Rechtssystem. Eine Gesellschaft kann nur funktionieren, wenn die Menschen sich auf die Funktionsfähigkeit des Justizwesens verlassen können und Vertrauen in dieses haben. Dies setzt voraus, dass die Akteu re das Rechtssystem aus innerer Überzeugung mittragen. Grund lage hierfür wiederum ist das Grundgesetz, dessen 70. Ge burtstag wir in diesem Jahr gefeiert haben. Wir Deutschen sind mehrheitlich stolz auf dieses Grundgesetz und werden von vielen Menschen auf der ganzen Welt um dieses Gesetz be neidet.
Über Justiz zu reden ist mühsamer als beispielsweise über die Polizei, über Schulen oder Sozialsysteme. Wir setzen nämlich die Funktionsfähigkeit der Justiz schlichtweg voraus und machen uns viel zu wenig Gedanken, worum es eigentlich geht und wie das System innerlich zusammenhängt. In den Fokus der Öffentlichkeit gelangen meist nur die hauptberuflichen Damen und Herren Richter und Staatsanwälte und natürlich, besonders prominent, der oder die Täter oder der oder die Kläger bzw. die Beklagten.
Ich möchte deshalb gleich zu Beginn meiner Ausführungen all jenen im Justizbereich besonders danken – allen anderen danke ich natürlich auch, aber diesen danke ich besonders –, die für dieses Funktionieren eminent wichtig sind, jedoch nicht so sehr im Rampenlicht stehen. Dabei denke ich z. B. an
Rechtspfleger, Gerichtsvollzieherinnen, Notare, Bewährungs helferinnen, Schöffen und die Beschäftigten im Justizvollzug und im Justizsozialdienst. Sie alle gemeinsam bilden das Fun dament dieses Rechtsstaats.
Das Ziel, diesen Bereich zu stärken, stand für die CDU von vornherein fest, als wir 2016 wieder Regierungsverantwor tung mit übernommen haben. Die Bilanz kann sich sehen las sen: Zusammen mit dem Doppelhaushalt 2020/2021 werden wir seit Beginn der Wahlperiode über 1 000 neue Stellen für die Justiz geschaffen haben.
Ideal ist das in der Justiz eingerichtete Personalbedarfsberech nungssystem PEBB§Y, wenn es die 100 % erfüllt. Ein Schwer punkt dieser Anstrengungen lag deshalb in der Schaffung neu er Richterstellen, die dringend notwendig waren, um einen Verfahrensstau zu bewältigen.
Weiter haben wir uns dafür eingesetzt, dass die Zahl der Stel len in den Justizvollzugs- und Fachdiensten angemessen er höht wird. Hier werden 175 Neustellen geschaffen und zusätz liche Sachmittel für Sicherheitstechnik und Resozialisierungs projekte bereitgestellt.
Seit 2016 wurden somit über 400 neue Stellen im Justizbe reich geschaffen; hinzu kommen 1 000 Stellenhebungen im mittleren Dienst und über 600 Entfristungen im Unterstüt zungsbereich. – Diese Liste könnte ich nahezu beliebig fort setzen.
All diese Maßnahmen dienen zum einen der Personalsiche rung und Personalgewinnung, sollen zum anderen jedoch auch deutlich machen, wie wichtig es den Regierungsfraktionen ist, den Justizbereich verstärkt in den Blick zu nehmen – insbe sondere auch, um den dort tätigen Menschen die ihnen gebüh rende Wertschätzung entgegenzubringen.
Einige weitere Maßnahmen möchte ich explizit ansprechen. Zu nennen wäre etwa der Ausbau der Häuser des Jugend rechts, die Förderung von Maßnahmen zur Wiedereingliede rung von Strafgefangenen, die Einrichtung eines Opferbeauf tragten nebst zentraler Anlaufstelle oder die Förderung eines Projekts zur webbasierten Vermittlung in der professionellen Grundlagenforschung zur Entwicklung einer gemeinsamen Sprache im Kinderschutz, zudem die Erarbeitung einer Kon zeption und Entwicklung des elektronischen Aktenaustauschs zwischen Justiz und Polizei oder auch die Förderung des Fo to- und Informationsprojekts „Absitzen in Freiburg“.
Zu diesen Maßnahmen verweise ich auf die Anträge der Re gierungsfraktionen im Finanzausschuss, denen in der Sitzung des Finanzausschusses vollumfänglich zugestimmt wurde.
Bei den vielen Besuchen in Vollzugsanstalten in den letzten Jahren haben wir uns davon überzeugen können, welche enor men Anstrengungen notwendig sind, um mit den Herausfor derungen im Justizvollzug fertig zu werden. Diese reichen von dem Anstieg der Zahlen psychisch auffälliger Inhaftierter bis
zu einer Vielzahl von unterschiedlichen Sprachen und Men talitäten sowie körperlichen und geistigen Voraussetzungen.
Dafür, diese Aufgaben noch besser zu bewältigen, können die geschilderten Maßnahmen zumindest einen nennenswerten Beitrag leisten. Hierfür danke ich den Mitgliedern meiner Fraktion, meinem Arbeitskreis, dem Strafvollzugsbeauftrag ten unserer Fraktion Jimmy Zimmermann
ja, Jimmy, man darf das auch mal sagen –, aber auch unse rem Koalitionspartner, den wir in diesem Ziel an unserer Sei te wissen, im Besonderen dem Arbeitskreisvorsitzenden Jür gen Filius, der im Detail beschrieben hat, was alles gemacht wurde. Herzlichen Dank dafür!
Ein besonderer Dank gilt abschließend natürlich unserem Mi nister Guido Wolf, der sich diesem tragfähigen Fundament, von dem ich eingangs sprach, in besonderem Maß verpflich tet fühlt und auch entsprechend handelt. Lassen Sie mich da zu einen ganz kleinen Bericht geben:
Ich war am vergangenen Sonntag bei einem Frühstück in Schwäbisch Hall. In Schwäbisch Hall gibt es eine Justizvoll zugsanstalt. Ein Beirat, ein pensionierter Apotheker, ist auf mich zugekommen und hat gesagt: Stellen Sie sich vor, bei einer Feier in der JVA hat der Anstaltsleiter kürzlich als Ers tes darauf hingewiesen, dass sie froh sind, dass die Justiz in der Politik wieder eine größere Rolle spielt.
Sehr geehrte Frau Präsiden tin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Uns muss es mit Sorge erfüllen, dass 70 Jahre nach der feierlichen Verkündung des Grundgesetzes der Rechtsstaat und die ihn tragenden Institu tionen nicht mehr von allen Menschen gleichermaßen als Eck pfeiler und Garanten unseres demokratischen Gemeinwesens geschätzt werden. Diese Entwicklung zeigt, dass wir in Deutsch land offenbar noch viel, viel stärker als bisher für unseren Rechtsstaat und unsere Demokratie im Allgemeinen eintreten müssen.
Unser Rechtsstaat lebt neben seiner institutionellen Legitimi tät insbesondere auch vom Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger. Um es mit den Worten des Präsidenten unseres Bun desverfassungsgerichts, Professor Voßkuhle, zu sagen:
Wer dem Recht misstraut, geht den Rattenfängern popu listischer Bewegungen schnell auf den Leim. Jede Inves tition in den Rechtsstaat ist daher auch eine Investition in die Demokratie.
Für die SPD-Landtagsfraktion ist klar: Unser Rechtsstaat, un ser starker Staat, unser aktiver Staat muss institutionell, per sonell und auch finanziell enorm gestärkt werden. Es wird zu künftig nicht mehr ausreichen, lediglich Recht zu sprechen, sondern gerichtliche Entscheidungen und Verfahren müssen in der Mediendemokratie auch zunehmend stärker erklärt und der Bevölkerung vermittelt werden.
Wir müssen wohl oder übel damit leben, dass in Zeiten von Fake News eine Information allein über den Tenor eines Ur teils oder mit seitenlangen Urteilsbegründungen in der Anla ge nicht mehr ausreicht. Die Bereitschaft, sich z. B. mittels ei ner Tageszeitung unter Pro- und Kontra-Gesichtspunkten ein mal mit einem Thema auseinanderzusetzen, schwindet von Tag zu Tag. Instagram, Facebook oder Twitter lassen nur Platz für kurze Botschaften. Deshalb braucht es hier ein Umden ken. Insbesondere bei Verfahren, die im Fokus der Öffentlich keit stehen, muss ein verständliches und vom Umfang her ver dauliches Angebot gemacht werden, damit auch Nichtjuristen in die Lage versetzt werden, justizielle Entscheidungen bes ser nachzuvollziehen.
Dies fördert Verständnis und Akzeptanz und somit eben auch Legitimation – und zwar dauerhafte Legitimation – und Le gitimität der Strafverfolgung und der Rechtsprechung im All gemeinen.
Die Justiz des Landes steht insofern vor großen Herausforde rungen. Wir, der Landtag, stehen als Haushaltsgesetzgeber in der Pflicht, die Justiz unseres Landes finanziell und personell in die Lage zu versetzen, diese Herausforderungen zu meis tern. Ich denke, dass wir mit dem kommenden Doppelhaus halt diesbezüglich einen Schritt in die richtige Richtung ge hen.
Lassen Sie mich zunächst einmal auch unseren Dank als Frak tion aussprechen. Sowohl im Ständigen Ausschuss als auch bei der Beratung im Finanzausschuss war die Diskussion aus unserer Sicht im Wesentlichen wirklich konstruktiv und res pektvoll. In meinen Dank möchte ich Sie, Herr Minister Wolf, ausdrücklich einbeziehen. Dass Vorschläge unserer Fraktion aufgegriffen und diese auch ausdrücklich anerkannt werden, ist für eine Landesregierung, gerade auch für die grün-schwar ze Landesregierung, nicht selbstverständlich und verdient un sere Anerkennung.
Wir sind uns deshalb auch einig, dass die neu geschaffenen Stellen in der Justiz und im Strafvollzug absolut notwendig sind. Aber insbesondere die jetzt im Strafvollzug vorgesehe nen 175 neuen Personalstellen können aus unserer Sicht nur ein erster Aufschlag sein. Unsere Justizvollzugsanstalten plat zen aus allen Nähten. Die Beamtinnen und Beamten arbeiten am Limit – oftmals auch darüber hinaus.
Die SPD hat schon im Finanzausschuss klargemacht, dass der Stellenaufwuchs auch in den bereits bestehenden Anstalten ankommen muss und eben nicht nur in neuen Einrichtungen.
Aber nicht nur quantitativ bereitet uns der Anstieg der Gefan genenzahlen Sorgen, auch die Insassen selbst stellen den Voll zug vor immer größere Herausforderungen. Neben immer
mehr psychisch auffälligen Gefangenen dürfen wir auch die zunehmende Radikalisierung in den Anstalten keineswegs aus den Augen verlieren.
Aktuell ist in den Justizvollzugsanstalten landesweit verteilt jeweils eine halbe Stelle für die sogenannte Strukturbeobach tung zur Extremismusprävention vorgesehen. Wir haben gro ße Zweifel, dass diese Aufgabe mit dieser geringen Personal ausstattung angemessen erfüllt werden kann.
Im Hinblick auf die vielfältigen Herausforderungen, die der Strafvollzug aktuell und auch künftig zu meistern hat, werden wir unseren Entschließungsantrag zur Weiterentwicklung des Justizvollzugs – sowohl, was die Zielmarke der erforderlichen 400 Personalstellen insgesamt, als auch, was die Anpassung im Bereich der Stellenobergrenzenverordnung angeht – heu te noch einmal hier im Plenum zur Abstimmung stellen.
Der Justizvollzug braucht eine verlässliche Perspektive, so wohl, was die Anzahl der benötigten Stellen, als auch, was die Möglichkeiten der Beförderung angeht. Gerade der mittlere Dienst braucht die realistische Aussicht, nach jahrelangem Einsatz an einer entscheidenden Stelle unseres Rechtsstaats nicht in derselben niedrigen Besoldungsstufe pensioniert zu werden, in der die berufliche Laufbahn begonnen wurde. Was in anderen Landesbehörden gilt, muss auch für den Justizvoll zug gelten.
Es wäre daher ein starkes Zeichen an den Justizvollzug, wenn Sie, die grün-schwarze Regierungskoalition, Ihre ablehnende Haltung im Finanzausschuss nochmals überdenken und unse rem Entschließungsantrag zustimmen. Sie sind dazu herzlich eingeladen.
Neben dem Justizvollzug erhält auch die Justiz insgesamt mehr Stellen. Auch das ist richtig und wichtig. Der Überlas tung der Gerichte, beispielsweise durch die Dieselverfahren, aber auch der zunehmenden Belastung bei den Staatsanwalt schaften muss personell entsprechend entgegengewirkt wer den.
Was bei diesem Doppelhaushalt leider auch ins Auge fällt: Der nachgeordnete Bereich – die Geschäftsstellen in den Gerich ten, die bei der Abarbeitung der Fallzahlen enorm wichtig sind – hat bei diesem Doppelhaushalt das Nachsehen, da er nicht im personellen Gleichklang mit den Strafverfolgungsbehör den, auf den Richterbänken mit aufwächst. Mehr Staatsanwäl te und Richter bedeuten natürlich auch noch mehr Arbeit für die Geschäftsstellen. Wir sollten uns einig sein, dass auch hier dringend nachgesteuert werden muss. Denn ein Urteil, das zwar „im Namen des Volkes“ ausgesprochen wird, aber we gen Arbeitsüberlastung in den Geschäftsstellen nicht zeitnah vollstreckt werden kann, ist wenig geeignet, das Vertrauen in unseren Rechtsstaat zu stärken.