Protokoll der Sitzung vom 23.07.2020

(Zuruf – Unruhe)

In einem Land wie Baden-Württemberg können wir bei die sem Thema nach unserer Überzeugung nicht hinter dem Bund oder anderen Bundesländern – insgesamt sind es sieben Bun desländer, die eigene Karenzzeitgesetze haben – zurückste hen.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang – Sie müssen ent schuldigen, aber das muss noch einmal auf den Tisch – kurz

auf die Causa Ratzmann zurückkommen, die im Januar 2020, zu Beginn dieses Jahres, für Aufsehen gesorgt und – aus un serer Sicht zu Recht – zu großem Unmut geführt hat. Das Staatsministerium hatte ein bisschen das Glück, dass durch Corona die vonseiten der SPD beantragte Debatte im März kurzfristig abgesetzt wurde. Wir wollen an dieser Stelle auch einmal die möglicherweise verblassten Erinnerungen der grü nen Fraktion insoweit wieder aufleben lassen. Wir hätten ge rade angesichts dieser Thematik gern auch eine Karenzzeit für beamtete Staatssekretärinnen und Staatssekretäre auf Landes ebene gesetzlich geregelt. Der Fall Ratzmann zeigt ja deut lich, dass auch hier dringender Bedarf besteht.

Der grüne Staatssekretär – ich will es noch einmal erwähnen – kündigte gegenüber dem Ministerpräsidenten im Januar an, er beabsichtige, als Lobbyist zur Deutschen Post AG zu wech seln. Der Ministerpräsident bedauerte ausweislich der „Stutt garter Zeitung“ den Weggang seines Staatssekretärs. Er sag te wortwörtlich, er habe einen ausgezeichneten Job gemacht. Herr Kretschmann versetzt ihn dann laut Pressestelle auf ei genen Wunsch in den einstweiligen Ruhestand, was wir, die SPD, damals kritisiert haben, weil eine Versetzung in den Ru hestand auf diesem Weg, auf eigenen Wunsch, nicht gesetzes konform ist und wohl allein dazu diente – seien wir einmal ehrlich –, den Abschied aus der Politik mit Steuergeldern zu versüßen.

Es gibt hier zwar einen Ermessensspielraum des Dienstherrn. Voraussetzung ist aber stets, dass Zweifel an der Amtsaus übung in fortdauernder Übereinstimmung mit deren politi schen Ansätzen – in Bezug auf die Landesregierung –, An sichten und Zielen bestehen. Darauf kann allerdings nicht zu rückgegriffen werden, wenn wie hier ein politischer Beamter tatsächlich aus persönlichen Gründen, weil er einen Job in der freien Wirtschaft anstrebt, entlassen werden möchte.

Die Argumentation des Ministerpräsidenten kann auch in die ser Hinsicht schnell ins Auge gehen, wie uns ein Fall aus Thü ringen im Jahr 2014 zeigt. Im Übrigen haben die Grünen dort damals eine Strafanzeige gegen die amtierende Ministerprä sidentin Lieberknecht gestellt, und diese ist damals mit viel Glück einem Strafverfahren wegen Untreue entgangen. Der Fall Ratzmann zeigt, dass es nicht nur bei einem Wechsel von Regierungsmitgliedern in die Wirtschaft, sondern auch bei ei nem Wechsel von politischen Beamtinnen und Beamten in die Wirtschaft dringenden Handlungsbedarf gibt. Das muss ge setzlich geregelt werden.

Leider ist dies – ich habe es gerade schon erwähnt – in Er mangelung einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage auf Landesebene nicht möglich, sondern muss über eine Ände rung des Beamtenstatusgesetzes auf Bundesebene erfolgen. Insoweit hätten wir eigentlich einen anlassbezogenen Vorstoß der Landesregierung im Bundesrat erwartet, zumindest aber eine Selbstverpflichtung, die regelt, unter welchen Vorausset zungen man zukünftig politische Beamtinnen und Beamte un ter Beachtung des beamtenrechtlichen Normengefüges in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Passiert ist aber – wie so oft bei Grün-Schwarz – nichts.

Mit unserem Gesetzentwurf wollen wir Sie auch in dieser Hin sicht aus Ihrer offenkundigen Lethargie befreien. Unser Ge setzentwurf steht nicht in Stein gemeißelt. Wir sind für Vor schläge aus den Reihen der anderen Fraktionen offen, wenn

sie insgesamt dem Ziel dienen, das Ansehen demokratischer Institutionen und damit die Demokratie insgesamt zu stärken.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall – Zurufe, u. a. Abg. Karl Zimmermann CDU: Er redet in fünf Minuten so viel wie andere in 15 Mi nuten!)

Für die Fraktion GRÜNE er teile ich das Wort Herrn Abg. Hentschel.

Sehr geehrte Frau Präsi dentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Vertrauen in die Arbeit von uns Politikerinnen und Politikern ist für das Funk tionieren der parlamentarischen Demokratie von wesentlicher Bedeutung. Richtig! Die Tätigkeit eines ehemaligen Bundes umwelt- und -außenministers – wenn ich hier daran erinnern darf – für einen Massenschlachter in Nordrhein-Westfalen hat gezeigt: Dieses Vertrauen ist schnell angegriffen, wenn sich ehemalige politische Verantwortungsträger nach ihrer politi schen Arbeit als Lobbyisten oder Berater in Wirtschaftsunter nehmen betätigen.

Deshalb danke ich Ihnen natürlich, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, dass Sie dieses Thema hier auch zum Gegenstand der Beratung in unserem Haus ma chen. Es ist richtig, dass man beim Übergang aus einem Re gierungsamt in die Privatwirtschaft jeden Anschein eines mög lichen Interessenkonflikts vermeiden sollte. Baden-Württem berg sollte – da gebe ich Ihnen recht – bei dieser Fragestel lung nicht hintanstehen. Das war und ist uns Grünen schon immer wichtig.

Trotzdem dürfen wir es uns an dieser Stelle nicht so einfach machen. Ein solches Verfahren greift in verschiedene Rechts gebiete ein. Es stehen hier überragende Grundrechte zur Dis kussion, und es darf nicht nur um reine Symbolpolitik gehen. Es gilt, Maß und Mitte zu bewahren. Das Thema eignet sich definitiv nicht für Schnellschüsse. Da werden Sie mir sicher lich zustimmen.

An dieser Stelle darf ich anmerken: Gerade die versorgungs rechtliche Fragestellung bei den Beamten auf Zeit bzw. den politischen Beamten konnten Sie in Ihrem Gesetzentwurf na türlich auch nicht so einfach abarbeiten. Ich wundere mich nur immer ein bisschen, wenn Sie an einer solchen Stelle auf uns, die Koalition, verweisen. Ich überlege gerade, wer denn jetzt an der Bundesregierung noch alles mitbeteiligt ist und möglicherweise auch darauf hinwirken könnte.

Man muss die Frage gründlich und sachlich angehen. Man muss detailliert prüfen, wo durch zielgenaue Regelungen das Vertrauen in die Demokratie gestärkt werden kann. Dabei den ke ich eben auch an die Regeln für die Transparenz politischen Handelns. Man sollte nämlich nicht nur auf diejenigen sehen, die ihre politische Arbeit hinter sich haben, sondern wir müs sen darüber hinaus auch kritisch hinterfragen, was jeweils ak tuell hinter der politischen Arbeit steht. Wie Sie wissen, ver öffentlichen wir Mitglieder der grünen Landtagsfraktion frei willig sämtliche mandatsbezogenen Nebeneinkünfte auf un serer Fraktions-Homepage, und wir laden Sie an dieser Stel le ganz herzlich ein, es uns gleichzutun.

Aber zurück zum Gesetzentwurf: Ihr Entwurf übernimmt bis auf kleinere Abweichungen – das hatten Sie ausgeführt – die

Regelungen des Ministergesetzes des Bundes. Das ist durch aus legitim und kann natürlich ein sinnvoller Weg sein. Man muss sich aber schon gut überlegen, ob nicht auch spezifische landesrechtliche Regelungen sinnvoll sein könnten. Damit werden wir uns gründlich auseinandersetzen.

Sie können sicher sein, dass die grüne Fraktion diese Frage akribisch prüft und alle Möglichkeiten und Modelle in Be tracht zieht. Wir laden Sie natürlich herzlich ein, sich an die ser Stelle auch zu beteiligen, bzw. wir werden uns mit den von Ihnen gestellten Fragen auch ausführlich auseinandersetzen.

(Zuruf: Was haben Sie denn anhand dessen an dem Entwurf der SPD auszusetzen? – Gegenruf des Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Diesen Vorschlag muss man erst mal prüfen!)

Hören Sie mir weiter zu; dann werde ich auf diese Frage stellung noch eingehen.

Unser Ziel ist es, in dieser Legislatur ein Minister- und Trans parenzgesetz zu erlassen, das wesentliche Fragestellungen auf greift und keine starren Regelungen erhält, aber Vertrauen und Transparenz schafft und Missbrauch verhindert, und zwar breiter, als das jetzt in Ihrem Gesetzentwurf, Herr Kollege, angegangen worden ist.

Sie haben nicht geprüft, ob auch beamten- oder versorgungs rechtliche Regelungen gegebenenfalls auf Spezifika eines Wechsels in die Wirtschaft angepasst werden müssten – das ist eine Aufgabe, die die Landesregierung sich übrigens, wie Sie auch wissen und wie auch die Kollegen von der FDP/DVP wissen, ausführlich vorgenommen hat –, und Sie haben auch nicht geprüft, ob Transparenz- und Rechenschaftsregeln für Abgeordnete oder Mitglieder der Landesregierung an dieser Stelle in Betracht kommen können.

Die Landesregierung und die Regierungsfraktionen werden sich dieser Fragestellungen annehmen, und wir werden dar um bemüht sein, dazu auch einen entsprechenden Gesetzent wurf vorzulegen.

Vielen Dank für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit.

(Beifall)

Für die CDU-Fraktion erteile ich das Wort Herrn Abg. von Eyb.

Frau Präsidentin, sehr verehrte Kolleginnen und sehr geehrte Kollegen! Die SPD

(Dem Redner wird ein Wasserglas gereicht.)

danke schön; danke schön nicht für den Gesetzentwurf, son dern für das Wasser –

(Heiterkeit – Vereinzelt Beifall)

hat einen Gesetzentwurf zur Änderung des Ministergesetzes und des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der politischen Staatssekretäre eingebracht. Auf den ersten Blick scheint die ser Regelungsinhalt gar nicht schlecht zu sein.

(Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Auch auf den zwei ten!)

Kernelement des Entwurfs ist, dass Minister und Staatssekre täre nicht ohne Weiteres frei darin sein sollen, durch welche Tätigkeit sie nach dem Ausscheiden aus ihrem Amt in Erschei nung treten wollen. Salopp könnte man formulieren, dass ehe malige Minister und Staatssekretäre gemäß diesem Gesetz entwurf für bis zu 18 Monate nach dem Ausscheiden aus dem Amt einer „Tätigkeitsquarantäne“ unterliegen sollen.

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass amtierende und ehemalige hauptamtliche Mitglieder der Landesregierung sowie politi sche Staatssekretäre, die beabsichtigen, innerhalb eines Zeit raums von 18 Monaten nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt einer Beschäftigung außerhalb des öffentlichen Dienstes nach zugehen, dies der Landesregierung anzuzeigen haben. Her auszustellen ist, dass bereits Vorbereitungshandlungen in Be zug auf eine spätere Tätigkeit von der Anzeigepflicht erfasst sein sollen. Das ist, wie ich meine, schon eine ziemlich weit gehende Regelung.

Eine Erwerbstätigkeit oder sonstige Beschäftigung soll unter sagt werden können, wenn durch ihre Aufnahme öffentliche Interessen beeinträchtigt werden können. Von einer Beein trächtigung soll insbesondere dann auszugehen sein,

... wenn die angestrebte Beschäftigung

... in Angelegenheiten oder Bereichen ausgeübt werden soll, in denen das ehemalige hauptamtliche Mitglied der Landesregierung während seiner Amtszeit tätig war, oder

... das Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität der Landesregierung beeinträchtigen kann.

Das sind die tragenden Regelungen, mit denen die SPD den Versuch unternimmt, politische Integrität zu sichern. Zwar soll ein Beratungsgremium der Landesregierung ein Votum zur beabsichtigten Tätigkeit des ehemaligen Ministers oder Staats sekretärs übermitteln, es bleibt aber dabei, dass es die neue Landesregierung sein soll, die über das weitere Fortkommen eines ausgeschiedenen Ministers oder Staatssekretärs zu be finden hat – dies auf der Grundlage von sehr weiten, unbe stimmten Rechtsbegriffen, die sehr viel Raum für Interpreta tion und Spielraum für politische Interessen bieten.

Verständlich ist das aus Sicht der SPD angesichts der Beispie le, die mir so eingefallen sind: Bundeskanzler Gerhard Schrö der, Bundesminister Sigmar Gabriel, Bundesministerin Bri gitte Zypries, Ministerpräsident Kurt Beck und andere. Ich kann mir nicht vorstellen – z. B. auf Baden-Württemberg be zogen –,

(Zuruf des Abg. Rainer Stickelberger SPD)

dass das ein Thema für den Herrn Ministerpräsidenten wäre – schon gar nicht ein Thema für Frau Merkel.

(Zuruf)

Man könnte, wenn man bösartig denken würde, den Eindruck gewinnen, dass es der SPD vor allem darum geht, den Aus verkauf ihres eigenen Spitzenpersonals zu verhindern.

(Vereinzelt Beifall – Zurufe)

Aber die SPD muss sich die Frage gefallen lassen, ob mittels eines Gesetzes etwas unterbunden werden soll, dessen Prob

lematik sich mit etwas politischem Fingerspitzengefühl ei gentlich ohne Weiteres erschließt.

Durch das Gesetzesvorhaben – der Kollege Hentschel hat da rauf hingewiesen – wird in beträchtlicher Weise in die Berufs freiheit nach Artikel 12 des Grundgesetzes eingegriffen. Ich will es offen sagen: Ich hege erhebliche Zweifel, ob dieses Gesetzesvorhaben in verfassungsrechtlicher wie auch in po litischer Hinsicht bereits endgültig durchdacht ist.