Protokoll der Sitzung vom 13.10.2016

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin.

Bei all diesen Veränderungen – das sind die Themen der Zu kunft, die uns bewegen müssen – geht es um unser Menschen bild. Sehen wir den Wandel nur als Zumutung, vor der wir die Beschäftigten schützen müssen, oder vertrauen wir auf die Freiheit, die Begabungen, die Motivation, die Entfaltung, die Verantwortung des Einzelnen? Geben wir dieser Freiheit Raum.

Die Arbeitswelt der Zukunft – damit komme ich zum Schluss – macht möglich, wovon Generationen geträumt haben: ein freieres, selbstbestimmteres, interessanteres, inspirierenderes Leben. Ergreifen wir diese Chance. Sagen wir Ja zu dieser Zu kunft. Machen wir Baden-Württemberg zum Modellschau platz für diese neue Arbeit, verehrte Kolleginnen und Kolle gen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen – Abg. Winfried Mack CDU: Sehr gut!)

Für die Fraktion GRÜNE er teile ich das Wort Frau Abg. Lindlohr.

Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! „Arbeit im Wandel – brauchen wir mehr Flexibilität?“ lautet der Titel der von der CDU beantrag ten Aktuellen Debatte. Ich verstehe, wie Sie auf diesen Titel kommen; Herr Kollege Reinhart hat es ja gerade auch ausge führt. Dennoch will ich die Perspektive ein bisschen umdre hen: Wenn wir in die Welt hinausschauen, dann merken wir doch, dass sich die Welt, gerade die Wirtschaftswelt, meist viel schneller verändert als z. B. der Staat. Die Arbeit in ei nem erfolgreichen Maschinenbauunternehmen in BadenWürttemberg hat sich in den letzten zehn Jahren viel stärker verändert als die – so sage ich einmal – in einem durchschnitt lichen Baurechtsamt.

(Zuruf von der AfD: Das ist anzunehmen! – Abg. An dreas Schwarz GRÜNE: Sehr gut! Ja!)

Mit dem großen Wandel sowohl der Technologien als natür lich auch der Geschäftsmodelle, mit denen die Unternehmen erfolgreich sein müssen, zeigen die Unternehmen, die Arbeit nehmerinnen und Arbeitnehmer und die vielen neuen Selbst ständigen, dass sie sehr flexibel sind; das ist eine große Leis tung.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Wir werden die Unternehmen, die Arbeitnehmerinnen und Ar beitnehmer und die Selbstständigen dabei unterstützen und die richtigen Rahmenbedingungen setzen, damit sie diese Leistung weiter erbringen können.

Jetzt stellt sich die Frage, wie sich die Arbeitswelt durch die Digitalisierung verändert. In den Betrieben gibt es eine im mer größere Vielfalt an Arbeitsmodellen. Wir sehen Ganztags- und Teilzeitmodelle, wir sehen Sabbatjahre, es gibt Kernzei ten, Gleitzeit, Homeoffice und Telearbeit. Die Arbeitswelt ist schon bunt und flexibel, und das wird weiter voranschreiten. Die Digitalisierung schafft da natürlich viele neue Möglich keiten.

Klar ist: Die Notwendigkeit, dass die Arbeit an einem be stimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit erledigt wird, wird immer geringer. Es ist aber sicherlich auch so, dass die Digi talisierung die Tätigkeiten spezialisiert. Immer mehr Tätig keiten gehen auch in selbstständige Tätigkeiten über. Spezia lisierte Menschen bieten ihre Dienstleistungen an – bei uns sehen wir das gerade in den industrienahen Dienstleistungen – und werden von dem einen oder anderen Unternehmen ge bucht.

Die Wertschöpfungsketten verändern sich, und gerade indus trienahe Dienstleistungen werden hier immer wichtiger. Es gibt einen Trend hin zu Crowdworking. Die Innovationszyk len verkürzen sich. Das bringt für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Unternehmen neue Herausforderun gen mit sich.

Viele Analysen ergeben, dass monotone Arbeiten weniger werden; das ist aber noch nicht ganz ausgemacht. Gerade in den Produktionsstätten in unserer Region überlegen die Un ternehmen, wie sie z. B. die Ergonomie der Arbeitsplätze in der Produktion verbessern und die Mensch-Maschine-Koope ration so verändern, dass die Flexibilität der Menschen, die oft größer ist als die der Maschinen, um schnell Entscheidun gen und Einschätzungen zu treffen, neu genutzt werden kann. Zudem schwinden die Grenzen zwischen Arbeitsleben und Privatleben.

Die Politik versucht, sich damit auseinanderzusetzen und überhaupt zu erfassen, was in der Welt los ist. Auf Bundes ebene gibt es den Grünbuchprozess der Bundesarbeits- und -sozialministerin. Im Land haben wir den Prozess „Zu kunftsprojekt Arbeitswelt 4.0“, den die Ministerin weiter vo rantreibt; einige von Ihnen waren ja auch auf der Tagung da zu am 19. September. Es wird Forschung betrieben. Wir ver suchen, die guten Forschungskapazitäten, die wir hier im Land haben, dazu einzubringen.

Manches kann man jetzt schon empirisch analysieren, bei an derem muss man einfach aus den Erfahrungen, die wir haben, Schlussfolgerungen treffen.

Wir, die Grünen, wollen dazu beitragen, den Menschen die Angst davor zu nehmen, dass die Digitalisierung uns alles Er reichte und die Arbeit wegnehmen würde; ich halte das ein fach für sehr unwahrscheinlich. In den letzten 120 Jahren ha ben bereits verschiedene Wellen der Automatisierung gegrif fen. Bei der Einführung der Dampfmaschine, der Industriero boter, des PCs wurde jeweils befürchtet, dass die ganze Ar beit verschwinden würde; das ist letztlich jedoch nicht der Fall

gewesen. Den weiteren, neuen Wellen der Vernetzung und Au tomation können wir, glaube ich, mit Innovation gut begeg nen. Wir haben die Chance, dass die Arbeitsplätze höherwer tig werden und die Menschen dort gern arbeiten.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Als Fußnote sei für Geschichtsschreibende dieses Landtags noch das Buch „Einsam, überwacht und arbeitslos“ aus grü nen Federn aus dem Jahr 1984 erwähnt. Wenn man jetzt ei nen Vergleich zieht, kann man sehen, welche Prognosen ein getreten sind und welche nicht.

Was sind jetzt die politischen Schlussfolgerungen? Es gibt ja tatsächlich ganz aktuelle Vorgänge. Es gibt den Gesetzentwurf zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und an derer Gesetze auf Bundesebene. Das steht jetzt im Bundestag unmittelbar zur Anhörung an. Es geht um neue Regeln für Werkverträge und für Leiharbeit. Es ist Konsens der Großen Koalition im Bund, hier neue Regeln zu setzen. Beide Instru mente sind wichtige Flexibilitätsinstrumente für die Fragen: Wie gehen wir mit Auftragsspitzen um? Wie ist es möglich, als Unternehmen dynamisch zu bleiben? Wie arbeitsteilig ar beitet die Wirtschaft, wer hat Kompetenzen für was?

Aber es hat auch großen Missbrauch gegeben, auch bei uns hier in der Region, auch bei wichtigen Unternehmen. Es ist richtig, dass sich die Politik aufmacht – in diesem Fall durch die Große Koalition im Bund –, hier etwas zu ändern. Für uns ist in der Leiharbeit das Prinzip „Equal pay“ entscheidend. Dann kann Leiharbeit zur Flexibilität beitragen und ist kein Instrument zum Lohndrücken. Bei den Werkverträgen brau chen wir die Verhinderung von Missbrauch. Eine Nutzung zu dem Zweck, die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen zu umgehen, kann niemand wollen. Aber wir brauchen auch klare und praxistaugliche Kriterien dafür, was ein Werk ist.

Dazu kommt jetzt etwas. Ich muss sagen: Es gab schon ein fachere Kriterien als das, was wir jetzt in dem geplanten Bun desgesetz sehen. Auch im Sozial-, Arbeits- und Steuerrecht wird die Definition immer noch verschieden bleiben, was ei gentlich ein Werk ist und was abhängige Beschäftigung ist. Ich kann nur sagen: As good as it gets, besser wird es in die ser Konstellation jetzt wohl nicht mehr werden. Wir sehen hier einen Fortschritt, es ist aber wirklich noch nicht der Weisheit letzter Schluss zur Definition, was heutzutage ein vernünfti ger Werkvertrag ist.

Der Kollege Reinhart hat das Thema Arbeitszeit angespro chen. Wir kennen es aus der Debatte zur Einführung des Min destlohns, dass das Arbeitszeitgesetz, das sich nicht verändert hat, auf einmal stärker unter Beobachtung stand. Natürlich ist es so, dass einige Punkte, die seit vielen Jahrzehnten in die sem Gesetz stehen, in der Praxis von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie von Unternehmen nicht unbedingt ein gehalten werden. Der Anforderung, dass die Höchstarbeits zeit am Tag eigentlich acht Stunden beträgt und nur im Aus nahmefall auf zehn Stunden erhöht werden kann, werden na türlich viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer selbst gar nicht gerecht.

Jetzt kann man sicherlich über mehr Flexibilität sprechen. Die Tarifparteien verhandeln ja auch über Arbeitszeitkonten. Wenn die Tarifparteien sagen würden: „Zu dem, was wir mit unse

rem Betrieb gemeinsam als Sozialpartner für sinnvoll anse hen, passen die vorhandenen Gesetze nicht“, dann könnte die Politik – das ist in diesem Fall ja immer die Bundesebene – hier sicherlich handeln.

Aber es gibt natürlich eine Sache, die sich bei aller Digitali sierung nicht ändert: Menschen brauchen Ruhe und Schlaf, um gesund zu bleiben. Hier zu sagen, die tägliche Mindestru hezeit, die der Gesetzgeber vorgeschrieben hat, müsste jetzt weg, dafür stehen wir nicht zur Verfügung.

(Beifall bei den Grünen sowie der Abg. Konrad Epp le und Stefan Teufel CDU)

Die Bildung ist eine der Kernaufgaben unseres Landes. Uns ist klar, dass Arbeit 4.0 heißt: Es gibt ganz neue Qualifikati onsanforderungen, und man hat mit der ersten Ausbildung wahrlich nicht ausgelernt. Weiterbildung müssen alle zusam men machen – das ist ja auch manchmal etwas unser Problem –, die Arbeitgeber, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die öffentliche Hand. Ich bin zuversichtlich, dass im Prozess „Zukunftsprojekt Arbeitswelt 4.0“, den das Land beim Übergang von der vorherigen zu dieser Landesregierung an gestrebt hat, gerade für das Thema „Weiterbildung in der Di gitalisierung“ gute Aufgabenstellungen herauskommen wer den, die wir gemeinsam mit den Sozialpartnern hier im Land angehen können. Das ist eine Aufgabe, die wir haben. In der Allianz für Fachkräfte werden schon verschiedene Themen besprochen und in den regionalen Bündnissen umgesetzt.

Wir sollten die Stärkung der Weiterbildungsträger weiter vo rantreiben. Gerade Volkshochschulen und andere Träger stel len sich modern auf und bieten spezialisierte Weiterbildung an, die Unternehmen selbst nicht vorhalten können, die dort gebucht werden kann. Auch die Bildungszeit ist, wenn die So zialpartner sie gut nutzen, eine Chance zu systematischer Wei terbildung.

Wir wollen in der Schule anfangen. Wir sind über die neuen Bildungspläne, die die informationstechnische Grundbildung und andere Dinge gut verankern, froh, damit die Kinder in der Arbeitswelt bestehen können und damit sie selbst entscheiden können, wie sie in dieser agieren wollen. Gerade auch unse re beruflichen Bildungszentren müssen auf dem Stand der Dinge sein. In den nächsten Jahren werden die Lernfabriken 4.0 weitergehen. Dafür steht diese Koalition.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Für die Bundesebene sollten wir uns einen Merkpunkt behal ten: Die soziale Sicherung in Deutschland hängt vom Arbeit nehmerstatus ab. Das müsste in keiner Weise so sein. Das ist seit Bismarck eine deutsche Sitte. In Bezug auf die Gesund heit ist dies in Europa gar nicht üblich. Dort werden meist Ein wohner vor Krankheit gesichert – bei uns sind es die Arbeit nehmerinnen und Arbeitnehmer.

Wir werden meines Erachtens sehen, dass die Digitalisierung einen so starken Trend zur Selbstständigkeit mit sich bringt, dass die Einbeziehung der Selbstständigen in die solidarische Altersvorsorge eine große Aufgabe für die nächsten Jahre ist. Dafür stehen wir Grünen mit der Bürgerversicherung. Aber ich sehe hier auch Bereitschaft aus anderen Parteien. Diese konnte ich bereits feststellen.

Ich bedanke mich bei den Unternehmen, bei den Arbeitneh merinnen und Arbeitnehmern sowie den Selbstständigen für das, was sie an Flexibilität leisten. Wir wollen sie dabei un terstützen. Wir sind für wettbewerbsfähige Unternehmen mit sicheren und guten Arbeitsplätzen. Wir, die grün-schwarze Koalition, gestalten den digitalen Wandel in Baden-Württem berg zum Wohl der Bürgerinnen und Bürger.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU – Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Sehr gut!)

Für die AfD-Fraktion erteile ich das Wort Herrn Fraktionsvorsitzenden Dr. Meuthen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, geschätzte Kollegen Abgeordnete, meine Damen und Herren, verehrte Gäste auf der Zuhörertribüne! Die CDU möchte, dass wir uns heute mit dem Thema beschäftigen – –

(Abg. Reinhold Gall SPD: Nach der Geschäftsord nung spricht man ins Parlament! – Gegenruf des Abg. Winfried Mack CDU: Ja! So ist es!)

(Abg. Reinhold Gall SPD: Geschäftsordnung lesen! – Weitere Zurufe)

Beruhigen Sie sich.

Die CDU möchte, dass wir uns heute mit dem Thema „Arbeit im Wandel – brauchen wir mehr Flexibilität?“ beschäftigen. Diese Themenvorgabe ist dermaßen unpräzise, dass man sich fast schon in einer der diversen Talkshows des GEZ-Fernse hens wähnt. Dort hat man sich inzwischen schon daran ge wöhnt, dass die bei allen Bürgern eingetriebenen horrenden Zwangsgebühren in „Wischiwaschi-Palaverrunden“ verbrannt werden.

(Zuruf der Abg. Sandra Boser GRÜNE)

Hier im Parlament, meine Damen und Herren, darf man doch ein anderes Niveau erwarten.

(Zuruf des Abg. Wilhelm Halder GRÜNE)

Mit Ihrem Sammelsurium von Schlagwörtern und Plattitüden, lieber Herr Kollege Reinhart und liebe Frau Kollegin Lind lohr, müssen wir uns wirklich nicht befassen. Es ist eine An sammlung von Plattitüden.

(Zuruf des Abg. Winfried Mack CDU)

Demnächst propagieren Sie womöglich hier im Hohen Haus, Herr Kollege Reinhart, noch eine „Windelwechsel-App“ als Innovation.

(Beifall bei der AfD – Zuruf des Abg. Winfried Mack CDU)