Protokoll der Sitzung vom 22.06.2017

(Beifall bei der SPD)

Für die Fraktion der FDP/DVP erteile ich das Wort Herrn Abg. Dr. Bullinger.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

Der Staat fördert gleichwertige Lebensverhältnisse, Inf rastrukturen und Arbeitsbedingungen im gesamten Land.

Artikel 3 a Absatz 2 der Landesverfassung vom 1. Dezember 2015. Das haben wir in der letzten Legislaturperiode hier al le gemeinsam – einstimmig – beschlossen. Das war übrigens schon zwei Jahre vorher eine Idee von Paul Locherer und mir; uns hat schon immer umgetrieben, dass wir so etwas nicht in der Verfassung haben.

Meine Damen und Herren, dem, was Herr Dr. Rapp gesagt hat, kann ich eigentlich rundum zustimmen. Ich möchte aller dings zwei Ergänzungen machen, die, glaube ich, entschei dend dafür waren, dass Baden-Württemberg zu einem solch tollen, in sich homogenen, wirtschaftsstarken Bundesland ge worden ist. Ich nenne zwei Namen – viele können damit si cherlich nichts anfangen –: Dr. Hermann Müller, FDP-Lan desfinanzminister – Stichwort kommunaler Finanzausgleich –, und Gerhard Weiser, Minister für den ländlichen Raum – Stichwort ELR. Das sind zwei Namen, die, glaube ich, auch

für diese Struktur des Landes stehen und die man bei solch ei ner Debatte auch erwähnen muss, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Schauen Sie sich in Deutschland um, schauen Sie ins Sauer land, gehen Sie in den Harz, in das Weserbergland oder – ich habe es gerade gehört – in die Vogesen: Nirgendwo sonst in Europa werden Sie ein in sich so starkes und homogenes, wirt schaftlich ausgeglichenes Land finden.

Kollege Nelius hat allerdings zu Recht gesagt, dass es natür lich auch gilt, näher hinzuschauen; denn wir haben auch Wan derungstendenzen vom Weiler, vom kleinen Ort in den Schwer punktort, in die Hauptgemeinde, in das Mittelzentrum, in die Großstädte. Diese Tendenz haben wir. Wer mit offenen Augen durch das Land fährt, sieht sehr wohl, dass es Leerstände gibt, vor allem dann, wenn die letzte Bewohnerin des Hauses, die in den letzten 20 Jahren gelegentlich von Enkeln besucht wor den ist, mit 90 Jahren verstorben ist, meine Damen und Her ren.

Das muss man sehen, und da muss man dagegenhalten. Da ist es richtig, dass man die ländlichen Räume – – Es ist nicht d e r ländliche Raum, es gibt nicht d e n ländlichen Raum, sondern es gibt ländliche Räume; denn die sind sehr unter schiedlich. Fahren Sie ein paar Kilometer von Stuttgart, Heil bronn oder Ludwigsburg hinaus, dann haben Sie schon länd liche Räume mit ganz spezifischen Problemen. Wenn es kei ne ordentliche Verkehrsanbindung, z. B. über die S-Bahn, gibt, wenn der Verein im Ort nicht funktioniert, wenn man keinen Internetzugang hat – überall dort, wo es Defizite gibt,

(Abg. Anton Baron AfD: Krankenhäuser!)

hat man auch in der Nähe von Metropolregionen in ländlichen Räumen sehr schnell die gleichen Probleme wie in Räumen, in denen Großstädte gänzlich fehlen, meine Damen und Her ren.

Es gibt auch einen Wandel hin zur Dienstleistung. Auch das ist, glaube ich, ein Punkt, bei dem wir in den letzten Jahren gesehen haben, dass wir hier vorwärtsgekommen sind. Ich möchte auch noch einmal darauf hinweisen: Wenn man sich die Arbeitslosenzahlen der letzten 30 Jahre anschaut, sieht man, dass es die niedrigsten Arbeitslosenzahlen eben gerade in ländlichen Räumen gab, weil die stabil waren. Schauen Sie sich Oberschwaben an,

(Abg. Anton Baron AfD: Hohenlohe!)

Heilbronn-Franken, Hohenlohe, das Markgräflerland oder auch die Baar – das sind Landstriche, in denen Industrie ge wachsen ist, in denen Qualifizierung stattgefunden hat und in denen ein Recruiting aus der Landwirtschaft stattgefunden hat. Der Strukturwandel der Landwirtschaft war letztendlich die Infusionsflasche für die qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der großen Betriebe in Baden-Württemberg, die heute weltweit unterwegs sind. Ich glaube, es ist ganz richtig, dass man daran auch weiter festhält.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Anton Baron AfD)

Wo Glasfaser, Breitband, Bahnanschluss, Nähe zu Schnell straßen, die Nahversorgung im eigenen Ortsteil fehlen, wie

im Schwarzwald oder auf der Alb, kommen Fragen auf: Wie kommen junge Familien in den Teilort? Wie sichern sie sich im Ort die Tagesbereitschaft von bestimmten Einrichtungen, Vereinsleben, Ehrenamt? Wie lange trägt die Gemeinde noch den Teilort mit dem eigenen Kindergarten?

Ich bin als Gemeinderat stolz, dass wir vor fünf Jahren 2 Mil lionen € in eine Grundschule mit 80 Schülern investiert ha ben, und ich hoffe, dass die Landesregierung dafür sorgt, dass man so etwas nicht schließt. Meine Damen und Herren, das ist Stärkung des ländlichen Raums.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Anton Baron AfD)

Weiter ist es wichtig, dass wir es auch in der Frage der Ge meinschaftseinrichtungen insgesamt den Vereinen und dem Ehrenamt nicht durch zusätzliche Bürokratie immer schwerer machen.

Zum Thema Förderprogramm: Frau Wirtschaftsministerin, ich finde, das ist hier ganz wichtig. Landessanierungsprogramm, Städtebausanierung heißt nicht, die großen Städte zu fördern, sondern heißt, auch den Teilort in der Gemeinde zu fördern. Das wird seit 30 Jahren gemacht, und das machen Sie auch weiter so. Das ist Stärkung des ländlichen Raums. Dort kann man die Umnutzung landwirtschaftlicher Bausubstanz ver wirklichen. Dort kann man auch jungen Menschen die Chan ce geben, innerörtlich etwas zu machen. Aber – ich sage das auch – man darf deshalb die Ausweisung von Neubaugebie ten und Gewerbesiedlungsflächen nicht ideologisch verbie ten; denn das brauchen die Gemeinden auch, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Es gilt auch die Hochschullandschaft in ländlichen Räumen weiter zu pflegen – ich denke hier an die Duale Hochschule, die Hochschulen für angewandte Wissenschaften, die Außen stellen –, und da war es nicht dienlich, dass beispielsweise die Ludwigsburger Evangelische Hochschule 300 Studienplätze in Schwäbisch Hall, in meinem Wahlkreis, schaffen wollte und die Wissenschaftsministerin das verhindert hat. Das ist nicht in Ordnung. Ich finde, so darf man ländliche Räume nicht behandeln, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Anton Baron AfD: Genau!)

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.

Ich möchte zum Schluss nur eines noch einmal klarstellen: Wir gehen einen Weg zugunsten der Metropolregionen, obwohl wir eigentlich von den Entwicklungsländern lernen müssten: Metropolregi onen, große Städte bringen Probleme. Das Ziel muss heißen, die Infrastruktur zu stärken. Das heißt für mich Dezentralisie rung, und das heißt eben nicht, noch mehr in die Großstädte zu investieren, auch beim Bauen. Jeder glaubt, er dürfe in Stuttgart, Freiburg und Karlsruhe einen sozialen Wohnungs bau subventionieren, und draußen sind Arbeitsplätze, tolle Landschaften, tolle Infrastrukturen und Wohnplätze zu einem Preis vorhanden, den man auch bezahlen kann. Das ist der fal

sche Ansatz. Gerade von den Grünen bin ich enttäuscht, dass man diesen Denkanstoß der Dezentralisierung so sieht, wie es viele Entwicklungsländer auch sehen,

(Abg. Anton Baron AfD: Genau!)

nämlich als falschen Weg in eine Großstadt hinein, statt die ländlichen Räume entsprechend zu unterstützen.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der CDU und der AfD)

Für die Landesregierung er teile ich Herrn Minister Hauk das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der ländliche Raum in Baden-Württemberg ist in der Tat das, was europaweit und weltweit fast einzigartig ist. Es ist interessant, dass die Entwicklung, die in dem letz ten Jahrfünft eingesetzt hat, nämlich eine Landflucht, mit den Aussagen des damaligen Wirtschaftsministers zusammenhän gen mag, man könne ja auch Täler im Schwarzwald zuwach sen lassen.

(Vereinzelt Heiterkeit – Widerspruch bei der SPD)

Das mag damit zusammenhängen. Jedenfalls ist es augenfäl lig, dass wir seit letztem Jahr überall in baden-württembergi schen Landkreisen – nicht nur in Böblingen und nicht nur im Rems-Murr-Kreis, sondern auch in den ländlicheren Regio nen, im Zollernalbkreis, auf der Ostalb etc. – wieder Zuzug und Zuwachs haben. Das ist eine bemerkenswerte Entwick lung; und dieser Trend hält in diesem Jahr an. Das heißt, der ländliche Raum verliert keine Einwohner, der ländliche Raum gewinnt wieder Einwohner. Das ist eine erfreuliche Nachricht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Vereinzelt Bei fall bei den Grünen, der AfD und der FDP/DVP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin nicht so ver messen, zu sagen, es mag damit zusammenhängen, dass die SPD aus der Regierungsverantwortung abgewählt wurde, aber es könnte damit zusammenhängen.

(Beifall bei der CDU – Lachen des Abg. Anton Ba ron AfD – Zuruf des Abg. Georg Nelius SPD)

Also, es gibt offensichtlich doch irgendwelche Gründe.

Lieber Herr Kollege Nelius, es ist nicht so, dass vorher alles intransparent gewesen wäre und man Programmentscheidun gen etc. aus dem Bauch heraus getroffen hätte. Ich habe je denfalls damals keine Kritik von Ihnen an der Programment wicklung etc. gehört.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Kollegin Braun hat vorhin sehr eindrucksvoll dargestellt, mit welchen Instrumen ten wir arbeiten. Natürlich sind die Instrumente vielfältig.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Nein!)

Herr Kollege Stein, auf komplexe Fragen gibt es keine einfa chen Antworten. Das sollten Sie eigentlich schon gelernt ha

ben. Aber Sie sind ja unterwegs und wollen den Leuten vor machen, es gäbe nur einfache Antworten.

(Abg. Udo Stein AfD: Nein, nein, nein! – Abg. Rein hold Gall SPD: Er hat gar keine!)

Die gibt es aber in einer komplexen Welt nicht. Das muss man einmal klar sagen. Wenn man komplexe Fragestellungen vor findet – und die sind komplex, und menschliche Entschei dungsprozesse sind auch nicht monokausal, sondern die sind auch komplex –, dann muss man auch komplex antworten. Das ist unsere Zielsetzung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, warum ist der länd liche Raum stark, und warum wollen wir daran festhalten? Herr Kollege Bullinger, Frau Kollegin Braun und Herr Kol lege Dr. Rapp haben das vorhin eindrucksvoll gesagt. Wir er wirtschaften auf der Fläche und mit der Bevölkerung des länd lichen Raums einen nahezu adäquaten Anteil des Bruttosozi alprodukts. Also, rund ein Drittel leben im ländlichen Raum, knapp ein Drittel des Bruttosozialprodukts in Baden-Würt temberg wird auch im ländlichen Raum erwirtschaftet.

Das heißt, von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit her ist der ländliche Raum den Städten ebenbürtig. Deshalb, glaube ich, ist es notwendig, dass wir uns darauf kaprizieren, dass wir diese Stärke der ländlichen Räume letztendlich auch halten,