Protokoll der Sitzung vom 13.06.2018

(Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Was habt ihr denn jetzt im Koalitionsvertrag in Berlin verein bart?)

Wir sind gespannt auf Ihre Antworten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Für die Landesregierung er teile ich das Wort Herrn Minister Lucha.

Sehr verehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kolle gen! Der Heimatbegriff kann kontrovers diskutiert werden. Allerdings sind wir uns bestimmt einig, dass Heimat auch der Ort ist, an dem die Familie, an dem Freunde oder andere Men schen leben, die uns wichtig sind. Junge Menschen, die aus Ihrem Heimatland geflüchtet sind, leiden unter der Trennung von ihren Bezugspersonen. Sie haben ihre Gemeinschafts strukturen verloren, die ihnen Halt gaben.

Dieses Schicksal haben Kinder und Jugendliche so gut wie nie selbst gewählt. Meist war die Flucht unausweichlich,

(Abg. Rüdiger Klos AfD: Ja, natürlich! – Weitere Zu rufe)

oder sie wurde ihnen von den Eltern auferlegt. In unserer Ge sellschaft angekommen, müssen sie sich in einer fremden Welt zurechtfinden.

(Abg. Rüdiger Klos AfD: Die Armen! – Abg. Dr. Christina Baum AfD: In einer fremden Welt!)

Wir tun auch im eigenen Interesse gut daran, in die Zukunft dieser Kinder und Jugendlichen zu investieren und ihnen Un terstützung und Schutz zu gewähren.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und des Abg. Dr. Bernhard Lasotta CDU – Abg. Daniel Rottmann AfD: Am besten, indem wir sie nach Hause schi cken!)

Dank der funktionierenden Systeme, aber auch der Hilfe gro ßer Teile unserer Gesellschaft sind wir auf einem guten Weg, diese jungen Menschen in Deutschland zu integrieren und ih nen – und somit uns – positive Zukunftsaussichten zu bieten.

(Abg. Stefan Räpple AfD: Da bin ich mal gespannt!)

Aktuell kommen deutlich weniger unbegleitete minderjähri ge Ausländerinnen und Ausländer zu uns. Wir wissen nicht, ob das so bleibt. Es flammen immer wieder neue Krisenher de auf. Daher ist es wichtig, sich zukunftssicher zu organisie ren.

Zum Stichtag 8. Juni 2018 wurden insgesamt 6 547 UMAs in Baden-Württemberg durch die Jugendämter betreut, versorgt und untergebracht. Baden-Württemberg ist seit Mai 2017 durch das Bundesverwaltungsamt durchgängig als Einreise land definiert und damit berechtigt, UMAs zur bundesweiten Verteilung anzumelden. Von den 2 396 durch die baden-würt tembergischen Jugendämter vorläufig in Obhut genommenen UMAs wurden 35 % als volljährig eingeschätzt.

Das heißt, die Praxis in Baden-Württemberg ist – Herr Dr. Rülke, vielleicht haben Sie da die Systematik nicht begrif fen –: Es erfolgt die erste vorläufige Inobhutnahme und Ein schätzung. Wir haben schon jetzt festgestellt, dass 35 % in das System der Erwachsenenhilfe gehen. In der Praxis in BadenWürttemberg werden schon jetzt nicht weniger mutmaßliche UMAs festgestellt als in der Praxis in Ländern, die vorder gründig als Beispiel für eine gute Praxis herangezogen wer den.

Ja, die Altersfeststellung stellt in allen Bereichen die entschei dende Weiche. Wir haben ein ganz klares Ziel: Wer minder jährig ist, muss den notwendigen Schutz erhalten. Auf Voll jährige müssen die für Volljährige geltenden Regeln ange wandt werden.

(Zuruf des Abg. Daniel Rottmann AfD)

Natürlich wollen wir, weil dies für alle Verfahren entschei dend ist, die bestmögliche Alterseinschätzung erhalten. Wir haben in den letzten Jahren umfangreiche Erfahrungen dazu gesammelt. Diese nutzen wir jetzt, um unsere Verfahren wei terzuentwickeln.

Die antragstellende Fraktion hat hierzu einen Vorschlag ge macht. Ich will Ihnen erläutern, warum wir diesen Vorschlag ablehnen. Uns alle eint der Wunsch, möglichst rasch zu Ver

besserungen bei der Altersfeststellung zu kommen. Der von Ihnen gewählte Weg einer Bundesratsinitiative würde eine Lö sung aber vermutlich auf den Sankt-Nimmerleins-Tag ver schieben, weil es dauern würde, bis man über diesen Weg zu Potte gekommen wäre.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Ach so! Sie sind schneller!)

Ja. Wir wollen und werden schneller sein und haben uns für diesen anderen Weg entschieden, den ich Ihnen jetzt erläutern werde.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Gut!)

Aber Ihr Vorschlag ist auch nicht durchdacht. Ich will es Ih nen kurz erläutern. Sie wollen, dass eine Beweislastumkehr eintritt, wenn UMAs sich weigern, an den notwendigen Un tersuchungen mitzuwirken.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: So wie der Kollege Reinhart!)

Vorab: Wir haben aktuell keine Hinweise, dass diese Mitwir kung im Moment verweigert würde. Aber wir sagen selbst: Wenn jemand nicht mitwirkt, gehen wir von seiner Volljäh rigkeit aus. Das haben wir klar so konzipiert, und das setzen wir dann ins Handeln um.

Wir haben im Übrigen schon jetzt die Möglichkeit – das ma chen wir; darum sehen Sie ja auch diese Zahlen; wir haben derzeit keine Hinweise –, bei Verweigerung der Mitwirkung Jugendhilfeleistungen zu versagen. Wir definieren: Wer nicht mitwirkt, sagt: „Ich erkläre mich für volljährig.“ Wir werden dies bei Sanktionen im Fall einer Verweigerung nutzen.

Aber: Wir brauchen zunächst eine unverzügliche Altersfest stellung durch die Jugendämter, damit sehr schnell entschie den werden kann, ob eine Inobhutnahme erfolgen oder auf rechterhalten werden muss. Ihr Vorschlag würde nicht zu bes seren Ergebnissen führen. Psychologische und sozialpädago gische Verfahren wie die qualifizierte Inaugenscheinnahme sind als eine Methode der Altersfeststellung europaweit defi niert und anerkannt.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Ja, was gilt jetzt?)

Diese fachliche Expertise für diese Verfahren ist vorhanden.

Wir wollen mehr Erkenntnismöglichkeiten nutzen und nicht weniger. Der richtige Weg ist daher, dass Jugendhilfe und Aus länderbehörde bei der Altersfeststellung eng zusammenarbei ten und ihre jeweiligen Erkenntnismöglichkeiten nutzen und zusammenbringen. Durch eine enge Verzahnung der Zusam menarbeit von Jugendhilfe, Ausländerbehörde und gegebe nenfalls weiteren Fachleuten – insbesondere aus dem medizi nischen Bereich – werden wir alle Möglichkeiten umfassend und bestmöglich nutzen.

Junge Menschen, die minderjährig sind, bei denen Minder jährigkeit vermutet wird, und die unbegleitet nach Deutsch land eingereist sind, werden wie bisher durch das örtlich zu ständige Jugendamt vorläufig in Obhut genommen. Sie wer

den dann unverzüglich einer zentralen Stelle – heute kursie ren Namen – zugeführt, in der Jugendhilfe und Ausländerbe hörde zusammenarbeiten und weitere Spezialistinnen und Spezialisten hinzuziehen. Dort erfolgt zukünftig auch die Re gistrierung und erkennungsdienstliche Behandlung.

(Zuruf des Abg. Rüdiger Klos AfD)

Zudem wird in einem zwischen Jugendhilfe und Ausländer behörde abgestimmten Vorgehen die Altersfeststellung durch geführt.

Was wir bündeln und zentralisieren, sind einzelne Verfahrens schritte der Jugendämter und der Ausländerbehörden. Das heißt, in Kooperation mit den kommunalen Landesverbänden und den Trägern der Jugendämter werden wir durch eine Ver einbarung eine klar geregelte, spezialisierte Altersfeststellung für Baden-Württemberg schaffen.

Im Übrigen, Kollege Hinderer, ist das selbstverständlich ab geklärt und konsentiert. Sie verzeihen mir: Mein Pfingstbe griff war noch ein bisschen ferienanalog, eine Woche darüber.

Ich bekenne: Wir haben natürlich mit dem Städtetag, mit dem Landkreistag, sogar mit dem Gemeindetag, mit allen Zustän digen – natürlich auch mit denen in Heidelberg – gesprochen. Die Verbände begrüßen das.

(Abg. Rüdiger Klos AfD: Die waren alle begeistert!)

Sie arbeiten ganz aktiv mit, weil wir ja damit vertragliche Lö sungen gestalten werden und diese dann gemeinsam umset zen werden.

Im weiteren Verfahren verständigen sich dann die Fachleute für Altersfeststellung aus Jugendhilfe und Ausländerbehörde über die Ergebnisse und das weitere Vorgehen. Das kann und wird dann auch Röntgenuntersuchungen mit einschließen.

Wir werden hierzu die im August 2017 herausgegebenen ge meinsamen Handlungshinweise zur Zusammenarbeit von Ju gendhilfe und Ausländerbehörden anhand der zwischenzeit lich gewonnenen Erkenntnisse weiterentwickeln. Dort steht übrigens, was gern übersehen wird, schon seit August 2017, dass die Ausländerbehörden in Zweifelsfällen weitere Unter suchungen veranlassen können und diese natürlich auch Rönt genuntersuchungen einschließen.

Jetzt haben wir das Ganze komprimiert auf dem Tisch. Jetzt wird die To-do-Liste abgearbeitet. Es gibt da ein Konsensprin zip. Am Ende müssen sich alle Beteiligten konsentieren. Das ist doch der Charme dieser Lösung.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU)

Wird Volljährigkeit festgestellt, ist die vorläufige Inobhutnah me unverzüglich zu beenden und der oder die Betroffene in das Erwachsenensystem zu überführen.

Herr Minister, lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Glück zu?

Ja, bitte, Herr Abgeordneter.

Herr Minister, vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Sie haben gerade gesagt, dass eine Inobhutnahme durch Experten erfolge, um das Alter des Flüchtlings, um den es geht, einschätzen zu können. Sie sa gen, dabei könnten auch, wenn Unklarheiten bestehen, radio logische Verfahren zum Einsatz kommen. Genau das ist der Knackpunkt. Dürfen Sie das denn, wenn derjenige, bei dem diese Untersuchung durchgeführt werden soll, diese verwei gert? Genau das ist doch der Knackpunkt, bei dem wir sagen: Da brauchen wir eine Beweislastumkehr.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der AfD)