Protokoll der Sitzung vom 28.11.2018

Tatsache ist: Wir haben heute gegenüber dem Durchschnitt des Jahres 2015 ein Plus von 12,5 % bei der Gesamtbelegung unserer Haftanstalten. In Zahlen sind das rund 820 Gefange ne. Ein signifikanter Rückgang ist derzeit nicht absehbar.

Mittelfristig benötigen die Justiz und der Justizvollzug daher rund 1 000 zusätzliche Haftplätze. Wir haben dazu gestern im Kabinett entschieden, 360 neue Haftplätze ab 2022 in den Jus tizvollzugsanstalten Heimsheim, Ravensburg und Schwäbisch Hall in Modulbauweise zu errichten. Tempo muss es geben beim Neubau der JVA in Rottweil mit 500 Haftplätzen, aber auch bei einem neuen Justizvollzugskrankenhaus in Stuttgart, das wir mit 200 Haftplätzen planen.

Sie haben die Frage gestellt, wie wir in die Lage versetzt wer den, alltägliche Erkrankungen und Verletzungen möglichst ohne Ausführungen zu diagnostizieren. Die starke Belegung hat natürlich auch enorme Auswirkungen auf unsere Vollzugs bediensteten. Ausführungen zum Arzt und in die Klinik sind sehr personalintensiv. Deswegen haben wir neben der klassi schen Medizin in den Haftanstalten und in Sondersituationen im Justizvollzugskrankenhaus auf dem Asperg einen pilotier ten Telemedizinversuch im Justizvollzug geschaffen. An aus gewählten Standorten betreiben wir Telemedizin, auch unter Hinzuschaltung von Videodolmetschern.

Ich habe mich selbst davon überzeugen können, dass das ei ne wertvolle Form der medizinischen Versorgung ist. Es ist nur ein ganz kleiner Anteil der Häftlinge, der zunächst tele medizinisch versorgt wird, der gleichwohl anschließend zur Behandlung zum Arzt oder in die Klinik ausgeführt werden muss.

So, wie wir das Videodolmetschen schon im ganzen Land, in allen Vollzugsanstalten ausgerollt haben, wollen wir die Tele medizin an einzelnen Standorten nach einer gewissen Frist

auswerten, evaluieren und, wenn es sich bewährt, auf alle Vollzugsanstalten ausdehnen.

Wir haben in den Gefängnissen die Digitalisierung im Rah men der Möglichkeiten umgesetzt: Videodolmetschen – ich hatte es angesprochen – und Telemedizin. Allein beim Video dolmetschen steht den Vollzugsanstalten bei Bedarf mit sehr kurzer Vorlaufzeit – in der Regel innerhalb weniger Minuten nach der Beauftragung – ein geprüfter Dolmetscher per Vi deokonferenz zur Verfügung.

Zuletzt: Wir brauchen natürlich, um dieser Situation gerecht zu werden, in den nächsten Jahren auch weitere Vollzugsbe dienstete. Wir haben in den vergangenen Haushalten schon über 200 Stellen geschaffen. Wir werden in den kommenden Jahren weitere 400 Stellen benötigen, schon allein wegen der zusätzlichen Haftplätze.

Deshalb brauchen wir natürlich auch attraktivere Arbeitsbe dingungen im Justizvollzug, damit mehr Bewerber ein Inter esse an dieser Tätigkeit haben, z. B. durch Stellenanhebungen und in der Folge schnellere Beförderung für leistungsstarke Bedienstete. In den mittleren Diensten des Vollzugs-, Werks- und Verwaltungsdienstes sollte dabei die Stellenobergrenze von 40 % Beförderungsstellen bei den Besoldungsgruppen A 9 und A 9 mit Zulage ausgenutzt werden.

Wir wollen die Fortbildungsangebote stärken. Zur Gewinnung lebens- und berufserfahrener Bewerber im mittleren Vollzugs- und Werksdienst sind die Bezüge der Anwärterinnen und An wärter dieser Laufbahnen zu verbessern. Aus diesem Grund werden voraussichtlich – das Finanzministerium ist da dran – ab Beginn des kommenden Jahres die Anwärtersonderzuschlä ge für diese jungen Vollzugsbediensteten erhöht.

Sie sehen: Die Landesregierung hat die Brisanz erkannt und ist Schritt für Schritt dabei, die Rahmenbedingungen im Jus tizvollzug zu verbessern.

Vielen Dank. – Die nächste Frage kommt von Herrn Abg. Räpple.

Guten Tag, Herr Minister! Ich ha be zwei Fragen.

Die erste Frage: Sie haben gesagt, dass seit 2015 die Anzahl der Häftlinge, der Gefangenen um 12,5 % – um wahnsinnige 12,5 % – gestiegen ist. Wie kann das sein? Wie erklären Sie sich diesen Zuwachs seit 2015? Worin hat das seine Gründe?

Die zweite Frage: Die Justizvollzugsanstalt in Offenburg z. B. hat 500 Plätze. Von diesen 500 Plätzen werden allein 20 Plät ze von Gambiern belegt – Gambia ist ein Land mit zwei Mil lionen Einwohnern. Damit stammen schon 7 % der Gefange nen in Offenburg aus diesem Land. Wenn nun in der nächsten Woche der Pakt für Migration unterzeichnet wird – vielleicht auch von der CDU-Bundesregierung –, stellt sich die Frage: Wie viele Afrikaner werden wir dann noch zu erwarten haben, die hier in Deutschland die Gefängnisse zum Überfluten brin gen?

Herr Räpple, zunächst zu Ihrer letzten Frage. Für Prognosen sind andere gefragt und zuständig. Die kann ich in dieser Form nicht abgeben.

Thema dieser Regierungsbefragung ist ja die Situation in den Haftanstalten. Da will ich Ihnen aber gern eine Antwort auf Ihre erste Frage geben: Was ist der Grund für die erhöhten Haftzahlen seit Ende des Jahres 2015? Ich sage das bewusst, um auch der letzten Landesregierung, die da und dort ja auch Vollzugsanstalten abgebaut hat, hier keinen Vorwurf zu ma chen: Die Entwicklung der Häftlingszahlen bis 2015 war rück läufig. Es war durchaus nachvollziehbar, sich dann auch zu entscheiden, kleinere Standorte zu schließen.

Jetzt, seit Ende 2015, haben wir einen Zuwachs. Er ist viel schichtig, aber es ist auch erkennbar, dass wir einen erhöhten Anteil von Ausländern in unseren Gefängnissen haben. Inzwi schen liegt er im Durchschnitt aller Justizvollzugsanstalten – Stichtag März 2018 – bei 48,5 %. Das ist in den letzten Jah ren doch eine deutliche Zunahme.

Die Herkunftsländer sind sehr unterschiedlich. Wir differen zieren in unseren Gefängnissen nicht nach Ausländern und Asylbewerbern, aber wir haben die Herkunftsländer, und in der Tat: Gambia ist ein Herkunftsland von Menschen, die zu nehmend auch bei uns straffällig werden – im Bereich der Drogenkriminalität –, und insoweit hat sich auch der Anteil der Gambier in unseren Vollzugsanstalten erhöht.

Übrigens ist diese Fülle von Kulturen und Sprachen natürlich eine besondere Herausforderung für unsere Vollzugsbediens teten. Das ist mit ein Grund dafür, dass wir uns auch – mit Er folg – für dieses System des Videodolmetschens entschieden haben.

Danke schön. – Die nächste Frage kommt von Herrn Abg. Filius.

Herr Minister, in der vergange nen Woche hat wieder die Arbeitsgemeinschaft von Grünen und CDU „Moderner Strafvollzug“ getagt. Da haben auch wieder entsprechende Erkenntnisse der Straffälligen- und Be währungshilfe vorgelegen. Auch dem Ministerium sind ent sprechende Vorschläge unterbreitet worden, wie es möglich ist, in stärkerem Maß Haftvermeidung zu erreichen – Stich wort „Schwitzen statt Sitzen“ –, sodass es auch möglich wä re, jemandem aus der Haft noch etwas mit auf den Weg zu ge ben: Wenn man draußen eine Tätigkeit aufnimmt, kann die Haftstrafe auch damit beendet sein.

Meine Frage ist, in welchem Zeitrahmen diese Überlegungen, die wohl vom Justizministerium goutiert werden, in eine Um setzungsphase kommen können.

Zum ei nen: Das Allerbeste ist, überhaupt zu vermeiden, dass jemand in ein Gefängnis gehen muss. Diese Präventionsarbeit erfolgt natürlich auch in einem engen Zusammenwirken mit dem zu ständigen Sozialministerium, welches hier entsprechend un terwegs ist.

Sie haben speziell den Bereich „Schwitzen statt Sitzen“ an gesprochen. Wir reden ja hier vor allem über die sogenannten Ersatzfreiheitsstrafen. Das heißt, jemand wird zu einer Geld strafe verurteilt, kann oder will diese nicht bezahlen und wird dann ersatzweise verpflichtet, eine Haftstrafe anzutreten.

(Zuruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

Kollege Röhm, aus Erfahrung?

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Pädagogisch wert voll!)

Pädagogisch wertvoll.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Wir wollen diese Ersatzfreiheitsstrafe nach Kräften vermei den, indem wir diesen Menschen eben dann das Projekt „Schwitzen statt Sitzen“ anbieten. Es sieht vor, dass sie in ei nem angemessenen Umfang gemeinnützige Tätigkeiten voll bringen müssen, auch unter Kontrolle des Umfangs und der Pünktlichkeit. Das funktioniert in vielen Fällen erfolgreich. Ich habe die Zahl jetzt nicht ganz präzise parat, aber es sind sicherlich Haftplätze im Umfang von einer Haftanstalt – mit Sicherheit –, die wir durch das Projekt „Schwitzen statt Sit zen“ einsparen. Wir wollen das natürlich weiterhin verfolgen, weil es Häftlinge sind, die oft von ihrer Entwicklungsge schichte her nicht die „klassischen“ Häftlinge sind, bei denen es also auch Sinn macht, mit einem Warnschuss, mit einem Denkzettel deutlich zu machen, dass man eben Geldstrafen auch bezahlen muss.

Aber wir sind darüber hinaus natürlich auch bedacht, diejeni gen, die im Gefängnis sind, mit einer ganzen Bandbreite von Resozialisierungsmaßnahmen auf ein straffreies Leben vor zubereiten. Auch wenn das Gefängnis im Moment der Entlas sung nicht mehr für das weitere Leben des einzelnen Häftlings zuständig ist, haben wir z. B. schon vor anderthalb Jahren ei ne Kooperationsvereinbarung unterschrieben – mit der Dia konie, mit der Arbeitsagentur, mit den Kommunen –, um eben diesen Menschen in der Folge die notwendigen Unterstüt zungsleistungen zu geben, damit sie schnell in die Lage ver setzt werden, wieder in Arbeit, in Wohnung und in ein straf freies Leben zu kommen.

Herr Abg. Weber, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Minister, Sie ha ben die Entwicklung im Strafvollzug und auch die Herausfor derungen für die Bediensteten angesprochen. Insofern ist es notwendig und richtig, Haftplätze zu schaffen. Ich denke, wir sind uns aber einig, dass Haftplätze allein – ohne Personal ausstattung – nicht genügen. Daher meine Frage: Zu welchem Zeitpunkt wollen Sie diese Haftplätze verfügbar haben, und was bedeutet das für den Personalkörper? Mit anderen Wor ten: Wie sieht die Ausbildungszahl aus? Oder wollen Sie Per sonal an anderer Stelle abziehen, um die Standorte zu stärken?

Vielen Dank, Herr Weber, für diese Frage. In der Tat wird in den nächsten Jahren noch einmal ein Kraftakt erforderlich sein. Ich bin meinen Kolleginnen und Kollegen im Kabinett, aber auch den Kolleginnen und Kollegen im Parlament sehr dank bar, dass sie daran mitgewirkt haben, schon in den letzten drei Haushalten über 200 zusätzliche Stellen zu schaffen. Das war dringend notwendig.

Wir werden jetzt, wenn Sie zustimmen, im Nachtragshaushalt weitere 30 Anwärterstellen schaffen. Ich habe, auch im Zuge dieser Kabinettsvorlage, ohne damit künftigen haushalteri

schen Entscheidungen vorgreifen zu können, darauf hinge wiesen, dass wir perspektivisch 400 weitere Vollzugsbediens tete brauchen. Wenn Sie davon ausgehen, dass wir zusätzli che 450 Haftplätze schaffen, so sehen Sie, dass allein dieser zusätzliche Raum zusätzliche Betreuung erfordert.

Für mich ist es ein Zustand, den wir nicht akzeptieren kön nen, dass es heute in unseren Haftanstalten möglich ist, dass ein Justizvollzugsbeamter am Tag – in der Nacht ist das so wieso der Fall – für 40 bis 60 Häftlinge zuständig ist. Es gibt keine Polizeistreife, die allein unterwegs ist. Es gibt keinen Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes, der allein un terwegs ist. In Baden-Württemberg muss es unser Anspruch sein, dass wir die Doppelbesetzung rund um die Uhr auch in unseren Haftanstalten sicherstellen. Deswegen ist klar: Es wird keine Umverteilung oder Umsetzung von Bediensteten geben. Wir brauchen eine bessere Personalausstattung an al len Standorten.

Der baden-württembergische Justizvollzug verfügt heute mit weniger als 33 Bediensteten des mittleren Vollzugsdienstes je 100 Gefangenen im Ländervergleich über die knappste Per sonalausstattung. Zum Vergleich: Im Durchschnitt der Länder sind es nahezu 42 Vollzugsbedienstete je 100 Gefangenen. Da ran müssen wir in Stufen arbeiten, damit es auch in BadenWürttemberg besser wird.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen sowie des Abg. Andreas Kenner SPD)

Herr Abg. von Eyb, Sie haben das Wort für Ihre Frage.

Herr Minister, wir wer den in letzter Zeit immer wieder von Landratsämtern einge laden, zu einem Tag des Ehrenamts dazuzukommen. Ich möchte in diesem Zusammenhang wissen, ob Sie uns ein paar Ausführungen zum Ehrenamtseinsatz in Vollzugsanstalten ma chen können.

Vielen Dank, Kollege von Eyb. Ich habe für alle Ehrenamtlichen Hochachtung. Sich für eine Zielgruppe einzusetzen, die für viele in der Gesellschaft ein Tabu ist, ganz bewusst seine Frei zeit in den Dienst dieser Menschen zu stellen und damit auch einen Beitrag dazu zu leisten, dass sich deren Chancen zur Re sozialisierung verbessern, ist bemerkenswert.

In allen unseren Vollzugsanstalten gibt es Beiräte mit ehren amtlich tätigen Menschen, die Besuche in den Haftanstalten absolvieren. Es gibt künstlerische Projekte, Theaterprojekte in den Haftanstalten, bei denen man bemüht ist, die Talente und Fähigkeiten der Häftlinge zu entdecken und die Häftlin ge spüren zu lassen, dass sie diese Stärken haben.

Im Werksdienst sind wir breit aufgestellt. Dieser ist natürlich in erster Linie professionell betreut, aber überall, wo es der Justizvollzug zulässt, Ehrenamtlichkeit zur Begleitung, zur Betreuung von Häftlingen zu ermöglichen, tun wir das. Die Leitungen unserer Vollzugsanstalten sind sehr daran interes siert und bemüht, diese Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen zu intensivieren.

Ich möchte Ihre Frage durchaus zum Anlass nehmen, den vie len Ehrenamtlichen in den Justizvollzugsanstalten des Landes für ihre wertvolle Arbeit mit Blick auf eine straffreie Zukunft der Häftlinge sehr herzlich zu danken.

(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)

Herr Abg. Gall, Sie haben das Wort.

Herr Minister, Sie haben die Not wendigkeit der Schaffung von Haftplätzen angesprochen so wie die Maßnahmen, die die Landesregierung jetzt ins Werk gesetzt hat – die Schaffung provisorischer Plätze. Sie haben eingangs auch gesagt, dass der Neubau Rottweil beschleunigt angegangen werden sollte. Könnten Sie einen groben Zeitrah men nennen? Welche Maßnahmen stehen jetzt an, und wann ist dann am Horizont erkennbar, dass begonnen werden kann?

Lieber Herr Gall, jetzt stellen Sie mir eine Frage, die natürlich origi när der Landesbetrieb Vermögen und Bau und das Finanzmi nisterium beantworten müssen. Denn das Finanzministerium ist insoweit Herr des Verfahrens. Das wissen Sie natürlich.