Protokoll der Sitzung vom 13.07.2016

Dass mit dieser Versorgungslücke auch noch die Ausbildungs dauer für die technischen und Fachlehrkräfte verlängert wur de, verschärft die Problematik zusätzlich. Außerdem ist vie lerorts der Verdacht aufgekommen, dass die Sonderschulen bei der Versorgung mit knappen Lehrkräften gegenüber den Inklusionsprojekten benachteiligt werden.

Die FDP/DVP-Fraktion fordert die Ministerin dringend auf, eine solche einseitige Inklusionspolitik zulasten der Sonder schulen zu beenden.

(Beifall bei der FDP/DVP und der AfD sowie frak tionslosen Abgeordneten)

Sorge bereiten aber auch Berichte aus den Inklusionsangebo ten an den Regelschulen. Mit der Schulassistenz hapert es, und die medizinisch-pflegerische Versorgung kann nicht den Standard der Sonderschulen bieten. Besonders augenfällig wurde das im Bericht einer Mutter über ein Kind, das in Er mangelung eines Wickelraums auf dem Schulflur gewickelt werden musste.

Barrierefreiheit zu schaffen wäre eigentlich das Erste, das Na heliegendste und das Selbstverständlichste. Der einsilbige Ver weis der Landesregierung auf die kommunale Trägerschaft spricht hier Bände. Es steht zu befürchten, dass in der konkre ten Situation vor Ort nicht, wie angestrebt, eine Gruppe mit einem Förderschwerpunkt gebildet werden kann, sondern ge mischte Gruppen gebildet werden oder gar Einzelinklusion stattfinden muss. Da täten mehr Klarheit und der Grundsatz „Qualität geht vor Geschwindigkeit“ not. Denn auch die Son derschulen verfolgen das Ziel der Inklusion beispielsweise in Gestalt der Außenklassen.

Ich wäre Ihnen, Frau Ministerin Eisenmann, sehr dankbar, wenn Sie vor diesem Hintergrund auf folgende Fragen der FDP/DVP-Fraktion eingehen könnten.

Erstens: Wie wollen Sie die Unterrichtsversorgung in den Son derschulen und in den Inklusionsangeboten sicherstellen, gleichzeitig aber verhindern, dass hierbei die Sonderschulen ins Hintertreffen geraten?

Zweitens: Was halten Sie vom Vorschlag, dass die Sonder schulen auch für die Inklusionsangebote die fachlichen An laufstellen sind?

Drittens: Frau Ministerin, wie wollen Sie sicherstellen, dass Inklusion in Gruppen mit gemeinsamem Förderschwerpunkt stattfindet und Einzelinklusion oder gemischte Gruppen mög lichst vermieden werden?

Viertens: Frau Ministerin, wie wollen Sie das hohe Niveau der pflegerisch-medizinischen Versorgung in unserem Land si cherstellen?

Fünftens: Was unternimmt die Landesregierung, um dem Ziel einer umfassenden Barrierefreiheit tatsächlich näherzukom men?

Im Beschlussteil unseres Antrags haben wir nur einen Mini malkonsens formuliert, hinter den sich alle Parteien bzw. Frak tionen stellen können, die sich zur Inklusion bekennen. Das sind also fast alle hier im Landtag vertretenen Parteien – bis auf eine, die Inklusion ganz offensichtlich grundsätzlich ab lehnt. Es bedarf keiner großen Fantasie, um zu wissen, wel che dies ist.

Der Beschlussteil unseres Antrags begehrt eine kontinuierli che wissenschaftliche Begleitung der Inklusion durch eine un abhängige Institution und eine regelmäßige Berichtspflicht an den Landtag zwecks Qualitätssicherung.

Um zu verstehen, worum es der UN-Konvention mit ihrem Anliegen der Inklusion geht, lohnt es, sich die Situation vor

Augen zu führen, die in vielen Ländern dieser Welt herrscht. Es geht um ein Recht auf Bildung für Menschen mit Behin derung. Wenn man dies ernst nimmt – dafür plädieren wir Freien Demokraten mit Nachdruck –, dann ist dies eine gro ße Aufgabe, nicht nur in Ländern, in denen man von der Ein lösbarkeit dieses Rechts noch weit entfernt ist, sondern auch bei uns.

Wie sichern wir für jeden Einzelnen Teilhabe an Bildung, und wie sichern wir gesellschaftliche Teilhabe durch Bildung? Wir Freien Demokraten sind überzeugt: Das ist nur mit kontinu ierlicher Anstrengung möglich, um jedem Einzelnen die best mögliche Förderung zukommen zu lassen, nämlich Bildung in höchster Qualität.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP und der Abg. Dr. Christi na Baum AfD)

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich das Wort Frau Kollegin Boser.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es eint uns das Ziel, dass wir Inklusion als einen Mehrwert für die Gesellschaft sehen. Wir verbinden aber diesen Mehrwert nicht nur damit, dass die Kin der mit Beeinträchtigungen das Recht auf Bildung erhalten, sondern wir verbinden diesen Mehrwert auch damit, dass wir Menschen mit den unterschiedlichsten Beeinträchtigungen, mit der unterschiedlichsten Herkunft – Migration, Inklusion als weiten Begriff betrachtet – in die Mitte unserer Gesell schaft holen, sie damit als Teil dieser Gesellschaft wahrneh men, auch von ihnen lernen und mit ihnen gemeinsam unser Land gestalten.

Wir sehen daher die Wahlfreiheit der Eltern als ein hohes Gut an, egal, ob sie sich für ein sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum oder für die Regelschule entscheiden. Dass die Rahmenbedingungen dabei natürlich die entschei dende Rolle spielen und die Qualität der Bildung in diesem Bereich eine große Rolle spielt, ist für uns eine Selbstver ständlichkeit.

Daher nehmen wir natürlich auch wahr, dass es derzeit unter schiedliche Ausprägungen an den Schulen in Baden-Württem berg gibt. Es wird deutlich, dass das Gesetz zur Inklusion, das wir im vergangenen Jahr hier im Parlament verabschiedet ha ben, noch nicht überall an den Schulen so angekommen ist, wie wir es uns wünschen. Daher bedarf es auch einer engen Begleitung der Schulen. Es bedarf einer engen Begleitung der Lehrerinnen und Lehrer durch Fortbildung und Weiterbildung. Wir wollen auch darauf achten, dass die auskömmliche Ver sorgung der Schulen in beiden Bereichen – sei es an den SBBZ oder an den Regelschulen – vorhanden ist.

Bei dem, was Sie, Herr Dr. Kern, angesprochen haben, geht es auch um die Barrierefreiheit der Schulen. Wir haben daher auch die Kommunen in diesem Land mit finanziellen Mitteln unterstützt, um diese Barrierefreiheit darzustellen. Es gibt be reits viele gelingende Ansätze und Umsetzungen. Die Barri erefreiheit wird auch an den Schulen so umgesetzt, dass Schü lerinnen und Schüler unabhängig davon, welche Beeinträch tigung sie haben, unterrichtet werden können.

Unser Ziel muss es nach wie vor sein, dass Inklusion an jeder Schule in Baden-Württemberg möglich wird und dass Schü lerinnen und Schüler mit Beeinträchtigung an den Schulen in Baden-Württemberg – egal, wo – willkommen sind.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU sowie des Abg. Udo Stein [fraktionslos])

Wir sehen es natürlich schon kritisch, dass wir im vergange nen Jahr nicht alle Lehrerstellen in diesem Bereich besetzen konnten, wie wir es uns gewünscht hätten. Wir sehen es auch kritisch, dass die Ausbildungskapazitäten nicht ausgereicht haben, um sonderpädagogische Kräfte einzustellen. Daher set zen wir uns auch dafür ein, dass die Ausbildungskapazitäten erhöht werden – das haben wir im vergangenen Jahr schon ge tan –, damit wir genügend Sonderpädagogen an den Schulen in Baden-Württemberg haben – nochmals: egal, ob an der Re gelschule oder am sonderpädagogischen Bildungs- und Bera tungszentrum. Wir brauchen Lehrerinnen und Lehrer an bei den Schularten, die sich mit Inklusion auskennen und die die Inklusion in Baden-Württemberg gestalten.

Wir nehmen natürlich auch wahr, dass an den sonderpädago gischen Bildungs- und Beratungszentren Inklusion auch in die andere Richtung stattfindet. Es ist auch unser großer Wunsch, dass Inklusion nicht einseitig betrachtet, sondern in alle Rich tungen gedacht wird und wir Kindern damit die Chance eröff nen, beste Bildungserfolge zu erreichen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Für unsere Fraktion ist es daher auch wichtig, in dem ange henden Weiterbildungspaket für die Haupt- und Werkreal schullehrkräfte das Thema Sonderpädagogik mit aufzuneh men, Haupt- und Werkrealschullehrkräften die Möglichkeit zu geben, sich in diesem Bereich weiterzuqualifizieren, damit sie am Ende auch die Möglichkeit zu einem Aufstieg in die Besoldungsgruppe A 13 erhalten. Das war für uns bereits in der vergangenen Legislaturperiode ein großes Anliegen, und das werden wir auch in dieser Legislaturperiode mit einflie ßen lassen, wenn es um das Weiterbildungskonzept für die Haupt- und Werkrealschullehrkräfte geht.

Denn die Haupt- und Werkrealschulen waren in den vergan genen Jahren vor allem die Schulen, die Inklusion umgesetzt haben – genauso wie die Grundschulen –, und wir wollen na türlich diese Erfahrungen, die die Lehrerinnen und Lehrer aus diesem Bereich mitbringen, in die Inklusion mit übernehmen. Wir brauchen diese Lehrkräfte, und daher werden wir unter stützen, dass wir hier die Lehrerinnen und Lehrer auch in Zu kunft gut mit einbinden können und ihnen Weiterqualifizie rungsmaßnahmen anbieten können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Schluss möch te ich nochmals betonen: Für uns, die Fraktion GRÜNE, ist es wichtig, dass Kinder und Jugendliche, egal, an welcher Schule sie unterrichtet werden, egal, mit welchen Vorausset zungen sie an eine Schule kommen, bestmögliche Bildungs chancen haben und die bestmögliche Unterstützung bekom men.

Dazu gehört natürlich auch die Schulassistenz, die jedoch in den Händen der Landkreise liegt, weshalb wir von Landessei te aus wenig Möglichkeiten haben, Einfluss auf die Schulas sistenz zu nehmen.

Dazu gehören auch multiprofessionelle Teams, wie wir sie be reits in der vergangenen Legislaturperiode gefordert haben. Wir brauchen für die Schülerinnen und Schüler – egal, ob mit oder ohne Beeinträchtigung – die beste Bildung, und dafür werden wir uns auch in Zukunft einsetzen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Und unserem An trag zustimmen?)

Dem Antrag nicht zustimmen.

Für die CDU-Fraktion er teile ich das Wort Herrn Kollegen Haser.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren! Inklusion ist eine der bildungspolitischen und gesellschaftlichen Herausforderungen der kommenden Jahre, die uns noch lange beschäftigen wird. Ich bin fest da von überzeugt: Vom gemeinsamen Unterricht können Kinder mit und Kinder ohne Behinderung profitieren.

Meine Tochter, die in zwei Jahren in die Schule kommt, wird in eine andere Schule gehen, in eine Schule, in der auch Men schen aufgenommen werden, die geistig oder körperlich be hindert sind. Das wird sie verändern. Das wird eine etwas an dere Schule sein als die, in die ich gegangen bin. Ich bin ge spannt darauf, und ich hoffe, dass es ihr guttut, und ich gehe auch davon aus, dass es ihr guttut, und zwar deswegen, weil ich glaube, dass der Umgang mit Menschen, die unsere Hilfe brauchen und die vielleicht unsere besondere Aufmerksam keit brauchen, sowie diese Hilfe auch gelernt werden müssen.

(Beifall bei der CDU, Abgeordneten der Grünen und der SPD sowie der Abg. Dr. Christina Baum AfD)

Auch hier gilt: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr.

Die Inklusion hat wie die Schule allgemein viele Gesichter. Für mich hat die Inklusion drei Gesichter.

Das erste Gesicht ist ein junges Mädchen, das ich in einem Kinderheim in meiner Heimatstadt, bei dem ich auch im Stif tungsrat bin, kennengelernt habe. Sie wird nie in eine norma le Schule gehen können, obwohl sie nicht an den Rollstuhl ge fesselt ist und auch ansonsten körperlich unversehrt ist. Aber sie hat eine Seele, die gebrandmarkt ist von vielen Erlebnis sen in der Kindheit, mit denen sie nicht fertig wird. Für sie ist es gut, eine Schule zu haben, in der vielleicht nur sieben oder acht Schülerinnen und Schüler pro Klasse sind und in der sich besonders ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer um sie küm mern.

Das zweite Gesicht ist Jacqueline. Ich habe ihr vor zwei Wo chen einen Preis für soziales Engagement überreicht. Sie ging in ein SBBZ, zunächst in eine Förderschule, weil sie Schwie rigkeiten hatte, zu reden, mit anderen zu kommunizieren, sich in einer Gesellschaft wohlzufühlen. Seit der siebten Klasse geht sie in eine Werkrealschule. Sie hat sich sehr gut gemacht, und sie wird wahrscheinlich auch ihre schulische Laufbahn fortsetzen.

Das dritte Gesicht der Inklusion ist Calvin. Calvin ist ein sehr aufgeweckter junger Bursche, und, Herr Kern, auch er ging in ein Bildungszentrum. Das heißt schon so, seit es die Stey ler Missionare in Blönried gegründet haben.

(Zuruf des Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP)

Auch das ist trotzdem eine ganz normale Schule, ein Gymna sium. Seine Mitschüler mögen ihn sehr, sehr gern. Er kann gut Fußball spielen, er schreibt sein Matheheft fast so gut wie sein Nachbar – mit dem einzigen Unterschied: Er schreibt es mit den Füßen, weil er keine Arme hat. Es ist gut, dass Calvin in diese Schule gehen darf und gehen kann, was früher nicht der Fall war.

Es gibt die Inklusion an der Regelschule, es gibt die Beschu lung an den Sonderschulen, und es gibt den Besuch der Au ßenklassen. Das sind die drei Wege, die wir vorgesehen ha ben. Für die Entscheidung darüber, welcher Weg eingeschla gen wird, gibt es die Bildungswegekonferenz, die als Modell versuch noch aus Zeiten der letzten CDU-geführten Landes regierung stammt, die nun im Inklusionsgesetz umgesetzt wurde und der wir auch sehr stark vertrauen.

Nichtsdestotrotz ist Inklusion ein langer Weg, und – Frau Bo ser hat es beschrieben, und auch Sie, Herr Kern, haben es ge sagt – niemand hat je behauptet, dass wir bereits am Ende des Weges wären. Die Frage ist, ob wir die Weichen richtig ge stellt haben.

Wir wollen erstens die Voraussetzungen an den Regelschulen schaffen. Das heißt, wir werden bis zum Schuljahr 2022/2023 zusätzlich 1 350 Stellen für den Ausbau und die Steuerung der Inklusion schaffen.

(Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Man braucht aber auch das Personal dazu!)