Protokoll der Sitzung vom 13.02.2003

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Vielen Dank, Frau Schopper. Nächste Wortmeldung: Herr Wahnschaffe, bitte.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Dies ist kein einmaliger Ausrutscher, sondern ein länger anhaltender politisch motivierter Rechtsbruch, und wir müssen leider feststellen, dass die Kassenzahnärztliche Vereinigung zu diesem Rechtsbruch von der Staatsregierung ermutigt wurde, und das nicht erst seit heute, sondern schon seit 1999.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dazu ein Zitat aus einer Entscheidung des Sozialgerichts München. Das Sozialgericht München hat festgestellt – damals ging es nicht um den VdAK, sondern um die AOK –:

Davon abgesehen hat die Antragstellerin das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen bereits zweimal vergeblich um geeignetes, also aufsichtsrechtliches Vorgehen gegen die Antragstellerin gebeten.

Ich kann diese Zitate fortsetzen, sie sind noch viel schlimmer für Ihr Haus, Frau Staatsministerin. Im Januar hat der Vorsitzende der KZVB, Herr Löffler, bei einer Versammlung der KZVB in Regensburg gesagt:

Wir wissen zwar, dass wir rechtswidrig handeln, aber wir fühlen uns gedeckt durch das Sozialministerium.

Ich meine, Frau Staatsministerin, es wäre Zeit, in Ihrem Haus aufzuräumen, damit solch rechtswidriges Handeln endlich unterbunden wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es geht hier nicht um den Streit zwischen den Kassen und den Zahnärzten, sondern es geht um die Patienten. Sie werden rechtswidrig seit Anfang dieser Woche nicht mehr, wie es das Gesetz vorschreibt, auf Sachleistungsbasis behandelt, sondern sie müssen dafür bezahlen.

Außerdem hat die KZVB in einem Schreiben unter Missbrauch datenschutzrechtlicher Vorschriften Patienten, Versicherte von Ersatzkassen angeschrieben und mehr oder weniger offen dazu aufgefordert, die Kasse zu verlassen. Meine Damen und Herren von der CSU, wir befinden uns im Augenblick in einem rechtlosen Zustand, und den haben Sie durch Nichtstun mitverschuldet. Deswegen fordern wir Sie auf, endlich durchzugreifen.

Allerdings muss man sagen: Das, was Sie jetzt angekündigt haben, bewegt sich im Rahmen des Gesetzes. Das ist richtig. Sie hätten nur früher handeln müssen; denn die KZVB hat dieses Verhalten bereits im Januar angekündigt. Ich habe am 29. Januar hier eine mündliche Anfrage gestellt. Da haben Sie angekündigt, dass Sie etwas tun. Und wann haben Sie gehandelt? – Erst in dieser Woche. Jetzt ist Handeln angesagt, und zwar in der Weise, dass ein Verpflichtungsbescheid ergeht. Aber wir meinen nicht, dass der Staatskommissar schon auf den Plan treten muss, denn das geschieht erst dann, wenn sich die Selbstverwaltung weiterhin rechtlich ins Abseits stellt.

Aber – meine Damen und Herren von der CSU, und deswegen können wir jedenfalls in einem Punkt Ihrem Antrag nicht zustimmen – es kann nicht sein, dass jetzt der Schwarze Peter hin- und hergeschoben wird, indem man sagt: Der VdAK verhält sich ja auch rechtswidrig. Das stimmt so nicht. Es gibt einen Honorarstreit, und dazu ist ein Sozialgerichtsverfahren anhängig, also ein rechtsstaatliches Verfahren. Es kann also nicht sein, dass die Kassenzahnärztliche Vereinigung sagt: Wir ver

handeln nicht mehr, weil für uns das gilt, was das Schiedsamt gesagt hat oder was vom Sozialministerium vorgeschlagen wird. Sie wissen ganz genau, dass das, was Sie im Oktober vorgeschlagen haben, schon der Schnee von gestern war. Man hat sich in der letzten Woche in Köln auch nicht einigen können.

Also lassen Sie die Gerichte sprechen und versuchen Sie, auf der Basis rechtlicher Vorschriften – ich sage nur das Wort Veränderungsrate, mehr kann ich hier nicht ausführen – einzugreifen, aber nicht dadurch, indem Sie die Kassenzahnärztliche Vereinigung in ihrem rechtswidrigen Tun noch unterstützen. Insofern ist dieser Antrag der CSU erstens zu spät und zweitens scheinheilig. Wir werden uns zu beiden Anträgen der Stimme enthalten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Vielen Dank, Herr Wahnschaffe. Das Wort hat Herr Kobler.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Wahnschaffe, Scheinheiligkeit hin oder her, ich meine, es wäre glaubwürdiger gewesen, wenn Sie auch mit einem Antrag angetreten wären und eine entsprechend klare Meinung abgegeben hätten. Das wäre glaubwürdiger gewesen, als sich zu einem Thema aufzuschwingen, das uns sicher alle negativ berührt, weil ja offenbar Woche für Woche die gesundheitspolitische Auseinandersetzung immer neue Blüten treibt, die wir in keiner Weise akzeptieren können. Ich möchte es zwar nicht unbedingt behaupten, aber ich stelle schon in den Raum, dass das, was sich seit Monaten im rot-grünen Chaos in der Gesundheitspolitik auf Bundesebene abspielt, sich nun auch ein wenig zwischen den beiden Leistungserbringern, den Ersatzkassen und der Kassenzahnärztlichen Vereinigung, abspielt.

(Frau Steiger (SPD): Das Sozialministerium ist untätig!)

Das sind chaotische Zustände, die man natürlich auf jeden Fall ordnen muss. Ich meine, dass die Sozialministerin sich seit Monaten bemüht, die Wogen zu glätten und Einigkeit herbeizuführen.

(Wahnschaffe (SPD): Das ist Rechtsbruch!)

Herr Kollege Wahnschaffe, Sie haben es angesprochen: Es ist ein Gerichtsverfahren anhängig. Weder die Staatsregierung noch das Parlament können sich über Gerichtsverfahren hinwegsetzen. Bitte nehmen Sie das auch zur Kenntnis. Es hat vielfältige Bemühungen und Einflussnahmen gegeben. Wir versuchen genau wie BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit ihrem Antrag, mit diesem letzten Appell auf die beiden Gruppierungen, die Ersatzkassen und die Kassenzahnärztliche Vereinigung, Einfluss zu nehmen. Es grenzt wirklich an Bösartigkeit, wie Sie das hier dargestellt haben.

Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, die täglichen Hiobsbotschaften in den Medien sind uns nicht entgangen. Die Zahnärzte boykottieren die Ersatzkassen, und

die Ersatzkassen verhalten sich entsprechend zugeschnürt. Dieser Streit treibt nun wirklich seltsame Blüten. Leider trifft in diesem Fall der Spruch nicht zu: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. In diesem Fall ist es so, dass der Dritte der Leidtragende ist, nämlich die Patienten, die Kranken, die Versicherten. Das sind die Leidtragenden, und hier muss an Einsicht und an Gerechtigkeit appelliert werden. Das Hauen und Stechen zwischen den Zahnärzten und den Ersatzkassen hat Züge angenommen – und gestern und heute sind wir von den Medien mit Schlagzeilen auch nicht verschont geblieben –, denen der Patient, der Versicherte mehr oder minder wehrlos gegenübersteht.

Wer bei einer Ersatzkasse versichert ist, wird entgegen dem Gesetz leider nicht mehr auf Krankenversicherungschipkarte behandelt. Das heißt, aufgrund dieser seit Monaten schwelenden Vergütungsstreitigkeiten zwischen den Ersatzkassen und der Kassenzahnärztlichen Vereinigung werden Ersatzkassen-Versicherte derzeit von zahlreichen bayerischen Zahnärzten nur gegen Kostenerstattung behandelt bzw. ihnen werden Behandlungen leider vorenthalten. Das ist verwerflich. Man müsste sogar einen Schritt weitergehen und überlegen, ob hier gegen das Berufsethos verstoßen wird, sodass möglicherweise auch berufsständische Verfahren die Folge sein müssten.

Wir bitten nun, unseren Antrag so zur Kenntnis zu nehmen. Kollege Wahnschaffe, Kollegin Schopper, wir haben letzte Woche gerade auch über den Ausstieg der KV aus der Notfallversorgung, da das Ziel gleichgelagert war, gemeinsam sachlich und fundiert diskutiert. Ich bitte, heute zumindest über unseren vorliegenden Antrag nicht abzustimmen, sondern ihn in allen Facetten und Details nächste Woche im Fachausschuss zu behandeln.

(Beifall bei der CSU – Zuruf von der SPD)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Um das Wort hat Frau Schopper gebeten.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, ob es verfahrenstechnisch noch geht, den aufgerufenen Antrag in die Fachausschüsse zu überweisen. Ich wollte von unserer Seite Zustimmung signalisieren, wenn auch unser Antrag noch in die Fachberatungen einbezogen wird. Wenn wir heute über den Antrag abstimmen müssen, würde ich noch gerne unser Votum erklären. Inhaltlich stimmen wir dem CSU-Antrag zu, aber in der Begründung konnte er den bundespolitischen Stift wieder nicht lassen. Daher würden wir uns heute bei einer Abstimmung der Stimme enthalten.

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Das Wort hat Frau Staatsministerin Stewens.

Frau Präsidentin, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Wahnschaffe, eines möchte ich klar

stellen: Zu keinem Zeitpunkt habe ich die Kassenzahnärztliche Vereinigung zu diesem Handeln ermutigt, und zu keinem Zeitpunkt habe ich gesagt, dass dieses Handeln von mir gedeckt würde. Ich konnte nicht eher, sondern erst dann einschreiten, als die Kassenzahnärztliche Vereinigung den Ersatzkassen-Patienten die Behandlung auf Chip-Karten tatsächlich verweigerte. An diesem Tag konnte ich einschreiten. Ich habe aber vorher allen klar und deutlich gesagt, dass es dann von unserem Haus eine Verpflichtungsanordnung geben wird.

Am Montag hat die Kassenzahnärztliche Vereinigung angefangen, die Patienten von Ersatzkassen nicht mehr auf Chip-Karten zu behandeln. Am Dienstag ist die Verpflichtungsanordnung unseres Hauses ergangen. Ich habe die Kassenzahnärztliche Vereinigung – auch in den Gesprächen vorher, als ich davon in der Presse gelesen habe – nie darüber im Unklaren gelassen, was ich letztendlich machen werde, wenn hier die Kassenzahnärztliche Vereinigung ohne rechtliche Grundlage handelt. Das ist von uns in allen Pressemitteilungen immer klar und deutlich gesagt worden. Bei den Aussagen in Regensburg war ich nicht dabei. Ich kann nur wiederholen, was ich in der Presse schon immer klar und deutlich gesagt habe.

Herr Kollege Wahnschaffe, wenn wir, wie Sie vorschlagen, die Sozialgerichte sprechen lassen, warten wir sechs Jahre. Dann haben wir in dieser Zeit ungeheure Schwierigkeiten, und genau das will ich nicht. Ich will, dass die Kassenzahnärztliche Vereinigung die Ersatzkassen-Patienten tatsächlich wieder auf Chip-Karten behandelt. Sie haben die derzeitige Situation sehr gut beschrieben. Seit dem Jahr 2000 haben wir mit den Ersatzkassen und der Kassenzahnärztlichen Vereinigung diese Probleme. Insofern wurde keine Vereinbarung abgeschlossen.

Man muss natürlich auch die Situation der Zahnärzte sehen, die seit dem Jahr 2000 vor dem Hintergrund großer Praxen und der Steigerungen in den Lohnrunden im Grunde mit Nullrunden zu kämpfen haben, sodass flächendeckend für die Zahnärzte die Lohnrunden Minusrunden sind. Man muss dazu sagen, dass die Zahnärzte beim Sozialgericht München Rechtsschutz beantragt und in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren den Anspruch, gemäß dem Schiedsspruch abrechnen zu können, vorläufig zugesprochen bekamen. Der Kassenzahnärztlichen Vereinigung ist also im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vom Sozialgericht München am 27. 01. gesagt worden, sie hätten einen Rechtsanspruch auf Abrechnung gemäß dem Schiedsspruch. Auch ist hier gesagt worden, dass das Bundesversicherungsamt den Spruch nicht hätte aufheben dürfen. Das heißt, wir haben mit Blick auf die Ersatzkassen eine ausgesprochen schwierige Situation; denn die Ersatzkassen unterstehen dem Rechtsschutz des Bundesversicherungsamtes. Die Kassenzahnärztliche Vereinigung unterliegt unserer Rechtsaufsicht, und diese Rechtsaufsicht habe ich zu jedem Zeitpunkt wahrgenommen. Da lasse ich mir von Ihnen überhaupt nichts nachsagen; das weiß auch die Kassenzahnärztliche Vereinigung.

(Beifall bei der CSU)

Es ist für mich ganz wichtig, dass der Patient nicht auf der Strecke bleibt und dass wir dem Patienten signalisieren, er dürfe auf keinen Fall bar bezahlen, sondern solle auf der Behandlung mit der Chip-Karte bestehen. Er solle, wenn er denn schon die Rechnung in Empfang nimmt, deren Empfang bestätigen, aber sie unverzüglich bei seiner Ersatzkasse einreichen, aber bei den Zahnärzten kein Bargeld auf den Tisch legen. Das habe ich immer wieder klar und deutlich gesagt; denn – das habe ich heute auch den Zahnärzten gesagt – wo kommen wir hin, wenn plötzlich alle bei Rot über die Ampel fahren? – Es bricht Chaos aus.

Frau Kollegin Schopper, ein Problem habe ich mit dem Begriff „umgehend“, weil ich den Staatskommissar umgehend einsetzen möchte. Ich möchte, dass sich beide Verhandlungspartner noch einmal an einen Tisch setzen und verhandeln. Ich weiß genau, dass wir bei dem, was wir als Einigungsvorschlag vorgelegt haben – diesen Vermittlungsvorschlag hat nur die Kassenzahnärztliche Vereinigung angenommen –, nicht mehr sehr weit auseinander liegen. Deswegen meine ich schon, es geht hier um Prinzipien.

Oft ist es auch ein Problem der handelnden Personen. Vor diesem Hintergrund sollten sich die beiden Parteien möglichst rasch an einen Tisch setzen und zugunsten der Patienten gemeinsam verhandeln; denn in Bayern sind die Patienten ausgesprochen verunsichert, und das kann es nicht sein. Eines kann ich Ihnen sagen: Rechtswidriges Verhalten dulde ich von keiner Seite, weder von den Ersatzkassen noch von der Kassenzahnärztlichen Vereinigung. Ich habe auch das Bundesversicherungsamt angeschrieben und gebeten, das Verhalten der Ersatzkassen in Bayern zu überprüfen.

(Beifall bei der CSU)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Das Wort hat Herr Wahnschaffe.

Frau Staatsministerin, Sie haben hier starke Worte gebraucht, aber leider stimmen sie mit der Realität nicht überein; denn wir hatten im August genau dieselbe Situation. Sie wissen, dass damals die Kassenzahnärztliche Vereinigung sagte, sie rechne nicht mehr zum üblichen Punktwert, sondern nur noch auf der Basis der Schiedskommission ab, und sie verlange, dass die Patienten zu ihren Krakenkassen gehen und ein Revers unterschreiben würden, dass sie den erhöhten Satz zahlen würden. Damals sind Sie nicht eingeschritten. Ich habe hier im Landtag mehrfach mündliche Anfragen gestellt, und jedes Mal haben Sie gesagt, für rechtsaufsichtliches Einschreiten bestehe kein Anlass.

Heute haben Sie dafür die Quittung. Die Kassenzahnärztliche Vereinigung berief sich nicht zuletzt in Regensburg darauf, dass sie in Ihrem Haus gute Freunde habe, die sie rechtlich schützen und unterstützen würden. Solange das der Fall ist, müssen Sie sich nicht wundern, dass sich dann die Kassenzahnärztliche Vereinigung Bayerns – das ist in Deutschland einmalig – in dieser Weise rechtswidrig verhält.

(Zuruf von der CSU: Namen!)

Das kann ich Ihnen sagen: 65% der bayerischen Zahnärzte haben die Aufforderung ihrer Körperschaft des öffentlichen Rechts unterschrieben; diese hat zu diesem rechtswidrigen Verhalten aufgefordert. Allein das ist ein rechtswidriges Verhalten, wenn eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ihre Mitglieder zu rechtswidrigem Handeln auffordert.

Nicht zum ersten, sondern mindestens zum vierten Mal ist das passiert. Bisher sind Sie kein einziges Mal eingeschritten. Jetzt haben die Gerichte das letzte Wort. Sie als Aufsichtsbehörde hätten einschreiten können, als dieser Schiedsspruch zustande gekommen ist.

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Herr Wahnschaffe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Hofmann?

Ja, wenn es auf meine Redezeit nicht angerechnet wird.

(Herrmann (CSU): Die ist doch sowieso schon zu Ende!)

Herr Kollege Wahnschaffe, sind Sie bereit, dem Hohen Haus mitzuteilen, um welche Personen es sich handelt, die erklärt haben, sie hätten im Ministerium gute Freunde, und würden Sie uns mitteilen, wer diese guten Freunde sind?