Protokoll der Sitzung vom 24.06.2003

Ich hoffe sehr, dass auch die CSU einsieht, dass wichtig ist: Die europäische Verfassung wird dann die größte Akzeptanz erfahren, wenn sich alle Mitgliedsländer und die Bürgerinnen und Bürger darin wiederfinden können. Das heißt doch, dass sie dann auch allseits akzeptiert und vertreten wird.

Ich möchte nun noch ein Thema herausgreifen, weil es in der vorigen Woche sehr spannend aufgebaut wurde. Da ist beim Thema „Vetorecht bei Zuwanderung“ ein großer Popanz aufgebaut worden. Jawohl, das war so!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dieser Popanz – das war wunderbar nachzuvollziehen – brach dann in sich zusammen, als am Abend der Konferenz in Griechenland Bundeskanzler Schröder sagte, Deutschland werde bei diesem Vetorecht bleiben; das habe man so einbringen müssen. – Da habe ich sofort gedacht: Nun kann von der CSU nicht mehr gehetzt werden. Und in der Tat, es wurde von Ihnen dazu ja auch nichts gesagt.

(Zuruf von der CSU: Sie verwechseln da etwas!)

Ich kann mich sehr gut an diese Fernsehbilder erinnern.

Noch ein Letztes: Herr Kollege Zeller, wir brauchen in der Tat die öffentliche Diskussion über die europäische Verfassung.

(Zeller (CSU): Die beginnt bei Ihnen jetzt!)

Nein, nein, wir führen sie schon länger.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Hahnzog (SPD))

Ich wünsche mir, dass die CSU in dieser öffentlichen Diskussion sichtbar macht, dass die europäische Verfassung ein ganz entscheidender Meilenstein auf dem Wege der europäischen Einigung ist, dass sie das historische Erfolgsmodell der europäischen Einigung bestätigt, verstärkt, bei dem eine Umkehr nicht mehr möglich sein wird. Ich wünsche mir auch, dass in diesem Zusammenhang der Nutzen der EU für die Menschen in Bayern herausgestellt wird.

(Beifall bei der SPD)

Als Stichwort für diesen Nutzen nenne ich: beispielsweise ESF-Mittel zur Modernisierung der Gesellschaft in Bayern.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nächster Redner ist Herr Kollege Ranner.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Neben dem Verfassungskonvent hat derzeit auch die Agrarreform europäische Brisanz, steht sie doch in der Entscheidungsphase. Deshalb erlauben ich mir, dazu ein paar Gedanken vorzutragen.

Bayern ist das bedeutendste deutsche Agrarland mit immerhin 500000 Beschäftigten im Ernährungsgewerbe, über die 150000 Bauern hinaus – überlegen Sie sich einmal, was das an Arbeitsplätzen bedeutet! In der Bundesrepublik sind es insgesamt 800000 Beschäftigte. Unser Land also hat vitales Interesse daran, dass die Interessen und die Belange der bayerischen Landwirtschaft bei den jetzigen Entscheidungen ordentlich vertreten werden.

Ein Thema sind da zum Beispiel die Standards. Es betrifft uns nicht nur emotional, sondern existenziell. Überbegriff ist die Nachhaltigkeit. In Klammern: Mein Hof ist jetzt 450 Jahre alt in der Generationenfolge, und der Boden ist nie kaputt gegangen – Nachhaltigkeit, wenn ich das so sagen darf.

Es sind Themen, die für uns von ganz großer Bedeutung sind, wenn es um die Osterweiterung geht, um die Forderungen gegenüber der WTO, um Verbraucherschutz, Tierschutz, Pflanzenschutz, Emissionsauflagen, Schutzgebiete, Ausgleichsflächen, Arzneimittelgesetz und, und, und. Man könnte den Katalog sicher noch verlängern. Hier also ist ein ganz wichtiger Ansatzpunkt, die Umsetzung der Standards sicherzustellen.

Darauf folgt gleich der zweite Teil, der uns wichtig ist, die Wettbewerbssituation. Es geht einfach nicht an, dass man die normale, konventionelle moderne Landwirtschaft in den Würgegriff nimmt und sagt – da muss ich nach ganz links schauen –, die Bösen, das seien die mit der normalen Landwirtschaft, die ökologische Landwirtschaft, das seien die Braven.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, so bauen wir für die Agrarwirtschaft keine Zukunft, noch dazu, als wir im letzten „Focus“ lesen konnten, dass die ökologischen Produkte, was die Inhaltsstoffe und die Wertigkeit anbelangt, keineswegs besser sind. Frau Künast hat die entsprechende Forschung in Detmold in Auftrag gegeben, und das Ergebnis liegt jetzt vor. Die sieben Landesuntersuchungsanstalten haben dieses Ergebnis bestätigt.

(Zuruf der Frau Abgeordneten Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lautstärke, liebe Kollegin, ist noch lange kein Argument. Bleiben Sie mal ein bisschen bei der Sachlichkeit!

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn ich schon bei dem Thema bin:

Die Agrarwende, groß angekündigt, ist kläglich gescheitert. Das waren, wie wir in Bayern sagen, große Sprüche. Der Markt gab es nicht her. Die Produkte werden konventionell vermarktet, weil die Nachfrage nicht gegeben ist. Man hat die Bauern in die Irre geführt. Ich weiß, auch die Molkereien sind in der Krise.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Warum wohl?)

Ich kenne eine ganze Reihe von Bauern, die steigen aus dem Programm aus, weil die Marktlage es nicht hergibt. Das war ein Weg in die Irre, und ich glaube, es war ein bisschen so etwas wie Volksverdummung, wenn man von Agrarwende spricht; denn es handelt sich dabei um nicht viel mehr als ein populistisches Schlagwort.

(Beifall bei der CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der vierte Punkt ist für mich, den Anspruch in Europa geltend zu machen. Hieran haben wir in Bayern ein ganz besonderes Interesse. Es geht um die Multifunktion der Landwirtschaft. Die multifunktionelle Leistung der Landwirtschaft ist schon lange nicht mehr nur die Angelegenheit der Bauern, sondern sie ist Angelegenheit von jedermann. Jedermann hat seinen Nutzen von dieser Kulturlandschaft, von der Sicherung der Lebensgrundlagen. Jedermann hat einen Vorteil vom Ausgleich der ländlichen Regionen für die Ballungszentren. Wer es nicht glaubt, der sollte das Buch des SPD-Mitglieds Ernst Ulrich von Weizsäcker lesen: Erdpolitik. Dort steht das sehr deutlich drin, lieber Herr Kollege. Dort steht deutlich drin, was der Ausgleich der ländlichen Regionen für die Ballungszentren bedeutet. Das ist ein wichtiger Punkt, den wir in Europa einbringen müssen.

(Herbert Müller (SPD): Wenn Du weiter solche Bücher liest, sehe ich schwarz!)

Ist die Redezeit beendet? Wir haben es gleich.

(Allgemeine Heiterkeit)

Ein weiterer Punkt – Herr Präsident, bitte noch etwas Gnade – ist folgender: Kann es richtig sein, dass wir uns mit Österreich verbünden müssen, um bayerische Interessen in Brüssel durchzusetzen? Kann es möglich sein, dass Chirac, der französische Präsident, Agrarpolitik macht und damit die Sprüche von Frau Künast konterkariert, indem er sich mit Schröder einigt und sagt: Wir setzen die Marktordnung weiter fort bis 2013. Frau Künast sagt hingegen: Wir beginnen sofort mit der Modulation.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Modulation wollte Miller!)

Kann das sein? Da ist Frau Künast doch ziemlich kompromittiert, zumal elf der Agrarminister abgelehnt haben. Auch der europäische Agrarausschuss hat abgelehnt. Unsere Agrarministerin in Berlins steht also isoliert da.

Damit, meine Damen und Herren, komme ich jetzt zum Schluss. Einen ganzen Katalog von Notwendigkeiten habe ich gar nicht erwähnt, er geht von Außenschutz für den Markt bis Mengenbegrenzung. Für uns ist wichtig, dass wir über alle Fakultäten hinweg wegen der bayerischen Interessen an einem Strick ziehen, um die bäuerliche Landwirtschaft, die Kulturlandschaft, für die Zukunft zu garantieren. Es kann nur gemeinsam für die Interessen gekämpft werden. Vertreten wir das gemeinsam gegenüber Berlin – da seid ihr aufgerufen –, gemeinsam gegenüber Brüssel und letztlich gegenüber der WTO. Darum bitte ich zum Schluss, dass wir die Kräfte nicht verschleudern und verschleißen, sondern sie bündeln und gemeinsam für die bäuerliche Landwirtschaft kämpfen. Das wäre mein Wunsch.

(Beifall bei der CSU)

Ich bin ein geduldiger Menschen, Kollege Ranner, aber dreimal den Schluss ankündigen. – –

Kollege Dr. Scholz kann die sieben Minuten vom Kollegen Ranner leicht wettmachen.

Herr Präsident, Herr Präsident!

(Allgemeiner Beifall und allgemeine Heiterkeit)

Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, es ist schon klar, dass sich zur Zeit große Dinge tun, was die europäische Einigung anbelangt. Diese großen Dinge müssen natürlich diskutiert werden. Sie sollten aber nicht mit Schlagworten wie “Wir sind nur noch Verwaltungsprovinzen“ angeheizt werden. Das schadet der europäischen Sache. Es ist auch eines Ministerpräsidenten nicht würdig, solche Schattenbilder aufzumalen. Das sollte er sein lassen.

(Beifall bei der SPD)

Kolleginnen und Kollegen, eine Ihrer Furcht einflößenden Formulierungen, die in dem Verfassungsentwurf stehen, ist das Stichwort „Koordination der Wirtschaft“. Ich habe schon im Ausschuss gesagt: Wir haben den Euro, und der Euro ist für jeden, der etwas von Wirtschaftspolitik versteht, eine sehr durchgreifende Vereinheitlichung der Wirtschaftspolitik. Wir können keine eigene Geldmengen- und Zinspolitik mehr machen. Das geschieht alles völlig einheitlich auf europäischer Ebene. Im Übrigen ist das der Politik durch die Zuordnung zur Europäischen Zentralbank entzogen. Insofern kommt mir auch das wie ein Schattenboxen vor.

Außerdem: Die Europäische Union ist die Hüterin des Wettbewerbs in Europa. Daran führt kein Weg vorbei. Als Roland Berger einmal bei unseren Gesprächen im Senatssaal war, hat er das aufgezeigt.

Er hat aufgezeigt, wie sehr die Europäische Union gerade auf diesen Wettbewerb achtet. Das mag man da und dort gut finden, da und dort vielleicht eher schlecht. Im Hinblick auf die Wasserversorgung – um einen

Bereich zu nennen – kann man die Vorrangstellung des Wettbewerbs durchaus auch anders sehen.

Noch etwas: Wir müssen als Europäer mit einem gemeinsamen Markt und mit einer gemeinsamen Währung auch sehen, wie wir uns auf der Weltbühne behaupten. Das können wir uns als gemeinsamer Markt, mit einer gemeinsamen Währung, nur gemeinsam europäisch. Deshalb ist Koordination erforderlich. Deshalb finde ich Ihre großen Sorgen, die darin gipfeln, mit solchen Begründungen den Entwurf abzulehnen, völlig daneben. Auf der anderen Seite kommt die CSU und stellt Anträge, die lauten: Wir brauchen eine einheitliche europäische Kartellbehörde. – Ich denke, mich laust der Affe. Nun hat man eine Version gefunden, dass das koordiniert wird und dass die Länder die Wettbewerbsordnung prüfen, aber mit einer europäischen Koordination. Jetzt kommt die CSU daher und sagt: Wir wollen eine einheitliche Kartellbehörde für ganz Europa.

Lieber Kollege Lode, zum Problem der Tankstellen an den Grenzen: Was wäre denn die Konsequenz? – Einheitliche Steuersätze in allen Ländern. Das würde auch Einheitlichkeit in allen anderen Bereichen bedeuten. Es gibt immer Brüche an den Grenzen, solange wir unterschiedliche Steuern haben, ob das die Ökosteuer ist oder die Differenz in der Mehrwertsteuer. Das spielt keine Rolle, die Leute an der Grenze werden immer über die Grenze hinübergehen, und einen Vorteil wahrzunehmen. Das ist auch gar nicht verkehrt. Hier besteht also ein Widerspruch in Ihrer Argumentation.

Ich komme nun zum letzten Punkt, der mir zeigt, dass die Bayerische Staatsregierung in so manchem, was die europäische Entwicklung anbelangt, im eigenen Land sehr hinter der Zeit hinterher hinkt. Die Region Nürnberg hat mit den zuständigen europäischen Behörden und Institutionen verhandelt, um als europäische Metropolregion anerkannt zu werden. Ergebnis: Ja, wir anerkennen die Metropolregion Nürnberg als europäische Metropolregion. Meinung der Staatsregierung: Haben wir nicht, brauchen wir nicht. Außer München gibt es in Bayern nichts. Das galt, bis Stoiber sah, er muss irgendwo die Notbremse ziehen. Dann sagte er, wie bei der Staatsoper in Nürnberg: „So können wir das vor der Wahl in Nürnberg nicht machen, wir müssen die Kurve kratzen und uns in die richtige Richtung – in Richtung Franken – orientieren.“