Protokoll der Sitzung vom 24.06.2003

Das heißt, dass wir auf diesem Gebiet das größte Problem haben. Deswegen müssen wir darauf bestehen, dass das in der Einstimmigkeit verbleibt oder dass dann Möglichkeiten gefunden werden, wie wir das auf nationaler Ebene selbst regeln können. In der Situation, in der wir uns befinden, können wir es uns nicht leisten, dass eine unbegrenzte oder eine nicht begrenzbare Zuwanderung stattfindet. Über das Zuwanderungsgesetz will ich in diesem Zusammenhang gar nicht reden; darüber wird an anderer Stelle zu reden sein. Alle diese Dinge müssen uns dazu bringen, auf diesem Gebiet eine Einstimmigkeit zu fordern bzw. nationale Regelungen zu eröffnen.

Ich will unsere Hauptforderung in drei Punkten zusammenfassen:

Erstens. Die Gemeinschaft darf nicht über zusätzliche Möglichkeiten zur Koordinierung der Wirtschaftspolitik in den Mitgliedstaaten verfügen, weil sie sonst letztlich die Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, Steuer- und Sozialpolitik zentral steuern kann, und das wollen wir alle miteinander nicht. Zweitens darf die Gemeinschaft die Sozialsysteme, die Ausdruck der gewachsenen unterschiedlichen Gesellschaftssysteme sind, nicht durch eine Koordinierungsfunktion gleichschalten. Das ist mit der gesamten Geschichte und Entwicklung nicht vereinbar. Drittens. Die Gemeinschaft darf nicht über das Maß der Einwanderung und den Zugang von Einwanderern und Asylbewerbern zum nationalen Arbeitsmarkt entscheiden. Viertens muss im Verhältnis zwischen Bund und Ländern sichergestellt werden, dass sich das Recht der Länder, Deutschland im Ministerrat zu vertreten, bei Betroffenheit ihrer Zuständigkeiten nicht nur auf den Legislativrat beschränkt, weil wir sonst unsere Länderinteressen im Einzelfall nicht ausreichend vertreten können.

Wir sind für Europa, und gerade deshalb müssen wir die Anwälte unserer bayerischen Eigenständigkeit sein. Dieser Aufgabe müssen wir uns stellen, auch Sie von den GRÜNEN und von der SPD.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Müller.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß es nicht genau, gehe aber davon aus, dass die in der Presse veröffentlichten unterschiedlichen Reaktionen der Bayerischen Staatsregierung ein Grund der GRÜNEN war, diesen Punkt heute in der Aktuellen Stunde zu thematisieren. Es gab eine Haltung – ich gebe sie wieder, wie ich sie der Presse entnommen habe –, die nicht hieß: Es gibt noch Verhandlungsspielraum, wir müssen weiter verhandeln; denn wir in Bayern sind im Grunde genommen eher dagegen – ich will jetzt gar nicht überlegen, aus welchen Motiven, zum Beispiel weil der Chor aller anderen – SPD, CDU und viele andere Parteien und Persönlichkeiten – in unserem Lande in der Gesamtbetrachtung eher ein positives Bild gezeichnet hat.

Herr Bocklet, Sie haben durchaus Recht, dass man nachbessern muss. Tatsächlich müssen einige Fragen weiter diskutiert werden, und es ist notwendig, in der noch verbleibenden Zeit die Interessen Bayerns oder auch anderer Länder einzubinden. Da haben Sie vollkommen Recht. Nur so, wie Sie es aufgehängt haben, vermittelt das den Eindruck, als ob es hier in Bayern ein CSU-Bollwerk gegen das gäbe, was es an Vernunft, Chancen und Hoffnungen in Europa gibt.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wie ich Sie kenne, meinen Sie das auch nicht so. Aber der Transport über den Ministerpräsidenten und CSU

Vorsitzenden geschah in dem bekannten Strickmuster: Es wird versucht, im Schielen nach Wählerstimmen einen Konflikt heraufzubeschwören, den es gar nicht gibt. Wir wissen nämlich, dass das mit dem Veto im Grunde nur ein Kasperltheater ist. Man will doch etwas erreichen, und das ist in der Sache auch begründet, aber es geht nicht mit solchen Spekulationen.

(Beifall der Frau Abgeordneten Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wie geschmeidig und anpassungsfähig die CSU ist – eigentlich hatte ich erwartet, Herr Bocklet, dass das von Ihnen noch kommt –, kann man im Folgenden sehen. Eines der wichtigsten Ziele war das Klagerecht der Regionen. Ich habe erwartet, dass Sie sagen würden, man müsse bis zum letzten Atemzug für das Klagerecht der Regionen kämpfen. Aber was lesen wir nun in der Zeitung? – Ein Lob für Herrn Teufel dafür, dass er das Klagerecht für den Bundesrat durchgesetzt hat. Vom Klagerecht der Regionen ist überhaupt keine Rede mehr.

Ich will dies in der Sache jetzt nicht weiter diskutieren, sondern lediglich darauf hinweisen, wie geschmeidig die CSU sein kann, wenn sie Niederlagen in Siege zu verwandeln versucht. Ich sage Ihnen jetzt auch ganz ernsthaft, was mich am meisten an Ihrer Politik ärgert. Ich kenne Ihre Motive und weiß die handelnden Personen richtig einzuschätzen. Aber was Sie in den letzten Tagen gemacht haben, spekuliert im Grunde darauf, Ängste zu schüren und Bedenken in den Vordergrund zu stellen, nicht aber die Sorgen der Menschen. Damit nützt man Europa nicht. Wir müssen mutiger in die Zukunft vorangehen.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich abschließend noch eine kurze Geschichte darüber erzählen, wie ich das einordne, was Sie hier machen. Ähnlichkeit mit lebenden Personen sind rein zufällig. Hören Sie einmal gut zu. Ein Kind ist auf einem zugefrorenen Weiher eingebrochen. In der Familie gibt es einen Opa, den ich einmal Edi nennen will. Darüber hinaus gibt es Kinder, nämlich Elmar, Ingo und Reinhold. Alle diese Kinder helfen mit – beim Reinhold weiß ich das allerdings nicht so ganz genau –, dass das eingebrochene Kind nicht ertrinkt. Das Kind wird aus dem Wasser geholt, die Rettungsaktion gelingt. Die Retter kommen mit dem Kind, das etwas unterkühlt ist und sich in einem schwierigen Zustand befindet, nach Hause. Alle freuen sich und sagen: Herrschaft, wir haben es geschafft. Das Kind bleibt am Leben. Wir tun alles, damit es wieder gut wird. Aber hinten in der Ecke sitzt der Opa Edi und fragt: Und wo ist die schwarze Socke? Bei der Rettungsaktion ist leider eine schwarze Socke verlustig gegangen.

(Zurufe von der CSU: Na, na!)

Natürlich hat der Opa Recht, wenn er feststellt, dass eine schwarze Socke fehlt und dass man sie vielleicht suchen und dies und jenes machen sollte. Aber das allein kann es nicht sein, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Helfen Sie doch mit, dass dieses Kind, dass dieses Europa zum Laufen kommt.

(Unruhe – Zurufe von der CSU)

Ich weiß, Herr Bocklet, dass Sie durchaus zu denjenigen gehören, die Europa auf die Beine bringen wollen. Sie haben eine so tolle Landesvertretung, so groß, so mächtig und so viele Menschen darin. Es ist doch schade, diese Menschen nur mit schwarzen Socken zu beschäftigen. Lassen Sie diese Menschen an die Zukunft von Europa denken.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Müller. Letzte Wortmeldung: Herr Kollege Lode.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Titel der heutigen Aktuellen Stunde „Kleingeist überwinden“ zeigt die Fraktion der GRÜNEN deutlich, dass sie Wirtschafts- und Steuerpolitik aus einer sehr einseitigen Sichtweise heraus betrachtet. Denn in der Realität ist genau das Gegenteil der Fall. Der europäische Binnenmarkt findet in einem gnadenlosen Wettbewerbsumfeld statt. Es ist in erster Linie die Verantwortung der Bundesregierung, dafür zu sorgen, dass in diesem Wettbewerbsumfeld die wirtschaftspolitischen und steuerlichen Grundlagen stimmen und dass für die deutschen und vor allem für die bayerischen Unternehmen und Betriebe alle Maßnahmen ergriffen werden, um im Interesse der Arbeitsplätze Wettbewerbsgerechtigkeit herzustellen. Es darf nicht sein, dass bei gleicher Produktivität in den Arbeitsabläufen und bei gleicher Qualität der Produkte durch staatlich falsche politische Eingriffe in den Wirtschaftsprozess diesen Unternehmen zusätzliche Lasten aufgebürdet werden.

(Möstl (SPD): Siehe die europäische Wettbewerbsordnung!)

Aus diesem Grunde ist es unverzichtbar, im Rahmen der in den Konvententwürfen formulierten Binnenmarktgeneralklausel nur solche Maßnahmen zuzulassen, welche primär und unmittelbar die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben. Diese Generalklausel darf nicht als Vehikel zur Regelung anderer Politikbereiche missbraucht werden.

Als Beispiel sei genannt das Tabakwerbeverbot. Ein Wirtschaftsbereich mit Milliardenumsätzen wird unter dem Deckmantel der Gesundheitspolitik postuliert. Tatsächlich handelt es sich dabei aber um einen wesentlichen Eingriff in die Autarkie wirtschaftlichen Handelns des Nationalstaates mit allen erheblichen negativen Auswirkungen auf die Arbeitsplätze dieses Wirtschaftszweiges durch den Wegfall von Steuereinnahmen auch für die betroffene Region, die Städte und Gemeinden. Über Wirtschaftspolitik zu entscheiden, liegt eben nicht nur in europäischer Kompetenz, das muss auch künftig den nationalen Parlamenten vorbehalten bleiben.

Gleiches gilt für die steuerrechtlichen Vorgaben. Auch sie müssen beschränkt bleiben auf nur die Bereiche, die zur Vollendung des Binnenmarktes unbedingt erforderlich sind. Auch hierzu ein Beispiel. Aufgrund der nationalen Steuergesetzgebung steigt die Mineralölsteuer seit dem 1. April 1999 um die so genannte Ökosteuer von jährlich 3,07 Cent plus Mehrwertsteuer. Hinzu kommt seit 2001 noch die so genannte Schwefelsteuer von rund 1,5 Cent zuzüglich Mehrwertsteuer.

Dieser deutsche Alleingang in der EU geht in vollem Umfang zulasten der deutschen, vor allem aber auch der bayerischen Wirtschaft. So ist der Fortbestand vieler Tankstellen entlang der gesamten bayerischen Grenze, also nicht nur in Richtung Osten – sprich: neue Beitrittsstaaten –, sondern auch zu dem langjährigen Binnenmarktkonkurrenten Österreich akut bedroht. Wegen des Preisvorteils von bis zu 20 Cent nehmen die deutschen Autofahrer auch längere Anfahrtswege in Kauf. Dabei geht es nicht nur um den Kraftstoff. Mit den ausbleibenden Kunden geht auch das gesamte Nebengeschäft mit Getränken und anderen Artikeln zugrunde.

(Möstl (SPD): Dann ist ja der Vorschlag einheitlicher Steuern gut! – Frau Radermacher (SPD): Schrei nicht dazwischen, sonst kann er nicht ablesen!)

Die Folge sind Arbeitsplatzabbau und das Ausbleiben von Investitionen. Geringere Investitionen aber bedeuten höhere Sozialkosten und damit höhere Lohnnebenkosten. Dies wiederum bedeutet eine erhebliche Einschränkung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Betriebe im europäischen Binnenmarkt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch die bayerische Wirtschaft und die CSU sagen Ja zu Europa. Dieser europäische Binnenmarkt ist für sich nicht eine Bedrohung. Er ist eine große Chance wirtschaftlichen Handelns.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Doch die Rahmenbedingungen müssen stimmen. Diese Rahmenbedingungen setzt die Politik.

Die Bayerische Staatsregierung fordert daher zu Recht, dass eine Ausweitung der Fördermittel auf europäischer Ebene abgelehnt wird. Im Einzelfall wird eine Förderung sicherlich notwendig sein, zum Beispiel in den Grenzregionen der EU zu den neuen Beitrittsstaaten.

(Zuruf von der SPD)

Dabei muss klar darauf abgestellt werden, dass nur eine Förderung anerkannt werden kann, die zur Bewältigung der Probleme eingesetzt wird. Denn durch die EU-Erweiterung haben diese Regionen unmittelbar mit erheblichen Auswirkungen zu rechnen. Deshalb bedarf es insbesondere größerer Freiräume für eine eigenständige nationale Regionalpolitik, auch durch den Einsatz gleichwertiger nationaler Finanzmittel. Die Bundesregierung muss sich daher in engem Schulterschluss mit den Ländern für die Forderung nach größeren beihilferechtlichen Spielräumen einsetzen.

Aus bayerischer Sicht – angesichts der langen Grenzabschnitte zur Tschechischen Republik und damit als ein wesentliches Eintrittstor zu den neuen Beitrittsstaaten – ist dies geradezu eine existenzielle Frage.

Das Fazit: Gerade in der Wirtschafts- und Steuerpolitik müssen die nationalen Mechanismen wirksam bleiben, um für die deutsche und vor allem für die bayerische Wirtschaft die Chancen, die sich für die Unternehmen und damit für die Arbeitsplätze in unserem Land ergeben, nicht zu gefährden.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Rednerin: Frau Kollegin Dr. Kronawitter.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Die Diskussion ist jetzt zunehmend sachlicher geworden. Ich muss aber trotzdem daran erinnern, dass man in den letzten Wochen, insbesondere in der letzten Woche, den Eindruck haben musste: Wir erleben zwar ein historisches Ereignis, nämlich die Verfassungsgebung für die 15 bzw. 25 Mitgliedsländer der EU, können das aber nur als Mäkelkonzert der CSU wahrnehmen.

Dieses Mäkelkonzert haben wir vorausgehend etliche Male bereits im Ausschuss gehört. Auch damals ist von der SPD schon gesagt worden: Wir wünschen uns, dass in der öffentlichen Diskussion sichtbar wird, was mit dieser Verfassung erreicht worden ist, was an Werten geschaffen wird und wie sich der Zusammenhalt festigt – für alle Mitgliedsländer und für die Bürgerinnen und Bürger der EU.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie, Herr Minister Bocklet, haben heute etwas gemacht, was ich mir schon in der vorigen Woche gewünscht hätte, dass Sie nämlich das Pro und Kontra abwägen.

(Zuruf von der CSU: Das machen wir doch immer!)

Ja, ja, aber in der Öffentlichkeit kommt von Ihnen immer nur das Mäkeln herüber, vielleicht auch, weil Ministerpräsident Stoiber so viel Wert darauf legt, dass immer nur Kritik und Angriff sichtbar werden.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CSU: Mit Bei- pflichten verändert man auch nichts!)

Heute ist wieder das Stichwort „Klagerecht der Regionen“ gefallen. Sie, Herr Minister, haben gesagt – ich habe mitgeschrieben –, es gehe Ihnen nicht weit genug, Sie hätten gern das Klagerecht der Regionen mit Gesetzgebungskompetenz. Sie wissen sicher, dass ein Ihrer Partei Nahestehender, nämlich Herr Brock von der CDU, gesagt hat: „Künftig können alle Bundesländer vor Gericht klagen. Dies war vor einem halben Jahr noch unvorstellbar.“ Dieses Zitat belegt, welchen Prozess der Konvent selbst vollzogen hat und was in dieser Diskussion im Sinne auch der Regionen, im Sinne auch der deutschen Bundesländer erreicht wurde.

Diese Verfassung – auch das ist mehrmals gesagt worden – ist ein Kompromiss. Dieser Kompromiss ist natürlich dann ein geeigneter Kompromiss, wenn sich alle Mitgliedsländer darin wiederfinden können. Ich frage mich, was es bedeutet, wenn die Forderungen, die Sie auflisten, in den noch anstehenden Verhandlungen – das sind ja nur noch wenige Wochen – nicht durchsetzbar sind, weil andere Länder sagen, dann wollten sie anderes durchgesetzt haben, was Deutschland wiederum nicht akzeptieren kann. Was werden Sie da tun?

Ich hoffe sehr, dass auch die CSU einsieht, dass wichtig ist: Die europäische Verfassung wird dann die größte Akzeptanz erfahren, wenn sich alle Mitgliedsländer und die Bürgerinnen und Bürger darin wiederfinden können. Das heißt doch, dass sie dann auch allseits akzeptiert und vertreten wird.