Protokoll der Sitzung vom 21.03.2000

Sie waren doch immer dagegen, wenn wir das im Landtag diskutiert haben. Mit einem Antrag lässt sich das nicht wegwischen. So leicht können Sie sich nicht aus der Verantwortung stehlen.

(Frau Renate Schmidt (SPD): Und Sie haben es nicht durchsetzen könne, arme, schwache CSU!)

Anstatt heute über die „Green Card“ zu diskutieren, sollten Sie überlegen, wie wir mit den Strukturen einer digitalen Marktwirtschaft auf Dauer fertig werden können. Dazu bedarf es weitaus mehr, als nur zu sagen: „Wir brauchen einige ausländische Spitzenkräfte, dann ist das Thema erledigt.“ Wir haben viel mehr zu tun und versuchen, diesem Anspruch im Rahmen unserer Möglichkeiten gerecht zu werden. Es würde uns sehr helfen, wenn Sie im Bund dafür kämpften, dass die Rahmenbedingungen für den Wirtschaftsstandort Deutschland besser würden. Dann wäre es so gut wie sicher, dass wir mit unseren Bemühungen Erfolg haben.

(Beifall bei der CSU – Widerspruch bei der SPD – Frau Radermacher (SPD): Was haben Sie denn 16 Jahre lang gemacht?)

Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Ich lasse noch über den mitberatenen Dringlichkeitsantrag der SPD auf Drucksache 14/3192 abstimmen.

(Herbert Müller (SPD): Der Dringlichkeitsantrag wird in den Ausschuss verwiesen, wie in der Fraktion besprochen!)

Gut, dann besteht mit der Überweisung in den Ausschuss Einverständnis. Damit ist der Tagesordnungspunkt abgeschlossen.

Ich rufe zur gemeinsamen Beratung auf:

Tagesordnungspunkt 2

Antrag der Staatsregierung

Entlastung der Staatsregierung auf Grund der Haushaltsrechnung des Freistaats Bayern für das Haushaltsjahr 1997 (Drucksache 14/189)

Tagesordnungspunkt 3

Antrag des Bayerischen Obersten Rechnungshofes

auf Entlastung aufgrund des Beitrags zur Haushaltsrechnung 1997 für den Einzelplan 11 (Drucksache 14/190)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache und erteile als erstem Redner Herrn Kollegen Hartmann das Wort.

Herr Präsident, Hohes Haus! Am 7. Dezember des vergangenen Jahres hat der Bayerische Oberste Rechnungshof seinen Bericht zur Haushaltsrechnung 1997 vorgelegt, der Gegenstand des jetzigen Entlastungsverfahrens ist. Die Prüfungsergebnisse des ORH beziehen sich darüber hinaus auf das Verwaltungsgeschehen bis in das Jahr 1999. Das Sündenregister – so kann man es nennen – zum Vollzug des Haushaltsplans 1997, der durch das Haushaltsgesetz in Einnahmen und Ausgaben auf rund 61,5 Milliarden DM festgesetzt wurde, zeigt wieder ein sehr breites Spektrum von Verfehlungen und Verstößen gegen die Haushaltsgrundsätze. Beim Haushaltsvollzug gibt es innerhalb der Staatsregierung und der Staatsverwaltung Schwachstellen, über die wir heute diskutieren müssen.

Der Gedanke der Nachhaltigkeit ist in der bayerischen Finanzpolitik noch immer nicht realisiert. In den letzten 20 Jahren hat sich die Verschuldung des Freistaats Bayern nahezu verfünffacht – und dies, obwohl seit 1994 rund 8,6 Milliarden DM Privatisierungserlöse in die Kassen des Freistaates geflossen sind. Wie in vielen anderen Bereichen klaffen hier Anspruch der Staatsregierung und Wirklichkeit der Finanz- und Haushaltspolitik erheblich auseinander.

Lassen Sie mich zunächst die haushaltswirtschaftlichen Quoten des Freistaates mit den Durchschnittswerten der übrigen Flächenländer in der Bundesrepublik vergleichen. Denn dieser Vergleich wird gerade von der Staatsregierung gerne zum Selbstlob herangezogen. Der Quotenvergleich entspricht nach meiner Überzeugung aber in sehr weiten Teilen einem Vergleich von Äpfeln mit Birnen und wird deshalb den Haushaltsgrundsätzen von Wahrheit und Klarheit nicht gerecht. Zu unterschiedlich sind die Wirtschafts- und Verwaltungsstrukturen der einzelnen Bundesländer, sodass die Aussagekraft der Quoten sehr begrenzt ist. Mit Steuerdeckungs-, Kreditfinanzierungs- und Zinssteuerquote können die Bürgerinnen und Bürger in Bayern sehr wenig anfangen.

Für die Menschen in Bayern zählt vielmehr das verfügbare Einkommen, das sie sozusagen im Geldbeutel haben und ganz persönlich investieren können. Dazu empfehle ich den Vertretern der Staatsregierung, insbesondere dem Herrn Finanzminister, einen etwas anderen Quotenvergleich, nämlich den der verfügbaren Einkommen, wozu ein Blick in die volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen der Bundesländer genügt. Dabei ist Bayern im Ländervergleich weiß Gott nicht Spitze, sondern liegt hinter Hamburg und Baden-Württemberg auf Platz drei, etwa gleichauf mit Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und nur unwesentlich vor Niedersachsen.

Die Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit zeigt sich auch in den eklatanten regionalen Einkommensunterschieden innerhalb Bayerns. Sicher ist das verfügbare Einkommen unter den volkswirtschaftlich relevanten Einkommensbegriffen von höchster Aussagekraft und zeigt, wie unterschiedlich der Wohlstand in Bayern je nach Region ist. Innerhalb Bayerns herrscht ein erhebliches Wohlstandsgefälle, dessen Ursache auch in der verfehlten Finanzpolitik der Staatsregierung zu suchen ist.

(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CSU – Hofmann (CSU): Absoluter Schmarrn!)

Was Sie als „Schmarrn“ bezeichnen, werde ich Ihnen anhand konkreter Beispiele vor Augen führen. So lag zum Beispiel 1997 das verfügbare Einkommen pro Kopf in Oberbayern bei 36857 DM, in der Oberpfalz dagegen nur bei 26484 DM.

Solange ein Oberbayer über 39% mehr Einkommen als ein Oberpfälzer verfügt, solange ist die bayerische Finanzpolitik nicht in Ordnung. Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander.

(Beifall bei der SPD)

Kolleginnen und Kollegen, wenn der Bericht des ORH aus dem Jahre 1999 auch nicht mit einer Vielzahl spektakulärer Fälle gespickt ist, so sagt dies dennoch wenig über die politische Tragweite der Verfehlungen aus, die dort aufgezeigt werden.

Herr Kollege Hartmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Hofmann?

Bitte schön.

Herr Kollege, nachdem Sie die Einkommensverhältnisse der Oberpfalz und Oberbayerns verglichen haben, möchte ich Sie fragen, ob Sie bereit und in der Lage sind, die Größenordnung der Lebenshaltungskosten zwischen der Oberpfalz und Oberbayern vorzutragen.

Bitte, Herr Kollege Hartmann.

Sie spielen offensichtlich auf die unterschiedlichen Bierpreise zwischen der Landeshauptstadt und der Oberpfalz an. Das ist es halt nicht.

(Hofmann (CSU): Ganz so saudumm, wie Sie argumentieren, habe ich mir die Antwort nicht vorgestellt!)

Ich möchte auf die Tragweite der politischen Auswirkungen, die der ORH in seinem Bericht im Einzelnen darlegt, zu sprechen kommen. Zunächst möchte ich auf einen spektakulären Fall eingehen: Im Innenministerium war es über mehr als zwei Jahrzehnte möglich, dass ein Polizeibeamter seine Dienstpflichten für die Ausübung seines geliebten Ehrenamtes verletzt hat. Weit über den ihm zustehenden Sonderurlaub hinaus ist dieser „Ehrenbeamte“ – dieses Wort muss man mit Anführungszeichen versehen – über 20 Jahre lang seinem Dienst ferngeblieben, ohne dass daraus Konsequenzen gezogen wurden. Dieser Missbrauch wurde mehr oder weniger toleriert. In diesem Fall hat der Vizepräsident eines Bezirkstags als beurlaubter Hauptkommissar, als Beamter des gehobenen Polizeidienstes, sein Gehalt weiter bezogen und gleichzeitig von 1982 bis 1998 als stellver

tretender Bezirkstagspräsident zuletzt monatliche Pauschalen in Höhe von 6000 DM erhalten. Hier wurde nicht nur doppelt abkassiert, sondern auch das Ehrenamt grob missbraucht.

(Beifall bei der SPD)

Die Toleranz und dieser Schlendrian über 20 Jahre hinweg waren nur möglich, weil das CSU-Parteibuch und damit das Vitamin B gestimmt haben.

(Beifall bei der SPD)

Dieser Missbrauch ist leider kein spektakulärer Einzelfall, sondern häufiger anzutreffen. Im Februar wurde bekannt, dass ein prominenter Regensburger CSU-Politiker und Staatsanwalt seine Zeit allzu sehr mit dem Fraktionsvorsitz im Stadtrat und mit seinem Aufsichtsratsposten bei einem Energieversorger verbrachte. Gleichzeitig führte seine lasche Arbeitsweise als Strafverfolger dazu, dass am Oberlandesgericht in Nürnberg Untersuchungshäftlinge auf freien Fuß gesetzt wurden, weil der Staatsanwalt die Anklagefrist verbummelte.

Um eines klarzustellen: Wer wenden uns nicht gegen die Sonderregelung für Mitarbeiter des Öffentlichen Dienstes zur Ausübung von Ehrenämtern. Wir wenden uns aber gegen langjährigen Schlendrian, bei dem die geltenden Regeln missachtet werden. Deshalb erwarten wir Sozialdemokraten von der Staatsregierung, dass sie in Zukunft ihre Kontrollfunktionen wahrnimmt, um zu verhindern, dass Mitarbeiter des Öffentlichen Dienstes gut dotierte Ehrenämter ausüben, gleichzeitig ihren Hauptberuf vernachlässigen, aber doppelt abkassieren. Damit wird das Ehrenamt beschädigt. Es muss Schluss sein mit der Verhöhnung der zahlreichen Normalverdiener, die in diesem Land echte Ehrenämter ohne fette Aufwandsentschädigungen ausüben. Es geht also um den Schutz des Ehrenamtes im wahrsten Sinne des Wortes.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe vorhin von der politischen Tragweite gesprochen, die aus dem ORH-Bericht abzulesen ist. Deshalb möchte ich jetzt auf die erneuten Erkenntnisse beim Wirtschaftlichkeitsvergleich von privat vorfinanzierten Projekten mit Leistungen der staatlichen Auftragsverwaltung zu sprechen kommen. Bei der Planung von Straßen und Brücken, beim Bau von zwei Polizeidienstgebäuden und bei zwei Modellprojekten im Straßenbau hat sich jeweils gezeigt, dass die private Vorfinanzierung kein Königsweg aus der angespannten Haushaltslage ist. Bei diesen Fällen war die private Vorfinanzierung im Ergebnis teurer. Das Fazit lautet deshalb für mich, die Privatisierung von staatlichen Leistungen darf nur infrage kommen, wenn vorher die Wirtschaftlichkeit und eine angemessene Qualität nachgewiesen bzw. sichergestellt sind.

An dieser Stelle kann ich mir einen Hinweis an die Kolleginnen und Kollegen der CSU-Fraktion nicht verkneifen: Auch die private Vorfinanzierung von Massnahmen des Bundesverkehrswegeplans, die Sie so gern propagieren, ist kein Ausweg aus der Schuldenfalle. Das ist vielmehr der Weg mitten hinein. Diese 90 Milliarden DM

Unterfinanzierung des Bundesverkehrswegeplans und die Waigel-Rekordschulden in Höhe von 1,5 Billionen DM beim Regierungswechsel im Bund sprechen eine deutliche Sprache. Das sind auch Ihre Schulden, die Sie uns hinterlassen haben. Helfen Sie lieber mit, den Karren aus dem Dreck zu ziehen, bevor Sie falsch angelegte Privatisierungsvorschläge einbringen.

Lassen Sie mich noch einen anderen Aspekt ansprechen, der vordergründig mit Erfolgskontrolle aber auch mit politischer Tragweite zu tun hat. Wie hält es die Staatsregierung eigentlich mit der Ziel- und Erfolgskontrolle bei ihrer Förderpolitik?

(Frau Kellner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Fehlanzeige!)

Sehr richtig, Frau Kollegin Kellner. Fehlanzeige. Ich möchte es jedoch nicht so kurz machen, sondern ein paar Beispiele nennen. Seit 1990 wurden Zuschüsse in Höhe von 250 Millionen DM zur Förderung nachwachsender Rohstoffe ausgereicht. Der Einsatz der Mittel hat jedoch, zumindest bei den geprüften Fällen, sein Ziel überwiegend verfehlt.

Ein weiteres Beispiel: Die LfA fördert ein neu gegründetes Unternehmen, bei dem angeblich 18 neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Tatsächlich geschah folgendes: Ein bestehendes Unternehmen gründete eine Tochtergesellschaft, baute beim bestehenden Unternehmen 20 Arbeitsplätze ab und hat dafür Fördermittel erhalten. Per saldo nenne ich das ein Konzept zum Arbeitsplatzabbau mit staatlicher Förderung.

Ein weiteres Beispiel: Der Freistaat fördert seit Jahren den Ankauf ökologisch wertvoller Grundstücke mit durchschnittlich vier Millionen DM im Jahr. Das ist begrüßenswert. Bei einem Drittel der überprüften 163 Fälle förderte der Staat den Ankauf der Flächen, die Düngung und die landwirtschaftliche Nutzung wurden jedoch weitergeführt. Erfolgskontrolle? Fehlanzeige. Auch hier handelt es sich um ein Förderprogramm, welches in hohem Masse missbraucht und als Abkassiermodell benutzt wird.

Ich muss auch von mangelnder Selbstkontrolle sprechen, wenn im Finanzministerium über viele Jahre hinweg bei der Festsetzung von Erbschaft- und Schenkungsteuer mindestens 500 Millionen DM nicht rechtzeitig eingetrieben wurden.

(Staatsminister Prof. Dr. Faltlhauser (Finanzministe- rium): Das ist erledigt!)

Wenn es jetzt erledigt ist, war es zumindest so, da es der ORH sonst nicht festgestellt hätte. Ich möchte Ihnen die Konsequenzen dieser laxen Eintreibung vorrechnen. Der Bearbeitungsrückstand beträgt, wie dies vom ORH moniert wurde, sieben Monate. Das bedeutet einen Zinsverlust von 17,5 Millionen DM. Wenn Sie diese Nachlässigkeit über die gesamten Neunzigerjahre hinweg geduldet haben, lässt sich daraus ein Zinsverlust oder Einnahmeausfall von über 100 Millionen DM ableiten.

Das nennen Sie „Schmarren“. Ich sage, wenn dem Freistaat 100 Millionen DM fehlen, dann handelt es sich um entgangene Einnahmen. Darum müssen Sie sich kümmern. Sie können hier nicht argumentieren, das sei „Schmarren“.