Protokoll der Sitzung vom 15.02.2001

Ein Zweites: Diese Regelung hat auch einen guten Sinn, nicht nur weil es so im Bundeswahlgesetz steht, sondern weil das Bundesverfassungsgericht in neuesten Entscheidungen sehr große Bedenken gegen die 331/3Grenze geäußert hat.

Im Übrigen hat, wenn man sich die Protokolle des Jahres 1973 ansieht, ein späterer Nachfolger von Ihnen, Herr Regensburger, Herr Dr. Rosenbauer, damals noch nicht Staatssekretär, sondern Abgeordneter, gesagt, die 331/3% als äußerste Grenze erscheine ihm schon sehr wackelig.

(Staatssekretär Regensburger: Das war kein späte- rer Nachfolger, sondern ein früherer Vorgänger!)

Einer Ihrer Vorgänger im Innenministerium. Diese Kontinuität sollte man nicht verleugnen.

Es ist natürlich wichtig, dass die jetzige Gesetzesformulierung in Artikel 5 des Landeswahlgesetzes eine verbindliche Konkretisierung in sich trägt.

Wir sollten dabei bedenken, was es bedeutet, wenn dort für die 15% eine Sollvorschrift enthalten ist. Dies hat natürlich auch inhaltliche Auswirkungen. Ihr ursprünglicher Gesetzentwurf vom Dezember orientierte sich noch an den 331/3%; denn in Artikel 5 hatten Sie bei der Gemeindedurchschneidung von Verwaltungsgemeinschaften als Notbremse noch 331/3% und nicht 25%. Ich zitiere aus einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 1978: „Eine Sollvorschrift verpflichtet grundsätzlich so zu verfahren, wie es im Gesetz bestimmt ist. Wenn keine Umstände vorliegen, die den Fall als atypisch erscheinen lassen, bedeutet das Soll ein Muss.“

(Welnhofer (CSU): Wer sagt das und für welche Fälle?)

Herr Welnhofer, Sie wissen, ich arbeite immer sehr präzise. Sie können und sollten das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.08.1978 im Band 56 nach

lesen, bevor wir zu den einzelnen Stimmkreiszuschnitten kommen.

Der Staatsminister hat zu Recht erwähnt, dass unser Landesvorsitzender hier 17 Abweichungen beanstandet hat. Das Bundesverwaltungsgericht sagt sehr deutlich: Die Beweislast dafür, dass ein atypischer Fall vorliegt, liegt bei demjenigen, der von den 15% abweicht. Dies werden wir im Einzelnen diskutieren. Lassen Sie mich ein Beispiel ansprechen. Es geht um sechs Landkreise im bayerischen Oberland: Rosenheim, Miesbach, Starnberg, Weilheim-Schongau, Garmisch und Bad Tölz-Wolfratshausen. Alle sechs Landkreise sind in verschiedenen Formen zusammengeschnippelt, aufgeteilt und Ähnliches auch noch zusätzlich mit dem Ergebnis, dass ein Landkreis 22,8% plus hat, dass ein anderer Landkreis 22,1% über dem Durchschnitt und ein Landkreis minus 17,9% haben; diese Diskrepanzen sind bei Miesbach und Bad Tölz-Wolfratshausen direkt benachbart. Wir werden computermäßig nachvollziehen können, dass bei einem anderen Zuschnitt nicht sechs, sondern nur drei Landkreise betroffen wären und dass kein Landkreis mehr 15% plus oder minus hat. Da werden sämtliche Prinzipien, die Sie oberhalb und unterhalb des Gesetzes anstellen, einfach verletzt. Dies ist natürlich kein Zufall; denn einer, der in den Genuss dieser schönen Zugabe von 20,8% kommt, ist der Ministerpräsident als Inhaber des Wahlkreises Bad Tölz-Wolfratshausen. Wenn man diesen Landkreis aufteilen würde, wie es bis 1994 der Fall war, wären nur drei Landkreise betroffen und läge kein Landkreis über oder unter 15%.

(Beifall bei der SPD)

Herr Dr. Beckstein, dies ist für uns der Maßstab, Sie haben Ihre Computer wohl falsch programmiert. Ihre Computer sind nicht nach den Gerechtigkeitsprinzipien programmiert, sondern es geht, wie andere Beispiele zeigen, entweder darum, dass geschaut wurde, wo ein bisheriger Abgeordneter aufhört. Herr Böhm, ich freue mich, dass Sie bei dieser Diskussion anwesend sind. Herr Mirbeth wurde noch vor drei Tagen in der Presse von Parteikollegen beschimpft, weil er seine Absicht, als Landrat zu kandidieren, zu frühzeitig dargelegt und damit die Frage des Stimmkreises Regensburg-Land etwas in Schwierigkeiten gebracht hat. Dieses waren für Sie maßgebende Gesichtspunkte und nicht die Vorgaben der Verfassung und des Landeswahlgesetzes. Dies werden wir im Einzelnen zu besprechen haben, dann wird es sich zeigen.

Genauso wird sich zeigen, wie wenig Sie Ihren Ansatzpunkt, kommunale Einheiten möglichst unangetastet zu lassen, durchhalten. Die Landeshauptstadt München ist hierfür das klassische Beispiel. Da gibt es zwar keine Gemeinden, aber Stadtbezirke, die in den letzten Jahren als Gliederung des Stadtgebiets einen ungeheuren Aufschwung und eine große Bedeutung erfahren haben.

(Zuruf von der CSU: So ein Schmarrn!)

Diese Bezirksausschüsse für Stadtbezirke mit durchschnittlich 50000 Einwohnern haben eigene Entscheidungsrechte und werden direkt gewählt. Das Verfassungsgericht hat gesagt, da gelte das Willkürverbot. Nun

ist einer der Stadtbezirke gleich in drei verschiedenen Landkreis-Stimmkreisen aufgegangen. Ist dies sachgerecht und nicht willkürlich? Denn es gibt Vorschläge von der Stadtverwaltung und von der örtlichen SPD, im Rahmen der 15-%-Grenze überall die Stadtbezirksgrenzen zu berücksichtigen. Auch hier verstoßen Sie nicht gegen Artikel 14 des Landeswahlgesetzes, sondern gegen das Willkürverbot der Verfassung. Auch dies werden wir noch in Einzelheiten zu diskutieren haben. Sie, Herr Staatsminister, haben gesagt, es bestünden noch Bewegungsmöglichkeiten. Wir werden dies intensiv diskutieren und auch für das Oberland konkrete Gegenvorschläge machen.

Herr Kollege, ich bitte Sie, zum Ende zu kommen. Wir reden von Prozentzahlen – Sie haben bereits mit mehr als 15% erheblich überschritten.

Weil Sie mir bei der Vertiefung dieses Themas vor etwa einer Minute noch fünf Minuten Redezeit signalisierten.

Herr Kollege Dr. Hahnzog, Sie sehen immer, was Sie gerade sehen wollen. Sie haben offenbar übersehen, dass ich Ihnen das Ende Ihrer Redezeit angezeigt habe. Ich bitte Sie, wirklich zum Ende zu kommen.

Wir werden diese Sache, die seit Monaten fast in jedem Pressespiegel eine Rolle spielt, in den Ausschüssen mit der entscheidenden Akribie behandeln. Ein Teil ist okay, aber ein Teil ist gesetzesund verfassungswidrig, und dies werden wir dort sehr klar zum Ausdruck bringen.

(Beifall bei der SPD)

Nachdem Sie vorhin erklärt haben, dass Sie immer präzise arbeiten, gehe ich davon aus, dass Sie auch Ihre Uhr präzise lesen und ein Fehlverhalten sofort erkennen. Als nächster hat Herr Kollege Welnhofer das Wort.

Herr Präsident, Hohes Haus! Es ist sicherlich nicht Sache einer Ersten Lesung, auf Details einzugehen. Dies wollen wir uns für die Beratung im Ausschuss und für eine Zusammenfassung in der Zweiten Lesung aufheben. Wir haben bei der Neueinteilung der Stimmkreise zunächst davon auszugehen, dass die Anzahl der Abgeordneten durch eine Verfassungsänderung um 24 reduziert worden ist, wie wir hier einvernehmlich beschlossen haben und vom Volk bestätigt worden ist. Dabei hätten uns wir von der CSU-Fraktion eine Regelung gut vorstellen können – insofern war der Einwurf aus unseren Reihen sehr berechtigt –, die eine Stimmkreisneueinteilung entbehrlich machen würde. Unter demokratiepolitischen Gesichtspunkten wäre es überhaupt kein Nachteil gewesen, die derzeitigen Stimmkreise im Wesentlichen so zu belassen, wie sie bestehen, und die Reduzierung von 24 Mandaten allein bei den Listenmandaten vorzunehmen.

(Beifall bei der CSU – Dr. Hahnzog (SPD): Das Volk wollte und will es anders!)

Das Volk hat nur mit Ja oder Nein darüber abgestimmt, was wir ihm vorgelegt haben. Wir konnten dem Volk die Vorstellung der CSU nicht vorlegen, weil Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, für diese Wunschvorstellung nicht zu haben waren.

(Beifall bei der CSU)

Sie waren dafür nicht etwa aus hehren demokratiepolitischen Gesichtspunkten nicht zu haben, sondern weil es für Sie parteipolitisch nachteilig gewesen wäre. Im Übrigen hätte ich an Ihrer Stelle vielleicht nicht anderes gehandelt. Aber Sie sollten ehrlich zugeben, warum Sie das so haben wollten, und darum geht es.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Hahnzog (SPD))

Sie wollten eine Lösung, die für Sie parteipolitisch ungünstig gewesen wäre, nicht haben.

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Und Sie, Herr Welnhofer, was wollen Sie? – Dr. Hahnzog (SPD): Regensburg!)

Regensburg anzusprechen, macht mir überhaupt keine Probleme. Dort haben wir mehrere Lösungen diskutiert, die alle verfassungsrechtlich in Ordnung gewesen wären. Wir haben einen gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum. Darüber können wir gern noch einmal diskutieren. Davor ist mir überhaupt nicht bange.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage noch einmal: Bleiben Sie bei der Wahrheit. Die Stimmkreisreform verdanken wir nicht nur der Reduzierung der Zahl der Abgeordneten, sondern auch Ihrer Halsstarrigkeit, was die gleiche Zahl von Stimmkreis- und Wahlkreisabgeordneten pro Wahlkreis betrifft. Das ist die Wahrheit. Das sollte man auch offen sagen.

(Beifall bei der CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin auch sehr dankbar für den Hinweis des Innenministers, wie Sie sich mit Ihrem Vorbild „Bundeswahlkreise“ und Ihrem Grundsatz „Abweichung über 15% nur in ganz dringenden und so wenig Fällen wie möglich“ jetzt selbst ad absurdum geführt haben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Innenminister hat es besser gemacht, als das bei den Bundeswahlkreisen der Fall ist, und zwar viel besser in Bezug auf die Abweichung von mehr als 15%.

(Beifall bei der CSU)

Noch ein Wort zu der Soll-Bestimmung. Der Innenminister hat in das Gesetz mehr hineingeschrieben, als die Fraktionen vereinbart haben. Wir haben nämlich vereinbart, dass wir uns bei der Neueinteilung der Stimmkreise an den Bestimmungen des Bundeswahlrechts, die die 15- und 25-%-Grenzen enthalten, lediglich orientieren wollen. Wir haben in Klammern die Vorschrift zitiert und ausdrücklich „orientieren“ gesagt: Wir haben nicht ver

einbart, dass wir diese Bestimmungen wortwörtlich in das Landeswahlrecht übernehmen. Dies ist aber jetzt vom Innenminister vorgeschlagen. Ich sehe da einen vorauseilenden Gehorsam des Innenministers gegenüber der SPD-Fraktion – auch ein Novum in diesem Hause, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Hoderlein (SPD): Er hat gewisse Einsichtsfähigkeiten gezeigt!)

Um zur Bestimmung selbst zurückzukommen: Es heißt da, dass 15% nicht überschritten werden sollen. Sie ziehen nun eine Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts heran, die ich im Einzelnen nicht kenne. Ich will Ihnen einmal meine Auffassung zu der Sollbestimmung kundtun. Natürlich ist es so, wie jeder Jurist weiß, dass „Soll“ im Regelfall so viel heißt wie „Muss“, aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, nur dann, wenn es um die Gesetzesauslegung im Verhältnis zwischen Bürger und Staat geht. Wenn der Gesetzgeber sich selbst eine Soll-Vorschrift als Richtlinie gibt, an sich selbst adressiert, dann hat er damit zunächst nicht mehr und nicht weniger zum Ausdruck gebracht, als dass er eine Linie ziehen will, an die er sich zu halten gedenkt.

(Dr. Hahnzog (SPD): Vorsicht, Vorsicht, die Protokolle werden gelesen, Herr Welnhofer!)

Genauso klar ist auch, dass man in ein- und demselben Gesetz mit der speziellen Regelung von der generellen Regelung abweichen kann. Dies ist doch ganz klar. Wir haben in ein- und demselben Gesetzeswerk sehr wohl die Möglichkeit, eine generelle Regelung aufzustellen und davon in begründeten Fällen mit einer speziellen Regelung abzuweichen. Nicht mehr und nicht weniger geschieht auch in diesem Entwurf. Wo von der 15-%-Grenze abgewichen wird, gibt es dafür in jedem Einzelfall sehr gute Gründe. Dies meine ich jedenfalls nach Durchsicht des Gesetzentwurfs der Staatsregierung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will noch auf den Einzelfall eingehen, den Sie genannt haben, den Stimmkreis Bad Tölz/Wolfratshausen. Auf den ersten Blick könnte jemand auf die – beim genauen Hinsehen aber abwegige – Idee kommen, diesen Stimmkreis einfach aufzulösen und die eine Hälfte zu Miesbach, die andere Hälfte zu Garmisch zu geben.

(Dr. Hahnzog (SPD): Das war bis 1994 so!)

Nun haben wir aber nicht nur die Grundsätze der Grenzen von 15% und 25% sowie den Grundsatz, dass nach Möglichkeit jeder Landkreis einen Stimmkreis bilden soll, sondern in diesem Gesetzentwurf wird auch der sicherlich vernünftige Grundsatz beachtet, dass die Probleme dort gelöst werden sollen, wo sie auftreten, nicht woanders. Mit Ihrer Lösung, Herr Kollege Dr. Hahnzog, würden Sie jedoch einen Stimmkreis auflösen, der in jeder Hinsicht den Idealvorstellungen von einem Stimmkreis entspricht. Er hat die richtige Größe, und er ist deckungsgleich mit einem Landkreis. Der Stimmkreis Garmisch-Partenkirchen aber ist in diesem Raum der kleinste. Dort treten also die Probleme auf, nicht in Bad Tölz-Wolfratshausen. Wenn ich das und darüber hinaus

den Grundsatz berücksichtige, dass die Dreiteilung eines Landkreises, also die Verteilung eines Landkreises auf drei Stimmkreise als Ausfluss des Deckungsgleichheitsgrundsatzes nach Möglichkeit unterbleiben soll, dann komme ich genau zu der Lösung, die der Gesetzentwurf enthält. Darum ist diese Lösung auch sachgerecht, meine sehr verehrten Damen und Herren. Wir werden dies in der Einzelberatung auch für die weiteren strittigen Fälle, wie ich meine, nachweisen können.

Ganz zum Schluss noch ein Wort zu den 331/3%, die früher nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als absolute Grenze gegolten haben. Ich weiß überhaupt nicht, warum Sie das anführen. Das hat mit unseren Debatten nicht das geringste zu tun; niemand hat bisher die Auffassung vertreten, dass wir über 25% hinausgehen oder uns gar der 331/3-%-Grenze auch nur nähern wollen. Niemand will das. Das Bundesverfassungsgericht hat aber in seiner Rechtsprechung nicht etwa eine neue Grenze festgesetzt, sondern lediglich angedeutet, dass die alte Grenze in Zukunft so nicht mehr gelten dürfte. Wenn Sie diese Rechtsprechung hier heranziehen, liegt dies also völlig neben der Sache – Thema verfehlt! Ganz im Gegenteil: Die Rechtsprechung gibt sogar noch etwas für das Modell des Innenministers her; denn es heißt in der gleichen Entscheidung, Stimmkreise sind so zu bilden, dass eine gewisse Zusammengehörigkeit derjenigen Bevölkerung festzustellen ist, aus der ein Stimmkreis besteht. Deshalb ist es unser Bemühen, jedenfalls im Kern jeden Stimmkreis zu erhalten und nur diejenigen aufzugeben, die eben einfach deswegen, weil sie die kleinsten sind, im Hinblick auf den Zwang zur Verringerung, den Sie zu verantworten haben, aufgegeben werden müssen.

(Beifall bei der CSU)

Das Wort hat jetzt Frau Kollegin Tausendfreund.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Herr Welnhofer, Sie sollten doch die Kirche im Dorf lassen. Es ist schon die richtige Lösung, dass es bei der Zusammensetzung dieses Hohen Hauses genauso viel Listenmandate wie Direktmandate gibt. Sie richten Vorwürfe an die SPD, dass sie Ihren Lösungsvorschlag nicht unterstützt und dies nicht zielführend gewesen wäre. Dieser Vorschlag würde doch dem bisherigen Wahlrecht widersprechen.

Von Anfang an war klar, dass mit der Parlamentsreform die Stimmkreise reduziert werden müssen. Alle haben das gewusst. Es gibt auch objektive Kriterien, nach denen man sich bei der Neueinteilung richten kann. Die ganze Geschichte ist aber nach dem Grundsatz abgelaufen „wasch mich, aber mach mir den Pelz nicht nass“.