Protokoll der Sitzung vom 05.04.2001

Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Wahnschaffe, Sie haben mich veranlasst, kurz ans Rednerpult zu gehen. Was Sie eben dargestellt haben, ist wenig hilfreich. Ich gehe auf drei Aspekte ein, die Sie eben erwähnt haben: Erstens Forensik, zweitens Pflege, drittens Ausbildung.

Was das Thema Forensik angeht, ist es natürlich unerfreulich, wenn wir beobachten müssen, dass aus der einen oder anderen Einrichtung Insassen fliehen. Wir hören aber auch immer wieder von den Bezirkstagspräsidenten, dass wir sehr wohl zur Kenntnis nehmen sollten, dass solche Einrichtungen natürlich keine Gefängnisse sind. Wir versuchen, diesen Spagat zu lösen.

Sie haben gesagt: Ihr tut nichts; im Haushalt steht nichts drin. Ich darf Ihnen versichern, dass die Mittel entsperrt wurden, die gesperrt waren. Wir versuchen in dieser Situation, durch ein Sofortprogramm sozusagen erste Abhilfe zu bewerkstelligen. Wenn eine stringente Rechtspolitik verfolgt wird, deren Notwendigkeit ja auch

von Ihnen nicht bestritten wird, eine stringente Rechtspolitik, die Sie in anderen Bundesländern nicht verfolgen, dann muss man dazu etwas sagen. Wir versuchen jetzt – auch durch das Sofortprogramm –, Sicherheitseinrichtungen zu schaffen, die die Bezirke in dieser Art und Weise nicht geschaffen haben. Ich darf Ihnen dazu noch sagen, dass die Bezirke vorhandene finanzielle Mittel nicht abgerufen haben. Ich kann Ihnen das auf Mark und Pfennig belegen. Zum Beispiel wurde im vergangenen Jahr eine Summe von acht Millionen DM nicht abgerufen; jetzt stehen diese Mittel zur Verfügung.

Was die Einrichtung in Günzburg angeht, habe ich selber die Gespräche geführt. Dort wurden jetzt kurzfristig die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, nachdem wir die dortige Bezirksverwaltung darauf hingewiesen haben.

Ich bitte also um Vorsicht in der Argumentation. Die notwendigen finanziellen Mittel für diese dringlichen Maßnahmen stehen zur Verfügung.

Dass es von den Bezirken gern gesehen wird, dass wir gleich selbständige, neue Gebäude bauen, ist selbstverständlich. Nur bitte ich um Verständnis, dass die Wünsche auch in anderen Bereichen groß sind. Man muss mit Lösungen leben, die auf dem Kompromissweg zustande kommen. Entscheidend ist, dass die Bürger sicher sein können, dass diejenigen, die in den Einrichtungen festgehalten werden müssen, nicht nach draußen kommen. Wenn wir das durch das Sofortprogramm erreichen können, sollten wir das zur Kenntnis nehmen, statt zu klagen, dass keine optimale Lösung gefunden wurde, nämlich durch großzügige Neubauten.

Nun komme ich zu dem zweiten Thema: Pflege. Sie haben die alte und die neue Ministerin in dieser Frage kritisiert. Ich darf Ihnen sagen, dass wir natürlich ein Pflegekonzept vorgelegt haben. Sie kennen es. Sie kennen auch das Dreistufenkonzept der Bayerischen Staatsregierung. Lieber Kollege Wahnschaffe, Sie wissen, dass die erste Stufe, nämlich die Behandlungspflege zu den Krankenkassen hinüberzunehmen, um neue Pflegekräfte installieren zu können, im Bundesrat eingereicht wurde. Sie wissen auch, dass das dort nicht die Akzeptanz findet, die sie finden sollte. Jetzt frage ich, wer dort die Mehrheit hat. Wenn man schon argumentiert, ist es wichtig, dass man alle Wahrheiten komplett anführt.

Sie werden erleben, dass wir jetzt die zweite konzeptionelle Stufe einreichen. Wir werden sehr schnell sehen, Herr Kollege Wahnschaffe, ob im Bundesrat die zweite Stufe die notwendige Mehrheit findet. Da geht es erstens um die Frage der Demenzkranken. Das ist ein Thema, das uns alle gemeinsam beschäftigt. Zum zweiten müssen wir uns auch über das Thema unterhalten, ob nicht die Pflegeversicherung, die seit 1995 nicht angepasst wurde, dynamisiert werden muss. Drittens geht es auch darum, dass der Herr Finanzminister und der Herr Arbeitsminister der Pflegeversicherung Geld entzogen haben. Es handelt sich ganz konkret um 400 Millionen DM. Das geschah dadurch, dass bei den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung nicht die bisherigen Parameter beibehalten wurden. Die Parameter wurden also ver

ändert. Das führte eben zu dem Entzug von 400 Millionen DM aus der Pflegeversicherung. Auch das muss man anführen.

Wenn Sie mir heute zusagen, dass die zweite Stufe im Bundesrat die Zustimmung finden wird, dann werde ich das erfreut zur Kenntnis nehmen, Herr Kollege. Nur, Wort und Tat passen bisher nicht zusammen.

Herr Kollege Wahnschaffe, Sie wollen eine Zwischenfrage stellen.

Ich darf es so interpretieren, dass mir der Herr Staatssekretär Gelegenheit zu einer Zwischenfrage gibt.

Herr Staatssekretär, darf ich Ihren Äußerungen und den Äußerungen des Ministerpräsidenten zum Thema Pflegeversicherung entnehmen, sich im Bundesrat dafür einzusetzen, dass die Beiträge zur Pflegeversicherung einerseits zur Finanzierung dieser familienpolitischen Komponente und andererseits zur Verbesserung der Pflegesituation erhöht werden?

Herr Abgeordneter Wahnschaffe, das ist genau das, was immer falsch gemacht wird. Sie haben zugesagt, die Lohnnebenkosten von 41% herunterzufahren, aber Sie haben es in vielen Bereichen einfach versäumt.

(Zuruf des Abgeordneten Wahnschaffe (SPD))

Lieber Kollege Wahnschaffe, jetzt müssen Sie sich erst einmal meine Argumentation komplett anhören. Ich bitte um Nachsicht. 41%-Punkte. Wir beklagen ebenso wie Sie, dass das zu hoch ist. Jetzt könnten wir bei der Arbeitslosenversicherung um ein halbes Prozent herunterfahren. Ich war selbst im Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit. Und wie ist dort argumentiert worden? Kein Zurückfahren der Beitragssituation. Da hätte man ein bisschen Spielraum schaffen können. Diese Politik der Ankündigung, unter 40% bei den Lohnnebenkosten zu kommen, haben Sie nicht eingehalten, obwohl es möglich gewesen wäre.

(Zurufe von der SPD: 1,2% in der Rentenversiche- rung!)

Nun einmal langsam. Da können wir sehr gut argumentieren und dazu müssen wir uns auch sehr viel Zeit nehmen, weil das ein ganz wichtiges Thema ist. Angesichts der demographischen Entwicklung müssen wir uns ohnehin mit diesen sozialen Sicherungssystemen noch wesentlich intensiver auseinandersetzen.

Diese 41%-Punkte sind also zu hoch. Sie, Herr Kollege, schaffen es aber nicht, sie herunterzufahren, obwohl Sie dazu Gelegenheit gehabt hätten. Ich habe damals für den Freistaat Bayern den Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit – immerhin 101 Milliarden DM – abgelehnt, weil Sie nicht in der Lage waren, dieses Versprechen einzuhalten. Wir hätten dies gern eingehalten zum Wohle der Unternehmer und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Lande.

Und nun stellen Sie die Frage: Seid ihr bereit, die Lohnnebenkosten zu erhöhen, indem die Beiträge zur Pflegeversicherung von 1,7%-Punkten weiter erhöht werden? Wenn das die Politik der Bundesregierung ist, dass dann, wenn es nicht mehr langt, die Beiträge erhöht werden, dann ist das eine völlig verfehlte Politik. Sie ist nicht am Wirtschaftsstandort Deutschland orientiert.

(Beifall bei der CSU – Werner (SPD) meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Gerne, Herr Abgeordneter, selbstverständlich.

Herr Staatssekretär, könnte es sein, dass Sie die Frage des Kollegen Wahnschaffe falsch verstanden haben? Er hat doch Sie gefragt, ob mit Ihrer Forderung eine Beitragserhöhung verbunden ist. Wir wollen das nicht. Wir haben die Beiträge in der Rentenversicherung um 1,2% gesenkt.

(Willi Müller (CSU): Das war doch keine Frage!)

Staatssekretär Georg Schmid (Sozialministerium) : Herr Abgeordneter, ich kann sehr wohl nachvollziehen, was Kollege Wahnschaffe gewünscht hat. Deswegen brauche ich Ihre Unterstützung in dieser Frage jetzt nicht, so sehr ich dankbar bin, dass uns die Opposition unterstützt, wenn es darum geht, Fragen richtig zu interpretieren.

Es ist also die Aufgabe der Bundesregierung, dafür Sorge zu tragen, dass sie diese Probleme löst.

(Zuruf des Abgeordneten Werner (SPD))

Ich sage schon noch etwas ganz konkret zur Pflegeversicherung; eines steht fest: Wenn der Kollege Wahnschaffe gemeint haben sollte, dass die Bayerische Staatsregierung einfach einer Erhöhung der Beiträge zustimmt, um alle Probleme der Welt zu lösen, dann kann ich Ihnen nur sagen: Wir machen eine klare und durchsichtige Politik.

(Zurufe von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein, undurchsichtig!)

Das heißt, was wir gesagt haben, halten wir auch ein, nämlich, dass die Beiträge gesenkt und nicht erhöht werden. Sie aber machen genau das Gegenteil.

Jetzt komme ich zur Pflegeversicherung. Herr Kollege Wahnschaffe, wir haben in einer ersten Stufe ganz konkrete Vorschläge gemacht, ohne dass die Beiträge angehoben werden müssen. Sie kennen das doch. Wir wollten die Behandlungspflege herausnehmen und von den Pflegekassen zu den Krankenkassen verlagern. Wir haben konkrete Aussagen gemacht, welche Alternativen es gibt. Trotzdem haben Sie es nicht akzeptiert.

Jetzt frage ich Sie umgekehrt, Herr Kollege Wahnschaffe, und ich wäre dankbar, wenn Sie uns diese Frage irgendwann einmal beantworten könnten: Wenn nun diese zweite Stufe von uns in den Bundesrat eingebracht wird, werden Sie uns dann Ihre Zustimmung

geben? Ich bin gespannt, ob Sie es hier nicht nur bei Worten belassen, sondern auch Taten folgen lassen.

Ich darf noch einen weiteren Punkt ansprechen. Es ist fast nicht mehr mit anzuhören, Kollege Wahnschaffe, wenn Sie das Programm „Ausbilden und Wohnen“ ansprechen und die Situation aus Oberfranken schildern.

(Frau Biedefeld (SPD): Gehen Sie doch einmal nach Oberfranken!)

Liebe Frau Kollegin Biedefeld, ich war gestern zum letzten Mal in Coburg.

(Zurufe von der SPD: Zum letzten Mal? Fahren Sie ruhig noch einmal hin! Das ist super!)

Gestern zum letzten Mal!

(Zurufe von der CSU: Der kommt bestimmt wieder!)

Keine Sorge; ich werde wieder hingehen. Machen Sie sich keine Sorgen. Aber den Unsinn, den Sie uns heute aufgetischt haben, dass wir die Lehrlinge von dort oben abzögen und in den Süden transferierten, das ist schon schlimm.

(Anhaltende Zurufe von der SPD)

Frau Kollegin, ich übermittle Ihnen heute Nachmittag gerne noch die Zahlen. Bisher geht es um höchstens 20 bis 30 Lehrlinge, soweit ich es im Kopfe habe. Und da reden Sie vom Ausbluten Oberfrankens. Also so schlimm ist es in Oberfranken nicht bestellt, wie Sie versuchen es uns hier darzustellen.

(Werner (SPD): Sie sind nicht drauf eingegangen! Das war doch das Entscheidende!)

Also bitte, Kollege. Es geht um 20 bis 30 Leute. Reden Sie doch einmal mit den betroffenen Lehrlingen. Ich habe das Programm in Nürnberg vorgestellt. Eine junge Dame aus Würzburg hatte dieses Programm höchst erfreut angenommen. Das ist nur ein Angebot.

(Frau Radermacher (SPD): Würzburg ist aber nicht Oberfranken!)

Das weiß ich schon, Frau Kollegin, und ich weiß auch, wo die Arbeitsamtsbezirke sind, die keine ausgeglichenen Lehrstellenbilanz haben. Der Ministerpräsident hat mich im Oktober 1999 damit beauftragt, alle die Arbeitsamtsbezirke zu besuchen, in denen wir keine ausgeglichene Lehrstellenbilanz haben. Das ist zugegebenermaßen ein ernstes Thema. Wir haben uns gemeinsam sehr bemüht, eine ausgeglichene Bilanz in diesem Bereich zu schaffen. Dafür wird auch viel Geld eingesetzt.

(Wahnschaffe (SPD): Aber vom Bund!)

Entschuldigung! Das war ein gemeinsamer Beschluss von Gewerkschaften und Arbeitgebern in unserem Bündnis für Arbeit, dem Beschäftigungspakt Bayern.

(Zuruf des Abgeordneten Wahnschaffe (SPD))

Ich kann Ihnen die Zahlen genau vorlegen, Herr Kollege Wahnschaffe.