Das dritte war: Wer dann noch übrig ist, der muss in den politischen Clinch gehen und muss sich halt gegenüber anderen durchsetzen. Wer da übrig geblieben ist, der war politisch ausreichend stark, noch nicht hinreichend alt und nach dem Abgeordnetengesetz noch nicht hinreichend versorgt. Dem musste ein Stimmkreis gesichert werden. Das war in Wahrheit das Gestaltungsprinzip, nach dem Sie dieses Gesetz gemacht haben, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD und Abgeordneten des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CSU: Primitiv!)
Egal, wer in diesem Haus die Mehrheit hat – da hat der Staatsminister Beckstein natürlich recht –, er kann nicht dafür sorgen, dass bei minus zwölf Stimmkreisen alle befriedigt sind. Das gelingt Ihnen nicht – das kritisiere ich übrigens auch nicht –, das wäre uns nicht gelungen und sonst auch keinem.
Um so mehr stellt sich die Frage, ob bei allem unvermeidbaren Übel, auch für uns unvermeidbarem Übel, die dieses „Unheil“ leider herbeiführen muss, dann wenigstens alle sachlichen Kriterien einigermaßen ausgewogen und sachgerecht angewendet wurden. Ich habe Ihnen gerade dargelegt, dass eben dies nicht der Fall ist, und das ist das eigentlich Schlimme an der ganzen Geschichte.
Wir haben – auch das räume ich freimütig ein, Herr Staatsminister Beckstein – zumindest am Anfang der Diskussion durchaus unterschiedliche „Denkschulen“ gehabt. Auch und gerade die Juristen haben sich durchaus nett darüber unterhalten, inwieweit die 15%-Grenze geradezu apodiktisch zu nehmen ist oder ob das eine Richtlinie ist, von der man durchaus abweichen kann, soweit gute Gründe dafür vorliegen.
Die Heranziehung des Bundeswahlrechts ist vom Grundsatz her richtig, aber nicht 1 : 1 zu übernehmen, ganz einfach deshalb nicht, weil sich die tatsächliche Wahlchance eines Bewerbers aus der Kombination von Stimmkreisgröße und Zweitstimmen ergibt. Das ist der Unterschied zum Bundeswahlrecht und zum Bundestagswahlkreis. Deshalb muss zur Erreichung des Wahlgleichheitsprinzips an den Stimmkreis, seine Größe, seine Einwohnerzahl, seine Wählerzahl ein schärferer Maßstab angelegt werden als beim Bundeswahlgesetz. Genau den haben wir überall zu bekommen versucht, die einen mit diesen, die anderen mit jenen Vorschlägen, auch unter uns. Insofern haben Sie Recht, wenn Sie sagen, dass wir zumindest zu Ihrem ersten Entwurf und beim damaligen Debattenstand genau so vielstimmig waren, wie es bei Ihnen auch der Fall war.
Aber spätestens mit meinem Schreiben von Mitte Januar, in dem ich Ihnen, Herr Minister Beckstein, ein Angebot gemacht habe, das wir auf unserer Klausur in Irsee erstellt hatten, haben wir Ihnen klare Prinzipien geliefert, und ich bedauere sehr, dass Sie darauf nicht eingegangen sind. Ich will diese Prinzipien vereinfacht und verkürzt – es handelt sich um ein mehrseitiges
Schreiben – so darstellen: In dem „Schulenstreit“, der wohl auch bei Ihnen vorlag, haben wir gesagt: Wir sind bereit, von der 15%-Klausel dann abzuweichen, wenn die Über- oder Unterschreitung zur Erreichung des Deckungsgleichheitsprinzips herangezogen werden kann bzw. als solche unvermeidlich ist. Ich habe Ihnen die Beispiele genannt – ich will sie hier nicht aufzählen, damit nicht eine Bezugnahme auf eine einzige Gemeinde oder einen einzigen Landkreis gegeben ist –, zum Beispiel mit plus 18,7% bei einer bestimmten Stadt, über die wir des öfteren diskutiert haben. Abweichungen bis 19,9%, wenn dadurch die Deckungsgleichheit des Stimmkreises mit einer Gebietskörperschaft erreicht werden kann, war das Angebot.
Im Umkehrschluss dessen, dass die Überschreitung der zulässigen Grenze von 15% nach oben oder unten gebilligt wird, weil damit das Deckungsgleichheitsprinzip – Stimmkreis ist gleich kommunale Gebietskörperschaft – erreicht werden kann, ergibt sich aber, dass in allen anderen Fällen, also auch dort, wo mit 16, 17, 18% Abweichung diese Deckungsgleichheit nicht erreicht werden kann, wo also das Deckungsgleichheitsprinzip als alleiniges Ordnungsprinzip von vornherein durchbrochen ist, dann der andere Grundsatz, nämlich der der Wahlgleichheit, in besonderer Weise und mit besonderer Dominanz heranzuziehen ist. Das bedeutet, dass es dann in so gut wie keinem Fall mehr zwingend erforderlich ist, 15% als Grenze zu über- oder unterschreiten. Diesen Vorschlag haben Sie verworfen, dagegen haben Sie verstoßen.
Sie haben 10 Überschreitungen im Bereich von 15 bis 20% und 7 Überschreitungen im Bereich von über 20%. Es ist nachweisbar, Herr Minister, dass dies vermeidbar gewesen wäre, wenn Sie sich den beiden Grundsätzen, die ich eben kurz skizziert habe, angeschlossen hätten.
Mehr als 30% Abweichung in der Summe in 17 Stimmkreisen heißt konkret nicht nur, dass die Chancen der Bewerberinnen und Bewerber in unzulässiger, unvermeidbarer Weise ungleich verteilt sind, sondern heißt auch – und da gebe ich den Kommunen Recht, die sich dagegen auflehnen – aus der Sicht der Regionen, der Stimmkreise, der Kommunen, letztlich der Bürgerinnen und Bürger, der Wählerinnen und Wähler, also des Souveräns, dass es eine völlig ungleiche Chance zur Abbildung einer Region auch mit einem zweiten Abgeordneten gibt, als es an anderer Stelle der Fall ist. Das heißt, auch die Chancengleichheit zur Repräsentanz der einzelnen Regionen ist in unzulässiger Weise verletzt worden, meine Damen und Herren, und das ist ein Prinzip, das ich schon ganz gerne vom Verfassungsgerichtshof überprüft hätte.
Meine Damen und Herren, dass der Stimmkreis, Herr Welnhofer, nicht des Ministerpräsidenten – denn nach meiner Kenntnis gibt es keine Stimmkreise für Ministerpräsidenten, sondern für Bewerberinnen und Bewerber um ein Abgeordnetenmandat –,
(Herrmann (CSU): Wer hat denn davon immer geredet? Das waren doch Sie! Sie haben doch den Blödsinn erzählt!)
mit plus 22% ausgestattet werden muss und dafür wohl ein anderer Kollege, dessen Name mir jetzt nicht einfällt, über die Klinge springen wird, wird die CSU diesem Kollegen in angemessener Weise zu versüßen wissen. Aber es ist ein Symptom für das, was an anderer Stelle schon gesagt wurde. Wenn man sich die Grafiken anschaut, die Über- und Unterschreitungen des Normmittels, wird gerade in Oberbayern deutlich, dass in unmittelbarer Nachbarschaft zwei oder drei Wahlkreise liegen, bei denen die Deckungsgleichheit als Ordnungsprinzip zwangsweise durchbrochen ist. Gerade wenn sie durchbrochen ist, muss aber an das Wahlgleichheitsprinzip, also die möglichst identische Größe, ein besonderer Maßstab angelegt werden. Da gibt es aber in unmittelbarer Nachbarschaft völlig willkürlich und ohne jede Not mal über 20% und an einer anderen Stelle minus 18%. Das hätte ich ganz gerne einmal überprüft gewusst.
Politisch ist die Botschaft eindeutig: Wir können diesem Gesetz nicht zustimmen, wenn wir unsere Pflicht nicht getan haben und das Verfassungsgericht angerufen haben, um dieses ungleiche Prinzip überprüfen zu lassen, meine Damen und Herren.
Abschließend, Herr Staatsminister Beckstein: Wir hatten nette Stunden miteinander über ein gutes Jahr. Ich weiß nicht, wie oft wir viele Stunden zusammen waren. Ich darf Ihrem Herrn Spilarewicz und all den Mitarbeitern herzlich danken. Sie waren wirklich kooperativ und hilfreich. Auch Sie, Herr Beckstein, waren mir gegenüber ein netter Mann,
jedenfalls unter vier Augen – Ich will seiner weiteren Karriere ja nicht schaden. In der Zeitung haben wir uns dann natürlich schon mal weniger nett geäußert. Ich nehme Ihnen das nicht übel. Das ist kein Problem.
Aber ich will Ihnen sagen, weil ich das nicht immer tun kann, aber es gehört auch dazu: Sie haben sich mit Ihrem Haus aus meiner Sicht durchaus um eine wirklich sachgerechte Behandlung des Themas bemüht. Sie waren aber Opfer einer CSU, die sich nicht um Sachgerechtheit schert, wenn es um politische Pfründe geht. Das ist die ganze Wahrheit, meine Damen und Herren.
Zu Ihrem „letzten Wunsch“, lieber Herr Beckstein, den Sie vorhin geäußert haben, in diesem Zusammenhang.
Ihren „letzten Wunsch“ wollen wir gerne erfüllen. Wir werden unsere Popularklage zügig vorbereiten und gut begründen. An uns soll es nicht liegen, dass ein von
Ihnen verabschiedetes schlechtes Gesetz auch noch dazu führt, dass die Leute vor Ort nicht wissen, wen sie als Abgeordnetenkandidaten aufstellen sollen. Das wollen wir Ihnen, uns und den GRÜNEN nicht zumuten. Deshalb werden wir das schnell machen.
Ich hoffe und wünsche, dass die Argumente, die auch von CSU-geführten Kommunen, Landkreisen und kreisfreien Städten vorgebracht werden, dasselbe Gehör finden wie die, die wir hier vorgebracht haben. Sie sind vielfach identisch. Das wäre ein Zeichen dafür, dass es nicht nur um Parteipolitik geht, wenn die Frage behandelt wird, wie ein Stimmkreisgesetz aussehen muss, damit das Land gerecht in einem Parlament abgebildet wird. Eine solche gerechte Abbildung findet mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht statt, und wir als Opposition in diesem Hause hoffen, dazu noch mehr Bündnispartner zu finden.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Hoderlein, wie nicht anders zu erwarten, war das Polemik, Polemik und nochmals Polemik und sonst nichts.
Sie sind praktisch mit keinem Wort auf die wirklichen sachlichen Probleme eingegangen. Sie haben keinen einzigen Einzelfall aufgegriffen und diskutiert. Man hat eigentlich den Eindruck, dass Sie sich mit der Sache im Detail überhaupt nicht befasst haben.
Diesen Eindruck hatte man, als man die Rede gehört hat, weil Sie das auch nicht andeutungsweise gezeigt haben.
Polemik, Diffamierung und heiße Luft – dies und sonst nichts haben Sie heute wiederum im Parlament geboten.
Sie haben in der Diskussion über die Stimmkreisreform auch im Rechts- und Verfassungsausschuss eine äußerst schwache Figur abgegeben.
Es gab einige wenige Änderungsanträge, bei denen eine Diskussion zugegebenermaßen möglich war. Aber grundsätzlich haben Sie, meine Damen und Herren, kaum Vorschläge unterbreitet. Sie wollen nur Ihre eigene Klientel schonen. Sie werden Ihrer Verantwortung bei der Umsetzung eines Auftrags der bayerischen Bevölkerung, eine Stimmkreisreform durchzuführen, nicht gerecht.
Für uns ist das alles wirklich nicht einfach gewesen; das muss ganz klar gesagt werden. Aber wenn wir uns nicht der Verantwortung gestellt und die Fakten abgewogen hätten, wären von Ihnen, meine Damen und Herren, keine vernünftigen und ausgewogenen Gesamtvorschläge gekommen, gerade von Ihnen, Herr Kollege Dr. Hahnzog, nicht. Sie haben sich nämlich hauptsächlich – das haben wir in der Diskussion immer wieder erlebt – mit München als dem Nabel der Welt beschäftigt.