Am Beispiel Dachau ist deutlich geworden, dass das Verfahren nach dem Wahlgesetz bei offensichtlichen Wahlmanipulationen unbefriedigend ist. Es dauert zu lange und bringt den örtlichen Wahlausschuss in die Zwangslage, gegen die eigene Überzeugung ein falsches Wahlergebnis als richtig festzustellen, bevor die Wahlprüfung überhaupt beginnen kann. Als Vorbereitung für eine Nachbesserung des Gesetzes wollen wir uns deshalb über andere Fälle berichten lassen, in denen die Kommunalwahlen im März dieses Jahres berichtigt oder aufgehoben wurden. So können wir uns mit einem größeren Erfahrungsschatz an die Gesetzesnovelle machen.
Vorgänge wie in Dachau dürfen nicht mehr vorkommen. Wenn sie aber doch vorkommen, brauchen wir das nötige Instrumentarium, um adäquat reagieren zu können. Schließlich sind wir keine Bananenrepublik.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst zwei formelle Anmerkungen machen. Die erste gilt unserem Antrag. Es ist ein Schreibfehler passiert. Im ersten Tiret, zweite Zeile, muss es statt „Wiesenthau“ „Effeltrich“ heißen. Zweitens: Wir beantragen namentliche Abstimmung.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Kollegin Tausendfreund hat soeben gesagt, was in Dachau passiert ist. In Dachau sind 3500 Wahlscheine mit eidesstattlicher Versicherung für die Briefwahl nicht mehr aufzufinden. Das heißt, wir können die Wirksamkeit, Richtigkeit und Gültigkeit von 3500 Stimmen nicht nachvollziehen, weil wir die eidesstattliche Versicherung nicht nachprüfen können. 404 Stimmzettel sind im Altpapier gefunden worden. Ich frage: Was tun Stimmzettel, die normalerweise sechs Jahre lang aufzubewahren sind, im Altpapier? 370 Stimmzettel sind wegen großer Ähnlichkeit von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt worden. Inzwischen wissen wir, dass es noch wesentlich mehr Stimmzettel sind, die diese Ähnlichkeiten aufweisen.
Was hat das zur Folge gehabt? – Ich gehe zunächst davon aus, dass die Ankündigung der Rechtsaufsicht zutreffend ist, dass es zu den Stadtrats- und Kreistagswahlen Nachwahlen geben wird, aber die Oberbürgermeisterwahl nicht wiederholt wird. Im ersten Wahlgang lagen die beiden Kandidaten nur 193 Stimmen ausei
nander, beim zweiten Wahlgang waren es 73. Inzwischen ist aus den polizeilichen Vernehmungen bekannt geworden, dass der zunächst verhaftete CSU-Stadtrat Aechtner 800 Hausbesuche zugegeben hat. Das ist schon für einen Kandidaten sehr viel. Herr Aechtner hat 800 Hausbesuche zugegeben, bei denen er Stimmen bzw. Stimmzettel gesammelt hat. Es gibt noch einen griechischen Stadtrat und weitere sechs Verdächtige. Geht man davon aus, dass alle gleichermaßen fleißig waren und rechnet man die 800 Hausbesuche hoch, wären dies 6400 Stimmen, die durch solche Hausbesuche eingesammelt und manipuliert worden sind.
Ich nannte gerade die Zahl 193. Es reichen aber schon die Stimmen des Stadtrats Aechtner – 800 Hausbesuche und alle manipuliert –, dass die Oberbürgermeisterwahl nicht richtig zustande gekommen ist; denn es waren – ich betone das noch einmal – 193 Stimmen Unterschied. Bei dieser Sachlage wundere ich mich schon, dass CSU, Staatsregierung und Rechtsaufsicht nicht bereit sind, die Oberbürgermeisterwahl wiederholen zu lassen.
Es kommt eine Besonderheit hinzu. Nach Auskunft des Landeswahlamtes über die Wahlstatistik seit Kriegsende haben die Abweichungen beim Vergleich zwischen der Urnen- und der Briefwahl immer etwa 2% betragen. Erstmals seit Kriegsende ist in Dachau eine Abweichung von 10 bis 12% festzustellen. Diese Abweichung kann keiner erklären; die kann kein Wahlforscher erklären und auch sonst niemand, außer
Jetzt kommt das Entscheidende: Die Wahlen sind angefochten worden. Aufgrund des Dringlichkeitsantrags der SPD ist das Thema bereits im Ausschuss für Kommunale Fragen und Innere Sicherheit diskutiert worden. Damals hat die Staatsregierung ihr Verhalten verteidigt. Das Szenario, das wir damals beschrieben haben, und alle unsere Befürchtungen sind jedoch übertroffen worden. Sie sind so weit übertroffen, dass wir um unsere Rechtsstaatlichkeit Angst haben müssen. Hier geht es um das Wahlrecht.
Machen wir eine Hausaufgabe: Es ist davon auszugehen, dass gerade die Wahl in einem demokratischen Rechtsstaat eines der wichtigsten Rechte der Bürger überhaupt ist, weil sie damit – zwar nur auf Zeit – die Macht vergeben, um die Regierung für den Staat oder die Kommune festzulegen. Wer ein bestimmtes Wahlergebnis nicht haben will – das kann von Staaten wie Simbabwe, anderen afrikanischen Staaten oder von ostasiatischen Staaten gelernt werden –, weil er die Macht nicht verlieren oder sie neu erringen will, wird die Methode der Wahlfälschung anwenden. Wir schicken internationale Wahlbeobachter in solche Staaten, um sicherzustellen, dass die Wahlen ordnungsgemäß stattfinden. Auf die Idee, dass wir internationale Wahlbeobachter nach
Dachau schicken müssen, sind wir bisher noch nicht gekommen. Es sieht so aus, als ob das beim nächsten Mal vielleicht notwendig werden würde.
Weiß man, wer die Macht haben will, weiß man auch sehr schnell, wer gefälscht hat. Hier handelt es sich um einen einzigartigen Vorfall in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik. Die einzig begünstigte Partei in Dachau ist die CSU gewesen – niemand anderer. Zu keinem Unabhängigen, keinem SPDler, keinem FDPler oder GRÜNEN ist eine Stimme übergelaufen. Nein, die Manipulierung war ausschließlich zugunsten der CSU. Meine Damen und Herren, bei Ihnen muss doch die Alarmlampe aufleuchten. Das ist doch Alarmstufe rot. Das ist ein Einbruch in die Demokratie, wie wir ihn in Bayern bis jetzt nicht gehabt haben.
Doch das Innenministerium hat im Ausschuss für Kommunale Fragen und Innere Sicherheit eine große Verteidigungsfront aufgebaut. Der Minister hat sich unheimlich echauffiert und alle eingeschalteten Beamten verteidigt. Er hat sie alle gutgeredet.
Ich gebe ein weiteres Beispiel, das gut beleuchtet, wie die Sache nach der Fälschung weitergelaufen ist: Am 22.03.2002 sind alle Wahlen in Dachau angefochten worden. Die Anfechtungen wurden beim Landratsamt eingereicht. Das Landratsamt Dachau mit seinem angeblichen Spitzenjuristen hat sechs Tage gebraucht, einen Brief zu schreiben, in dem steht, dass erstens die Stadtratswahl noch nicht festgestellt sei und deswegen nicht angefochten werden könne, und zweitens seine Behörde für die Anfechtung der Kreistagswahl nicht zuständig sei, sondern die Regierung von Oberbayern; man habe das weitergeleitet.
Am 17. Mai 2002 ruft einer der Anfechtenden bei der Regierung von Oberbayern an und fragt, was denn nun sei. Er erhält die Auskunft, die Anfechtung sei leider unzulässig, weil die Frist versäumt worden sei. Die am 28.03.2002 eingereichte Wahlanfechtung ist erst am 03.04. eingegangen, hätte aber am 02.04.2002 eingehen müssen. Die Angelegenheit wurde vom Landratsamt Dachau verschleppt. Das ist nicht hinnehmbar. Es ist ein „dicker Hund“,
mitzuteilen, man werde die Anfechtung weiterreichen, sie aber so weit zu verschleppen, dass sie nicht mehr fristgerecht eingehen kann. Das ist das „Sahnehäubchen“, dass man so schlampig oder vorsätzlich arbeitet, um die Anfechtung zu verhindern. Nachdem allerdings entschieden wurde, dass die Wahl zu wiederholen sei, hat die Regierung von Oberbayern schnell eingelenkt und gemeint, sie sei zu einer anderen Auffassung gekommen und werde die Anfechtung für zulässig erklären.
(Heike (CSU): Was soll dann das? – Gegenruf der Frau Radermacher (SPD): Was das soll? – Ich möchte Sie nicht hören, wenn das andere täten!)
Zum Abschluss möchte ich Ihnen die Definition eines Verbrechens mitteilen, wie sie Eingang bei der gemeinsamen Arbeitsgruppe der Justiz und Polizei und später im Gesetz Eingang gefunden hat. Die Definition lautet wie folgt: Organisierte Kriminalität ist die vom Gewinn- – das will ich wegnehmen – oder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind, wenn mehr als zwei Beteiligte – das waren es – unter Einflussnahme auf Politik, öffentliche Verwaltung zusammenwirken. Das ist organisierte Kriminalität.
Ich muss fragen, warum das nicht zur Chefsache gemacht worden ist. Spätestens als die Dimension dessen erkannt wurde, was dort geschehen ist, hätte der Innenminister, wenn nicht sogar der Ministerpräsident eingreifen müssen. Bei der organisierten Kriminalität ist das aber immer anders. Die Paten greifen erst dann ein, wenn es nicht zu ihren Gunsten läuft. Die Paten Stoiber und Beckstein haben nicht eingegriffen.
Das ist der größte Vorwurf, den ich erhebe. Der Skandal besteht nicht darin, dass gefälscht worden ist – das ist schon schlimm genug –, der Skandal ist, dass Beckstein und Stoiber nicht eingeschritten sind.
Stoiber hat tröpfchenweise die Leute bekannt gegeben, die er mit nach Berlin nehmen möchte. Ich wundere mich, dass er nicht John Nkomo genannt hat. Das ist nämlich der Innenminister von Simbabwe. Der würde gut in die Mannschaft passen. Stattdessen hat er Herrn Beckstein in die Mannschaft genommen.
Dazu kann ich nur feststellen: Es wird der falsche Mann nach Berlin mitgenommen. Wie will der, der die Wahlen in Bayern schon nicht kontrollieren kann, die Wahlen auf Bundesebene kontrollieren? Das war eine falsche Entscheidung. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie inständig, in Dachau für Ordnung zu sorgen.
(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Glück (CSU): Wenn das euer Niveau geworden ist, dann gute Nacht. – Gegenruf des Abgeordneten Maget (SPD): Wenn das in Dachau euer Niveau geworden ist, dann gute Nacht!)
(Glück (CSU): Ihr seid schon blind vor lauter Angst vor der Bundestagswahl. – Gegenruf des Abgeordneten Maget (SPD): Die Wahlen fälschen und dann noch frech auftreten!)
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen. Ich achte und schätze meinen Kollegen Prof. Dr. Gantzer sehr, aber was er heute, zumindest zum Schluss, vom Stapel gelassen ist, ist nicht einmal eine Schmierenkomödie, das war eines Abgeordneten nicht mehr würdig.
Frau Kollegin Biedefeld, das Wort Wahrheit aus Ihrem Munde hört sich besonders attraktiv an. Vielen Dank.