Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Bei nüchterner Analyse der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts muss man wohl zu der Feststellung gelangen, dass das Gesetz kein Ruhmesblatt für die bayerische Gesetzgebung war. Deswegen ist für Rechthaberei, wie sie teilweise von der Frau Justizministerin, aber auch von anderen CSU-Kollegen gezeigt wurde, kein Platz. Wir müssen dieses Urteil nüchtern analysieren und daraus die entsprechenden Konsequenzen ziehen.
Meine Damen und Herren, wir wissen aus der Vergangenheit, dass die CSU immer schnell bei der Hand ist, wenn es um strafverschärfende Gesetzentwürfe geht. Wenn es aber andererseits darum geht, für die Umsetzung oder für den Vollzug das dafür erforderliche Personal oder gar Investitionsmittel bereitzustellen, lässt der Eifer erkennbar nach - so auch bei der hier diskutierten Problematik der nachträglichen Sicherheitsverwahrung.
Ich möchte einen Punkt ansprechen, der scheinbar nichts mit dieser nachträglichen Sicherungsverwahrung zu tun hat, in Wahrheit aber eine Facette des Problems berührt, und den Sie bisher weitgehend ausgeblendet haben. Ich spreche von der Schnittstelle zwischen Strafvollzug und Forensik. Bei der Forensik hat die Staatsregierung auch der Eifer verlassen. Obwohl Frau Stewens noch im vergangenen Jahr betont hat, die Versäumnisse vergangener Jahre würden aufgearbeitet und die massiven Sicherheitsmängel in den forensischen Abteilungen der Bezirkskrankenhäuser würden beseitigt, werden im Nachtragshaushalt 2004 die Mittel für die Forensik um 4 Millionen Euro gekürzt. Ich glaube, dies ist kein positives Signal.
Ich möchte ein Problem ansprechen, das in der Landtagsanhörung zur Forensik in Bayern, die wir vor zwei Jahren durchgeführt haben, eine heftige Diskussion ausgelöst hat. Damals hat der sehr renommierte Professor Nedopil, der auch bei vielen Prozessen als Sachverständiger auftritt, Folgendes ausgeführt:
Es wird weiter ansteigen, und zwar aus folgendem Grund: Es wird mit großer Wahrscheinlichkeit doch die nachträgliche Sicherungsverwahrung eingeführt werden.
Es wird in kurzer Zeit in Bayern das Straftäterunterbringungsgesetz geben, das es in BadenWürttemberg schon gibt. Ich möchte jetzt den Anwalt sehen, der vor Gericht steht und einem vergleichbaren Menschen, bei dem solche Überlegungen in Betracht kommen, nicht sagt: Unter diesen Umständen bist du aber im psy
chiatrischen Krankenhaus doch besser aufgehoben. Da gibt es zumindest Lockerungen. In der Sicherungsverwahrung, auch im nachträglichen Straftäterunterbringungsgesetz, gibt es keine Lockerungen. Also ist vorauszusehen, was passieren wird: Es wird zum Anstieg kommen. Das muss man wissen. … Wie man dann damit umgeht, das kann ich jetzt nicht beurteilen.
Das Ganze – und das ist das Dramatische oder eigentliche Tragische – wird keinen zusätzlichen Sicherheitsgewinn bringen.
Meine Damen und Herren, diese Prognose ist so falsch nicht, weil sie nämlich darauf hinweist, dass von den zumindest nach den §§ 20 und 63 des Strafgesetzbuchs Verurteilten, also derjenigen, die nur vermindert schuldfähig oder schuldunfähig sind, nur ein Teil in die Therapie kommt, diese die Therapie in Wirklichkeit aber nicht annehmen, also therapieunwillig oder therapieresistent sind.
In der gleichen Anhörung hat Professor Klein, der Leiter des Bezirkskrankenhauses in Regensburg, Folgendes ausgeführt:
Die ärztlichen Direktoren sind der Ansicht, wenn der Zweck einer Maßregel mit den Mitteln und Möglichkeiten eines psychiatrischen Krankenhauses nicht mehr erreichbar ist, zum Beispiel bei therapieunwilligen Patienten, muss es möglich sein, die Behandlung des betreffenden Patienten abzubrechen.
Warum spreche ich das hier an? - Weil auch ein prominenter Vertreter des Strafvollzugs, nämlich Herr Wilke, der Leiter der Justizvollzugsanstalt Straubing, in der ja bekanntermaßen Leute einsitzen, die langjährige Strafen zu verbüßen haben, ausgeführt hat:
Ich fühle mich berufen, Leute, die Schuld auf sich geladen haben, zu begleiten, wenn sie das abarbeiten. Ich habe aber als Jurist im Strafvollzug Schwierigkeiten, wenn Straftäter, wie in diesen Fällen, ihre Schuld längst abgebüßt haben und nur noch aus Sicherheitsgründen bei uns sind, weil sie draußen aus Krankheitsgründen sofort wieder straffällig würden. Aber es besteht ein Unterschied zu dem Sicherheitsverwahrten, der auch nach Abbüßung seiner Schuld noch sicher verwahrt wird; denn er ist aufgrund seiner Krankheit gefährlich. Ein Kranker gehört in ein Krankenhaus, ich bin jedoch kein Krankenhaus.
Das sagte er als Leiter einer Justizvollzugsanstalt. Er fügte abschließend hinzu, dass diese Problematik bei einer Neufassung des § 63 mitberücksichtigt werden muss.
Ich bringe es auf den Punkt: Es geht nicht nur um Straftäter, bei denen eine Prognose darüber ungewiss ist, ob sie sich straffrei führen können, wenn sie entlassen werden, sondern es geht auch um Straftäter, die erkennbar therapieunwillig sind, die dann letztendlich ein Leben lang in Bezirkskrankenhäusern sitzen und damit Therapieplätze versperren, die für andere sinnvoll und notwendig wären. Was also geschieht mit solchen Straftätern? Gehören sie in eine JVA, gehören sie in eine besondere Anstalt oder gehören sie in ein Bezirkskrankenhaus? Dies sind alles ungeklärte Fragen. Wir haben ja in der Vergangenheit erlebt, dass die Prognosen, die von Gutachtern gegeben wurden, leider nicht immer richtig waren. Deswegen ist also auch § 63, wenn er geändert wird, in dieser Richtung zu ändern. Dies ist ein Gesichtspunkt, den Sie, meine Damen und Herren von der CSU, bisher völlig ausgeblendet haben.
Vielen Dank, Herr Kollege Wahnschaffe. Als Nächster hat Herr Kollege König das Wort. Herr König, bevor ich Ihnen das Wort erteile, möchte ich die Zeitung lesenden Kollegen bitten, die Zeitungen niedriger zu halten, damit die Fernsehaufnahmen nicht behindert werden. - Danke.
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Die Bayerische Staatsregierung und auch die Mitglieder der CSU-Landtagsfraktion sind sich seit Jahren einig, dass es einer gesetzlichen Regelung zur nachträglichen Sicherheitsverwahrung bedarf. Wir haben auch vielfältige Anstrengungen unternommen, um zu dieser gesetzlichen Regelung zu kommen. Dagegen gab und - das muss ich heute wieder feststellen - gibt es im Lager von Rot-Grün wahrscheinlich immer noch unterschiedlichste Meinungen in der Frage, ob es einer solchen gesetzlichen Regelung bedarf oder nicht.
Man hat in der Vergangenheit – ich könnte Ihnen das alles vortragen, will Sie aber damit verschonen - die unterschiedlichsten Gründe gehabt oder vielleicht auch zum Teil gesucht, um zu keiner gesetzlichen Regelung zur nachträglichen Sicherheitsverwahrung kommen zu müssen. Auf Bundesebene war man der Meinung – Rot-Grün hat sich damit herausgeredet -, es gebe keine Gesetzgebungskompetenz seitens des Bundes. Auf Landesebene gab es ein ganz differenziertes Bild. Da gab es - das spreche ich durchaus anerkennend an - einzelne Kollegen in der SPD-Fraktion, namentlich seinerzeit im Innenausschuss, die unser Gesetzgebungsvorhaben sehr aktiv und positiv begleitet haben.
Die überwiegende Mehrheit derer, die in der SPD und bei den GRÜNEN das Sagen haben, haben verschiedenste Gründe gesucht und aus ihrer Sicht auch gefunden, warum sie dagegen sind.
Lieber Herr Kollege Schindler, wir haben dieses Thema nach dem gestrigen Bundesverfassungsgerichtsurteil heute in der Aktuellen Stunde auf die Tagesordnung gesetzt, um Ihnen die Gelegenheit zu geben, endlich zu der Überzeugung zu kommen, dass die gesetzliche Ermöglichung der nachträglichen Sicherungsverwahrung erforderlich ist. Herr Kollege Schindler, aus Ihren Ausführungen konnte ich leider nicht erkennen, dass Sie und die Fraktion der SPD sagen: Jawohl, liebe CSU, wir haben es auch endlich begriffen. Auch wir sind dafür, dass eine gesetzliche Regelung zur nachträglichen Sicherungsverwahrung eingeführt wird.
Sie sagten, dass man darüber reden müsse, wie ein solches Gesetz aussehen könnte. Zwischendurch haben Sie sich sogar zu der Behauptung verstiegen, es gebe keine Fälle mehr, außerdem sei bereits alles geregelt. Auf meinen Einwurf haben Sie zugestanden, dass es einzelne Fälle gibt. Dies wissen wir bereits seit Jahren und weisen immer wieder darauf hin. Lieber Herr Kollege Schindler, Sie haben Ihre Auffassung in dieser Frage leider nicht deutlich gemacht. Sie werden jedoch bei unserem Dringlichkeitsantrag zu diesem Thema die Möglichkeit haben, deutlich zu machen, ob Sie dafür sind oder nicht. Die Antwort auf diese Frage würden wir von Ihnen gerne einmal hören.
Frau Kollegin Stahl, Sie sind bereits gegenüber Ihren f r ü h e ren Äußerungen bei der Gesetzesberatung zurückgerudert.
Sie haben aber nicht deutlich gemacht, ob die GRÜNEN der Auffassung sind, dass es dieser gesetzlichen Regelung bedarf. Auch Sie werden im Rahmen der Beratung unseres Dringlichkeitsantrags die Möglichkeit haben, in dieser Frage Farbe zu bekennen. Herr Kollege Wahnschaffe, Sie haben zu diesem Thema gar nichts gesagt. Sie haben lediglich Meinungen von Professoren zitiert, die uns bereits bekannt sind. Wir haben diese Meinungen seinerzeit zur Kenntnis genommen.
(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Sie haben sie nur zur Kenntnis genommen, aber nichts daraus gelernt!)
Im Übrigen haben Sie jedoch nur Bedenken angeführt und das Bild vermittelt, das in Deutschland seit Jahr und Tag wahrgenommen wird: Diese SPD ist nicht willens und nicht in der Lage, zu Entscheidungen zu kommen.
Diese Wahrheit muss ich Ihnen leider sagen. Jetzt möchte ich Ihnen das vorhalten, was das Bundesverfassungsgericht geschrieben hat, um Ihre Entscheidungsfindung zu beflügeln. Ich muss hinzufügen, dass es dabei nur um eine Handvoll Fälle geht. Derzeit gibt es vier. In diesem Urteil steht:
Der Schutz vor solchen Verurteilten, von denen nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafe schwere Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung anderer mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind, stellt ein überragendes Gemeinwohlinteresse dar.
Wir haben das begriffen. Ich appelliere an Sie, dies auch zu begreifen und dazu ein deutliches Bekenntn i s abzugeben.
Ich möchte noch einmal verdeutlichen, um was es geht: Hier geht es um einzelne und wenige Straftäter, bei denen erst im Rahmen der Verbüßung ihrer Freiheitsstrafe festgestellt werden kann, dass sie nach ihrer Freilassung mit hoher Wahrscheinlichkeit eine eklatante Gefahr für diese höchsten Rechtsgüter der Menschen in unserem Land werden können.
Anhand der Kläger, die vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt haben, können Sie feststellen, um welche Fälle es geht: Ein Beschwerdeführer hat im Jahre 1980 eine siebenjährige Tochter seiner Freundin missbraucht. Im Jahre 1982 hat er eine vierzehnjährige Tochter missbraucht. Außerdem hat er im Jahre 1982 eine Fünfzehnjährige gegen Bezahlung missbraucht und vergewaltigt.
U n s e re Aufgabe ist und bleibt es, unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger vor diesen wenigen gefährlichen Mitmenschen dadurch zu schützen, dass wir eine Gesetzesgrundlage für die nachträgliche Sicherungsverwahrung auf Bundesebene einführen. Ich appelliere an Sie, sich in dieser Frage zu erklären und unserem Dringlichkeitsantrag zuzustimmen. Tun Sie bitte alles, damit Rot-Grün in Berlin endlich zu derselben Überzeugung kommt und dieses Gesetz erlässt.