Protokoll der Sitzung vom 16.03.2004

Planen der Politik, weil sie sich nicht nur am Erhalt des Bestehenden, sondern an der Lebensperspektive der Kinder orientieren. Nur ein familienfreundlicher Staat ist ein zukunftsfähiger Staat. Deshalb dürfen staatliche Hilfen für Familien, für Kinder und Jugendliche nicht zur Manövriermasse haushaltspolitischer Zielsetzungen gemacht werden.

Sehr geehrte Frau Ministerin Stewens, kehren Sie um, verlassen Sie den Pfad, den Sie eingeschlagen haben! Machen Sie eine Politik für alle Menschen in Bayern, machen Sie eine Politik, die das große „S“ im Namen der CSU verdient. Lassen Sie sich nicht „einstoibern“ von einem alten Mann,

(Heiterkeit bei der SPD)

der sich als unheimlicher Sparkönig des Landes versteht, der fortwährend das Wort Zukunft im Munde führt, weil er weiß, dass er keine politische Zukunft hat

(Markus Sackmann (CSU): Da lachen Sie selbst!)

und der deshalb unser schönes Bayern in einen sozialpolitischen Steinbruch verwandeln will für das Denkmal: Edmund der Sparasit.

(Heiterkeit bei der SPD)

Er will das, damit allzeit die Reichen und Wohlgeborenen im Lande

(Zurufe von der CSU)

hören Sie nur zu, es geht noch ein bisschen weiter; ich habe mir Mühe gegeben,

(Prof. Dr. Hans Gerhard Stockinger (CSU): Das kann man aber geschickt verbergen!)

ich habe mich extra hingesetzt und mir etwas überlegt, damit ich Ihnen ein bisschen Freude bereiten kann – zu ihm wallfahren und ihm auf ewig Dank sagen, weil er sie bewahrt hat vor der Geißel der Habenichtse und Bittsteller, derer, die durch Geburt und Lebensumstände zu den Verlierern gehören, zum Beispiel die, die obdachlos sind, die Kinder alleine erziehen, arbeitslos oder krank sind.

Was heißt es für eine allein erziehende Mutter, wenn sie künftig 20 % weniger Landeserziehungsgeld hat, also um ein ganzes Fünftel weniger? Die allein erziehende Mutter mit einem Kind hat künftig 1872 Euro weniger. Das ist sehr viel. Haben Sie so viel Bodenhaftung, um sich vorstellen zu können, wo diese Mutter künftig sparen soll? Sie treiben sie mit Ihren unsozialen Maßnahmen zu Aldi und Lidl. Wo bleibt da die Förderung des ortsansässigen Mittelstandes? Wo, außer bei den Lebensmitteln, soll eine

solche Frau sparen, bei der Miete, bei der Altersvorsorge, bei der Fahrt zur Arbeit, beim Strom, bei der Babynahrung? – Ich weiß es nicht.

Sehr verehrte Frau Ministerin Stewens, liebe Kolleginnen und Kollegen der Mehrheitsfraktion, kehren Sie um, machen Sie nicht den Esel für die Stoibersche Sparpolitik.

(Zuruf des Abgeordneten Markus Sackmann (CSU))

Folgen Sie unseren Vorschlägen im Interesse der Zukunft unserer Kinder und im Interesse Bayerns.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Steiger, dann Frau Tolle. Wir mischen das etwas, weil wir sehr viele Redner von der SPD haben.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Die für Soziales zuständige Frau Ministerin hat bei ihrer Pressekonferenz am 19.01. dieses Jahres verkündet:

Das Jahr 2003 war ein besonders erfolgreiches Jahr für die Integration von Menschen mit Behinderung.

Sie sagte weiter:

Politik für Menschen mit Behinderung ist eine Daueraufgabe und wird uns auch in Zukunft ständig vor die Herausforderung stellen, die Teilhabe und Integration von Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft weiter zu sichern.

In seiner Regierungserklärung hat der Ministerpräsident gesagt, die Politik für Menschen mit Behinderung sei eine Daueraufgabe von hoher Priorität. Soweit das gesprochene Wort.

Was machen Sie jetzt mit diesem Haushalt? – Sie tun genau das Gegenteil. Die Mittel für den Landesplan für Menschen mit Behinderung werden um 20,81 % gekürzt, die Mittel für den Landespsychiatrieplan um 31,48 % und das Blindengeld um 15 %.

(Karin Radermacher (SPD): Unglaublich!)

Das ist eine Schande.

(Beifall bei der SPD – Susann Biedefeld (SPD): Das schimpft sich Sozialpolitik!)

Das ist ein Wortbruch, ein Aushöhlen des Bayerischen Behindertengleichstellungsgesetzes und richtet sich gegen das Wort der Verfassung. Vor allem

ist es deshalb eine Schande, weil Sie mit diesen Kürzungen Netzwerke für Menschen mit Behinderung kaputtschlagen. Das Blindengeld ist kein Almosen, sondern ein Ausgleich für deutliche Mehraufwendungen. Der Bayerische Blinden- und Sehbehindertenbund hat sich bereit gezeigt, Opfer zu bringen. Sie danken diese Bereitschaft mit einer überproportionalen Kürzung. Darauf, was das für die einzelnen Menschen bedeutet, wird mein Kollege Achim Werner noch genauer eingehen.

Es ärgert mich über die Maßen, dass Herr Staatssekretär Heike bei der Landestagung des Blinden- und Sehbehindertenbundes auch noch erklärt hat, er achte schon sehr darauf, dass die Blinden und Sehbehinderten nicht allzu sehr belastet werden.

(Susann Biedefeld (SPD): Das sagt er immer! Leere Versprechungen!)

Das gehört zum Thema „Dichtung und Wahrheit“.

(Beifall bei der SPD)

Sie wollen Kürzungen im investiven Bereich des Landesbehindertenplans. Sie wollen Kürzungen bei Einrichtungen für geistig behinderte Menschen. Ihnen ist egal, dass da noch ein deutlicher Mehrbedarf besteht; denn die Zahl der behinderten Menschen steigt etwa bis zum Jahr 2017. Vor allem besteht ein Nachholbedarf bei den Investitionen, vor allem beim Erhalt und der Renovierung von Einrichtungen; die sind zum Teil 20 oder 30 Jahre alt, manche sogar noch älter. Hier muss investiert werden. Jetzt kommen behinderte Menschen ins Rentenalter; für diese Menschen brauchen wir Plätze. Was geschieht denn mit einem behinderten Menschen, wenn die Eltern selbst pflegebedürftig werden oder wenn die Eltern nicht mehr leben?

Wo soll er oder sie denn hin? Wir brauchen diese Einrichtungen also.

Sie streichen aber die Investitionen zusammen, und die Abfinanzierung bisheriger Baumaßnahmen wird über Jahre hinausgeschoben. Sie sollten sich wirklich einmal vor Augen führen, was die Wohlfahrtsverbände dazu sagen, was die Träger dazu sagen. Es vergeht kein Tag, an dem nicht die Caritas, die Diakonie, das BRK, der VdK, die Arbeiterwohlfahrt oder wer auch immer deutlich auf die Folgen hinweist. Das Schwarzbuch der Caritas zum Sozialabbau, zu den Kürzungen im Sozialbereich spricht auch eine deutliche Sprache. Ich darf Ihnen den bayerischen Landescaritas-Direktor, Herrn Prälat Zerrle, zitieren, der sagt: Sie sparen auf Kosten von Menschen mit Behinderung, das heißt weniger Wohnstattplätze, weniger Werkstattplätze, weniger Wohnplätze. Wo sollen junge Menschen mit Behinderung arbeiten, wo sollen alte, behinderte Menschen wohnen? Auch hier sind wieder die Familien betroffen.

Ähnliches gilt auch für den Landespsychiatrieplan. Die Anhörung im sozialpolitischen Ausschuss letzte Woche hat uns über die Maßen bestätigt, wie wichtig und wie notwendig eine Fortschreibung ist und wie wichtig und wie notwendig auch hier gerade Investitionen sind.

(Beifall bei der SPD)

Die Staatsregierung und die CSU-Mehrheitsfraktion haben sowohl hier als auch im Ausschuss und bei allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten, überall, bei allen möglichen Veranstaltungen in Bayern immer wieder auf das soziale Bayern und auf die Stärkung des sozialen Bayern hingewiesen.

(Zuruf von der SPD: Das war einmal!)

Diese überproportionalen Kürzungen sind in höchstem Maße unsozial. Mehrfach wird der Hebel angesetzt, da die Kürzungen im Finanzausgleich der Kommunen eine Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderung, die im bayerischen Gleichstellungsgesetz festgeschrieben ist, nicht mehr möglich macht. Die fehlende Finanzausstattung der Bezirke führt zum Beispiel dazu, dass der Bezirk Oberfranken ab April die Betreuung von behinderten Kindern in den Ferien aufgekündigt hat. Was sollen denn die Eltern machen? Was soll denn zum Beispiel eine allein erziehende Mutter machen? Sieben Wochen Urlaub macht kein Arbeitgeber mit. Soll sie ihren Beruf aufgeben und dann Sozialhilfe beziehen? Ist das dann besser? Ich verstehe nicht, was Sie hier tun.

(Zuruf von der SPD: Wir auch nicht!)

Wie sollen denn die Träger der Einrichtungen, die Wohlfahrtsverbände, die die Aufgaben des Staates übernommen haben, bei diesen Kürzungen seriös weiterarbeiten können? Bitte erklären Sie uns dies einmal. Wir verstehen es nicht.

Die Träger haben Verantwortung für die Menschen mit Behinderung und für die Beschäftigten übernommen. Sie als Staatsregierung haben Wortbruch begangen, und Sie als CSU-Mehrheitsfraktion tragen dieses mit; Sie nicken es schlichtweg ab. Ministerpräsident Stoiber hat in seiner Regierungserklärung ausgeführt – ich zitiere –: Bei allen Entscheidungen der kommenden Jahre werde ich deshalb auf die soziale Balance und den sozialen Frieden achten. Ich frage Sie: Wo ist denn hier eine soziale Balance? Wo ist denn angesichts dieser massiven Kürzungen ein sozialer Frieden für behinderte Menschen?

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Sie haben jetzt die Chance, das „sozial“, das in Ihrem Parteinahmen steht, wörtlich zu nehmen, und hier die letzte Gelegenheit, unseren Anträgen zuzu

stimmen und diese unsozialen und auch unchristlichen Kürzungen nicht in Kraft treten zu lassen. Gerade Sie als Sozialpolitiker sollten sich wirklich überlegen – Herr Unterländer, Herr Imhof, Sie sitzen hier so schön in Eintracht –, dass es wichtig ist und dass es notwendig ist, dass Menschen die Möglichkeit haben, selbstbestimmt zu leben, dass sie die Möglichkeit zur Integration haben und was es für deren Zukunftschancen bedeutet - dies gilt sowohl für behinderte als auch für chronisch kranke Menschen. Dies wird durch diese Kürzungsmaßnahmen schlichtweg ausgegrenzt und in Frage gestellt.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Frau Tolle, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie sparen an den sozial Schwachen. Im persönlichen Gespräch kann man immer wieder einmal hören, dass Sie dazu stehen. Mich hat heute zutiefst betroffen gemacht, dass Sie anscheinend doch Angst haben, dass mündige Bürger in München ihre Meinung kundtun, und diesen Landtag durch ein hohes Polizeiaufgebot absperren lassen. Dies finde ich zutiefst beschämend.