Protokoll der Sitzung vom 30.06.2004

Wir verlieren, da eine Frau in Abschiebehaft genommen werden muss, was mit Sicherheit rechtswidrig wäre, oder weil wir sie rauslassen. Dann wäre jemand erfolgreich, der sich mit aller Massivität und Brutalität und auch mit Verletzung von Personen, die die Aufgabe haben, die Abschiebung durchzuführen, der Abschiebung widersetzt. Das können wir auch nicht hinnehmen.

Jeder weiß – das gilt sowohl für den Petitionsausschuss des Bundestages als auch für den Petitionsausschuss des Landtages –, dass die Rechtsordnung, für die Abgeordnete da sind, in solchen Fällen nicht eine Überprüfung durch parlamentarische Ermessensgremien, sondern durch unabhängige Entscheidungsgremien vorgesehen hat. Der Einzelfall wird abschließend vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge geprüft. Das sind unabhängige Entscheider. Die Unabhängigkeit der Entscheider wird durch das Zuwanderungsgesetz eingeschränkt. Aber auch heute ist es schon möglich, dass die Bundesregierung im Einzelfall auf Entscheider gewissen Einfluss nehmen kann, jedenfalls durch Weisungen in Bezug auf Abschiebungshindernisse und Ähnliches. Das ist nicht erfolgt. Unabhängige Gerichte haben den Fall überprüft. Wir sind nicht betroffen.

Deswegen muss ich sagen: Jeder von Ihnen weiß, dass es nichts anderes als Spiegelfechterei ist, wenn wir den Fall an den Bundestag abgeben. Jeder weiß, dass der Bundestag nicht sagen wird: Wir greifen in die Unabhängigkeit des Bundesamtes und in die Unabhängigkeit der Gerichte ein. Sie können das hier zwar öffentlich so darstellen –

daraus lässt sich etwas Schönes machen –, aber dies hilft in Wirklichkeit nicht.

Ich appelliere an Sie: Wenn Sie der Frau helfen wollen, dann sorgen Sie dafür, dass der deutsche Botschafter in Eritrea dabei ist, wenn sie ankommt. Das kann jederzeit gemacht werden. Die Deutsche Botschaft wird dann dafür sorgen, dass in diesem Einzelfall keinerlei Nachteile entstehen und dass die Frau von der Freizügigkeit, also auch von einer Ausreise zum Beispiel in den Sudan oder nach Libyen, so wie sie das in der Vergangenheit gemacht hat, wieder Gebrauch machen kann. Dies wäre ein Weg zur Reduktion praktischer Schwierigkeiten.

Ich sage noch etwas. Ich bin überzeugt: Wenn man dieser Frau eine Perspektive gäbe, zum Beispiel auch Geld, um sich dort eine Existenz aufbauen zu können, dann würde sie vielleicht sogar wieder feststellen, dass ihr richtiges Alter das ist, das im Pass steht und das sie bei der eritreischen Befreiungsfront angegeben hat, nicht das Alter, das sie im Asylverfahren angegeben hat. Sie hätte dann wieder eine vernünftige Lebensperspektive. Das ist meines Erachtens der richtigere Weg als dieses Hin-und Hergeschiebe, an dessen Ende wir uns fragen: Warum sind Leute vier, fünf, sechs Jahre in Deutschland?

Alles ist untersucht worden. Im Juni wurde die Frau nochmals hinsichtlich der psychischen Situation, der Reisefähigkeit und Flugtauglichkeit untersucht. Es gibt keine Hindernisse, über die Landesbehörden zu entscheiden hätten. Deswegen muss in diesem Fall leider – ich sage sehr deutlich „leider“ – das Recht durchgesetzt werden. Ich bitte, den Anträgen von Rot und Grün nicht zuzustimmen.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Schindler.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Selbstverständlich ist ein rechtsstaatlicher Vollzug der Gesetze ein ganz hohes Gut, das es zu verteidigen gilt. Es ist aber auch so, dass beim Vollzug von Gesetzen, sei es nun beim Vollzug einer Baugenehmigung oder beim Vollzug des Ausländerrechts, immer wieder Fälle bekannt werden, bei denen man sehr schnell merkt, dass das vorhandene gesetzliche Instrumentarium nicht ausreicht.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Weil das so ist, gibt es auf allen Ebenen das anerkanntermaßen mit Verfassungsqualität ausgestattete Recht der Petition. Selbstverständlich kann es die Aufgabe eines Petitionsausschusses nicht sein, quasi nur als Notar zu fungieren, ob die Verwaltung alles richtig gemacht hat oder nicht.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Selbstverständlich beanspruchen die Petitionsausschüsse und die Parlamente nicht, Entscheidungen aufheben zu wollen – mitnichten! –, sondern sie beanspruchen für

sich bei bestimmten Konstellationen einen Entscheidungsspielraum, wo dann ausdrücklich gesagt wird: außerhalb des Gesetzes, neben dem Gesetz. Insofern ist das eine Gnadenentscheidung, sei es nun bei einer Baugenehmigung oder sei es bei einem Ausländer.

Herr Kollege Schindler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen König?

Herr Kollege Schindler, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die dem Vollzug zugrunde liegenden Entscheidungen eben gerade nicht hier getroffen werden, wie mehrfach und immer wieder ausgeführt wurde, und dass am Ende leider kein Ermessen bleibt?

Herr Kollege Schindler.

Selbstverständlich bin ich bereit, das zur Kenntnis zu nehmen, Herr Vorsitzender König; ich bitte aber, doch auch zur Kenntnis zu nehmen, dass dann, wenn es anerkanntermaßen um ein schwieriges menschliches Schicksal geht – das hat auch der Herr Innenminister so ausgeführt –, dieses Haus unangemessen reagiert, wenn es nur darauf verweist, dass irgendwer zuständigkeitshalber irgendetwas entschieden hat.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜ- NEN)

Ich habe kein Problem, hier auch zu sagen: Es mag sein, dass sich der Bundesaußenminister, der Bundesinnenminister, der Präsident des Bundesamtes irren. Das kann sein.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Es kann auch sein, dass sich der bayerische Staatsminister des Innern und seine Verwaltung irren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das kann sein, möglicherweise sogar in diesem Fall. Das kann so sein. Selbstverständlich kann ich mich auch irren. Ich maße mir auch nicht an zu entscheiden. Alles, was wir wollen, ist, nachdem vorgetragen worden ist, dass es neue Umstände, Erkenntnisse usw. gäbe, nochmals die kleine Chance zu ergreifen, diese Petition an den Bundestag abzugeben.

Es wird immer gesagt, dort würde formblattmäßig entschieden. Herr Staatsminister Dr. Beckstein, Sie werden sich an den Fall Aslanian erinnern, den der Petitionsausschuss des Bundestags sehr wohl im Einzelnen behandelt hat und der dann auch eine Empfehlung abgegeben hat, die aber der Bundesinnenminister zu meinem Bedauern nicht vollzogen hat. Es ist nicht so, wie hier dargestellt wird, dass der Bundestagspetitionsausschuss nur formblattmäßig entscheiden würde. So ist es nicht. Wir sollten diese Chance ergreifen. Was spricht denn dagegen? Was spricht denn dagegen, außer dass Sie sagen: Uns reicht es; wir wollen nicht mehr.

Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Kollegen König? –

Herr Kollege Schindler, werden Sie denn die einzige Chance wahrnehmen, die es noch gibt, wie der Herr Innenminister ausgeführt hat, und Ihre eigenen Entscheidungsträger anrufen, denen Sie unterstellen, dass sie geirrt haben und falsche Entscheidungen getroffen haben? Werden Sie diese einzige Chance wahrnehmen oder nicht?

Herr Vorsitzender König, ich habe nicht gesagt, dass sich die von Ihnen Genannten geirrt haben. Ich habe die Möglichkeit in den Raum gestellt, dass sie fehlbar sind, genauso fehlbar wie auch andere. Weil das so ist,

(Zurufe von der SPD und von der CSU)

haben wir doch die Petition und treffen wir gelegentlich auch Entscheidungen, die wir gegen die Verwaltung durchsetzen. Erst letzte Woche hatten wir im Verfassungsausschuss die nochmalige Überprüfung von zwei Berücksichtigungsbeschlüssen des Petitionsausschusses, zu denen die Verwaltung, die Staatsregierung sagt: Das ist rechtswidrig, nachgerade sogar verfassungswidrig.

Dennoch gibt es diese wenigen Fälle, in denen das Parlament sagt: Wir sehen das anders. In diesen wenigen Fällen wird dann ein Auge zugedrückt und die Welt geht davon nicht unter.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zusatzfrage des Herrn Kollegen Werner?

Herr Kollege Schindler, nachdem Herr Kollege König auf die Tagung der vergangenen Woche hingewiesen hat, wo wir gelernt hätten, dass so etwas im Bundestag gar nicht möglich sei, würden Sie ihm bitte freundlicherweise ausrichten, dass ich bei dieser Sitzung einen Bericht des Petitionsausschusses bekommen habe, in dem vier oder fünf ausländerrechtliche Petitionen dargestellt wurden, von denen einige sogar positiv für die Petenten ausgegangen sind?

Herr Kollege Werner, ich glaube, der Herr Vorsitzende König hat das zur Kenntnis genommen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine letzte Bemerkung: Weil die Zusammenhänge so sind, findet sich in dem Entwurf für das Zuwanderungsgesetz, das in diesen Tagen auf der Bundesebene abschließend behandelt wird, ein § 23 a, wenn ich mich recht erinnere, in dem steht, dass auch dann, wenn das neue Aufenthaltsgesetz keine gesetzliche Möglichkeit zur Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung vorsieht, die Landesregierungen eine Härtefallkommission für solche Fälle einrichten können.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

So richtig es auch ist, wenn Sie sagen, dass dem Recht zu seiner Geltung verholfen werden müsse: Wir müssen die Notwendigkeit einer Härtefallkommission anerkennen. Die Existenz von Petitionsausschüssen und Petitionen, ausgestattet mit Verfassungsqualität, ist der Beweis dafür, dass es neben den Gesetzen noch einen Rechtsraum gibt, selbst wenn dieser nicht reglementiert ist. Deshalb bitten wir Sie, in der vorgeschlagenen Weise zu entscheiden. Ihnen fällt dabei kein Zacken aus der Krone. Möglicherweise – ich kann das nicht beurteilen – können wir dieser Frau in einer ganz schwierigen Situation helfen, möglicherweise auch nicht. Wir sollten jedoch den Strohhalm ergreifen und diesen Fall noch einmal überprüfen. Das sollte uns die Sache wert sein.

(Beifall bei der SPD und beiden GRÜNEN)

Weitere Wortmeldung: Herr Kollege Boutter.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Kolleginnen und Kollegen! Als Berichterstatter erlaube ich mir, noch einmal zum Rednerpult zu gehen. Herr Kollege Dr. Beckstein, insbesondere Ihre Ausführungen haben die Kolleginnen und Kollegen der CSU dazu gebracht, zu dem ehemaligen Beschluss zu stehen. Herr Kollege König hat darauf hingewiesen, dass bei den Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Beckstein nachdenkliche Mienen bei der SPD und bei den GRÜNEN zu sehen waren. Herr Kollege König, ich habe auch auf der Seite der CSU-Fraktion im Petitionsausschuss nachdenkliche Mienen gesehen.

(Alexander König (CSU): Wir haben es uns auch nicht leicht gemacht!)

Herr Dr. Beckstein, die Argumentation, im Fall von Eritrea bestünde kein Abschiebestopp und deshalb liege die Verantwortung in dieser Sache beim Bund, ist nicht stichhaltig. Liebe Kolleginnen und Kollegen, stellen Sie sich einmal einen Eritreer vor, der seinen Wehrdienst geleistet und ansonsten keinen Grund hat, nach Deutschland zu kommen. Dieser Eritreer hätte keinen Asylgrund und würde nach Eritrea zurückgeführt. Warum soll Bundesaußenminister Fischer oder wer auch immer für solche Leute einen allgemeinen Abschiebestopp aussprechen?

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr Staatsminister Dr. Beckstein, der Zusammenhang, den Sie im vorliegenden Fall, über den wir hier zu entscheiden haben, hergestellt haben, ist daher nicht richtig.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

In diesem Einzelfall, den wir hier vorliegen haben, gibt es mit der Flucht vor dem Wehrdienst, mit der Zugehörigkeit einer in Eritrea grundsätzlich verbotenen Oppositionsgruppe und dem Stellen eines Asylantrags im Ausland drei Gründe, die von Amnesty International und von der UNHCR als Hindernisgründe anerkannt sind. Bezüglich der Wehrpflicht haben Sie darauf hingewiesen, die Dame

hätte keinen Einberufungsbescheid erhalten. Frau Kollegin Scharfenberg hat bereits darauf hingewiesen, dass es in Eritrea keinen Einberufungsbescheid gibt. Die Dame konnte auch bei den allgemeinen Einschreibungsaktionen nicht erfasst werden, weil sie in den letzten zehn Jahren nur einen Monat in Eritrea war.

Möglicherweise haben Sie mir bei der Einführung nicht richtig zugehört. Nachdem sie in Eritrea keine Aufenthalts- bzw. keine Arbeitserlaubnis mit dem Hinweis erhalten hat, sie müsse zuerst ihren Wehrdienst leisten, ist sie sofort wieder ausgereist. Sie hatte Angst davor, dass sie den Wehrdienst leisten muss und dass dabei herauskommt, dass sie vor dem Wehrdienst geflohen ist. Somit sticht auch Ihr zweites Argument bezüglich des Wehrdienstes und des Einberufungsbescheides nicht.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)