Protokoll der Sitzung vom 11.11.2004

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Das ist Teil des demokratischen Prozesses!)

Nun zu Ihrem Dringlichkeitsantrag. Was die Versorgungsdefizite, die Sie bei den Kindertagesstättenplätzen ausmachen, betrifft, stelle ich fest, es gibt sie hauptsächlich in SPD-regierten Städten.

(Zurufe von der SPD: Was gibt es da!)

In München zum Beispiel haben ganze Regionen einen absolut unterdurchschnittlichen Ausbausatz an Betreuungsangeboten. In meinem Stimmkreis gibt es Regionen mit einer Versorgungsquote von 68 bis 69 % bei Kindertagesstätten. Ich gebe zu, es gibt Regionen, wo es besser aussieht.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das Angebot an Krippenplätzen in der Stadt München ist fast so groß wie das Angebot in ganz Bayern. – Weitere Zurufe von der SPD)

Schauen Sie sich erst einmal die Verantwortlichkeit Ihrer Kommunalpolitik an.

Eltern haben in diesem Gesetzentwurf Wahlfreiheit. Bildung und Erziehung werden auch weiterhin im Mittelpunkt stehen.

Ein besonderer Knackpunkt für die Ablehnung des Antrags ist, dass Sie – beide Fraktionen – die völlige Umfinanzierung und Abschaffung des Landeserziehungsgel

des fordern. Wir haben insofern mit großen Schmerzen im Nachtragshaushalt auf Realitäten reagiert und Kürzungen vorgenommen. Aber nach wie vor gilt: Das Landeserziehungsgeld ist – gerade für sozial schwächere Familien – eine wichtige sozialpolitische Leistung.

(Zuruf von der SPD)

Wenn Sie diese Leistung abschaffen wollen, finanzieren Sie innerhalb der Familie um. Das kann nicht unser Weg sein.

(Beifall bei der CSU – Zuruf der Abgeordneten Johanna Werner-Muggendorfer (SPD))

Schauen Sie sich einmal die jüngste Studie des Kinderhilfswerkes an, die eine Bestätigung für bisherige Erkenntnisse ist.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Aber als Kritik an der Staatsregierung!)

Betrachtet man da das Armutsrisiko, ist es familien- und gesellschaftspolitisch der falsche Ansatz, diesen Weg zu gehen.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Büchergeld! – Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

Ich weiß nicht, warum Sie sich so aufregen. Anscheinend trifft man Sie besonders, wenn man Ihnen Ihre Widersprüchlichkeiten vorwirft.

(Margarete Bause (GRÜNE): Das sind Unwahrheiten!)

Im Gegensatz zu dem, was auf Bundesebene diskutiert wird, haben wir ein seriös finanziertes Ausbauprogramm erstellt.

Das möchte ich bei dieser Gelegenheit sagen. Das ist anders als die Finanzierung des nebulösen Tagesstättenbetreuungsgesetzes auf Bundesebene, das von SPD und GRÜNEN auf einem absolut ungedeckten Wechsel erfolgen soll; die Finanzierung soll aus den Mehrerlösen, die bei den Kommunen wegen Hartz IV entstehen, vorgenommen werden. In diesem Zusammenhang muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen: Auf diese Weise wird anderen Sand in die Augen gestreut, es ist eine unseriöse Politik und wir stehen demgegenüber mit einer finanziell soliden Konzeption und so soll es auch bleiben.

(Beifall bei der CSU)

Die Situation der Kommunen hat natürlich auch aufgrund der Anwendung des Konnexitätsprinzips zu einer Kompromisslösung bei diesem Gesetzentwurf geführt. Nicht alles, was fachlich wünschenswert ist, konnte unter dem Gesichtspunkt der finanziellen Gegebenheiten der Kommunen realisiert werden. Dazu sage ich Ihnen eines: Wenn Sie die Situation der Kommunen völlig negieren, wird es uns nicht gelingen, bei möglichen Veränderungen und Verbesserungen die Kommunen tatsächlich ins Boot zu holen. Sie dürfen nicht so tun, als würde es keine finanziellen Probleme bei den Kommunen geben. Auf der einen Seite kritisieren Sie angeblich unzureichende Leis

tungen im Rahmen des Finanzausgleichs und auf der anderen Seite belasten Sie die Kommunen zusätzlich auf allen Ebenen, für die Sie Verantwortung tragen. Das nenne ich in diesem Zusammenhang unseriös.

Ich sage aber auch: Wir müssen aufpassen, dass bei einem freiheitlich orientierten Gesetz kein Standardabbau erfolgt, sondern dass wir eine Qualitätssicherung erreichen. Deswegen ist es notwendig, dass die Kinderbetreuung, die Förderung der Familien und die Pädagogik auf der Basis des Bildungs- und Erziehungsplans bei den Kommunen Priorität hat. Ich teile die Meinung von Frau Ackermann, was das kostenfreie verpflichtende letzte Jahr anbelangt; es geht zulasten von Vielfalt. 98 % der Kinder gehen bereits in Einrichtungen. Aus sozialen Gründen gibt es auch andere Möglichkeiten über das Kinder- und Jugendhilferecht.

(Zurufe der SPD)

Die Anhörung hat teilweise zu einer Revision von Positionen von Verbänden geführt, die von vornherein in den Dialogprozess einbezogen waren. Sie haben dann aber in weiteren Beratungen und bei der Anhörung zum Teil Korrekturen vorgenommen. Schauen Sie sich in diesem Zusammenhang die Protokolle sehr genau an.

Wir werden intensive Beratungen zu diesem Gesetzentwurf zu gegebener Zeit haben. Ich denke, es muss unser gemeinsames Ziel sein, im Interesse der betroffenen Kinder, und der Einrichtungen, der Mitarbeiter sowie vor allen Dingen der Familien ein qualitätsvolles zukunftsweisendes Gesetz zu schaffen. Das werden wir im Zuge der Beratungen erreichen, aber nicht, indem wir einem Schnellschuss über Dringlichkeitsanträge zustimmen. Ich denke, dass dies der falsche Weg ist.

(Beifall bei der CSU)

Als Nächste hat Frau Kollegin Dr. Strohmayr das Wort.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Mir zeigt schon die Anwesenheit der Mitglieder der Mehrheitspartei das Interesse auf Ihrer Seite. Das ist schade, da uns doch gerade Herr Unterländer versichert hat, es gäbe in Ihrer Partei einen Dialogprozess. Ich kann leider weder von einem Dialogprozess noch von Interesse irgendetwas feststellen.

(Beifall bei der CSU)

Das Gesetzgebungsverfahren zum Kindertagesstättengesetz eröffnet viele Chancen und umso enttäuschender ist der jetzt von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf. Der Entwurf ist ein Schlag in das Gesicht von Kindern, Eltern, Erziehern, Wohlfahrtsverbänden, Kommunen und anderen Trägern. Ich habe insbesondere die Kinder an erster Stelle genannt, weil Sie, Herr Unterländer, diese in Ihrem Vortrag vergessen haben, obwohl diese doch im Vordergrund stehen müssten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Heute haben wir eine Petition mit 17 000 Unterschriften – Unterschriften von Eltern und Erziehern – überreicht bekommen, das ist eine unheimlich große Anzahl von Menschen, die sich für das Wohl ihrer Kinder einsetzen. All denen ist klar, dass es in Ihrem Entwurf nicht um Verbesserungen geht, und zwar weder in qualitativer noch in quantitativer Hinsicht. Es geht nicht um Pädagogik, es geht nicht um Kinder, es geht Ihnen allein – ich sage das ausdrücklich – um Kostenneutralität und Sparen um jeden Preis.

(Beifall bei der SPD)

Bei der Anhörung im Landtag zu den Fragen der künftigen Finanzierung der Kindertagesstätten und zum Bildungs- und Erziehungsplan wurde deutlich: Das Gesetz stößt bei Fachleuten auf einhellige Ablehnung. Selbst die Berater der Staatsregierung waren sich einig, dass der vorgelegte Gesetzentwurf widersprüchlich ist und die Situation bei der Kinderbetreuung in keinster Weise gerecht wird. Ich nenne hier die Hauptkritikpunkte: Finanzierungs-, Bildungs- und Erziehungsplan passen nicht zusammen. Frau Muggendorfer hat vorhin schon die Entstehungsgeschichte angesprochen. Es ist klar, dass das nicht zusammen passen kann. Zuerst wird über die Finanzierung nachgedacht und dann kam die Einsicht, dass das alleine für ein Kindertagesstättengesetz wohl nicht ausreicht und so wurde schnell ein Bildungs- und Erziehungsplan in Auftrag gegeben. Nach Abschluss der Auswertung des Bildungs- und Erziehungsplans wurde dann schnell die Finanzierung in ein Gesetz gegossen und so ist es folgerichtig, dass wir jetzt ein Gesetz ohne Ausführungsverordnung beschließen sollten, in der sich letztlich der Bildungs- und Erziehungsplan wiederfinden soll. Dieses Verfahren zeigt, was Ihnen wichtig ist, nämlich die Finanzierung und die Tatsache, dass Sie ein kostenneutrales Gesetz und damit ein Spargesetz auf den Weg bringen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Mit dem gleichen Geld soll künftig die Betreuung von mehr Kindern finanziert werden als bisher. Das kann doch nur möglich sein, wenn entweder die Qualität abnimmt, indem Gruppen vergrößert werden, oder die Elternbeiträge angehoben werden. Beides ist unverantwortlich. Nach Ihrem Gesetzentwurf jedoch wird dies Realität sein. Wer es mit frühkindlicher Bildung und Erziehung ernst meint, der muss Bildungsziele und Qualitätsstandards im Gesetz festlegen und die Finanzierung danach ausrichten und nicht mit komplizierten Modellen zur Finanzierung Betroffene täuschen. Wir haben jetzt die Chance – ich sage ausdrücklich: „jetzt“, weil ich auf Herrn Unterländer eingehen möchte. Wir haben diesen Antrag ganz gezielt jetzt gestellt, da nur jetzt die Regierung ihren Eigenentwurf verändern kann. Das kann sie nach der Einbringung nicht mehr; dies müsste Ihnen bekannt sein.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Außerdem wollten wir Ihnen von der CSU ermöglichen, mit diskutieren zu können, was in vielen Fällen nicht passiert.

Wir haben mit dem geplanten Gesetz die Chance, Bildung im Rahmen der Kinderbetreuung festzuschreiben. Das ist besonders aus Sicht der Kinder wichtig, denn Kinder haben ein Recht auf Bildung, und zwar nicht erst ab dem Eintritt in die Schule, sondern bereits von Geburt an. Kinder lernen von Geburt an; Frau Stewens, Sie haben das selber gesagt. Sie selbst haben festgestellt, Versäumnisse in der frühen Bildung könnten durch spätere Bildungsinstanzen ungeachtet ihrer Qualität nur begrenzt wettgemacht werden, weil für bestimmte Entwicklungs- und Lernschritte Zeitfenster existieren. Frau Stewens es ist schade, dass diese Einsicht in Ihrem Entwurf nicht umgesetzt wird. Auch aus Elternsicht sind Qualität und Bildung wichtig. Nur wer seine Kinder gut betreut, weiß, dass er auch beruhigt arbeiten kann. Das müsste all denen klar sein, die Kinder in die Kinderbetreuung geben.

Leider gibt es nicht gar so viele Frauen in diesem Hohen Hause, die in dieser Situation sind. Ich kann aus eigener Erfahrung sprechen: Nur, wer seine Kinder in guter Betreuung hat, – –

(Zuruf der Frau Abgeordneten Renate Dodell (CSU))

Umso besser, wenn Sie das nachvollziehen können. Ich fordere Sie deshalb auf, mit uns zu stimmen, weil wir die sinnvolleren Ansätze haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, gestern las ich in der Zeitung, Kindergärten müssten schließen, Altenheime florierten und unsere Gesellschaft sei überaltert. Das sollte uns alarmieren, endlich Gesetze zu schaffen, die die jungen Menschen animieren, Kinder großzuziehen. Das gelingt nur, wenn wir es endlich schaffen, den Eltern Konzepte anzubieten, damit sie Familie und Beruf vereinen können.

Bayern darf nicht länger das Schlusslicht bei der Kinderbetreuung sein. Während sogar in Portugal, Belgien, Norwegen und vielen andern europäischen Ländern 80 bis 90 % der Hochschulabsolventinnen und Handwerksmeisterinnen mit Kindern unter 6 Jahren arbeiten, schaffen das in Deutschland gerade mal 62 %. In Bayern haben gerade mal 2,1 % der Kinder unter 3 Jahren einen Kinderbetreuungsplatz, und 3,43 % der Kinder zwischen 6 und 14 Jahren. Seit Jahren erklären Sie, Frau Stewens – bevorzugt in Presseerklärungen –, dass Sie pro Jahr 1000 neue Krippenplätze und 5000 neue Hortplätze schaffen wollen. Sie wollen diese schaffen. Bisher ist das gründlich schief gegangen. Im Hortbereich konnte das Plansoll für ein Jahr nicht einmal in den letzten drei Jahren erreicht werden, wie Sie auf eine Schriftliche Anfrage mitgeteilt haben. So sieht es tatsächlich aus. Das veröffentlichen Sie in Ihren Pressemitteilungen nicht.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie in diesem Tempo weiterarbeiten, Frau Ministerin, brauchen Sie noch 170 Jahre, um bei der Kinderbetreuung auf das europäische Niveau zu kommen. Es wäre nur zu dumm, wenn wir diese Kinderbetreuungsplätze gar nicht mehr bräuchten, weil es keine Kinder

mehr gibt. Ich sage es noch einmal: Das neue Kindertagesstättengesetz eröffnet uns die riesige Chance, endlich mehr Kinderbetreuungsplätze, insbesondere für Kinder unter drei und über sechs Jahren zu schaffen und damit den Eltern den Spagat zwischen Familie und Beruf zu erleichtern.

Sehr geehrte Damen und Herren, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist nur möglich, wenn die Kinderbetreuung die Situation der Eltern berücksichtigt. Geradezu kontraproduktiv ist die im Gesetzesentwurf vorgeschlagene Gastkinderregelung. Frau Dodell, Sie dürfen auch aufpassen, denn Sie kennen diese Situation. Da den Eltern kein Wahlrecht zugestanden wird, wenn sie – da ist die Spitze erreicht – auf einen Nachmittagsplatz verwiesen werden können, wenn sie einen Vormittagsplatz brauchen. Ich frage Sie: Wie soll eine Frau vormittags arbeiten, wenn ihr Kind nur nachmittags betreut werden soll? Frau Ministerin, ich hoffe, Sie können mir diese Frage konkret beantworten. Das würde mich wirklich interessieren.

(Beifall bei der SPD)