Protokoll der Sitzung vom 30.11.2005

(Beifall bei der CSU)

Sind Sie ein kleines bisschen ehrlich – Sie nicken wenigsten schon, also haben Sie das, was Sie gesagt haben, so nicht gemeint; auch das ist ein Fortschritt.

(Beifall bei der CSU)

Denn Ihre Interpretation, dass die Politik hier nichts ausgerichtet habe, würde bedeuten, dass beispielsweise die Kinder in anderen Ländern dümmer wären als die Kinder in Bayern; das sagen Sie aber sicher nicht. Also lassen Sie das.

(Zuruf der Abgeordneten Heidi Lück (SPD))

Frau Tolle, ich danke, dass Sie zumindest die Spitzenstellung der bayerischen Schülerinnen und Schüler in den Leistungsergebnissen festhalten und nicht versuchen, das wegzudrücken.

Was die Gerechtigkeit betrifft, bitte ich Sie, die Pisa-Studie etwas genauer zu lesen und nicht nur das herauszuziehen, was Sie gerne hören möchten und was in Ihr Weltbild passt. Zunächst einmal stellt Professor Prenzel expressis verbis in der Pisa-Studie dar, dass nirgendwo in Deutschland die Koppelung von sozialer Herkunft und Kompetenzerwerb so gering ist wie in Bayern. Nirgendwo sonst in ganz Deutschland gelingt es, Kinder aus sozial schwierigen oder aus einfachen Verhältnissen – also aus sozioökonomisch-kulturell einfachen Verhältnissen – so gut zu fördern und ihnen so viele Kompetenzen zu vermitteln wie in Bayern; das steht so drin. Professor Prenzel betont weiter, dies sei im Hinblick auf Zukunftschancen und auf lebenslanges Lernen wichtiger als der Blick darauf, auf welche Schulart ein Kind geht; denn entscheidend ist, wie Kohl mal gesagt hat, was hinten heraus kommt, welche Ergebnisse erzielt werden.

(Zuruf von den GRÜNEN: Es kommt aber nicht sehr viel heraus!)

Und da kann man innerhalb Deutschlands Bayern unter dem Gesichtspunkt „Gerechtigkeit“ wahrlich keinen Vorwurf machen.

(Beifall bei der CSU)

Sie ziehen als Argumentation die Chance heraus, ein Gymnasium zu besuchen. Das heißt, Sie interpretieren Bildungserfolg ausschließlich mit dem Blick auf das Gymnasium und sagen damit – Sie implizieren dies zumindest –, dass derjenige, der nicht am Gymnasium sei, keinen Bildungserfolg habe, und das ist falsch.

(Beifall bei der CSU)

Denn die Chance, ein Gymnasium zu besuchen, haben in Bayern mehr Kinder, als wahrgenommen wird. Auch das zeigen die Ergebnisse deutlich.

(Zuruf von den GRÜNEN – Zuruf der Abgeord- neten Johanna Werner-Muggendorfer (SPD))

Ein Großteil der Schülerinnen und Schüler, die heute auf die R 6 gehen, könnte auch auf das Gymnasium gehen.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Woran liegt es, dass sie die Chance nicht ergreifen?)

Eltern entscheiden, ihre Kinder auf die Realschule gehen zu lassen, weil sie mit der bayerischen Realschule genauso gute Entwicklungs- und Zukunftschancen haben, als wenn ihre Kinder auf das Gymnasium gingen.

(Zuruf der Abgeordneten Johanna Werner-Mug- gendorfer (SPD))

Dies ist eine Begründung für diese Entscheidung.

Frau Kollegin Tolle, völlig falsch ist es zu sagen, dass in Bayern einem Kind, das leistungsfähig und leistungswillig sei, der Weg zum Abitur verwehrt werde. Denn wir haben neben den Gymnasien Durchstiegsmöglichkeiten über die Fachoberschule. Wir bauen diese Möglichkeiten aus. Dies habe ich angekündigt. Es ist ein großes Anliegen, diese Durchstiegsmöglichkeiten zu erweitern, weil die Ergebnisse von Pisa deutlich zeigen, dass die Leistungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler vorhanden ist.

Sie waren dankenswerterweise auf dem Kongress in Eichstätt, wo es um die Sicherung der Unterrichtsqualität ging. Ich bedanke mich bei allen Mitgliedern aufseiten der CSU und der GRÜNEN, die diesen Kongress besucht haben, weil die Debatte viel wichtiger ist als Schulstrukturdebatten: Wie gelingt es uns, an unseren Schulen den Unterricht zu optimieren und die Qualität zu sichern? Dies ist der Auftrag der Pisa-Studie. Es gibt in allen Ländern, die bei der Pisa-Studie an der Spitze stehen, Modelle der Unterrichtssicherung. Dieser Auftrag ist notwendiger als irgendeine Debatte über die Schulstruktur.

Die anwesenden Wissenschaftler, von Professor Köller bis bin zu Professor Prenzel, haben uns auf genau diesem Weg bestärkt.

Die Bedeutung der individuellen Förderung neben der Durchlässigkeit hat Herr Kollege Professor Dr. Waschler bereits angesprochen. Um hier die Zahlen richtig zu stellen und in ein Gesamtblickfeld zu rücken: Der Anteil der Schüler, die in Bayern die Schule ohne Schulab

schluss verlassen, beträgt 8,5 %. Ich bitte zur Kenntnis zu nehmen, dass 4 % aus der Hauptschule und 3,7 % aus den verschiedenen Förderschulen kommen.

Zum Thema „Jugendarbeitslosigkeit“. Der Anteil der in Bayern arbeitslosen Jugendlichen ist bei allen drängenden Problemen bedeutend geringer als in allen anderen Bundesländern. Auch das ist ein Beleg dafür, dass unsere Bildungspolitik auf dem richtigen Weg ist.

(Beifall bei der CSU)

Es gibt natürlich keinen Grund, sich zurückzulehnen. Auch das habe ich deutlich gemacht. Bei allen guten Ergebnissen gibt uns die Pisa-Studie auch den Auftrag, dran zu bleiben, damit wir weiterhin in der Spitze dabei sind. Wir haben in Deutschland die größte Gruppe mit sehr guten Leistungen und mit großem Abstand die geringste Risikogruppe. Wir können auch deutlich sagen, dass es in Bayern am besten gelingt, die Kinder, die eine nicht so große Leistungsfähigkeit besitzen, am besten zu fördern. Wir werden unsere Hausaufgaben machen. Mir wäre es lieber, sie wären mit einem realen Blick unterstützend tätig und stellten nicht nur Forderungen, die Sie nirgendwo erfüllen, die dort, wo Ihre Kolleginnen und Kollegen Verantwortung getragen haben, in keinster Weise erfüllt worden sind.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Pranghofer.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir begegnen immer wieder – das haben wir heute bei den Redebeiträgen des Herrn Waschler gehört; auch der Minister hat es gerade wieder betont – der Behauptung, dass sich das Erfolgsmodell der bayerischen Schulpolitik am Pisa-Ergebnis festmacht. Sie sind der Meinung, dass die Schulpolitik eines Landes, das im Länderranking Platz 1 erreicht und das international an die Spitze aufgerückt ist, die beste in Deutschland und ein Erfolgsmodell in Bayern ist.

Ich denke, wahr an dieser Behauptung ist, dass wir hinsichtlich der Qualität in der Spitze in Bayern sicherlich einen guten Spitzenplatz erreicht haben. Ich glaube aber, Herr Minister Schneider, es ist egal, wer diesen Erfolg letztendlich zu verbuchen hat – ob das die Lehrerinnen und Lehrer oder die Kinder sind, die fl eißig gelernt haben, oder ob es sich um schulpolitische Entscheidungen des Landtags handelt. Das soll uns gar nicht so sehr beschäftigen.

Wahr an den Pisa-Ergebnissen für Bayern ist aber auch, dass die Qualität in der Breite gemessen viel zu viele Bildungsressourcen einfach ungenutzt lässt und vor allen Dingen, dass das System in der Breite gemessen auch viel zu viele Bildungsverlierer produziert. Darauf sollten wir unser Augenmerk richten.

(Beifall bei der SPD)

Man kann nicht sagen: Das ist das Erfolgsmodell der Zukunft und das ist freie Entscheidung. Ich frage Sie: Worin liegt denn die freie Entscheidung, wenn 10 % der Hauptschüler – bei den Migrantenkindern sind es 22 % – in Bayern keinen Hauptschulabschluss erreichen? Wo liegt denn dabei die freie Entscheidung? Dafür entscheidet sich doch keiner frei. Ich frage Sie auch: Warum produziert denn dieses Erfolgsmodell, wenn es denn eines wäre, jedes Jahr 50 000 Schülerinnen und Schüler, die sitzen bleiben? Was ist an diesem Modell so erfolgreich? Genauso scheitern auch jedes Jahr 13 500 Schülerinnen und Schüler im Gymnasium. Schülerinnen und Schüler, die als gymnasialgeeignet eingestuft wurden, scheitern jedes Jahr an Ihrem so hochgelobten Erfolgsmodell. Wir müssen einen Blick auf die Schülerzahlen an den Berufsschulen richten. Herr Schneider, ich bin vor dem Hintergrund der Jugendarbeitslosigkeit nicht sehr stolz auf die bayerischen Zahlen. Ihnen liegen sicherlich auch die Zahlen der Schüler an den Berufsschulen vor, die keinen Ausbildungsplatz erhalten haben. Wenn Sie sich diese 22 400 Schülerinnen und Schüler, die im Schuljahr 2005 die Berufsschule besuchen – das sind an manchen Berufsschulen 20 % der Gesamtschülerzahl; es sind 4000 Schüler mehr als vor vier Jahren –, betrachten und sagen, es handle sich dabei um ein Erfolgsmodell, dann weiß ich nicht mehr, was Erfolg heißt.

(Beifall bei der SPD)

In den Berufsschulen fi nden wir nämlich inzwischen die Bildungsverlierer Ihres Erfolgsmodells. Das sind diejenigen, die keinen Abschluss haben. Das sind diejenigen, die schlechte Noten haben und deshalb keinen Ausbildungsplatz fi nden. Darunter befi nden sich auch die gescheiterten Realschüler und die gescheiterten Gymnasiasten. Sie fi nden an den Berufsschulen alle diejenigen wieder, die irgendwann und irgendwo vom Lernen ausgegrenzt wurden oder die sich

(Zuruf des Abgeordneten Eduard Nöth (CSU))

selbst ausgegrenzt haben, Herr Nöth, weil sie in diesem System mutlos geworden sind.

(Beifall bei der SPD)

Ich will Ihnen nicht gute Vorsätze in der Schulpolitik absprechen. Ich rate Ihnen aber, weniger Sprachoffensiven zu machen, sich die Dinge weniger schön zu reden, schön zu denken, schön zu rechnen, sondern vor allen Dingen endlich einmal die Schulpolitik auch schön zu machen. Das ist die eigentliche Herausforderung, der Sie sich stellen sollten.

Ich komme zum Schluss auf meinen Ausgangspunkt zurück: Die Spitze ist gut, aber die Breite ist ungenügend.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie den Mut hätten, die Gedankenblitze, die in Ihrer Fraktion immer wieder einmal auftauchen – Herr Pfaffmann hat schon von der Zusammenlegung von Haupt- und Realschulen und vom Berufsgymnasium

gesprochen –, zu einer Politik zu machen, dann hätten Sie uns als SPD auf jeden Fall auf Ihrer Seite.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Nöth.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn ich den Redebeitrag des Kollegen Pfaffmann zusammenfasse und seine Bewertung des bayerischen Bildungssystems heute in den Raum stelle – ich habe mir einige Schlagworte aufgeschrieben: miserabel, katastrophal, realitätsfern, Aussichten düster usw. –, dann müssten wir meinen, wir lebten in einem bildungspolitischen Niemandsland. Das Gegenteil ist der Fall. Ich würde den Herrn Kollegen Pfaffmann bitten, mit solchen Äußerungen künftig etwas vorsichtiger umzugehen. Schließlich wird damit auch die gesamte Schullandschaft – unsere Schüler, unsere Eltern und unsere Lehrer – in eine Ecke gestellt, in die sie meines Erachtens nicht gehören.

(Beifall bei der CSU)

Ich darf zunächst die Meldung dieser Woche aufgreifen und unsere Meinung klar kundtun. Die Meldung bezog sich darauf, dass angeblich im Ministerrat über die Aufl ösung der Realschule bzw. über die Zusammenlegung von Haupt- und Realschule gesprochen worden ist. Ich bin dem Ministerpräsidenten, unserem Fraktionsvorsitzenden und auch dem Arbeitskreis der CSU sehr dankbar dafür, dass postwendend ein Dementi kam, dass im Grunde genommen unsere klare Haltung zum gegliederten Schulwesen und damit auch zum Erfolgsmodell der bayerischen Realschule weiterhin aufrecht erhalten wird. Es wäre tatsächlich ein Treppenwitz der bayerischen Bildungspolitik, wenn ausgerechnet die Schule, die in Bayern die allerbesten Erfolge aufzuweisen hat, irgendeinem Konzentrationsprozess unterworfen werden würde. Ich bin sehr dankbar dafür, dass diese Diskussion damit vom Tisch ist.

(Beifall bei der CSU)

Ich darf zu dieser Diskussion sagen: Überall dort – schauen Sie sich einmal die Pisa-Ergebnisse an –, wo Haupt- und Realschule, ganz gleich ob in einer erweiterten Realschule, einer Werkrealschule oder in einer Sekundarstufe zusammengefasst sind, die Ergebnisse dieses Schultyps wesentlich schlechter sind, als dies bei uns in Bayern in unserem gegliederten Schulsystem der Fall ist. Schauen Sie sich die getesteten Schulen an; ich bin dankbar dafür, dass die SPD es diesmal nicht verhindert hat, dass die Ergebnisse der einzelnen Schularten veröffentlicht worden sind. Wenn Sie sich einmal die Ergebnisse zum Beispiel in Mathematik ansehen, dann werden Sie feststellen, dass der Testsieger Finnland bei 544 liegt, Deutschland im Gesamtdurchschnitt bei 503 und Bayern insgesamt 533 Punkte erreicht und die bayerischen Realschulen mit 561 Punkten den Testsieger Finnland noch überholt haben.