Protokoll der Sitzung vom 30.11.2005

Dann eine banale und nichts sagende Formulierung ohne eine Zahl: „Die Regionalisierungsmittel dienen der Finanzierung und Aufgabenwahrnehmung des ÖPNV“.

Wozu sollen sie denn sonst dienen? Das steht im Gesetz.

Ich gebe zu, dass ich mich zunächst auf den Verkehrstitel beschränkt hatte; wenn man den Vertrag aber im Ganzen liest, fi ndet man auf Seite 67: „Überfällig sind gezielte Einsparungen bei einzelnen Fördertatbeständen“. Dann wird die Kürzung der Regionalisierungsmittel angesprochen. Aber – und auch darauf weise ich jetzt diejenigen hin, die an Legenden stricken, ich weiß was kommt –, es gibt keine Aussage über die Höhe, in der man möglicherweise kürzen will, geschweige denn um einen Betrag von über 3 Milliarden Euro. Das fi nden Sie nicht im Koalitionsvertrag. Das sollte auch Herr Huber berücksichtigen.

Wir müssen in dem Zusammenhang noch auf eines verweisen, und das macht die Sache so ärgerlich: Viele Jahre lang hat man darauf hingewiesen, dass die Länder, auch Bayern, in der Pfl icht stehen, die Verwendung dieser Regionalisierungsmittel klar zu dokumentieren. Sie haben teilweise, auch Bayern, durch mangelnde Transparenz einer vorgeschobenen Behauptung Vorschub geleistet, die auch dem Koalitionsvertrag zugrunde liegt, dass diese Mittel in dieser Höhe gar nicht erforderlich sind. Hierin liegt in der Tat ein schweres Erbe, das Sie uns hinterlassen, Herr Wiesheu. Über meinen Versuch, den Sie bisher auch unter Beschneidung der Rechte des Abgeordneten abgewehrt haben, hier Auskunft zu verlangen, hat die Zeitung berichtet. Herr Huber, wir werden, wenn Sie es nicht erklären, diese Themen weiter verfolgen.

Wir brauchen ein entschiedenes Eintreten gegen diese Kürzung, wie das Herr Spitzner in Maßen angekündigt hat – das hätten wir alle von Herrn Wiesheu erwartet – und wie

es Herr Wellner sicherlich gerne tut, ein entschiedenes Eintreten und keine Leisetreterei. Die negativen Folgen einer Kürzung in diesem Ausmaß für Bayern wären offensichtlich: Angebotsverschlechterungen drohen, Taktverlängerungen, eine Verstümmelung des Bayern-Taktes, Streckenstilllegungen, Verteuerung für die Nutzer. Es droht insgesamt eine mangelnde Akzeptanz des ÖPNV. Das ist auch ein Thema des Umweltschutzes, der hier berührt ist.

Ich möchte auch darauf hinweisen: Es drohen in vielfältiger Hinsicht wieder einmal die Interessen der Arbeitnehmer belastet zu werden. Das betrifft zum einen die Arbeitsplätze. Dabei geht es nicht nur um die DB Regio, um das klarzustellen. Dabei geht es auch um all die privaten Eisenbahnverkehrsunternehmen, die gerade auch in Bayern zunehmend tätig werden. Abbestellungen gefährden Arbeitsplätze. Ich habe die Zahl genannt: Achteinhalbtausend in Deutschland sagen uns die Arbeitnehmervertreter. Der Lohndruck wird sich weiter erhöhen, wenn Sie die Mittel zusammenstreichen und das tun, was die CSU in ihrem Antrag offensichtlich in Kauf nehmen will, nämlich noch mehr auf die Preise zu drücken.

In einem Flächenland wie Bayern sind die Interessen der Arbeitnehmer ein weiteres Mal gefährdet, nämlich dahingehend, dass sie hier mit Leistungsverschlechterungen oder jedenfalls Erhöhung ihrer Kosten zusätzlich zum Thema Entfernungspauschale zu rechnen haben.

Wir fordern also die Staatsregierung auf, sich im Bundesrat klar und eindeutig gegen diese Kürzungen zu positionieren. Die Staatsregierung muss vor allem – dazu möchte ich hier eine Antwort hören – Farbe bekennen, ob sie bereits 2006/2007 einer Kürzung der Mittel zustimmen will. Da haben wir nämlich eine klare gesetzliche Regelung. Also wäre die Frage, würde Bayern im Bundesrat seine Hand heben, dass wir sogar das Gesetz ändern, von einer Überarbeitung über das Jahr 2007 hinaus ganz zu schweigen.

Wer die Interessen Bayerns beim ÖPNV ernst nimmt, den bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag.

Der Antrag der GRÜNEN folgt im Wesentlichen unserem Antrag, dem er ja nachgezogen wurde. In diesem Plenum wollen Sie sich mit anderen Fragen des Schienenverkehrs beschäftigen. Ich registriere sehr genau, worum es Ihnen primär geht. Wir werden uns zu diesem Antrag enthalten. Sie sagen nämlich, dass langfristig mindestens das derzeitige Niveau zu halten ist. Das heißt, Sie teilen unsere Zielsetzung gegen Kürzungen. Sie gehen aber über den jetzigen Stand des Regionalisierungsgesetzes hinaus. Eine Aussage über eine bestimmte Höhe der Mittel, auch über 2007 hinaus ohne jegliche zeitliche Beschränkung, die Sie fordern, ist wohlfeil. Das gebe ich zu. Aber es ist unseriös. Deshalb Enthaltung in der Kombination.

Was soll man zum Antrag der CSU sagen? Satz 1 ist eine Wiederholung des Wortlautes des Koalitionsvertrages. Das nehme ich zur Kenntnis. Der Satz 2 bringt Selbstverständlichkeiten einer wirklich guten Verkehrspolitik zum Ausdruck. Dem kann man auch zustimmen. Beim Satz 3 „Kompensation irgendwie“ – das kann man noch mit

tragen. Wenn wir diesem Antrag, weil er nichts als Selbstverständlichkeiten enthält, zustimmen, dann stimmen wir damit nicht einer Politik des Lohndumpings und der Preistreiberei auf Kosten der Arbeitnehmer im Bereich des Eisenbahnverkehrs zu.

(Beifall bei der SPD)

Also, dieser Antrag ist die berühmte weiße Salbe, die Sie auf Ihre Wunden der letzten Tage schmieren. Er schadet nichts, er nutzt auch nichts. Das sind Selbstverständlichkeiten, denen wir deshalb zustimmen. Aber der Antrag ist schon schön, weil er spannend zeigt, welche Grundhaltung Sie zur Großen Koalition einnehmen wollen. Die Position der CSU heißt hier Feigheit vor dem Freund. Das kann niemals eine Position der Sozialdemokratie sein.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Dr. Magerl.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die geplante Kürzung der Regionalisierungsmittel ist aus unserer Sicht absolut daneben und nicht hinnehmbar. Deshalb haben wir den Antrag gestellt, dass die Regionalisierungsmittel mindestens auf dem Niveau bleiben, auf dem sie momentan sind. Ich meine, Herr Kollege Beyer, dass wir wirklich diese klare Aussage treffen sollten; denn eines ist bei diesen Regionalisierungsmitteln und den daraus resultierenden Bestellungen von Schienenpersonennahverkehr ganz wichtig: die Nachhaltigkeit, die Langfristigkeit und für die Unternehmen, die auf diesem Gebiet tätig sind, die Planbarkeit. Sie darf nicht nach irgendwelchen Maßgaben, weil gerade das Sparen dringend notwendig ist, diesem Sparzwang geopfert werden, sondern hier muss wirklich eine langfristige, planbare Grundlage für die Bestellung der Verkehre da sein. Dazu gehört auch die Erhaltung des Netzes gerade der Nebenstrecken; denn die Vertreter der DB AG sagen, dass dann, wenn nicht langfristig auf den Nebenstrecken bestellt wird, die erforderlichen Investitionen auf diesen Nebenstrecken nicht getätigt werden können.

Deshalb fordern wir klar und deutlich das langfristige Signal für mindestens die Festschreibung dessen, was momentan bis 2007 vorgesehen ist. Es wäre fatal, wenn wir dieses Signal nicht geben, sondern in die andere Richtung tendieren würden, wie das Schwarz-Rot jetzt auf Bundesebene tun möchte. Der Koalitionsvertrag, Herr Kollege Beyer, geht eindeutig in diese Richtung. Sie versuchen jetzt, so wie das die CSU früher gemacht hat, in Berlin zu regieren, wie das die CSU seinerzeit in Bonn getan hat, und von Bayern aus Opposition zu machen. Ich prophezeie Ihnen: Das wird Ihnen nicht gelingen, das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.

Es ist schon ein bisschen fadenscheinig, was Sie hier mit diesem Antrag machen.

(Beifall bei den GRÜNEN – Dr. Thomas Beyer (SPD): Wenn ihr die Übung reinstellt, müssen wir etwas tun!)

Was mich sehr wundert, ist, dass die Spitze des Freistaates Bayern, der Herr Stoiber, hier sang- und klanglos die Segel streicht. Überschrift im „Münchner Merkur“ – das ist der gleiche Artikel, den Kollege Beyer schon zitiert hat –: „Bayern lässt sich widerstandslos Gelder kürzen“.

(Dr. Thomas Beyer (SPD): Widerstandslos!)

Widerstandslos! Genauso ist es auch, Kolleginnen und Kollegen von der CSU. Vor ein paar Tagen hat Herr Spitzner zwar noch versucht, tapfer für diese Regionalisierungsmittel zu kämpfen, aber das ist offensichtlich nicht mehr der Fall. Herr Stoiber – der Ober sticht den Unter – hat gerade gesagt: „Wir stehen zum Koalitionsvertrag und deshalb wird es zu diesen Kürzungen kommen.“

Lassen Sie mich einige Punkte nennen. Da ist zunächst einmal die Größenordnung. Wenn wir uns anschauen, was wir momentan an Regionalisierungsmitteln bekommen, stellen wir fest, dass im Haushalt für 2005 1 056 390 Euro stehen. Für das nächste Jahr sind 1 072 236 Euro vorgesehen.

(Dr. Heinz Kaiser (SPD): Milliarden!)

Milliarden, Entschuldigung. Also 1 056 390 000 Euro für 2005 und 1 072 236 000 Euro für das nächste Jahr.

(Zuruf von der SPD: Das ist ja fast das Gleiche!)

Die geplanten Kürzungen um 15 % machen 160 Millionen Euro aus. Das ist eine Größenordnung, bei der ich sagen muss: Das ist ohne erhebliche Einschnitte beim Schienenpersonennahverkehr, ohne einen gewissen Kahlschlag nicht machbar. Das ist in der momentanen Situation ein völlig verkehrtes Signal, das da gesetzt wird. Auf der einen Seite die Bereitstellung von Verkehrsdienstleistungen der Schiene, auf der anderen Seite die Verteuerung der Energiepreise in deutlichem Umfang. Beides zusammen hat, wenn man sich die Zahlen anschaut, nicht nur in Bayern, sondern auch in anderen Bundesländern deutliche Auswirkungen gehabt. Die Leute sind allmählich vom Auto auf die Schiene umgestiegen, weil das Auto so teuer war

(Beifall der Abgeordneten Ruth Paulig (GRÜNE))

und die Schiene ein im Grundsatz brauchbares Angebot – gut, gelegentlich mit Verspätungen – zur Verfügung gestellt hat. Wenn man jetzt solche Kürzungen durchführt, versucht man letztlich das Rad wieder in die andere Richtung zu drehen. Das geht nämlich nur, indem der Takt ausgedünnt wird, und das darf nicht geschehen. Deshalb bitte ich ganz intensiv um die Zustimmung zu unserem Antrag.

Wir haben keine eigene Begründung geschrieben. In Ihrem Antrag, Herr Kollege Beyer, ist so eine Begründung ebenfalls nicht enthalten. Aber wir sehen das genauso wie Sie. Diese Kürzungen in Höhe von 160 Millionen Euro und die damit verbundene Ausdünnung gehen natürlich entweder mit Lohndumping und/oder – wahrscheinlich wird es beides sein – auch mit dem Abbau von Arbeitsplätzen einher. Vielleicht wird es keine betriebsbedingten Kündigungen geben, aber ein entsprechendes Abschmelzen.

Aber auch das kann doch nicht das Ziel sein. Eine Bundesregierung, die es als Hauptziel bezeichnet hat, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren, kann doch nicht sofort in ihrem eigenen Wirkungsbereich die Entscheidung treffen, in diesem sehr sinnvollen Bereich zu kürzen und dadurch Arbeitsplätze abzuschaffen.

Die Kürzungen stehen in meinen Augen ganz klar im Gegensatz zu § 1 des Regionalisierungsgesetzes. Dort wird klar ausgeführt: „Die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr ist eine Aufgabe der Daseinsvorsorge.“ Dieser Aufgabe der Daseinsvorsorge kommt, glaube ich, diese Bundesregierung, wenn sie diese Kürzungen durchführt, nicht mehr nach.

Ich habe schon einmal an Folgendes erinnert, möchte es aber heute noch einmal tun: Knapp 40 % unserer Bevölkerung haben keinen Führerschein. Das heißt, diese Menschen sind auf einen ausreichenden, auf einen guten öffentlichen Nahverkehr angewiesen. Denen entziehen Sie letztlich die Mobilitätsgrundlage, wenn Sie diese Kürzungen vornehmen. Stimmen Sie also bitte unserem Antrag zu.

Wir werden dem SPD-Antrag zustimmen. Dem CSUAntrag können wir nicht zustimmen, denn er ist voller Allgemeinplätze und ohne klare Aussage. Wir werden ihn ablehnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abgeordneten Dr. Thomas Beyer (SPD))

Nächste Wortmeldung: Kollege Rotter.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sicherlich würde auch die CSU-Fraktion dem Petitum „Keine Kürzung der Regionalisierungsmittel!“ gerne zustimmen, aber der Koalitionsvertrag enthält unter II. – Staatsfi nanzen – wörtlich:

Überfällig sind gezielte Einsparungen bei einzelnen Fördertatbeständen, die von rund 1 Milliarden Euro in 2007 auf rund 1,4 Milliarden Euro in 2009 aufwachsen. Hierzu stehen Korrekturen bei den Regionalisierungsmitteln, der Gemeinschaftsaufgabe ‚Regionale Wirtschaftsförderung und im Bereich der Landwirtschaft’ an.

So weit der Koalitionsvertrag.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Vertrag ist nicht von der Union allein ausgehandelt worden. Dieser Vertrag trägt nicht nur die Unterschriften von Merkel und Stoiber. Dieser Vertrag wurde nicht nur von Parteitagen der CDU und der CSU abgesegnet, sondern genauso beteiligt war natürlich auch die andere große Koalitionspartei, die immer Wert darauf gelegt hat, alles auf Augenhöhe zu tun.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Gibt es keine Länderinteressen?)

Was Sie hier mit diesem Antrag treiben, ist der Gipfel der Scheinheiligkeit.

(Beifall bei der CSU – Dr. Thomas Beyer (SPD): Oh wei, oh wei!)

Wir können diesen Koalitionsvertrag nicht einfach so vom Tisch wischen wie die SPD, die fast so tut, als ginge sie das nichts an. Einsparungen, die Vertragsinhalt sind, kann man nicht einfach mit einem Nein – hier in München dagegen, in Berlin wird es akzeptiert – begegnen.

(Zuruf der Abgeordneten Ruth Paulig (GRÜNE))

Ein bloßes Veto hilft nicht weiter, auch nicht ein bloßes Protestgeschrei.

Der neue Bundesverkehrsminister Tiefensee wird im „Straubinger Tagblatt“ mit der Aussage zitiert, sich jetzt schon über mögliche Auswirkungen von Maßnahmen aufzuregen, die zwischen Bund und Ländern noch nicht einmal ansatzweise erörtert worden sind, sei verfrüht. Herr Tiefensee gehört der SPD an, falls Sie es noch nicht wissen sollten.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Aber Sie vertreten schon Länderinteressen, oder?)

Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, worum geht es eigentlich? Aufgrund des Regionalisierungsgesetzes vom 27. Dezember 1993 erhielten die Länder erstmals für den ÖPNV infolge der Übernahme der Aufgabenverantwortung für den Schienenpersonennahverkehr der Eisenbahn vom Bund einen Anteil aus dem Mineralölsteueraufkommen des Bundes, der sich ab 1998 entsprechend dem Wachstum der Steuern vom Umsatz veränderte.