Protokoll der Sitzung vom 19.05.2006

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Aber es wird doch gespart!)

Es wird nicht gespart, Frau Kollegin.

Für den Schulversuch „Ganztagsklassen an Grundschulen“ stehen nun sieben Lehrerwochenstunden und 3000 Euro je Klasse für das pädagogische Angebot zur Verfügung. Diese sieben Lehrerwochenstunden für Ganztagsklassen sind ein Durchschnittswert. Wenn der Versuch gestartet wird, wird man in der ersten und in der zweiten Klasse vielleicht etwas mehr Stunden brauchen, dafür wird man in der dritten und in der vierten Klasse etwas weniger für die Ganztagsbetreuung brauchen. So kommt dieser Durchschnittswert zustande. Auch die Betreuungszeit und das zusätzliche Angebot sind differenziert zwischen Hauptschule und Grundschule zu sehen. Wir wollen den Schulversuch durchführen, damit sich herausstellt, wie wir in Zukunft weiterarbeiten können.

In diesem Zusammenhang verweise ich auf die Diskussion im Bildungsausschuss, in der ich das Gleiche gesagt habe. Ich bleibe bei meiner damaligen Aussage: Wenn Ergebnisse aus dem Modellversuch vorliegen, werden diese geprüft. Etwaige Korrekturen können dann vorgenommen werden. Der Antrag mit einer Pauschalforderung nach 19 Lehrerwochenstunden wird von uns abgelehnt.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Tolle.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Ganztagsangebote, die es im Moment an den Grundschulen gibt, würden wir in Unterfranken Sparbrenner nennen. Das ist die knickrigste

Knickrigkeit. Ich möchte noch einmal darstellen, was wir mit diesem Antrag wollen und was wir im Moment haben. Herr Kollege Pachner, wir brauchen keinen Modellversuch. Ich kann mir vorher ausrechnen, wie es ausgeht, und ich rechne es Ihnen auch vor. Die Ausstattung der Ganztagsangebote durch die CSU ist skandalös, aber sie ist auch konsequent, weil Sie damit Ihre Flickschusterei fortsetzen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Auf den Anfang kommt es an. Das haben Sie zumindest verbal ausgedrückt. Deshalb müssen wir gerade für die Grundschulen mehr Energie aufwenden. Selbst wenn wir zwölf zusätzliche Lehrerwochenstunden für Ganztagsangebote an den Hauptschulen akzeptieren würden, erschließt es sich mir nicht, warum der Tag in der Grundschule kürzer sein soll als in der Hauptschule. In der Hauptschule bleiben die Kinder bei Ganztagsbetreuung bis 15.30 Uhr in der Schule, und in der Grundschule auch. Warum dann aber die eine Schulart zwölf Stunden bekommt, die andere aber nur sieben, erschließt sich nicht einmal einem kleinen Kind. Ich rechne es Ihnen vor. Gehen wir einmal von einer Ganztagsschule aus, die von 8.00 Uhr bis 15.30 Uhr dauert.

Nehmen wir einmal die erste Klasse. Dort gibt es derzeit 23 Unterrichtsstunden. Nehmen Sie 7 dazu, dann haben wir den Vormittag abgedeckt. Ist das richtig?

(Reinhard Pachner (CSU): Ja!)

Dann bräuchte man noch Personal für den Nachmittag. Wenn man die Zeit für das Mittagessen nicht mitrechnet, weil beispielsweise die Stadt in dieser Zeit für die Betreuung der Kinder sorgt, dann sind das pro Tag 2,5 Zeitstunden. Bei 180 Unterrichtstagen mal 2,5 Stunden komme ich auf 450 Stunden. 3000 Euro geteilt durch 450 Stunden macht 6,67 Euro pro Stunde. Können Sie mir sagen, welches Personal – außer vielleicht Studenten, wir haben gestern gehört, dass diese 7 Euro pro Stunde bekommen – für 6,67 Euro pro Stunde arbeitet? Ich habe mich informiert: Eine Dame, die die Wohnung putzt, bekommt mehr. Ich denke, Sie brauchen keinen Modellversuch, um das auszuprobieren. Wenn Sie Ihr Gehirn einschalten und rechnen können, dann sagt Ihnen der gesunde Menschenverstand, dass der Versuch mit dieser Finanzierung und mit dieser Stundenzahl nicht funktioniert. Herr Minister Schneider, ich fordere Sie auf, mir einen Personalplan vorzulegen, wie diese Aufgabe für eine erste Klasse in der Grundschule bewerkstelligt werden kann. Darum bitte ich Sie. Wenn Sie meinen, dass Ihre Ausstattung ausreicht, dann beweisen Sie mir das auch bitte personaltechnisch.

Wir können also feststellen – ich habe es dargelegt –, es gibt kein oder wenig Geld für das Personal am Nachmittag. Dafür können wir keine Qualität einkaufen. Sie riskieren in meinen Augen von vornherein das Scheitern des Modellversuchs.

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Das ist doch so gewollt!)

Genau, Frau Kollegin, das wollte ich gerade sagen: Man könnte meinen, Sie wollen gar nicht, dass der Modellversuch klappt. Wenn man ein Bild bemühen will, dann könnte man sagen: Das ist wie ein 100-m-Lauf, bei dem Sie sagen: Ihr müsst gewinnen, doch mit Fesseln an den Füßen. Robbt doch ans Ziel!

(Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Das geht auch!)

Natürlich, Herr Kollege Waschler. Das ist doch zynisch. Machen Sie es doch!

(Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Der Vergleich stimmt nicht!)

Herr Kollege Waschler, Sie verletzen sich dabei und tun sich weh. Machen Sie es mir doch vor.

(Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Der Vergleich hinkt!)

Wenn ich es mir aussuchen könnte, dann liefe ich ungefesselt. Wenn Sie gerne Fesseln haben, bitte schön. Mit dem gesunden Menschenverstand stelle ich fest: Der ganze Tag in der Grundschule ist genauso lang wie der ganze Tag in der Hauptschule. Die Grundschule braucht deshalb die gleiche Lehrerstundenzahl wie die Hauptschule.

(Beifall der Abgeordneten Maria Scharfenberg (GRÜNE))

Ich komme auf 19 Stunden und nicht auf 12 Stunden. Es erschließt sich mir nicht, wie Sie auf 12 Stunden kommen. Wenn Sie meinen, dass Sie mit Geldäquivalenten arbeiten müssen, dann geben Sie den Schulen doch das Geld für 19 Lehrerwochenstunden. Dann können die Schulen selbst damit machen, was sie wollen.

Wir brauchen auch nicht, wie Herr Kollege Pachner gesagt hat, den Schulversuch erst einmal laufen zu lassen. Sie können rechnen, Herr Kollege Pachner. Wenn Sie mir zugehört haben, dann haben Sie auch festgestellt, dass es nicht geht. Herr Minister Schneider, ich habe noch einmal ein bisschen herumgelesen und festgestellt: Im Frühjahr 2005 haben Sie in einer Antwort auf eine Schriftliche Anfrage zu Ganztagsschulen geschrieben:

Um Ganztagsschulen pädagogisch sinnvoll und Erfolg versprechend führen zu können, ist ein zusätzlicher Lehrereinsatz in erheblichem Umfang erforderlich.

Herr Minister, die Erkenntnis ist also vorhanden. Ich warte auf ihre Umsetzung. Die Ganztagsschule ist eine Chance, weil sie die wirkungsvollste Form der individuellen Förderung ist. Wir können uns dort um hochbegabte, um schwache und um Migrantenkinder besser kümmern. Wenn Sie nicht die notwendigen fi nanziellen Mittel dafür zur Verfügung stellen, dann geht das Ganze aber nicht.

Ich wollte noch einmal feststellen, wie eine Ganztagsschule aussehen sollte. Der Kern ist ein rhythmisierter Tagesablauf. Der Pfl ichtunterricht verteilt sich gleichmäßig auf den gesamten Schulalltag. Unterrichtsfächer, Übungs- und Vertiefungseinheiten wechseln sich mit Phasen der Entspannung ab. Hier wird deutlich, warum das Personal gebraucht wird. Jede Klasse erhält 19 zusätzliche Lehrerstunden. – Diese Angaben habe ich dem Leitfaden „Die Ganztagshauptschule in Bayern“ entnommen. Die Chancen der Ganztagsschule sind: Erstens. Mehr soziales Lernen, was gerade in der heutigen Zeit wichtig ist, in der wir uns über Gewalt an den Schulen beklagen. Die Ganztagsschule birgt die Chance, soziale Herkunft und Bildungserfolg zu entkoppeln.

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Genau!)

Die Ganztagsschule bietet zweitens eine Chance, Kinder zu integrieren, die nicht in Deutschland geboren wurden. Drittens bietet die Ganztagsschule auch mehr Betreuung an. Die Halbtagsschule mit ihren Hausaufgaben ist eigentlich auch eine Ganztagsschule. Hier müssen allerdings die Eltern die fachliche Betreuung der Hausaufgaben übernehmen. Ich war kürzlich bei einer Gruppe der Landeselternvereinigung. Da ging es um Schulbücher, und dabei haben Vertreter der Verlage gesagt, wenn die Eltern die Betreuung wirkungsvoll übernehmen sollen, dann müssen die Schulbücher so geschrieben werden, dass die Eltern sie verstehen. Da sind wir also mittlerweile angekommen! In einer Ganztagsschule kann diese Aufgabe den Eltern wieder abgenommen werden, zumal viele Eltern diese Aufgabe gar nicht übernehmen können, beispielsweise wenn sie berufstätig sind oder aus bildungsfernen Schichten stammen. Ganztagsschulen haben also sehr viele Vorteile.

Ich möchte noch einmal meine Kritik an einem Modellversuch wiederholen. Ich halte es für lächerlich, sogar in höchstem Maße für lächerlich, zehn Ganztagsgrundschulen als großen Wurf zu verkaufen. Herr Minister Schneider, wir brauchen keine Modellversuche mehr. Das pädagogische Wissen ist vorhanden. Modellversuche haben leider den Nachteil, dass sie verhindern, dass mehr Ganztagsschulen an den Grundschulen kommen können. Ich vermute, dass Sie nicht mehr Schulen wollen und deshalb sagen, dies sei ein Modellversuch. Der Modellversuch verhindert also die Ausweitung der Ganztagsschulen. Außerdem gibt es dann keine Mittel mehr nach dem „Investitionsprogramm Zukunft, Bildung und Betreuung“ des Bundes. Es werden auch keine mehr nachkommen, weil Ihre seltsame Föderalismusreform das verhindert.

Wir brauchen mehr Geld und mehr Lehrer, damit wir pädagogisch sinnvolle Ganztagsschulen nicht nur an den Grundschulen einrichten können. Die Vorteile habe ich aufgezeigt. Eine simple Rechenaktion zeigt, dass die Ausstattung, die Sie zur Verfügung stellen, nicht ausreicht. Ich fordere Sie hiermit auf, mir einen Personalplan vorzulegen, wie Sie mit 7 Lehrerwochenstunden und mit 3000 Euro im Jahr einen Ganztagsschultag von 8.00 bis 15.30 Uhr bestreiten wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Herr Staatsminister Schneider.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst zu Frau Weikert. Zu Ihrer Information: Wir haben nach der Landtagswahl 2003 in einer Regierungserklärung angekündigt, dass wir Ganztagsschulen einrichten. So viel, um das zeitlich zu fi xieren.

(Angelika Weikert (SPD): Das habe ich doch gesagt!)

Sie wussten nicht mehr, wann es genau war. Es war im Herbst 2003. Damals wurde beschlossen und vom Ministerpräsidenten angekündigt, dass wir in dieser Legislaturperiode 100 gebundene und 1000 offene Ganztagsschulen schaffen werden. Dieses Ziel werden wir konsequent verfolgen, und wir werden es bis zum Ende dieser Legislaturperiode auch erreicht haben. Wir wollen ganz bewusst nicht die ganze Schule als Ganztagsschule, sondern einzelne Klassen in der gebundenen Form, um die Freiwilligkeit zu erhalten und den Eltern weiterhin die Wahl zu ermöglichen, ob sie ihre Kinder in eine Ganztagsschule geben wollen oder nicht.

(Angelika Weikert (SPD): In einer Stadt gibt es mehrere Schularten!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Ganztagshauptschule sind wir mit einem Modell mit 19 Lehrerwochenstunden gestartet. Kollege Pachner hat darauf hingewiesen, dass es auch der Sinn eines Modells ist, dass Modifi kationen möglich sind, und dass es zielführend ist, nicht nur Lehrerstunden zuzuweisen, sondern auch andere Professionen einzubeziehen. Deshalb forderten Schulen auch, neben Lehrerstunden Geldmittel zu bekommen, damit sie beispielsweise andere Professionen aus Verbänden, aus Sport, Musik und anderen Bereichen einbeziehen können. Deshalb gibt es künftig zwölf Lehrerstunden und 6000 Euro pro Klasse. Somit steht für die einzelne Schule doch eine gute Ausstattung mit Mitteln zur Verfügung.

Bei der Grundschule wurde bisher allein die Mittagsbetreuung gewährleistet. Ich möchte gerade im Hinblick auf die Sprachförderung und deren Intensivierung in einem Modell die Grundschule auch als Ganztagsform führen. Dazu sind sieben Lehrerstunden plus 3000 Euro angesetzt. Wie Kollege Pachner gesagt hat, ist dies ein Durchschnittswert. Unsere Berechnungen gehen davon aus, dass wir im Miteinander auch hier eine gute Ausstattung für die Grundschulen erreichen können.

Zu Ihren Vorschlägen, Frau Tolle: Sie können immer alles toll berechnen. Ich erinnere mich an die Debatten, wie Rot-Grün Hartz IV berechnet hat und was letztlich herausgekommen ist.

(Beifall bei der CSU – Widerspruch bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Lassen Sie uns rechnen. Rechnen Sie nicht; denn was dabei herauskommt, wenn Sie rechnen, spüren nicht nur

die Kommunen bei uns, sondern auch Kommunen, die von Ihnen regiert werden.

(Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum zweiten Thema, dem Vorwurf von Frau Weikert, wir hätten Agenturen einrichten sollen, um die IZBB-Mittel zu verteilen: Bei uns sind sie in die Räumlichkeiten gegangen, die für Ganztagsangebote genutzt werden, nicht, wie der Bundesrechnungshof in anderen Ländern feststellt, in Bauzäune, in Dächer, in Fassaden und in Heizungen. Schauen wir also immer genau hin: Dort, wo wir verantwortlich sind, werden wir unserer Verantwortung gerecht werden. Wir werden natürlich auch bei allen Maßnahmen die Finanzierbarkeit im Blick haben müssen. Deshalb wird modellhaft die Ganztagsschule an der Grundschule erprobt werden. Dazu ist nach unserer Überzeugung eine Ausstattung mit sieben Lehrerstunden und 3000 Euro im Durchschnitt zielführend. Nachdem dann der vom ISB – dem Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung – begleitete Modellversuch durchgeführt ist, kann man sicher darüber nachdenken und diskutieren, ob das zielführend und ausreichend ist, ob weniger oder ob mehr notwendig ist. Vor einer Entscheidung aber schon immer alles genau zu wissen, ist das Privileg der Opposition.

(Beifall bei der CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine weitere Wortmeldung liegt mir nicht vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Der federführende Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport empfi ehlt die Ablehnung des Dringlichkeitsantrages. Wer entgegen dieser Empfehlung dem Antrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. – SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN. Gegenstimmen? –

(Dr. Thomas Beyer (SPD): Die Mehrheit hat dafür gestimmt!)

Die CSU. Stimmenthaltungen? – Keine. Damit ist der Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf: