Protokoll der Sitzung vom 20.07.2006

Es handelt sich nicht um eine Privatschule, Herr Kollege Rüth. Es handelt sich vielmehr um eine Ergänzungsschule. Wenn Sie sich bei Ihren Juristen erkundigen würden, dann wüssten Sie, dass sich eine Privatschule an den gesamten Lehrplan halten muss

(Beifall bei den GRÜNEN)

und dass eine Ergänzungsschule das nicht zu tun braucht. Das ist der wesentliche Unterschied zu dem Fall, den Sie genannt haben.

Ich will noch einmal darauf hinweisen, dass Schule mehr als Wissensvermittlung ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich habe versucht, Ihnen das in der Begründung unseres Dringlichkeitsantrags anhand des Verfassungsgerichtsurteils vom Mai deutlich zu machen. Schule bedeutet, soziale Kompetenz zu erwerben, und Schule bedeutet die Integration von Minderheiten. Ich möchte Ihnen die rhetorische Frage stellen: Wenn es sich um türkische Mitbewohner gehandelt hätte, was hätten Sie denn dann gemacht? Ich unterstelle Ihnen, dass Sie mit zweierlei Maß messen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Kollege Rüth, ich möchte über meine Pressemitteilung sprechen, die vollkommen konform mit der Geschäftsordnung ist. Darin steht, dass man oder frau über die Ergebnisse einer nichtöffentlichen Sitzung in der Öffentlichkeit berichten darf. Ich möchte festhalten, dass wir nicht ins Detail gegangen sind. Darauf habe ich geachtet, und unser Jurist hat das geprüft.

Wir sind verantwortlich für das Recht von Kindern in Bayern auf Schule, das heißt, das Recht darauf, den gesamten Lehrplan kennen zu lernen. Darum geht es. Das plane ich ein und es darf in Bayern keinen rechtsfreien Raum geben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bause?

Liebe Simone, kannst du dir erklären, wieso die CSU kein Problem damit hat, Schulschwänzer von der Polizei abholen und in die Schule bringen zu lassen, während sie sich von dieser Sekte öffentlich erpressen lässt?

Nein, aber vielleicht kann es mir der Kollege Waschler erklären. Vor Ihrer Zwischenfrage hatte ich insofern keine Angst, Herr Kollege, und ich habe auch nicht gezittert, weil ich fest damit gerechnet habe, dass Herr Kollege Rüth es sowieso in seiner Rede erwähnt. Ich möchte noch ein wenig Zeit sparen, um eventuell noch auf den Herrn Staatsekretär eingehen zu können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Maget.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Nur noch einmal ganz kurz, damit das auch klar ist: Die SPD ist der Meinung, dass die Schulpfl icht auch erzwungen werden muss. Das ist in diesem Fall aber

geschehen. Die Eltern waren bereits zum Teil in Erzwingungshaft. Frau Kollegin Bause sagt, Schulschwänzer würden von der Polizei abgeholt – auch in diesem Fall wurden die Kinder von der Polizei abgeholt und in die Schule gebracht. Frau Kollegin Tolle sagt, bei türkischen Familien würde man nicht so liberal sein – das stimmt doch auch nicht. Viele türkische Mädchen gehen leider nicht zum Sportunterricht.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Das ist ein Fehler!)

Ja, leider. Der Vorwurf bezog sich aber doch genau auf das Gegenteil. In diesem Fall würde ich mehr zur Durchsetzung der Schulpfl icht raten.

Aber in diesem Fall müssen selbst wir konstatieren, dass man alles versucht hat. Jetzt bleibt – das hinterlässt mich ratlos – eine letzte Maßnahme. Mit Ihrem Antrag steht im Grunde genommen nur diese letzte Maßnahme, die noch nicht ergriffen wurde – alles andere hat man ja schon gemacht –, faktisch zur Abstimmung. Die letzte Maßnahme würde die Verhaftung der Eltern und den Entzug des Sorgerechts bedeuten. Das heißt, darüber stimmen wir konkret ab.

Ich sage Ihnen – Herr Kollege Pfaffmann hat das unmissverständlich erläutert –: Das halten wir für eine überzogene und leider nicht angemessene Maßnahme. Nur darum geht es. Uns ist unterstellt worden, uns wäre die Schulpfl icht nicht so wichtig.

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Darüber stimmen wir ab!)

Nein, wir stimmen nicht über die Schulpfl icht ab. Wir stimmen darüber ab, ob man diese letzte Konsequenz ergreift. Wir sind dagegen.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung: Herr Staatssekretär Freller.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, es gibt niemanden in diesem Saal, der nicht froh wäre, wenn die Kinder eine öffentliche Schule besuchen würden. Das ist überhaupt keine Frage. Ich bin auch der festen Überzeugung, dass sie dort besser aufgehoben wären. Es gibt auch keine Diskussion darüber, dass die Staatsregierung, dass das Kultusministerium oder die nachgeordneten Behörden nicht höchsten Wert auf die Einhaltung der Schulpfl icht bei Kindern legten. Diese Schulpfl icht hat eine große Tradition, vor allem verglichen mit anderen Ländern. Die Schulpfl icht ist enorm wichtig im Sinne unserer Kinder.

Wir haben bei den Zwölf Stämmen wirklich getan, was wir tun konnten. Ich kann mich noch an den Herbst 2002 erinnern. Damals sind alle denkbaren Maßnahmen ergriffen worden: Bußgelder, Erzwingungsgelder, Versuch der Vollstreckung der Zwangs- und Bußgelder, was allerdings sinnlos war, weil eidesstattliche Versicherungen bezüglich

der Vermögenslosigkeit abgegeben worden sind. Daraufhin ist die Polizei eingesetzt worden, die die Kinder in die Schule verbracht hat.

Im Übrigen: Zu dem Zeitpunkt, meine sehr verehrten Damen und Herren von den GRÜNEN, hätte ich mir gewünscht, Sie hätten sich laut auf die Seite der Staatsregierung gestellt.

(Beifall bei der CSU)

Wir, das heißt Monika Hohlmeier und ich, standen ziemlich allein in der öffentlichen Diskussion. Es gab von Ihrer Seite keine fl ankierenden Parlamentsbeschlüsse und keine Anträge, in denen Sie zum Ausdruck gebracht hätten, wir hätten es richtig gemacht. Es hätte noch gefehlt, dass Sie in Schwaben gegen uns demonstriert hätten. Erst jetzt wird Ihnen klar, worum es geht.

Wir haben wirklich getan, was wir konnten, und werden es auch weiterhin tun. Der Herr Minister hat gestern im Ausschuss die jetzige Rechtslage ausführlich erklärt; ich will es aus Zeitgründen nicht wiederholen. Ich will von meiner Seite nur präzise erklären, was im Moment Stand der Dinge ist: Es gibt keine Vereinbarung des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus mit den Zwölf Stämmen. Der Gemeinschaft der Zwölf Stämme wurde mit Schreiben vom 24.03.2006 mitgeteilt, unter welchen Bedingungen nach dem Erziehungs- und Unterrichtsgesetz, dem EUG, die Eignung einer Ergänzungsschule zur Erfüllung der Schulpfl icht festgestellt werden könnte. Nach den nun vorliegenden Lehrplänen für Grund- und Hauptschulen ist davon auszugehen, dass der Unterricht in Klosterzimmern im Wesentlichen den Vorgaben der staatlichen Lehrpläne entspricht. Es gibt lediglich Abweichungen in Bezug auf die Sexualkunde und den Religionsunterricht.

Ich muss sagen: Man freut sich nicht über diesen Weg, aber bei einer Überprüfung in Bezug auf die Verhältnismäßigkeit ist er in Anbetracht dessen, was wir sonst tun müssten, verantwortbar. Herr Kollege Maget, Sie haben das, was wir sonst tun müssten, auf den Punkt gebracht. Ich kann es von meiner Seite nur wiederholen.

Liebe Damen und Herren von der GRÜNEN-Fraktion, wissen Sie, was Sie mit ihrem Antrag fordern? Folgte man Ihrem Antrag, gäbe es nur zwei Konsequenzen. Das Verbot der Gemeinschaft steht nicht zur Debatte. Ein Verbot müsste an anderer Stelle entschieden werden und angesichts des hohen Ranges der Religionsfreiheit in Deutschland, der aus historischen Gründen durchaus gerechtfertigt ist, ist es extrem schwer, eine Religionsgemeinschaft zu verbieten. Das heißt, es gebe in diesem Fall nur zwei mögliche Maßnahmen: entweder die Mütter einsperren oder die Kinder ins Heim schicken. 33 Kinder in ein Heim zu schicken, würde einen kollektiven Entzug des Erziehungsrechts der Eltern bedeuten. Einen solchen Fall hat es in Deutschland bisher noch nicht gegeben. Ich möchte nicht wissen, welche Vorwürfe von Ihrer Seite erhoben würden, wenn wir dies machen würden und wenn morgen die Polizei vor den Türen der Familien stünde und die Mütter – von einem gigantischen Medienaufwand begleitet – herauszerren würde, oder nach einem

Entzug des Sorgerechts die Kinder ins Heim gesteckt würden.

(Beifall bei der CSU)

Ist Ihnen bewusst, was Sie hier fordern?

(Zuruf von den GRÜNEN)

Das ist die Konsequenz. Im Übrigen habe ich erhebliche Zweifel, ob dies aufgrund der Vorgaben und Gerichtsurteile rechtlich haltbar wäre.

Übrigens kann ich mich daran erinnern: Wir hatten schon einmal eine heiße Diskussion über eine Privatschule „Universelles Leben“. Ich habe auch bei dieser Diskussion keine deutlichen Stimmen von den GRÜNEN gehört, die sich gegen dessen Vorgehen gewandt hätten. Ich hätte mich damals auch über Flankenschutz von den GRÜNEN gefreut, ebenso wie Frau Radermacher.

Wir machen alles, was geht, um die Schulpfl icht durchzusetzen. Hier wäre aber bei einer Durchsetzung der Maßnahmen die Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt.

Lassen Sie mich aufgrund der beschränkten Redezeit einen letzten Satz, eine politische Äußerung anführen: Ich würde mir von den GRÜNEN wünschen, dass sie diese Konsequenz bei der Abschiebung geduldeter Asylbewerber oder bei der Durchsetzung des Verbotes von Rauschgift in der gleichen Weise zeigen würden wie hier.

(Beifall bei der CSU)

Eine weitere Wortmeldung: Frau Kollegin Tolle.

Ich fange einmal damit an festzustellen, dass es eine Unterstellung ist, wir wollten, dass die Mütter verhaftet würden; Sie versuchen, uns das in die Schuhe zu schieben. Einen solchen Vorwurf weise ich weit von mir. Für uns steht das Wohl der Kinder im Vordergrund.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich möchte noch einmal auf einen ganz wichtigen Satz, den Sie gesagt haben, hinweisen. Sie haben gesagt: Es gibt keine Vereinbarung. Das ist hoch interessant, Herr Kollege Freller. Der evangelische Sektenbeauftragte hat mir in einem langen Gespräch dieses Muster nämlich genau erklärt. In der Region heißt es, die Mitglieder der Zwölf Stämme hätten noch nicht geantwortet. In letzter Konsequenz stehen diese bloß da. Das Rudimentäre, das sie bisher vielleicht verhandelt haben, lassen sie vielleicht auch noch platzen. Denn es stellt sich weltweit heraus, dass diese Sekte ihre Kinder quasi als ihre legitimen Nachfolger empfi ndet. Deshalb geht die Sekte im Bildungsbereich keine Kompromisse ein.

Das Konstrukt „Ergänzungsschule“ unterliegt dann nicht mehr den staatlichen Bildungs- und Erziehungszielen, auf die wir uns geeinigt haben. Wenn Sie das zulassen, kann

mittlerweile jeder herkommen und sagen: Ich habe ein religiöses Gefühl und möchte dieses und jenes im Lehrplan nicht durchgenommen wissen; deshalb gründe ich eine eigene Schule.

Es ist eine politische Entscheidung, ob Sie solches zulassen wollen, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, oder nicht. Wenn Sie die nicht existierende Vereinbarung mit den Zwölf Stämmen tolerieren, dann stimmen Sie heute dafür, dass in Bayern jeder – zum Beispiel von der Scientology –, der eine eigene Schule haben will, dies verwirklichen kann. Hierüber müssen Sie entscheiden.