Protokoll der Sitzung vom 29.11.2012

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 113. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, sich von den Plätzen zu erheben.

(Die Anwesenden erheben sich)

Heute Morgen hat uns die traurige Nachricht erreicht, dass Hans Angerer, der langjährige Vorstand und spätere Kuratoriumsvorsitzende des Hausherrn, nämlich der Stiftung Maximilianeum, nach kurzer, schwerer Krankheit im Alter von 70 Jahren verstorben ist. Von 1998 bis 2006 war er Regierungspräsident von Oberfranken. Hans Angerer hat in seinen beiden Funktionen wesentlich dazu beigetragen, dass das Miteinander von Stiftung und Bayerischem Landtag unter einem Dach harmonisch und von gegenseitigem Verständnis geleitet war und bis heute ist. Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren. - Ich danke Ihnen, dass Sie sich von Ihren Plätzen erhoben haben.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich noch drei Geburtstagsglückwünsche aussprechen. Am 18. November feierte Kollege Dr. Paul Wengert einen runden Geburtstag.

(Allgemeiner Beifall)

Jeweils einen halbrunden Geburtstag feierten am 19. November Frau Kollegin Margit Wild und am 23. November Frau Kollegin Helga Schmitt-Bussinger.

(Allgemeiner Beifall)

Ich wünsche den Kolleginnen und Kollegen im Namen des gesamten Hauses und persönlich alles Gute und weiterhin viel Erfolg für ihre parlamentarische Arbeit.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde gem. § 65 GeschO auf Vorschlag der SPD-Fraktion "Chaos mit Ansage: nachgelagerte Studiengebühren!"

In der Aktuellen Stunde dürfen die einzelnen Redner grundsätzlich nicht länger als fünf Minuten sprechen. Auf Wunsch einer Fraktion erhält einer ihrer Redner bis zu zehn Minuten Redezeit. Dies wird auf die Anzahl der Redner der jeweiligen Fraktionen angerechnet. Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung das Wort

für mehr als zehn Minuten, erhält auf Antrag einer Fraktion eines ihrer Mitglieder Gelegenheit, fünf Minuten ohne Anrechnung auf die Zahl der Redner dieser Fraktion zu sprechen.

Wir beginnen nun mit der Aktuellen Stunde. Erste Rednerin ist Frau Kollegin Natascha Kohnen. Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gute zwei Wochen her, dass Ministerpräsident Seehofer nach dem vorerst letzten Koalitionskrisengipfel in München erklärte, er werde jeden Tag für die Abschaffung der Studiengebühren werben. Es gehe ihm dabei nicht um Macht. Natürlich nicht, Herr Seehofer. Stattdessen geht es, Herr Seehofer, um die soziale Balance. Die finanzielle Lage des Freistaates sei derzeit sehr gut; deshalb müsse man zur Unterstützung der Universitäten nicht mehr die Studenten heranziehen; er kämpfe für ein sozial gerechtes Bayern. Ich kann nur sagen: Bravo, Herr Seehofer, willkommen im sozialdemokratischen Boot.

(Beifall bei der SPD)

Das Zentralorgan "Bayernkurier" der CSU setzte am 24. November noch eins drauf. Schwarz auf weiß heißt es dort, man werde im Rahmen der Abstimmung im Landtag im Frühjahr über den Inhalt des Volksbegehrens in jedem Fall gegen die Studiengebühren stimmen. Sollten für das Volksbegehren nicht genügend Stimmen gesammelt werden, soll die Abschaffung ins CSU-Wahlprogramm aufgenommen werden jeden Tag, in jedem Fall gegen Studiengebühren.

Was ist denn an diesen markigen Aussagen heute, am 29. November, noch dran? Gilt Ihr Wort noch in irgendeiner Form, oder ist es das Geschwätz von gestern? Das ist wieder ein typischer "Drehhofer" mit einer rasanten Halbwertszeit; denn letzten Freitag, am Erscheinungstag des CSU-Zentralorgans "Bayernkurier", in dem heftigst gegen Studiengebühren zu Felde gezogen wird, findet der Ministerpräsident dann doch wieder Gefallen an Studiengebühren, nämlich an nachgelagerten Studiengebühren. Erst hü, dann hott. Was denn jetzt, Herr Jörg?

Glauben Sie, meine Damen und Herren Abgeordneten der CSU als Mitglieder der Regierungsfraktion, allen Ernstes, dass sich bei dieser Zickzack-Politik irgendjemand in Bayern noch auskennt und weiß, was Sie wollen? Wissen Sie es eigentlich selbst überhaupt noch? Angeblich wegen der sozialen Balance deklarierten Sie vor zwei Wochen angesichts des drohenden Volksbegehrens: weg mit den Studiengebühren. Die Studiengebühren sind übrigens von Ihrer Regie

rung eingeführt und von Ihrer Fraktion brav abgenickt worden. Vor sechs Tagen dann doch wieder: her mit den Studiengebühren, wenn nicht während des Studiums, dann danach. Die soziale Balance ist Ihnen jetzt plötzlich wieder wurscht. Das, was Sie neuerdings nachgelagerte Studiengebühren nennen, läuft auf nichts anderes hinaus als auf die bekannten Studiendarlehen. Die Erfahrung zeigt, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass viele junge Leute aus finanzschwächeren Schichten ohne Finanzpolster des Elternhauses vor einem Studium zurückschrecken. Damit ist es wieder nichts mit der sozialen Balance, die Sie so gerne im Munde führen; denn soziale Balance gibt es nur, wenn endlich für alle gilt: Bildung darf nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen.

(Beifall bei der SPD - Thomas Hacker (FDP): Deswegen fangen wir mit der frühkindlichen Bildung an!)

- Lieber Herr Hacker, bezüglich der frühkindlichen Bildung sage ich: Sie haben für das Betreuungsgeld gestimmt.

Liebe Endzeitkoalitionäre, was Sie den Leuten da zumuten, ist ein Regierungschaos, nichts anderes.

(Beifall bei der SPD)

Wer klar denkt, kann das auch klar aussprechen. In den Reihen der CSU tut dies zum Beispiel Ihr Ex-Innenstaatssekretär Bernd Weiß. Im "Main-Echo" von vorgestern antwortete er auf die Frage: "Laviert Ihnen die CSU zu sehr herum?" klipp und klar − ich zitiere Herrn Weiß -:

Aber ganz deutlich. Das Lavieren wird regelrecht zur Kunstform erhoben. Man meint inzwischen, es geht gar nicht mehr darum, Mehrheiten für irgendetwas Inhaltliches zu gewinnen. Die Mehrheit für die CSU ist für sich genommen Grund genug für Politik.

Ihr Fraktionskollege sehnt sich − so das Zitat − nach einer CSU, die wiedererkennbar für etwas steht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, wenn Sie schon die Kritik von mir als Sozialdemokratin nicht hören wollen, dann hören Sie wenigstens auf die Stimme der Vernunft in Ihren eigenen Reihen. Sonst bleibt die CSU, was sie unter ihrem gegenwärtigen Parteivorsitzenden ist, nämlich ein Bauchladen der Beliebigkeiten, in dem es nur noch um Machterhalt geht, wie es Ihr Kollege Weiß sehr deutlich kritisiert hat.

(Beifall bei der SPD)

Was Sie damit produzieren, ist Politikverdrossenheit sondergleichen. Wer die Demokratie stärken will, sollte die Menschen nicht schlichtweg für blöd verkaufen.

Wenn Sie Ihrem Kollegen Bernd Weiß nicht folgen wollen, dann hören Sie wenigstens auf Ihren ehemaligen Parteivorsitzenden Erwin Huber. Der sagt zum Thema Studiengebühren heute im "Bayernkurier": Wir sollten nicht aufgeregt agieren, sondern mit kühlem Kopf die ganze Sache durchdenken. - Er meint damit sicher in erster Linie seinen eigenen Nachfolger.

Betrachten Sie also Ihren vorerst jüngsten Gebührenvorschlag zur Rettung Ihrer verbrauchten Koalition bis zum Wahltag mit kühlem Kopf, Herr Jörg. Bedenken Sie beispielsweise folgende Punkte: Welche Planbarkeit haben Hochschulen bei nachgelagerten Studiengebühren? - Keine. Wer treibt die Gebühren ein? Wer bittet die ausländischen Studierenden nachher zur Kasse? − Es ist doch ein Märchen, dass ein Studium ein Garant für ein späteres gutes Einkommen ist. Werden Studierende ihre Studiengänge in Zukunft danach auswählen, wie viel sie verdienen werden? Ist eine Ökonomisierung der Studienfachwahl das, was wir in unserem Land wollen, wo wir doch immer gern das Wort "diversity" in den Mund nehmen? Machen Sie wirklich das, wo Sie hinwollen?

Ist es sozial gerecht, dass finanzstarke Haushalte die nachgelagerten Studiengebühren für ihre Kinder begleichen können, während Kinder aus sozial schwächeren Haushalten jahrzehntelang ihren Schuldenberg abbezahlen müssen? Ist es das, was Sie unter sozialer Balance verstehen?

(Dr. Thomas Goppel (CSU): Oh!)

- Wenn Sie "oh!" rufen, dann kann ich nur sagen: Denken Sie einmal darüber nach, Herr Goppel. Das ist ja angeblich Ihr Vorschlag. Und gehen Sie bitte nicht der FDP auf den Leim, die die nachgelagerten Studiengebühren als sozial gerecht bezeichnet und sagt, deswegen brauche man sie; denn der Chefarztsohn müsse ja schließlich das Studium der Krankenschwestertochter mitfinanzieren. Dazu sage ich Ihnen eines: Dafür gibt es eine bessere Lösung in unserem Land. Setzen Sie sich doch endlich mit kühlem Kopf für ein gerechtes Steuersystem ein. Dann kann nämlich der Chefarztsohn seinen sozialen Beitrag leisten.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich nun einen Blick auf die Chancengerechtigkeit werfen. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Frauen länger brauchen, um ihre Schulden zurückzuzahlen. Warum? - Einesteils ist an den Verzicht auf Erwerbseinkommen bei Familiengründung zu denken. Andernteils verdienen Frauen noch immer weni

ger als ihre gleichqualifizierten Kollegen. Hier ist es besonders spannend, dass deutschlandweit die Lohndifferenz zwischen Männern und Frauen bei 22 %, in Bayern aber − das ist fast am höchsten − bei 26 % liegt; diese Zahl ist in den letzten Jahren um drei Prozentpunkte gestiegen. Bayern würde bei Einführung nachgelagerter Studiengebühren die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen zusätzlich fördern. Das würde ich als soziale Selektion bereits an den Hochschulen bezeichnen.

Zum Schluss sage ich, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen von der CSU: Respice finem! Bedenken Sie das Ende! Was tun Sie denn bei einem erfolgreichen Volksbegehren? Wollen Sie dann gegen eine Abschaffung der Studiengebühren stimmen, wie Sie es angekündigt haben, oder einen eigenen Gesetzentwurf für Studiengebühren vorlegen? Herr Jörg, hier blickt kein Mensch mehr durch. Machen Sie endlich klar Schiff. Sagen Sie den Menschen, wo Sie lang wollen, und folgen Sie nicht dem ewigen Hü-und-Hott Ihres derzeitigen Parteivorsitzenden. Mit einem klaren Kurs ist allen viel mehr gedient: den Studierenden, ihren Eltern, auch den Hochschulen und, ehrlich gesagt, der Politik insgesamt.

(Beifall bei der SPD)

Als Nächster hat Herr Kollege Oliver Jörg von der CSU das Wort.

Herr Präsident, geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Die Studierenden, aber in gleicher Weise auch unsere Hochschulleitungen haben es verdient, dass wir uns in diesen Tagen eher auf das besinnen, was wir erst vor wenigen Tagen im Plenum hier vorgetragen haben, auf das, womit wir uns intensiv auseinandergesetzt haben. Sie werden nicht erleben, dass ich auf polemische Debatten und all die Provokationen eingehe, die von Ihnen ausgegangen sind. Ich will nämlich, dass vor allem für unsere Hochschulleitungen und Studierenden die Botschaft, die wir von der CSU-Landtagsfraktion vor zwei Wochen ausgesprochen haben, Bestand hat.

Wir haben jetzt die Haushaltsberatungen vor uns. Wir machen das Wichtigste, was in Bayern zu tun ist, indem wir für die kommenden zwei Jahre einen ordentlichen Haushalt aufstellen. Wir werden, wie vor zwei Wochen kommuniziert, Ende Januar gemeinsam mit der FDP-Fraktion weitere Gespräche über die Studiengebühren führen. Ansonsten hat sich an unserer Haltung überhaupt nichts geändert.

(Zurufe von der SPD)

- Unsere Haltung kennen Sie. Darüber brauchen Sie nicht polemisch zu reden. Alle, die an der Behandlung des Themas teilnehmen und sich die Mühe machen zuzuhören, wissen ganz genau, dass die CSU-Landtagsfraktion einen Beschluss gegen Studienbeiträge gefasst hat. Sie wissen ganz genau, dass wir uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht haben. Auch zu der Frage, wie wir gemeinsam zu unserer Koalition stehen, habe ich Ihnen vor zwei Wochen einiges erläutert. Deswegen mache ich es hier kurz. Ich werde nicht auf Ihre Polemik einsteigen.

(Beifall bei der CSU)

Als nächster Redner hat Herr Professor Michael Piazolo von den FREIEN WÄHLERN das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! In diesen Tagen steigt meine Achtung vor den Verfassungsvätern und -müttern, die in weiser Voraussicht der Volksgesetzgebung nicht nur eine Chance gegeben haben, quasi als Plan B, sondern sie sogar in der Verfassung verankert haben − als hätten sie geahnt, dass es taumelnde Regierungsfraktionen geben kann und dass man dann dem Volk die Chance geben muss, die Dinge selber in die Hand zu nehmen. In dieser Situation sind wir jetzt, und ich mahne an, dass wir diese Möglichkeit nutzen. Wir haben sie erhalten, und ich sage ganz offen: Wir halten Kurs. Unser Bündnis gegen Studienbeiträge steht. Wir werden von 17. bis 30. Januar 2013 die Bevölkerung fragen, und sie wird diese Frage entscheiden, zu deren Entscheidung Sie nicht in der Lage sind, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Es ist wirklich so, dass täglich neue Ideen durch den Landtag gejagt werden. Jetzt sind es die nachgelagerten Studiengebühren,

(Tobias Thalhammer (FDP): Das ist keine neue Idee!)

als wären nachgelagerte Studiengebühren nicht auch Studiengebühren. Das ist wie das Kind, das die Augen zumacht und glaubt, dass es dann nicht mehr gesehen wird. So denken Sie: Wenn wir die Gebühren nachher erheben, dann merken das die Studierenden vielleicht nicht gleich. Meine Damen und Herren, die Studierenden sollen wissenschaftlich ausgebildet werden. Sie wissen natürlich schon: Ob wir die jetzt zahlen oder später, das kommt ziemlich auf das Gleiche hinaus. Alle Studiengebühren, ob nachgelagert, vorgelagert, zwischen- oder endgelagert, sind sozial ungerecht.