Ich spreche hier von Opfer. Objektiv gesehen ist diese Frau Opfer von Polizeigewalt geworden. Es stellt sich nur die Frage, ob eine Notwehrsituation vorgelegen hat und diese Gewaltausübung gerechtfertigt gewesen ist. Dies wird gerade geprüft. Ihr die Opfersituation abzusprechen, ist Ihrerseits nicht fair.
Ein Weiteres. Natürlich ist es nötig, derartige Vorfälle − dieser ist tatsächlich sehr krass − im Parlament aufzubereiten. Auf der anderen Seite wissen Sie ganz genau, dass sich die grüne Fraktion sehr wohl für eine gute Ausstattung, für eine gute Bezahlung und für Hilfestellungen für Polizeibeamte, die Opfer von Gewalttaten geworden sind, massiv einsetzt. Wo bleibt von Ihnen die Aussage, dass bei Ansprüchen, die Polizeibeamte und Polizeibeamtinnen gegenüber ihren Schädigern haben, auf denen sie aber sitzen bleiben, weil die Schädiger mittellos sind, der Staat eintritt? Wo bleibt die Aussage, dass bei verletzten Polizeibeamten, die Schadenersatzansprüche etc. haben, diese aber nicht durchsetzen können, der Staat eintritt? Dies müsste endlich gemacht werden, statt nur Lippenbekenntnisse abzugeben.
Liebe Frau Kollegin Tausendfreund, den Vorwurf der Unterstellungen kann ich gerne zurückgeben. Der Begriff des Opfers ist einfach nicht korrekt. Korrekt wäre: polizeiliches Gegenüber. Sie können dann Opfer sagen, wenn ein Ermittlungsverfahren zu Ende ist und das Ergebnis war, dass der Polizist schuldhaft, vorsätzlich, fahrlässig, wie auch immer, jedenfalls ohne Notwehr gehandelt hat. Dann kann man von Opfer sprechen. Man kann aber nicht von Opfer sprechen, wenn noch nicht feststeht, was wirklich vorgefallen ist, mit welcher Motivation, mit welcher möglichen rechtlichen Rechtfertigung gehandelt wurde. Ich glaube, das ist der zentrale Punkt. Wenn Sie bei jedem Spiegelstrich das Wort Opfer verwenden, brauchen Sie nicht verwundert zu sein, wenn man das genauso versteht. Sie wollen ja auch, dass es so verstanden wird.
Ich glaube, heute ist nicht der Raum und der Ort, um über Ausstattung der Polizei usw. zu diskutieren. Ich erinnere mich aber noch sehr gut an die Auseinandersetzung im Rechtsausschuss, als es um den Fall Tennessee Eisenberg ging, der ebenfalls ausermittelt wurde und bei dem zum Schluss die Staatsanwaltschaft zu dem Ergebnis kam: Es liegt kein strafbares Handeln der Beamten vor. Sie, liebe Frau Kollegin, haben dann im Rechtsausschuss geäußert, dass Sie das bedauerlich finden würden, dass Sie es besser finden würden, die Beamten wären angeklagt worden, damit im Rahmen eines öffentlichen Strafverfahrens die Unschuld festgestellt werden kann. Ich habe irgendwann einmal gelernt: Die Staatsanwaltschaft darf erst anklagen, wenn sie davon überzeugt ist, dass eine Straftat vorliegt. Ich nehme an, dass das der Maßstab ist, den Sie auch bei Mandanten von Ihnen anwenden. Das ist Ihr Verhältnis zur bayerischen Polizei. Das halte ich für falsch.
(Vom Redner nicht auto- risiert) Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Vorfall vom 20. Januar gehört ganz sicher zu denjenigen, die nachdenklich machen. Eine junge Frau ruft bei der Polizei an und bittet um Hilfe. Ein paar Stunden später ist sie schwer verletzt: Hornhautverletzung, Nasenbeinbruch, angebrochene Augenhöhle. Natürlich war keiner von uns dabei. Natürlich ist es eine typische Konstellation bei Konflikten zwischen Bürgern und Polizeibeamten, dass man keine unbeteiligten Zeugen hat und dass es unterschiedliche Versionen vom Tathergang gibt. Dies ist aber auch ein Fall, der in mehrfacher Hinsicht nicht typisch ist.
Erstens. Nicht die Polizei hat einen Verdächtigen aufgegriffen, sondern die Betroffene hat sich selbst an die Polizei gewandt. Zweitens. Es handelte sich nicht um einen kräftigen Mann, sondern um eine zierliche junge Frau. Drittens. Die Betroffene befand sich nicht nur in Gewahrsam der Polizei auf einer Dienststelle; sie war auch noch gefesselt. Wie gesagt: Das alles macht nachdenklich.
Wir wissen alle, dass die Aggression gegenüber Polizeibeamten zunimmt. Wir wissen alle, dass Polizeibeamte beleidigt, bespuckt und geschlagen werden. Polizeibeamte haben aber aufgrund ihrer besonderen Eingriffsbefugnisse auch besondere Pflichten. Umso wichtiger ist es deshalb, dass die erhobenen Vorwürfe schnell, vollständig und lückenlos aufgeklärt werden.
Gerade der Fall, über den wir hier im Landtag diskutiert haben, der Fall des früheren Leiters der Polizeiinspektion Rosenheim, der vom Landgericht Traunstein zu einer Strafe von elf Monaten auf Bewährung verurteilt worden ist, zeigt, dass unser Rechtsstaat funktioniert.
Trotzdem gibt es eine Schwierigkeit. Die Schwierigkeit besteht darin, dass die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren führt, die Ermittlungen aber in der Praxis Sache der Polizei sind, dass Kollegen gegen Kollegen ermitteln und dass auch die Staatsanwälte tagtäglich mit den Polizeibeamten zusammenarbeiten und hier ein ganz besonderes Vertrauensverhältnis bestehen muss. Für die Öffentlichkeit wirkt diese besondere Nähe zwischen Ermittelnden und Beschuldigten oft seltsam. Zu leicht entsteht der Eindruck, es werde aus Gründen eines falsch verstandenen Korpsgeistes eine Mauer des Schweigens errichtet − ich betone ausdrücklich: es entsteht der Eindruck. Es geht nicht um wirkliche Befangenheit, sondern es geht um die Besorgnis der Befangenheit. Dem gilt es entgegenzuwirken, und zwar nicht nur, weil wir das dem Rechtsstaatsprinzip und einer größtmöglichen Transparenz schuldig sind, sondern vor allem, weil wir dies dem Ruf von fast 40.000 bayerischen Polizeibeamten schuldig sind, die sich trotz oft schwierigster Situationen fast immer korrekt, besonnen und angemessen verhalten.
Es ist doch der Ruf unserer Polizei, der durch Gewalttaten leidet, die nicht oder nicht restlos aufgeklärt werden. Deshalb war es ein richtiger erster Schritt, dass die Bayerische Staatsregierung zunächst zwei zentrale Ermittlungsstellen bei den Polizeipräsidien München und Nürnberg geschaffen hat, um die Aufklärung zu optimieren. Trotzdem kann es natürlich sein, dass Beamte gegen Kollegen aus dem eigenen Haus ermitteln müssen.
Deswegen war es ein richtiger zweiter Schritt, dass der bayerische Innenminister dafür gesorgt hat, dass beide Ermittlungsstellen dem Landeskriminalamt zugeordnet werden. Trotzdem gilt natürlich: Das Landeskriminalamt untersteht dem Innenministerium; es ist eine klassische Polizeibehörde. Deswegen meine ich: Der Spruch "Aller guten Dinge sind drei" wäre auch hier berechtigt. Wir Liberale wünschen uns mittelfristig eine unabhängige Stelle, die solche Vorkommnisse untersucht, die nicht bei der Exekutive angesiedelt ist und eine größere Distanz zur Polizei aufweist.
Damit komme ich zu den Äußerungen des Münchner Polizeipräsidenten. Natürlich ist es nachvollziehbar,
dass sich ein Polizeipräsident vor seine Beamten stellt. Die Aussagen, mit denen der Münchner Polizeipräsident in den Medien zitiert worden ist − ich weiß nicht, inwieweit sie zutreffen −, zeigen besonders, wie wichtig eine solche Distanz ist. Wer hier von einer "konsequenten Vorgehensweise" spricht, handelt mehr als befremdlich. Deswegen sage ich auch ausdrücklich: Auch diese Aussagen müssen überprüft und gewürdigt werden.
Der Dringlichkeitsantrag von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ist in manchen Formulierungen missverständlich, und ich verstehe, dass hier gerade bei unserem Koalitionspartner Probleme bestehen, der sagt, er nehme Ergebnisse vorweg. Auch ich bin der Auffassung: Die Unschuldsvermutung gilt auch für Polizeibeamte. Vorfälle wie derjenige, der sich am 20. Januar auf der Polizeiinspektion 21 München-Au ereignet hat, eignen sich nicht für eine Vorverurteilung der handelnden Beamten, sie eignen sich aber auch nicht für eine reflexartige Verteidigung der Polizei. Deswegen wollen wir lückenlose Aufklärung, und deswegen bitte ich um Zustimmung zu unserem Dringlichkeitsantrag.
Vielen Dank, Herr Dr. Fischer. Bevor ich Frau Schmitt-Bussinger ans Mikrofon bitte, gebe ich bekannt, dass sowohl für den Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 16/15705 von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN als auch für den Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 16/15726 der CSU- und der FDP-Fraktion jeweils namentliche Abstimmung beantragt worden ist. Frau Schmitt-Bussinger hat nun für die SPD das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Herrmann, vorab sage ich an Ihre Adresse: Zunächst hatte ich den Eindruck, Sie hätten gut angefangen, und meinte, Sie seien tatsächlich ernsthaft an Aufklärung interessiert. Aber als Sie das Thema "Gewalt gegen Polizei" als das größere Problem im Vergleich zu polizeilichen Übergriffen darzustellen versucht haben, hat man doch wieder gesehen, dass Sie in alte Denkmuster verfallen und tatsächlich nichts gelernt haben.
Um es ganz klar zu sagen: Wir wollen keine Gewalt gegen Polizisten, und wir wollen auch keine unnötige, überzogene Gewalt von Polizisten. Das muss uns allen klar sein.
Leider, verehrte Kolleginnen und Kollegen, müssen wir uns heute im Parlament wieder einmal mit möglichem Fehlverhalten von Polizeibeamten
beschäftigen; dies nicht etwa, weil irgendjemand hier im Hause bayerische Polizisten vorführen oder als prügelnde Rambos darstellen will.
− Nein. - Die Gründe, sich heute mit Polizeiübergriffen auf eine junge Münchnerin zu befassen, sind ganz, ganz andere. Zum Ersten: In den letzten Monaten und Jahren scheinen sich derartige Fälle zu häufen. Ich brauche nicht an die schon genannten Beispiele aus Rosenheim zu erinnern oder an den Fall Tennessee Eisenberg oder daran, dass ein junger Mann von einem Polizeichef höchstpersönlich getreten und geschlagen wurde. Des Weiteren erinnere ich an die entwürdigende Drogensuche in einer Münchner Bahnhofswache und, und, und. Da gäbe es vieles aufzuzählen.
Der zweite Grund ist natürlich der konkrete, aktuelle Übergriff auf eine junge Münchnerin, von dem ich gelesen habe und der mir so unglaublich erscheint und der so viele Fragen offen lässt, dass der Landtag hier eine Aufklärung einfordern muss. Wenn man weiß, dass die betroffene junge Frau etwa meine Statur hat und dass sie gefesselt war, ist schon fragwürdig, dass ein Faustschlag ins Gesicht die einzige Möglichkeit der Notwehr gewesen sein soll, um einen möglichen Kopfstoß abzuwenden.
Kolleginnen und Kollegen, wir wissen: Polizei darf in gewissen Situationen Gewalt anwenden. Dabei kann es immer wieder zu Grenzüberschreitungen kommen. Das ist so, und das kann so sein. Entscheidend ist dabei aber, wie mit diesen Grenzüberschreitungen umgegangen wird. Gibt es eine transparente Fehlerkultur oder nicht? Die zentralen Ermittlungsstellen in München und Nürnberg waren ein erster Schritt. Er kam zwar spät, aber er kam. Ein weiterer richtiger Schritt ist sicherlich die Zuordnung der beiden Ermittlungsstellen zum Landeskriminalamt außerhalb der jeweils zuständigen Präsidien. Hier haben Sie sich, Herr Innenminister Herrmann, bewegt. Ob Sie sich hier allerdings freiwillig bewegt und aus besserer Einsicht gehandelt haben oder ob Sie den Münchner Po
Im Übrigen hat sich Polizeipräsident Schmidbauer hier alles andere als klug, alles andere als sinnvoll verhalten. Wenn Herr Polizeipräsident Schmidbauer diesen Faustschlag als "konsequent" bezeichnet, redet er sich um Kopf und Kragen. Er macht es sich zu einfach, und er schadet seiner Polizei, wenn er eine Medienkampagne als das Hauptproblem wahrnimmt. Ich sage vielmehr: Erst die Presseberichterstattung hat den notwendigen Aufklärungsdruck erzeugt. Dass Aufklärung hier erfolgen muss, sehen wir in diesem Hause alle so. Kolleginnen und Kollegen, Polizisten genießen in unserem Land zu Recht mit das höchste Ansehen unter allen Berufsgruppen. Die Menschen haben Vertrauen zu unserer Polizei und wenden sich oft in größter Not an sie. Das soll auch so bleiben.
Auch deswegen muss dieser Vorfall aufgeklärt werden. Falls es Verfehlungen vonseiten der Polizeibeamten gegeben hat, müssen sie entsprechend verfolgt werden. Aber ich meine auch, dass wir dabei nicht stehen bleiben dürfen. Wir müssen den Fokus stärker auf Konflikttraining und auf Deeskalation legen, und zwar nicht nur in der Ausbildung. Hier darf außerdem nicht unerwähnt bleiben, dass die große Personalknappheit bei der bayerischen Polizei zu einer starken Belastung, auch zu einer starken psychischen Belastung führt.
Auch hier muss entsprechend gehandelt werden; mehr Polizistinnen und Polizisten müssen eingestellt werden.
(Stefan Schuster (SPD): Das war’s nicht wert! Harald Güller (SPD): Der Kollege hat sich selbst auch nicht verstanden!)
Reden Sie einfach weiter, Frau Kollegin. Der Kollege hat jetzt keine Frage, keine Zwischenbemerkung angemeldet.
Ich möchte nur noch zwei Dinge sagen. Es ist an der Zeit, sich diesem Thema mit einer wissenschaftlichen Aufarbeitung zu nähern. Kol
legin Tausendfreund hat gesagt, dass es endlich bundeseinheitliche Statistiken geben muss, um dieses Tabu aufzubrechen. Es darf auch keine Denkverbote in Richtung einer unabhängigen Kontrollinstanz gegen polizeiliche Gewalt geben.
Kolleginnen und Kollegen, die Berichtsanträge von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und von CSU/FDP sind angemessen und geben uns Gelegenheit, das Thema "polizeiliche Übergriffe" weiter im Auge zu behalten und parlamentarisch aufzuarbeiten. Deshalb stimmen wir vonseiten der SPD-Fraktion auch beiden Berichtsanträgen zu.
Frau Kollegin, stopp, kommen Sie bitte noch einmal. Ich habe mich von Herrn Ländner irritieren lassen. Hier ist eine Zwischenbemerkung von Frau Susanna Tausendfreund. Bitte.