Protokoll der Sitzung vom 21.02.2013

Wir haben das Instrument des probeweisen Vorrückens weiterentwickelt. Die Lehrerkonferenz hat die Möglichkeit, eine Leistungsprognose für die jungen Menschen abzugeben, die dann auf Probe in die nächste Jahrgangsstufe vorrücken können, ihrem Entwicklungsgang gemäß. Wo dies notwendig ist, kann der einzelne junge Mensch das Maß an Lernzeit in Anspruch nehmen, das er für den angestrebten Abschluss benötigt, abgekoppelt von der regulären Schulbesuchsdauer. Diese Möglichkeit besteht in der flexiblen Grundschule und in der Mittelschule, wo der Mittlere Abschluss nach elf statt nach zehn Jahren erworben werden kann.

Wir haben auch die Instrumente der Einführungsklassen und der Vorklassen für die beruflichen Oberschulen und die gymnasiale Oberstufe mit dem Instrument des Flexibilisierungsjahrs am Gymnasium eingeführt. Wir geben damit den jungen Menschen zusätzliche Lernzeit. Natürlich gehören zu diesem Eingehen auf den Entwicklungsweg der jungen Menschen zusätzliche Förderinstrumente, die wir am Gymnasium ab dem kommenden Schuljahr weiter ausbauen. Die zusätzliche Lernzeit, die der junge Mensch in Anspruch nehmen kann, ist aber ein ganz wesentliches Element. Wenn ein Schüler einen Leistungsstand hat, der es angezeigt sein lässt, ein zusätzliches Jahr Lernzeit in Anspruch zu nehmen, wird dies als Pflichtinstrument ermöglicht.

Der Spitzenkandidat der SPD spricht ganz glasklar von einem Abschaffen dieses Instruments und nicht davon, es überflüssig zu machen. Er handelt populistisch. Das ist ganz einfach.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Im Sinne der jungen Menschen geht es darum, zusätzliche Förderung zu organisieren. Wo notwendig, muss eine zusätzliche Lernzeit eröffnet werden. Das ist das Ziel der bayerischen Bildungspolitik. Wir führen den Modellversuch zur flexiblen Grundschule durch. Wir können dabei auch eine individuelle Lernzeitverkürzung anbieten. 1 % der Kinder, die in der flexiblen Grundschule die ersten beiden Jahrgangsstufen besuchen, benötigen dafür ein Zeitjahr. 95 % der Kinder nehmen zwei Jahre in Anspruch. 4 % der Kinder nehmen ein drittes Jahr Lernzeit in Anspruch. In dieser Weise sollte das Instrument der zusätzlichen Lernzeit auch für das Wiederholen angewandt werden. Wer den Kindern, die ein solches Jahr wahrnehmen, das Stigma des Versagers umhängt, der handelt pädagogisch unsinnig und populistisch. Deswegen gehen wir unseren Weg weiter.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Herr Staatsminister, bleiben Sie bitte noch am Mikrofon. Herr Kollege Güll hat sich für eine Zwischenbemerkung gemeldet.

Herr Staatsminister, könnte es sein, dass ich etwas nicht richtig verstanden habe? Ich möchte nachfragen: Haben Sie gesagt, dass wir, die wir alle pädagogischen Register ziehen wollen, um das Versagen zu verhindern, diejenigen sind, die den Schülern das Stigma des Versagers umhängen? Wir?

Offensichtlich!

Könnte es sein, dass sich ein Schüler selbst als Versager empfindet, wenn er verpflichtend wiederholen muss? Könnte es so rum sein?

Ich habe Ihre Pressemitteilung gelesen. Wollen Sie uns wirklich weismachen, dass die Vorklassen oder das 9-plus-2-Modell irgendetwas mit der Individualisierung der Lernprozesse eines Schülers zu tun haben?

Eine letzte Anmerkung: Sie haben gerade eben wieder die wunderbaren Ergebnisse der flexiblen Grundschule angeführt. Der Erfolg dieser Schulform liegt doch gerade darin, dass die Lernprozesse dort individualisiert werden. Wenn wir es überall so machen,

dann brauchen wir das Instrument des Sitzenbleibens nicht. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Wer bei dem Vorgang, dass ein junger Mensch, der Lerndefizite aufholen soll, ein Jahr zusätzlicher Lernzeit in Anspruch nimmt, davon spricht, dass man dieses Instrument abschaffen müsste, weil es die Kinder, die es wahrnehmen, als Versager hervortreten lässt, handelt pädagogisch unverantwortlich. Das ist doch ganz einfach.

Wir haben im bayerischen Bildungswesen in dieser Legislaturperiode mit dem Instrument der Intensivierungsstunden an den Mittelschulen und Gymnasien, mit dem Instrument des Förder- und Ergänzungsunterrichts an der Realschule und mit den Möglichkeiten zusätzlicher Fördermaßnahmen an den Grundschulen die Möglichkeiten für die jungen Menschen weiter ausgebaut. Wir bauen diese Möglichkeiten weiter aus, investieren den Gegenwert von mehreren tausend Lehrerplanstellen und planen strukturell den Einsatz zusätzlicher Lernzeit ein. Damit eröffnen wir an vielen Stellen eine angemessene Bildungsbiografie. Das gilt zum Beispiel für das bayerische Gymnasium mit dem neuen Instrument des Flexibilisierungsjahres. In der Mittelstufe wird ganz gezielt − übrigens gestützt auf eine Bertelsmann-Studie − der Einsatz einer sogenannten "prospektiven Lernzeit", also einer nach vorne gerichteten, zusätzlichen Lernzeit als wichtiges pädagogisches Instrument eingeplant. Ich kann Ihnen die Quelle gerne zugänglich machen. Wir bauen auch die individuelle Förderung aus und stellen dabei zusätzliche Ressourcen zur Verfügung. Wir eröffnen auch eine zusätzliche, individuell einsetzbare Lernzeit. Wenn Sie das verstanden haben, dann freut es mich.

(Beifall bei der CSU)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Dazu werden die Anträge wieder getrennt.

Ich lasse zunächst in einfacher Form über die beiden Anträge von SPD und FREIEN WÄHLERN abstimmen. Anschließend führen wir die namentliche Abstimmung durch.

Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 16/15703 − das ist der Antrag der SPD-Fraktion seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. − Das sind die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Gegenstimmen! − Das sind die Fraktionen der CSU, der FDP, der

FREIEN WÄHLER sowie Frau Kollegin Pauli (frakti- onslos). Damit ist der Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 16/15722 − das ist der Antrag der Fraktion FREIE WÄHLER − mit der Maßgabe, dass der Betreff "Wiederholungsjahr möglichst vermeiden" lauten soll, seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. − Das sind die Fraktion der FREIEN WÄHLER und Frau Kollegin Pauli (fraktionslos). Gegenstimmen! − Das sind die Fraktionen der CSU, der FDP, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Damit ist auch dieser Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

Jetzt kommen wir zur namentlichen Abstimmung über den Dringlichkeitsantrag der Fraktionen der FDP und der CSU auf Drucksache 16/15723. Die Urnen stehen bereit. Ich eröffne die Abstimmung. Es sind fünf Minuten Zeit.

(Namentliche Abstimmung von 15.02 bis 15.07 Uhr)

Damit schließe ich die Abstimmung. Ich bitte, das Ergebnis außerhalb des Saales zu ermitteln. Ich bitte, die Plätze wieder einzunehmen. Das gilt auch für die Regierungsbank.

Ich gebe jetzt die Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen von vorhin bekannt. Das war der Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Georg Schmid, Renate Dodell, Georg Winter und anderer und Fraktion (CSU) sowie der Abgeordneten Thomas Hacker, Karsten Klein, Tobias Thalhammer und anderer und Fraktion (FDP) betreffend "Bekenntnis zur Reform des Länderfinanzausgleichs zugunsten Bayerns", Drucksache 16/15702. Mit Ja haben gestimmt 105, mit Nein haben gestimmt 45, Stimmenthaltungen gab es keine. Damit ist der Dringlichkeitsantrag angenommen.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 2)

Zum nachgezogenen Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Volkmar Halbleib, Inge Aures und anderer und Fraktion (SPD) betreffend "Länderfinanzausgleich gerecht gestalten: Perspektive statt Polemik, konstruktive Verhandlungen statt kontraproduktiver Klage!", Drucksache 16/15721: Mit Ja haben gestimmt 43, mit Nein haben gestimmt 88, Stimmenthaltungen: 15. Damit ist dieser Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 3)

Ich rufe zur gemeinsamen Beratung auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Hubert Aiwanger, Florian Streibl, Prof. Dr. Michael Piazolo u. a. und Fraktion (FREIE WÄHLER) Neuregelung der Rundfunkgebührenerhebung zeitnah nachbessern (Drs. 16/15704)

und

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Harald Güller, Hans Joachim Werner u. a. und Fraktion (SPD) Nachbesserung beim Rundfunkbeitrag: Soziale Härten und unverhältnismäßige Mehrkosten beseitigen (Drs. 16/15724)

und

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Julika Sandt, Tobias Thalhammer, Jörg Rohde und Fraktion (FDP), Georg Schmid, Karl Freller, Eberhard Sinner u. a. und Fraktion (CSU) Neuen Rundfunkbeitrag zügig prüfen, Bürger und Unternehmen entlasten (Drs. 16/15725)

Erster Redner ist Herr Kollege Professor Dr. Piazolo.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Stellen Sie sich eine ältere Frau vor, die vier Kinder erzogen hat und vielleicht nur 15 Jahre gearbeitet hat. Sie ist jetzt 75 und hat eine Rente von 400 Euro. Sie kommt gerade so über die Runden. Sie hat seit vielen Jahren kein Fernsehgerät und nur ein Radiogerät, das sie sich gerade noch leisten kann. Sie zahlt eine Gebühr von knapp über fünf Euro. Jetzt soll sie plötzlich 18 Euro bezahlen. Sie ist keine HartzIV-Empfängerin, weil sie sich etwas gespart hat oder ihre finanziellen Verhältnisse nicht offenlegen möchte.

Das ist kein Einzelfall. Diese Fälle haben wir im Moment ständig im Hochschulausschuss im Zusammenhang mit Petitionen. Wir bekommen viele Briefe. Wir bekommen Briefe von Behinderten, die plötzlich mehr bezahlen müssen. Wir bekommen Schreiben von vielen Kommunen, die bis zum Dreifachen zahlen müssen. Wir wissen auch, dass sehr viele Wirtschaftsunternehmen wesentlich mehr zahlen müssen als bisher.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der 15. Rundfunkänderungsstaatsvertrag weist soziale Härten auf und ist zutiefst ungerecht. Da er auch verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, wird er derzeit vom Verfassungsgericht überprüft. Zudem ist der Vertrag unausgewogen.

Um es von Anfang an klarzustellen: Wir FREIE WÄHLER stehen zum gebührenfinanzierten öffentlich

rechtlichen Rundfunk. Er ist wichtig, sehr wichtig − nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis. Wir wollen aber, dass es transparent und gerecht zugeht. Deshalb haben wir diesen Rundfunkänderungsstaatsvertrag damals abgelehnt. Wir halten es für sinnvoller, sich vor der Verabschiedung von Verträgen und Gesetzen Gedanken zu machen.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Man sollte nicht blindlings etwas verabschieden und dann sagen: In drei, vier Jahren werden wir evaluieren. Dann schauen wir mal, was wir verbessern können. − So stelle ich mir verantwortungsvolle Gesetzgebung und Vertragsschließung nicht vor.

In Ihrem täglichen Leben handeln Sie doch auch nicht so. Sie sagen doch nicht, ich kaufe mir ein Haus, ohne es sich angeschaut zu haben. Erst einmal ziehe ich ein; nach drei Jahren beginne ich zu überlegen, was ich verbessern kann. − So handeln Sie nicht in Ihrem privaten Bereich, aber sehr wohl im öffentlichen Bereich, vor allem deshalb, weil Sie mit den Härten nicht selbst konfrontiert werden. Inzwischen glaube auch ich: Erst wenn Sie aus Ihrem Stimmkreis entsprechende Reaktionen bekommen, merken Sie etwas von den Härten.

Gerade im Interesse der Rentner, der sozial Schwachen und der Behinderten ist es dringend notwendig, jetzt zu handeln. An den nachgezogenen Anträgen erkenne ich, dass auch Sie langsam spüren, dass sich bei der Rundfunkgebühr etwas ändern muss. Viele Menschen sind unzufrieden. Liebe Kollegen von der CSU und der FDP, wenn ich mir allerdings Ihren Antrag anschaue, stelle ich fest, dass Sie auf einen Beschluss vom Mai 2011 Bezug nehmen. Das ist beinahe zwei Jahre her, und schon damals forderten Sie ein "zügiges Überprüfen".

(Julika Sandt (FDP): Die Gebühr ist doch erst zum Januar eingeführt worden!)

Zügig überprüfen wollten Sie schon im Jahr 2011. Das heißt, schon anderthalb Jahre vor Verabschiedung war Ihnen bewusst, dass es Probleme geben wird, und Sie plädierten für eine zügige Überprüfung. Nunmehr wollen Sie aber bis zum Frühjahr 2014 warten.

(Zuruf der Abgeordneten Julika Sandt (FDP))

− So steht es in Ihrem Antrag. Sie haben nicht gecheckt, wo die Probleme liegen. Deshalb braucht es diese Zeit. Ich sage: Wir können nicht bis zum Frühjahr 2014 warten. Das ist zumindest mein Eindruck.

Mein Vorschlag lautet, dass wir jetzt in die Verhandlungen einsteigen. In Fällen sozialer Härten könnte ich mir sogar vorstellen − das sage ich Ihnen ganz offen −, dass es zu einer Beweislastumkehr kommt. Jemand, der nachweist, dass er nur über ein Radio verfügt, soll entsprechend weniger zahlen. Über derartige Vorschläge sollte man zumindest nachdenken.

(Ulrike Gote (GRÜNE): Also zurück zur Geräteabhängigkeit?)