Protokoll der Sitzung vom 11.04.2013

Zur kalten Progression: Grundsätzlich ist der progressive Steuertarif – ich hoffe, dass wir uns darin einig sind; die FDP habe ich auf diesem Feld abgeschrieben – eine wichtige Säule der Steuergerechtigkeit. Die Kombination dieses progressiven Steuertarifs mit der Inflation verlangt, dass man kritisch und genau hinsieht. Im Hinblick auf die niedrigen Inflationsraten der letzten Jahre relativiert sich einiges. Es relativiert sich auch einiges dadurch, dass Rot-Grün – nicht Schwarz-Gelb – eine massive Senkung des Eingangssteuersatzes zur Entlastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durchgesetzt hat. Nicht Sie,

sondern wir haben das für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durchgesetzt.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Wenn man das unter dem Strich sieht, dann ist die Temperatur der kalten Progression in Deutschland in den letzten zehn Jahren eher deutlich über als unter null Grad. Gleichwohl haben wir eine klare Bereitschaft, auch die kalte Progression anzugehen. Ihnen ist das auch bekannt. Die SPD-geführten Bundesländer haben zum einen der Korrektur des Steuerfreibetrages ohne Probleme zugestimmt. Wir haben auch eine klare Bereitschaft signalisiert, bei der Bekämpfung der kalten Progression weiterzugehen. Ich darf das sogar ergänzen: Es besteht eine Bereitschaft der SPD, an den Steuerknick und an den Mittelstandsbauch heranzugehen. Nur die zentrale Frage, die sich bei beiden Themen stellt, nämlich die Frage der Gegenfinanzierung, muss ehrlich beantwortet werden. Dazu sagen Sie kein einziges Wort. Auf diese zentrale Frage geben Sie keine Antwort. Im Prinzip unternehmen Sie einen steuerpolitischen Blindflug, ohne zu sagen, wie er finanziert werden soll. Das kann ja wohl nicht sein,

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

ganz zu schweigen von einem steuerpolitischen Gesamtkonzept. Die klare Position auch zu dem Gesetzentwurf, der den Bundestag passiert hat, ist, dass die Zustimmung gewährleistet ist, wenn die Gegenfinanzierung für die Bundesländer sichergestellt ist. Für Bayern würde es, um von konkreten Beträgen zu reden, Ausfälle im Umfang von 200 Millionen Euro bedeuten. Ich weise nur darauf hin, dass wir in der nächsten Woche ein Haushaltsgesetz beraten, das deutlich mehr Investitionen für die Bildung – zu Recht – vorsieht. Diese müssen aber auf Dauer finanziert werden, und zwar auch dann, wenn es konjunkturelle Abwärtsentwicklungen gibt. Es vergeht kein Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, an dem Sie nicht in Bezug auf Infrastruktur und Bildung vom Bund milliardenschwere Leistungen einfordern. Fernstraßen, Bahn, Infrastruktur, Wohnungsbau oder Energiewende: Überall soll der Bund – wir unterstützen das – milliardenschwere Zugeständnisse machen und milliardenschwere Ausgaben auf den Weg bringen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass wir bei der Infrastruktur und der Bildung – das ist bekannt, und das teilen wir über die Fraktionen hinweg – unterfinanziert sind. Die Hilfeschreie des Verkehrsministers Ramsauer sind mittlerweile Legion, nur ist keine Lösung auf dem Tisch.

Deswegen ist ganz klar: Wenn wir Infrastruktur und die Bildungsfinanzierung voranbringen wollen, wenn

wir gleichzeitig Schuldenbremsen einhalten und die Schuldentilgung voranbringen wollen, dann müssen wir bei der steuerpolitischen Konzeption auch über die Gegenfinanzierung reden. Alles andere wäre unehrlich, wäre Rosinenpickerei ohne Verantwortung.

Deswegen haben wir ein ehrliches Konzept zur Finanzierung und ein ehrliches Steuerkonzept vorgelegt. Das kann man kritisieren, und damit kann man sich auseinandersetzen. Eine bessere Beteiligung hoher Einkommen und Vermögen und natürlich – wir teilen das: bis auf die FDP – die Finanztransaktionssteuer sind notwendig. Wir wollen gleichzeitig mehr Investitionen in die Infrastruktur und in die Bildung. Wir können, wenn wir die Gegenfinanzierung auf den Weg gebracht haben, bei der kalten Progression und beim Steuerknick weiter vorankommen, als Sie es sich im Augenblick vorstellen können. Im Augenblick sind wir bereit, das Thema kalte Progression in dem genannten Sinne, wie es der Finanzminister aus RheinlandPfalz auch vorgetragen hat, mitzutragen. Wir müssen aber über Steuerehrlichkeit und Steuerpolitik reden. Ehrlich währt am längsten, auch in der Steuerpolitik. Das machen Sie leider nicht. Eigentlich hätte Ihr Antrag vor dem Hintergrund Ihrer Scheinheiligkeit und Ihrer Krokodilstränen eine Ablehnung verdient. Insgesamt stehen wir dem Thema aber offen gegenüber und wollen das auch signalisieren. Wir werden uns bei Ihrem Antrag enthalten und bitten um Zustimmung zu dem ehrlichen Antrag der SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Als Nächster hat Herr Pointner für die FREIEN WÄHLER das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde mich nicht auf eine allgemeine steuerpolitische Diskussion einlassen. Es geht heute um die kalte Progression. Wir sollten über dieses Thema heute sprechen, wobei die allgemeine Steuerpolitik ein interessantes Feld ist. In Bezug darauf können wir in den kommenden Wochen und Monaten noch über einiges diskutieren. Ich denke jedoch, dass momentan die kalte Progression im Vordergrund stehen müsste, weil sie im Bundestag und im Bundesrat behandelt wird.

Die Auswirkungen der kalten Progression sind bereits dargestellt worden. Ich möchte es kurz wiederholen, damit die Problematik Ihnen und den Zuhörern bewusst wird. Die kalte Progression führt dazu, dass ein progressiver Steuertarif im Zusammenspiel mit der Inflation den Bürgern eine automatische und heimliche Steuererhöhung aufbürdet. Der Staat bedient sich an den Gehaltserhöhungen der Bürger überproportional,

indem er auch den reinen Inflationsausgleich zusätzlich durch die Progression besteuert.

Dieser Effekt hat sich natürlich in der letzten Zeit etwas abgeschwächt, weil die Inflationsrate Gott sei Dank relativ gering ist. Es ist aber trotzdem Fakt, dass dies so ist. Dieser Steuererhöhungsmechanismus ist leistungsfeindlich und entspricht nicht dem Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Eine Studie – die Zahl ist heute schon genannt worden – hat errechnet, dass der Staat durch die kalte Progression in den Jahren 2010 bis 2017 circa 20 Milliarden Euro zusätzlich an Steuern einnimmt. Durch den steilen Anstieg in der Anfangsphase des Tarifverlaufs, also bei den niedrigen Einkommen – dort haben wir den Sprung von 15 auf 25 % –, belastet dieser Effekt zudem die Geringverdienenden am stärksten. Bis zu 45 % der zusätzlichen Steuerlasten, die die einkommensschwachen Haushalte bis zum Jahr 2017 an den Staat abführen müssen, gehen auf diese automatische Steuererhöhung zurück. Das bedeutet, dass fast die Hälfte der zusätzlichen Steuern in dieser Gruppe nicht durch gestiegene Leistungsfähigkeit begründet ist. Das beschädigt in meinen Augen das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in eine gerechte Steuergesetzgebung zusätzlich. Dieses Vertrauen ist ohnehin nicht besonders ausgeprägt.

Dieser Mechanismus muss im Sinne der Steuergerechtigkeit abgeschafft werden. Dazu genügt es nicht, ständig am Tarifverlauf zu feilen, zum Beispiel durch regelmäßige Erhöhungen der Grundfreibeträge, also des Existenzminimums, und dies als ausreichende Wohltaten der Politik zu verkaufen. Der Steuertarif in Deutschland muss auf eine automatische Anpassung umgestellt werden. Damit könnten die Auswirkungen der kalten Progression erst gar nicht auftreten.

Klar ist – das ist schon angesprochen worden –, dass dies zu Steuerausfällen pro Jahr in Höhe von rund zwei bis drei Milliarden Euro führen wird. Insbesondere im Hinblick auf die Schuldenbremse muss das in der Finanzplanung berücksichtigt werden. Die Finanzierung des Staates sollte aber keinesfalls durch heimliche automatische Steuererhöhungen sichergestellt werden, sondern die Steuerpolitik muss, wenn es notwendig wird, die expliziten Belastungsentscheidungen auf der Grundlage der Leistungsfähigkeit der Bürger treffen. In erster Linie ist aber eine Anpassung der Ausgabenpolitik geboten, soweit das den einzelnen Aufgabenträgern möglich ist.

Die getroffenen Entscheidungen müssen auch durchgesetzt werden. Ebenso muss das bestehende Steuerrecht durchgesetzt werden. Ich muss auch heute noch einmal darauf hinweisen, und wir werden es in den nächsten Wochen wieder behandeln, wenn der

Rechnungshofbericht beraten wird: Ein gutes Stück der Gegenfinanzierung für entgehende Steuereinnahmen können der Finanzminister und der Freistaat bzw. die Staatsregierung durch einen konsequenten Steuervollzug selbst erbringen, nämlich durch eine ausreichende Ausstattung der Finanzbehörden mit Steuerfahndern und Betriebsprüfern und einen permanenten und unermüdlichen Einsatz für ein einfacheres, gerechteres und besser nachvollziehbares Steuerrecht, wie das schon angeklungen ist.

Wenngleich Schwarz-Gelb bzw. die Staatsregierung für die Blockade des Bundesrats zur kalten Progression nicht direkt verantwortlich gemacht werden kann, beim Steuervollzug stehen Sie voll in der Verantwortung und versagen auf der ganzen Linie.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN und Abge- ordneten der SPD)

Wir stimmen dem Antrag der Regierungsfraktionen dennoch zu, weil es heute, wie schon eingangs gesagt, um den Abbau der kalten Progression geht, den wir schon seit Langem fordern.

Zum Antrag der SPD werden wir uns enthalten. Darin gibt es zwar einiges, was auch wir unterstützen; Sie haben ebenso die kalte Progression angesprochen. Ihr Antrag enthält außerdem einiges, was Sie im Ungefähren und Ungewissen lassen. Sie sprechen von großen Vermögen usw. Das müsste man konkret benennen, bevor wir dem zustimmen könnten. Das ist uns zu allgemein gefasst. Wir werden uns daher der Stimme enthalten.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN - Volkmar Halbleib (SPD): Das akzeptieren wir!)

Danke, Herr Kollege Pointner. – Für das BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN bitte ich Herrn Hallitzky ans Mikrofon. – Bitte schön.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir zunächst eine Vorbemerkung zum Thema Heimlichkeit. Das steht in Ihrem Dringlichkeitsantrag im Betreff und in der Begründung. In § 32 a des Einkommensteuergesetzes finden Sie die einschlägigen Bestimmungen. Das Gesetz ist öffentlich. Nichts von dem, was Sie als heimlich bezeichnen, ist heimlich. Ich sage das für den Fall, dass Sie das wirklich einmal suchen wollen. Wahrscheinlich wollen Sie das aber gar nicht.

Ich komme nun zum kleinen Rest Ihres unbedeutenden Dringlichkeitsantrags.

(Heiterkeit der Abgeordneten Ulrike Gote (GRÜ- NE))

Die Debatte, ob - oder besser: wie - wir die unteren und mittleren Einkommen steuerlich entlasten können, ist notwendig. Unser Vorwurf an dieser Stelle deckt sich mit dem des Kollegen Halbleib: Es ist politisch unredlich, eine solche Forderung hinauszuposaunen, wenn der Staat diese Entlastung nicht verkraften kann und kein Wort über die notwendige Gegenfinanzierung verloren wird.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Seit Jahren kritisieren wir von der Opposition unisono mit dem ORH, dass der bayerische Staatshaushalt strukturell im Minus ist. In der Mehrzahl der vergangenen Jahre lagen die Einnahmen des Staates unter den Staatsausgaben. Lesen Sie den ORH-Bericht doch einmal durch. Darin steht das alles, sogar im neuesten. Auch in diesem Wahljahr erleben wir ein strukturelles Minus. Söder, der Finanzminister, gibt wiederum mehr Geld aus, als er einnimmt, und muss Rücklagen aufbrauchen, obwohl die Steuereinnahmen diesmal, worauf hingewiesen wurde, wie nie zuvor sprudeln. Die Existenz des Weihnachtsmannes, jahreszeitlich bedingt des Osterhasen, ist leichter zu belegen als das populistische wie falsche Gerede vom x-ten ausgeglichenen Haushalt in Folge.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das belegt auch, dass der Staat – das sind wir alle, die wir hier verantwortlich Politik machen – in Bayern wie übrigens auch in allen anderen Bundesländern und im Bund selber längst über die Grenzen steuerlicher Entlastungen hinausgegangen ist, die ohne Gegenfinanzierung verantwortbar sind.

(Zuruf von den GRÜNEN: Genau!)

Es kommt noch schlimmer. Um den offiziellen Haushalt aufzuhübschen, verschiebt der Finanzminister gewaltige Lasten in die Zukunft. Wohin wir blicken, sehen wir verdeckte Verschuldung. Die erfolgt übrigens heimlich, Kollege Klein. Ich nenne den Sanierungsstau im Hochbau, im Tiefbau, im Straßenbau, bei den staatlichen Theatern und Museen. Überall herrscht riesiger Sanierungsstau. Das sind künftige Milliardenbelastungen, die Bayerns Steuerzahlerinnen und Steuerzahler irgendwann überrollen werden. Auch hierfür brauchen wir in der Zukunft eine Finanzierung, auch wenn wir sie heute aus dem Haushalt wegdrücken. Ich nenne auch die Pensionslasten. Sie weigern sich, die Rücklagen dafür so zu bedienen, wie dieses Hohe Haus es ursprünglich festgelegt hat. Auch dadurch rollt eine gigantische Milliardenkosten

lawine auf den Freistaat zu. Die Verschiebung von Lasten in die Zukunft bei gleichzeitigen Luftblasenversprechen ist eine der wenigen Konstanten in Seehofers und Söders Finanzpolitik.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Unter Ihrer Regierung sind die ausgewiesenen Schulden so stark angestiegen wie nie zuvor in der bayerischen Geschichte. Unter Ihrer Regierung sind auch die verdeckten Schulden wie nie zuvor in der bayerischen Geschichte angestiegen. Das ist die Realität in Bayern, nicht Ihre selbstgerechten Sprüche.

(Beifall der Abgeordneten Ulrike Gote (GRÜNE))

Vielleicht können Sie einmal zur Kenntnis nehmen, warum ORH, GRÜNE, SPD, manchmal auch die FREIEN WÄHLER – sie sind schließlich frei –

(Heiterkeit bei den GRÜNEN)

oder die Medien Ihre Haushaltspolitik so kommentieren, wie sie sie kommentieren: "Berechtigte Kritik" lautet die Überschrift im "Donaukurier"; "Der ganz große Bluff", so stand es in der "SZ"; "Bayerische Finanzpolitik Prädikat ‚unsolide’", so lief es sogar über "dpa"; "’Blauäugig’: Herber Rüffel für Söder", so stand es im "Münchner Merkur"; "Rechnungshof: Staatsregierung soll sparen", so zurückhaltend titelte selbst die wirklich schwarze "PNP"; "Bayerns Haushalt in Gefahr", eine Überschrift in der "Mainpost"; die "Nürnberger Nachrichten" überschreiben mit dem Titel "Luftnummer". Unsolide, dein Name sei Söder!

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Es kommt aber noch schlimmer: Sie versprechen den Bürgerinnen und Bürgern in dieser Situation im Wahljahr weiterhin das Blaue vom Himmel. Sie wollen das Wohngeld erhöhen, die Heizkostenpauschale wieder einführen mit Kosten von rund 300 Millionen Euro. Gegenfinanzierung? –

(Zurufe von den GRÜNEN und der SPD: Keine!)

Sie wollen die Mütterrente erhöhen. Das kostet rund 14 Milliarden Euro. Eventuell zahlt das kurzfristig für ein Jahr die Rentenkasse, die eigentlich einem anderen Zweck dienen soll. Danach müssen das der Bund und die Länder übernehmen. Gegenfinanzierung? –

(Zurufe von den GRÜNEN und der SPD: Keine!)

Sie wollen den Abbau der kalten Progression und die Erhöhung des Grundfreibetrags. Kosten: 4 Milliarden Euro Bund, 250 Millionen Euro Länder. Gegenfinanzierung, Herr Söder? –

(Zurufe von den GRÜNEN und der SPD: Keine!)

Das war übrigens genau der Punkt, zu dem Sie den Dringlichkeitsantrag gestellt haben. Es lohnt sich gar nicht, diese eine Forderung unter zahllosen Ihrer Luftblasenversprechen herauszuziehen; denn das ist nur eine unter ganz vielen. Die Summe macht’s.

Sie wollen den Arbeitnehmerpauschbetrag auf 1.500 Euro erhöhen. Kosten: 2 Milliarden Euro. Gegenfinanzierung? –