Protokoll der Sitzung vom 11.04.2013

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Margarete Bause, Dr. Martin Runge, Ulrike Gote u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Videoübertragung aus Gerichtsverhandlungen in Medienarbeitsraum: unverzügliche Klarstellung von § 169 GVG! (Drs. 16/16317)

und

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Franz Schindler, Horst Arnold u. a. und Fraktion (SPD) NSU-Prozess vor dem OLG München (Drs. 16/16345)

und

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Dr. Andreas Fischer, Renate Will und Fraktion (FDP) NSU-Prozess - Vertrauen in die unabhängige Justiz statt schriller Aufgeregtheit (Drs. 16/16346)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Erste Rednerin ist Frau Kollegin Tausendfreund für die GRÜNEN. Bitte schön.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" hat 13 Jahre lang unerkannt im Untergrund gelebt und in dieser Zeit in der ganzen Republik Anschläge verübt und Menschen türkischer und griechischer Herkunft sowie eine Polizistin umgebracht. Diese Mordserie hat die Bevölkerung tief erschüttert und international Bestürzung hervorgerufen.

Am 17. April 2013 beginnt nun der Prozess vor dem Oberlandesgericht München gegen Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben und drei weitere Angeklagte. Von diesem Prozess geht eine gesellschaftliche Signalwirkung aus. Es besteht ein besonderes Interesse der Öffentlichkeit an diesem Prozess und daran, dass international über die rechtsstaatliche Aufarbeitung der Taten des NSU berichtet werden kann.

Die Entscheidung des Gerichts zum Akkreditierungsverfahren wird unseres Erachtens der Dimension dieses Verfahrens nicht gerecht. Es besteht richterliche Unabhängigkeit, daher akzeptieren wir diese Entscheidung natürlich. Aber insbesondere die türkischen Medien, aber auch viele weitere international wie bundesweit berichtende Medien bleiben ausgeschlossen.

Diese Verfahrensweise hat in den letzten Wochen viel Kritik hervorgerufen, und zum Teil, das muss ich schon sagen, war die Kritik deutlich überzogen oder waren die Vorschläge rechtlich nicht umsetzbar. Aber viele Menschen halten es für absurd, dass es beispielsweise nicht möglich sein soll, auf einen sicheren Platz zugunsten türkischer Medienkollegen zu verzichten oder den türkischen Botschafter auf einem Sitz der Nebenkläger Platz nehmen zu lassen, der sonst ohnehin frei bliebe. Es ist schwer zu erklären, dass das Gericht formal korrekt handelt.

Wir respektieren die Entscheidung des Gerichts im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit. Wir können nachvollziehen, dass der Vorsitzende Richter und der gesamte Staatsschutzsenat den Prozess revisionsfest gestalten wollen, und ich kenne die räumlichen, logistischen und organisatorischen Zwänge, mit denen das OLG umgehen muss. Trotz der richterlichen Unabhängigkeit muss es aber möglich sein, die Entscheidungen zu hinterfragen und Lösungsvorschläge für diese jetzt sehr verfahrene Situation zu

machen. Ich erinnere an den Vorschlag des Innenministers Joachim Herrmann. Er hat an die Justiz appelliert, türkische Medien doch noch zum NSU-Prozess zuzulassen. Er wird in einer dpa-Meldung aus einer "Bild"-Zeitungsmeldung zitiert: "Es ist völlig klar und verständlich, dass auch die türkischen Medien ein starkes Interesse an dem NSU-Prozess haben."

Eine Information zum Verfahren haben wir uns im Landtag anlässlich des Berichts des Justizministeriums im Ausschuss für Verfassung, Recht, Parlamentsfragen und Verbraucherschutz am 21. März 2013 geben lassen. Wir haben also versucht, uns umfassend zu informieren. Allerdings habe ich mich bei dieser Sitzung nicht ausreichend informiert gefühlt. Es war noch von einer Poollösung für die Presse die Rede und davon, dass es eine Lösung in Bezug auf die Bitte des türkischen Botschafters geben könnte, obwohl zu diesem Zeitpunkt alles schon vom Gericht etwas anders entschieden war.

Nicht erwähnt wurde, dass die Mitteilungsmails an die Presse über den Beginn der Akkreditierung teilweise mit 20 Minuten Verzögerung an einzelne Pressevertreter verschickt wurden. Unter anderem war die türkische Zeitung "Sabah", die bereits das Bundesverfassungsgericht angerufen hat, davon betroffen. Außerdem scheinen manche Medien darüber informiert gewesen zu sein, wann mit dieser Mail zu rechnen ist, und konnten dann schneller als andere reagieren, die keine Vorabinformation hatten.

Die Verteilung der wenigen Plätze nach dem "Windhundprinzip" ist unseres Erachtens nicht geeignet, die Öffentlichkeit zu gewährleisten, wenn dadurch insbesondere ausländische Pressevertreter vom Prozess weitgehend ausgesperrt werden. Auch das Verfahren für die Zuschauer ist unbefriedigend. Ich bin sehr gespannt, wie nächste Woche, am 17. April, mit der wartenden Menge umgegangen wird. Jedenfalls wurde vom Gericht schon einmal mitgeteilt, dass Klappstühle und Lagerfeuer vor dem Gericht nicht erlaubt sind.

Wir haben in den letzten zwei Wochen sowohl die Justizministerin als auch den Gerichtspräsidenten gebeten, eine praktikable Lösung für die vielfältigen Probleme zu finden und eine Übertragung der Gerichtsverhandlung innerhalb des Justizgebäudes in einen weiteren Gerichtsraum insbesondere für die Presse noch einmal zu prüfen. Gegen eine Ton- und Bildübertragung in einen weiteren Gerichtssaal bestehen unseres Erachtens keine ernsthaften Bedenken. § 169 Satz 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes steht einer lediglich gerichtsöffentlichen Übertragung nicht entgegen. Das wird auch von immer mehr namhaften Verfassungsrechtlern und Strafrechtsprofessoren so beurteilt. Beispielsweise sagt Professor Dr. Claus

Roxin, das sei nichts anderes als eine Vergrößerung des Gerichtssaales mit den Mitteln der Technik, als ob man also eine Schiebetür zu einem anderen Zimmer öffnet. Ex-Verfassungsrichter Ernst Gottfried Mahrenholz hat folgende Auffassung vertreten:

Reicht der Gerichtssaal nicht aus, ist die Videoübertragung in einen zweiten hinlänglich großen Raum unumgänglich, richterliche Pflicht. Das Gerichtsverfassungsgesetz ist nicht misszuverstehen und nicht auslegbar. Reicht der Gerichtssaal nicht aus, müssen die Richter eine Videoübertragung in einen zweiten Raum ermöglichen. Das ist dann unumgänglich.

Ex-Verfassungsrichter Winfried Hassemer hält es für eine lediglich akustische Vergrößerung des Gerichtssaals. Ex-Verfassungsrichter Wolfgang HoffmannRiem meint: "Bei einer Videoübertragung in einen anderen Saal bleibt es bei einer legitimen Gerichtsöffentlichkeit." Allerdings räume ich ein, dass sich der Präsident des Bundesgerichtshofs Klaus Tolksdorf heute etwas zurückhaltender geäußert hat. Er sagt, die rechtlichen Fragen einer solchen Übertragung seien hoch schwierig.

Zu unserem Antrag: Nach dem bisherigen Stand will das Oberlandesgericht bei seiner Linie bleiben. Das ist natürlich zu akzeptieren. Es kann sein, dass das Bundesverfassungsgericht noch eine Änderung verlangt. Dann greift der SPD-Antrag, dem wir natürlich zustimmen und der vorsieht, dass die entsprechenden Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, um noch eine Übertragung oder andere Maßnahmen zu ermöglichen.

Unser Antrag zielt darauf ab, eine Klarstellung des Gerichtsverfassungsgesetzes zu bekommen, damit wir erreichen können, dass die bestehenden Rechtsunsicherheiten nicht mehr vorhanden sind. Hier ist Handlungsbedarf, um für die Zukunft rechtliche Zweifel an der Zulässigkeit einer Ton- und Videoübertragung in einen anderen Raum zu beseitigen. Ob dann das jeweilige Gericht oder das Oberlandesgericht im laufenden Verfahren hiervon noch Gebrauch macht, liegt in der Entscheidung des jeweiligen Gerichts.

Wir haben auch einen Vorschlag von Justizministerin Merk aufgegriffen. Sie hat bereits vor zwei Wochen angekündigt, einen entsprechenden Änderungsvorschlag zum Gerichtsverfassungsgesetz vorzulegen, damit künftig Gerichte nicht in solche Zwangslagen kommen können. Diesen Vorschlag haben wir sozusagen heute in einen Dringlichkeitsantrag gegossen, damit über eine Bundesratsinitiative eine Klarstellung des Gerichtsverfassungsgesetzes auf den Weg kommt, sodass die Öffentlichkeit zukünftig in wichti

gen Gerichtsverhandlungen, bei denen ein großes öffentliches Interesse besteht, gewährleistet werden kann und eine so unbefriedigende Situation, wie wir sie jetzt im Zschäpe-NSU-Verfahren haben, nicht noch einmal auftreten wird.

Beifall bei den GRÜNEN

Vielen Dank, Frau Kollegin.

Ich gebe jetzt die Ergebnisse der beiden namentlichen Abstimmungen bekannt, die wir eben durchgeführt haben.

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Aiwanger, Streibl, Felbinger und anderer und Fraktion (FREIE WÄHLER) auf Drucksache 16/16316, betreffend "Konzept für Wahlmöglichkeit G 8/G 9". Mit Ja haben gestimmt 47 Abgeordnete, mit Nein haben gestimmt 94 Abgeordnete, es gab keine Stimmenthaltung. Damit ist der Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 2)

Nun zum nachgezogenen Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Rinderspacher, Güll, Aures und anderer und Fraktion (SPD) auf Drucksache 16/16344, betreffend "Gymnasium der zwei Geschwindigkeiten Wahlrecht zwischen G 8 und G 9 zulassen!" Mit Ja haben gestimmt 32 Abgeordnete, mit Nein haben gestimmt 92 Abgeordnete, es gab 16 Stimmenthaltungen. Damit ist auch dieser Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 3)

Wir fahren fort in der Debatte. Der nächste Redner ist der Kollege Horst Arnold für die SPD-Fraktion. Bitte.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Das NSU-Gerichtsverfahren ist ein epochales Verfahren und von seiner Bedeutung her epochenprägend. Daher ist es nicht erstaunlich, ja sogar logisch und vor diesem Hintergrund verständlich, dass viele unterschiedliche Meinungen zu unterschiedlichen Positionierungen formuliert werden. Allerdings – und das muss uns hier das Gebot sein – dürfen nicht nur Leitplanken, sondern muss auch das Grundbekenntnis zur Gewaltenteilung in diesen Äußerungen immer mitschwingen. Das Gericht hat 85 Sitzungstage eingeplant und hat bei 71 Nebenklägern mit 49 Nebenklägeranwälten mit Sicherheit viel zu tun, um das, was man von einem Gericht zu erwarten hat, nämlich ein geordnetes Verfahren, mit der peniblen Strafprozessordnung und mit Einhaltung der dortigen Vorschriften durchzuführen. Das ist die Kernaufgabe:

eine ordentliche, angemessene und transparente Verurteilung dieser Übeltäter. In diesem Zusammenhang allen Respekt und toi, toi, toi, dass diese Aufgabe bewältigt wird.

Ein geordnetes Verfahren bedeutet aber auch, dass alle Angeklagten gleich behandelt werden müssen, dass Tat und Täterpersönlichkeit erforscht werden sowie Zeugen und Angeklagte befragt werden müssen. Dabei ist ein Bestandteil unserer Gewaltenteilung das Öffentlichkeitsprinzip als Grundpfeiler, als Sicherung der Transparenz und der Manifestation dieser souveränen Gewalt, der Justiz.

Aus den von mir genannten Gründen ergibt sich ein Spannungsverhältnis: auf der einen Seite das Öffentlichkeitsprinzip und die größtmögliche Öffentlichkeit und auf der anderen Seite die Durchführung eines geordneten Verfahrens gerade vor dem politisch brisanten Hintergrund. Störungspotenzial, bei intimen Situationen gegebenenfalls Ausschluss der Öffentlichkeit, Aufrechterhaltung der Ordnung, das sind alles Aufgaben der Justiz, des Vorsitzenden Richters. Auch die Zuteilung von entsprechenden Besucherplätzen ist per legem und qua Gewaltenteilung sachleitend für die Justiz, Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit. Wer es nicht glaubt: Artikel 97 des Grundgesetzes schützt dies insoweit.

Soweit hier Irritationen aufgetreten sind, weil sich Journalistinnen und Journalisten unangemessen behandelt fühlen, ist dies nachvollziehbar, wie bereits erwähnt. Aber ich und meine Fraktion verweisen darauf, dass hierzu beim Bundesverfassungsgericht ein Gerichtsverfahren anhängig ist. Mutmaßlich wird am Montag entschieden werden. Für den Fall, dass den Beschwerden stattgegeben wird, statuiert meine Fraktion den Antrag, alles Erdenkliche an Finanzen und sonstigen Leistungen zu erbringen, um die Hinweisgebung des Gerichtes, eine Öffentlichkeit möglicherweise auch durch Übertragung herzustellen, tatsächlich effizient zu gewährleisten.

Gewaltenteilung heißt für uns aber auch, dass wir als gesetzgebendes Organ weiterdenken müssen. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten der Auslegung des § 169 GVG. Die Kollegin Tausendfreund hat darauf hingewiesen. Es gibt auch die Auslegung, die Sie, Frau Kollegin Tausendfreund, akzeptieren. Wir müssen es akzeptieren, aber wir als Gesetzgeber, als Landesparlament können in diesem Bereich auch darauf hinwirken, dass der Bundesgesetzgeber gerade aufgrund des Impulses aus Bayern und der bayerischen Erfahrungen entsprechende Schlüsse zieht und den § 169 dahin gehend ändert, dass eine Übertragung in Echtzeit in einen Nebenraum mit begrenzter Teilnehmerzahl ohne dauerhafte Aufzeichnung ge

stattet werden kann, soweit schutzwürdige Interessen Verfahrensbeteiligter nicht entgegenstehen.

§ 169 ist erst 1964 in das GVG aufgenommen worden. Der Gedanke des Gesetzgebers war es, die Unvoreingenommenheit der Prozessbeteiligten in diesem Bereich zu schützen, Schutz vor Befangenheit, was Zeuginnen, Zeugen und Sachverständige anbetrifft, zu gewähren und insbesondere die Wahrheitsfindung dadurch zu erleichtern, dass der unmittelbare Druck einer Übertragung nicht stattfindet.

1964 war das digitale Zeitalter mitnichten vorhanden. Die technischen Möglichkeiten waren noch nicht gegeben. Vor dem Hintergrund der Ausführungen von Rechtswissenschaftlern, Professoren, aber auch Gerichtspräsidenten müssen wir unsere Aufgabe ernst nehmen, weiter an der Gesetzgebungsmaterie arbeiten und für die Zukunft klarmachen, dass solche Übertragungen möglich sein müssen, auch ohne dass wir über die Auslegung derartiger Gesetze streiten.

Deswegen werden wir den Antrag der GRÜNEN selbstverständlich befürworten. Wir werden in keiner Weise von diesen Vorschlägen Abstand nehmen. Wir selber – ich habe es eben gesagt – haben schon einen Vorschlag gemacht, dass die schutzwürdigen Interessen der Verfahrensbeteiligten nicht beeinträchtigt werden dürfen und dass die Aufzeichnung nicht dauerhaft erfolgen darf. Damit wäre auch die Verfahrensleitung durch den Vorsitzenden oder die Vorsitzende gewährleistet.

Beim Antrag der FDP empfehle ich den Kolleginnen und Kollegen, sich zu enthalten, wie wir es auch tun werden. Wenn ich mich jeglicher Einflussnahme enthalten muss, ist das praktisch ein Maulkorb oder sogar ein Denkverbot. Vernünftige Personen können durchaus Diskussionen im öffentlichen Raum führen, und aus diesen Diskussionen können wertvolle Impulse kommen, die auch Einfluss auf eine Entscheidung haben können. Sie fordern, dass wir uns jeglicher Einflussnahme enthalten sollen. Sich jeglicher Einflussnahme zu enthalten, ist gerade angesichts der Bedeutung dieses Prozesses nicht dienlich. Kritik muss erlaubt sein, allerdings muss sie mit dem Bekenntnis zur Gewaltenteilung verbunden sein. Herr Kollege Fischer, Sie sollten sich bei dem Antrag vor allem deswegen enthalten, weil damit Ihr Bundesaußenminister Westerwelle vor Ihrem Groll geschützt wird; denn dieser hat sich neulich geäußert, wir würden möglicherweise die Würde der Bundesrepublik Deutschland gefährden. Das ist bei der souveränen bayerischen Justiz mitnichten der Fall.

(Beifall bei der SPD)

Für die FDP hat sich Herr Dr. Fischer zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Hinsichtlich seiner politischen und historischen Bedeutung ist der NSUProzess gegen mutmaßlich Beteiligte an den Terroranschlägen kein Prozess wie jeder andere. Es geht hier um eine beispiellose Mordserie, bei der Menschen nur wegen ihrer Abstammung zur Zielscheibe einer brutalen und menschenverachtenden Ideologie geworden sind. Deshalb ist es verständlich und nachvollziehbar, dass alle Fragen dieses Prozesses großes öffentliches Interesse und lebhafte Diskussionen hervorrufen. Das gilt für die Menschen in Deutschland genauso wie für die Menschen in der Türkei, woher die meisten der Opfer kommen, oder für Griechenland, aber auch für die ganze Welt.

Die letzten Tage und Wochen haben auch zu politischen und emotionalen Reaktionen geführt, die nicht immer angemessen waren. Selbstverständlich muss sich auch eine unabhängige Justiz einer kritischen Berichterstattung stellen. Problematisch wird es aber besonders dann, wenn sich politische Entscheidungsträger richterliche Entscheidungen vornehmen. Dies gilt ganz besonders auch für verfahrensleitende Entscheidungen. Es kann keine Rede davon sein, dass ich politischen Entscheidungsträgern einen Maulkorb verpassen will. Man sollte nur die Grenze dessen, was unserem Gewaltenteilungsprinzip angemessen ist, nicht überschreiten. Daher warne ich gerade vor dem Hintergrund der NSU-Morde vor jeder Politisierung der Justiz. Die Entscheidungen der Richterinnen und Richter in Bayern sind zu Recht einer politischen Einflussnahme entzogen.

Noch bedenklicher ist die Tatsache, dass verschiedenste gesellschaftliche Gruppen im Inland feste Plätze in einem solchen Verfahren fordern, dass ganz offensichtlich Kontingente verlangt werden. Wir sollten uns in aller Sachlichkeit klarmachen, was das bedeuten würde. Die Vergabe von Kontingenten wäre eine selektive Auswahl der Öffentlichkeit. Eine solche Auswahl kann und – das sage ich ganz bewusst mit Blick auf die deutsche Geschichte – darf es nicht geben. Kein deutsches Gericht darf entscheiden, wer an einem bestimmten Verfahren teilnehmen darf oder nicht. Eine solche Auswahl wäre immer willkürlich und damit wohl auch ein Revisionsgrund. Das heißt nicht, dass anstelle des Prioritätsprinzips, des im Volksmund "Windhundverfahren" genannten Prinzips, nicht auch andere Wege wie zum Beispiel ein Losverfahren zulässig gewesen wären. Die Anwendung des Prioritätsprinzips war eine Entscheidung des Gerichts.

Im vorliegenden Fall ist es notwendig und angemessen, sich die Aufgabe des Gerichts klarzumachen. Es steht vor der schwierigen Aufgabe der Wahrheitsfindung und vor der Aufgabe, in einem rechtsstaatlichen Verfahren Schuld und Verantwortlichkeit zu klären und die Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Insoweit ist dieses Verfahren durchaus ein Verfahren wie jedes andere. Deswegen ist es ein wichtiges Zeichen, dass der Bayerische Landtag in diesem Fall ein klares Bekenntnis zur Unabhängigkeit der Justiz abgibt und dass er diese Unabhängigkeit respektiert.

Ich möchte nun auch einige Worte zu den Anträgen der Opposition sagen. Kernpunkt des Antrags des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ist eine Änderung von § 169 des Gerichtsverfassungsgesetzes, also eine Änderung des Öffentlichkeitsgrundsatzes. Dazu möchte ich fünf Bemerkungen machen.

Erstens. Es ist kein anderes Verfahren in Sicht, bei dem eine solche Änderung eine Rolle spielen würde. Damit besteht jedenfalls im Augenblick kein dringender Handlungsbedarf.

Zweitens. Wenn man eine Änderung anstrebt, sollte man das in Ruhe und mit Sachlichkeit tun. Rechtspolitischer Aktionismus ist immer gefährlich. Das gilt gerade in Fragen des Gerichtsverfassungs- und des Prozessrechts, bei denen es um Grundrechte geht. Über rechtsstaatliche Prinzipien entscheiden wir nicht im Hauruckverfahren.