Protokoll der Sitzung vom 12.06.2013

Wir werden morgen im Rechts- und Verfassungsausschuss darüber diskutieren, wie es mit dem Kernbereich der informationellen Selbstbestimmung und der Privatsphäre bestellt ist. Alles das gibt es offensichtlich nicht mehr.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen, Kolleginnen und Kollegen von den FREIEN WÄHLERN und von der FDP, sind wir dankbar dafür, dass Sie diese Berichtsanträge stellen. Wir können nicht verstehen, dass angesichts dieser ernsthaften Bedrohung, die von allen übereinstimmend als Skandal bezeichnet wird, noch fein ziselierte Unterschiede gemacht werden, ob dieser Berichtsantrag korrekt ist und der andere nicht. Das ist ein Spiel gegen den Datenschutz. Deshalb akzeptieren wir das nicht.

(Beifall bei der SPD und den FREIEN WÄH- LERN)

Es geht hier um eine Bedrohung durch eine digitale Totalüberwachung. Dieser Bedrohung gilt es entgegenzuwirken. Da ist mir jede Frage von jedem hier in diesem Haus, von jeder Fraktion recht. Man sollte das nicht zu einem kleinkarierten Spiel parteipolitischen Kalküls machen.

(Beifall bei der SPD und den FREIEN WÄH- LERN)

Wenn nicht einmal mehr der Schein einer Grundrechtsgüterabwägung gewahrt wird, wenn keine Rechtswegsgarantie geschaffen und vorhanden ist und alles dem Begriff "Sicherheit" geopfert wird, dann bin ich froh, dass wir hier in diesem Zusammenhang, Herr Innenminister, inhaltlich zwar stark über die Voraussetzungen des Datenschutzes diskutieren, aber immer noch einen Konsens in dieser Gesellschaft und in diesem Land haben, dass der Datenschutz im Grunde nicht preiszugeben ist.

Deswegen fordern wir dazu auf, dass uns die Bundesregierung und auch die Staatsregierung nicht nur informieren, sondern wir müssen auch ganz genau wissen, wer davon betroffen ist, welche Grundrechtsträger, was man dagegen zu unternehmen gedenkt. Es genügt nicht, am Rande eines Cocktail-Empfangs über die internationale Datensituation zu sprechen. Es ist nahezu lächerlich, wenn man dann hört, dass genau solche Länder dazu auffordern, die Demonstrationsfreiheit zu wahren, wenn anderswo demonstriert wird, und auf der anderen Seite Daten in hemmungsloser Art und Weise ausgespäht werden.

Es ist auch eine Frage der Glaubwürdigkeit. Bei allem Respekt, der den USA und der Bevölkerung dort zu zollen ist, ist festzustellen, dass man auch dort offensichtlich über das Ziel hinausschießt. Wir sind der Ansicht, dass man dort massiv über das Ziel hinausgeschossen ist. Es ist eine Frage des guten Tons und der Freundschaft, darauf hinzuweisen, dass es so nicht geht. Deswegen müssen die Bundesregierung und die Staatsregierung handeln.

Wir stimmen den Anträgen zu, und zwar nicht nur aus Besorgnis, sondern auch aus Bestürzung.

(Beifall bei der SPD und den FREIEN WÄH- LERN)

Danke schön. Das Wort hat jetzt Frau Kollegin Kamm.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir bedanken uns vor allem bei Edward Snowden, der auf die massenhafte Sammlung von Internetdaten durch den militärischen US-Geheimdienst NSA aufmerksam gemacht hat und nun in Hongkong vor dem FBI Zuflucht sucht. Die Bundesregierung wie auch Facebook, Google und andere wollen von dem geheimen Massenzugriff auf Internetdaten erst aus den Medien erfahren haben. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich sagte gestern, alles, was er über Prism wisse, stamme aus den Medien. Auch der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen sagte, die Behörden hätten von all dem nichts gewusst.

Das ist umso verwunderlicher, als das Weiße Haus das Programm schon vor längerer Zeit bestätigt und verteidigt hat und offenbar auch andere Länder auf dieses Programm zugreifen wollen. Wir unterstützen dennoch die beiden Berichtsanträge und die Aufforderung der FREIEN WÄHLER, dass die Bundesregierung mit den USA in Kontakt tritt.

Das allein ist aber noch zu wenig. Wer Datenschutz will, muss mehr dafür tun. Wir wissen bereits, dass sämtliche europäischen Nutzer und Nutzerinnen von Online-Diensten in den USA betroffen sind. In dieser Situation genügt es nicht, sich nur informieren zu wollen. Wir erwarten ein Einschreiten der Bundesregierung gegen diesen Datenmissbrauch, und wir erwarten ein konsequentes Handeln auf europäischer Ebene. Eine Lösung erfordert ein starkes gemeinsames Auftreten in Europa für den internationalen Datenschutz und klare Regelungen zu internationalen Datentransfers. Der Fall Prism zeigt, dass ein klarer Rechtsrahmen zum Schutz persönlicher Daten Grundrecht für die Bürgerinnen und Bürger werden muss. Die europäische Datenschutzrichtlinie, die seit

18 Monaten in Beratung ist und vorsieht, dass die Datenübermittlungen von EU-Bürgerinnen und -Bürgern an andere Staaten nur dann vorgenommen werden darf, wenn diese Drittländer einen angemessenen Datenschutz bieten, ist bezüglich internationaler Datentransfers überfällig.

Die USA bieten derzeit keinen angemessenen Datenschutz. Dort ist es beispielsweise nicht einmal gewährleistet, dass Betroffene juristisch gegen ungerechtfertigte Überwachung vorgehen können.

Wir wollen die europäische Datenschutzrichtlinie in Bezug zum internationalen Datenrecht dringend haben. Die bisherige Richtlinie für Datenschutz in Europa schafft keinen ausreichenden Datenschutz; sie sichert nicht die Einhaltung entsprechender Mindeststandards für Datenschutz in Europa und ermöglicht beispielsweise Facebook, das in Irland seinen Sitz hat, wo ein vergleichsweise schwacher Datenschutz gilt, einen miserablen Datenschutz.

Wir hoffen, dass Sie Ihr schwarz-gelbes Telekommunikationsgesetz wieder ändern, wonach Passwörter von E-Mail-Postfächern, PINs von Mobiltelefonen und IP-Adressen sogar dann abgefragt werden können, wenn es nur um die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten geht und der Verfassungsschutz Passwörter knacken kann, ohne dass es dafür einen Richtervorbehalt gibt.

In diesem Sinne hoffe ich, dass diese späte Stunde zu mehr Datenschutz bei uns in Europa und in den USA führt.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und Abgeord- neten der FREIEN WÄHLER)

Danke schön. Für die Staatsregierung erteile ich Herrn Staatsminister Herrmann das Wort. – Bitte schön, Herr Staatsminister.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieses Thema ist wichtig und dramatisch genug, dass man seitens der Staatsregierung jetzt sicherlich mindestens eine Stunde lang dazu ausführen müsste.

(Christa Stewens (CSU): Das ist aber schön! Thomas Hacker (FDP): Können wir vorher abstimmen?)

Aufgrund Ihrer Reaktion, die ich erwartet habe, stelle ich anheim, dass wir die ausführliche Stellungnahme in den geforderten Bericht gegenüber dem zuständigen Ausschuss verlegen. Ich will mich hier auf wenige Anmerkungen beschränken.

(Christa Stewens (CSU): Danke schön!)

Die Bayerische Staatsregierung teilt die Sorge vieler Bürger um die Vertraulichkeit ihrer persönlichen Daten, die bei den großen amerikanischen InternetAnbietern wie Google, Facebook, Microsoft oder Apple gespeichert werden. Ich habe an dieser Stelle wiederholt darauf hingewiesen, dass nach wie vor ein großes datenschutzrechtliches Defizit besteht. Viele Bürgerinnen und Bürger in unserem Land begeben sich, wenn sie sich darauf einlassen, über diese Unternehmen zu kommunizieren, letztendlich auf ein Terrain, wo sie sich vermeintlich noch im deutschen Datenschutzraum befinden. In Wahrheit sind sie datenschutzrechtlich aber im wahrsten Sinne des Wortes in einer völlig anderen Welt.

Wir müssen in der Tat eine restlose Aufklärung fordern, was in den USA mit diesen Daten geschieht. Die EU-Kommission und die Bundesregierung haben sich bereits an die zuständigen Stellen der USA gewandt, um zu klären, welche Daten hier zu welchem Zweck ausgewertet werden. Ich bin zuversichtlich, dass wir den berechtigten Informationsanliegen dieses Parlaments, die in den beiden vorliegenden Anträgen zum Ausdruck gebracht werden, schon bald mit belastbarem Material unserer Ansprechpartner in Berlin und Brüssel nachkommen können.

In einem zweiten Schritt wird dann zu prüfen sein, welche Konsequenzen aus dem Vorgehen der USGeheimdienste zu ziehen sind. Die Enthüllungen des früheren IT-Beraters der NSA haben einmal mehr gezeigt, dass die Verarbeitung behördlicher, privater oder geschäftlicher Daten durch Dienste-Anbieter außerhalb der EU trotz ihrer heute fast selbstverständlichen und nahezu alltäglichen Verbreitung mit zahlreichen ungelösten datenschutzrechtlichen Konflikten verbunden bleibt.

Wir haben über die Wurzeln dieser Konflikte mehrfach auch in diesem Haus gesprochen. Ich erinnere nur an die Debatte über das SWIFT-Abkommen. Im Kern dieser Konflikte geht es um grundlegende Unterschiede zwischen dem Rechtssystem der USA und dem der europäischen Länder, für die wir nach wie vor nach Lösungen suchen.

Die Staatsregierung setzt sich seit Langem für einen intensiven Dialog mit den USA über die Fragen des Datenschutzes ein. Das Thema ist fester Bestandteil von vielen Gesprächen mit Vertretern der US-Regierung. Vor einem Jahr fand in München gemeinsam mit dem Landesamt für Datenschutzaufsicht und der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft und zahlreichen hochrangigen US-Vertretern eine Konferenz zum ersten Bayerisch-amerikanischen Datenschutz

tag statt. Bayern hat im Rahmen der Debatte um SWIFT und den Einsatz von Cloud-Computing-Diensten in der EU-Datenschutzreform wiederholt dafür geworben, rasch im Rahmen völkerrechtlicher Vereinbarungen zwischen der EU und den USA für bessere gemeinsame Schutzmechanismen zu sorgen.

Im Bundesrat haben wir einen entsprechenden Entschließungsantrag zum SWIFT-Abkommen eingebracht. Damals erhielten wir dafür eine breite Übereinstimmung. Zum Zwecke der Terrorismusbekämpfung brauchen wir eine strikte Begrenzung. Wir wollen enge Voraussetzungen für die Ermittlung von Bankdaten und die Gewährleistung der Überprüfung durch unabhängige Stellen und Gerichte festlegen. Die Auswertung übermittelter Daten soll auf konkrete Verdachtsfälle terroristischer Handlungen begrenzt werden.

Das sind Forderungen, die wir in breitem Einvernehmen im Bundesrat gegenüber der EU-Kommission noch einmal formulieren. Vor diesem Hintergrund ist es schon ein bisschen irreführend, wenn die EU-Kommission in ihren aktuellen Stellungnahmen – gestern und heute – so tut, als wäre es ausschließlich kontraproduktiv, wenn eine längere kritische Diskussion über die EU-Datenschutzreform stattfindet. Selbstverständlich ist die Forderung der EU, stärkere Festlegungen zum Transfer von Daten ins Ausland zu erlassen, richtig. Deshalb wird die Datenschutzreform jedoch nicht blockiert. Das liegt daran, dass einige andere Punkte der EU-Datenschutzreform absolut unzulänglich sind. Deshalb haben wir einen einstimmigen Beschluss dieses Hauses, der aufzeigt, warum wir die Reform für unzureichend halten und an welchen Stellen wir Änderungen fordern. Die zuständigen Kommissare haben das in ihren Stellungnahmen unter den Tisch fallen lassen. Ich bedauere dies. Das ist ein weiterer Anlass dafür, mit unseren klaren Positionen zur Datenschutzreform sowohl in Berlin als auch in Brüssel noch einmal vorstellig zu werden.

Die aktuellen Vorschläge der EU-Kommission können jedenfalls die Probleme, die sich hinsichtlich der NSA ergeben, noch nicht lösen. Die rechtliche Grundlage für das Handeln der US-Sicherheitsbehörden liegt bislang ausschließlich im Recht der USA. Wir müssen

dieses auf eine gemeinsame Rechtsgrundlage stellen und in Zukunft sicherstellen, dass mit den Daten europäischer Bürger in Amerika kein Schindluder betrieben wird.

Wir werden versuchen, so schnell wie möglich weitere Informationen einzuholen, um Sie im zuständigen Ausschuss zu informieren. Wir werden dem Berichtsauftrag, der heute beschlossen wird, nachkommen.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Dazu werden die Anträge wieder getrennt.

Wer dem Dringlichkeitsantrag der FDP auf der Drucksache 16/17084 seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der CSU, der FDP, der FREIEN WÄHLER, der SPD und der GRÜNEN. Ich bitte, Gegenstimmen anzuzeigen. – Keine. Stimmenthaltungen? – Keine. Damit ist der Dringlichkeitsantrag angenommen.

Wer dem Dringlichkeitsantrag der FREIEN WÄHLER auf der Drucksache 16/17093 seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der FREIEN WÄHLER, der SPD und der GRÜNEN. Ich bitte, Gegenstimmen anzuzeigen. – Das sind die Fraktionen der CSU und der FDP. Stimmenthaltungen? – Keine. Damit ist der Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

Kolleginnen und Kollegen, die Dringlichkeitsanträge auf den Drucksachen 16/17085, 16/17086 und 16/17088 bis 16/17091 sowie auf der Drucksache 16/17094 werden in die zuständigen Ausschüsse verwiesen.

Ich bedanke mich sehr herzlich vor allem bei denjenigen, die bis zum Schluss dageblieben sind. Ich danke allen, die heute für uns gearbeitet haben. Für heute waren 14 Stunden vorgesehen. Das haben wir gut geschafft. Ich wünsche allen einen schönen Abend.

(Schluss: 22.55 Uhr)