Protokoll der Sitzung vom 17.02.2009

Sehr geehrter Herr Minister, zunächst drei oder vier kleine Anmerkungen. Man kann genauso viele Wissenschaftler zitieren, die für den frühen Übertritt sind, wie solche, die dagegen sind. Momentan steht es in der wissenschaftlichen Forschung wirklich fifty-fifty.

Zum Übertrittszeugnis, das Sie als die große Neuerung bezeichnen: Nachdem das Formular von Ihrem Vorgänger neu gestaltet wurde, stellen sehr viele Grundschullehrer in der vierten Klasse für alle Schüler ein Übertrittszeugnis aus, weil sie wissen, dass gerade die Eltern von Kindern mit Migrationshintergrund oft nicht informiert sind. Zur Probezeit: Die Probezeit wurde vor ungefähr zehn Jahren abgeschafft, von Ihrer Vor-Vorgängerin, Frau Hohlmeier. Im Übrigen deswegen, weil der Druck in der Probezeit zu groß war. Man wollte diesen Druck herausnehmen, und das ist sicher auch gelungen. Wie gesagt, das ist aber inzwischen zehn Jahre her. Seit dieser Zeit gibt es die Probezeit nicht mehr.

Zur Information, was Sie hier so toll darstellen, das gibt es bereits. Auf Ihrer Homepage finden Sie zwei oder drei Power-Point-Präsentationen der Schulberatung zum Übertritt. Diese Präsentationen gibt es schon länger als die neue Regierungskoalition. Das muss man zur Rechtfertigung einmal ganz klar sagen.

Nun die Fragen. Erstens. Bleiben die Notengrenzen wie bisher? - Ich gehe davon aus, denn das entnehme ich nämlich Ihren bisherigen Äußerungen und auch einem Schreiben an alle Schulen.

Zweitens. Sie reden in vielen Publikationen davon, dass der Elternwille, dass dieser Korridor erweitert wird. Bitte sagen Sie konkret, für welchen Bereich das gilt. Wenn Sie den Elternwillen erweitern wollen, was grundsätzlich zu begrüßen ist, dann ist es doch so, dass Sie im Moment den zweiten Schritt vor dem ersten Schritt machen. Die ganzen begleitenden Maßnahmen werden heuer nämlich noch nicht angeboten. Zumindest bis Weihnachten wurde das Kind so behandelt wie immer. Eine Beratung in dem Fall, wie Sie das vorgeschlagen haben, gab es noch nicht. Ist Ihr Vorgehen dann nicht voreilig?

Drittens. Wie viele Lehrer der Grundschule wollen Sie im Probeunterricht einsetzen? - Sie sprechen davon, dass dies pro weiterführende Schule geschehen wird. Wir haben Gymnasien, wir haben Realschulen, an denen wir fünf oder gar sechs Gruppen haben. Ich gehe davon aus, dass Sie dann auch fünf oder sechs Grund

schullehrer abstellen. Das war bis vor vier Jahren auch der Fall.

Viertens. Was haben Sie unternommen, um das notwendige Beratungspersonal, sprich qualifizierte Beratungslehrer und Schulpsychologen, aufzustocken? Das muss sehr schnell gehen, aber Beratungslehrer und Schulpsychologen brauchen eine vergleichsweise lange Ausbildungszeit.

Fünftens. Welche Maßnahmen planen Sie konkret, wenn sich herausstellen sollte, dass bei Freigabe des Elternwillens in diesem Schuljahr keine Anmeldungen an der Hauptschule stattfinden?

Sechstens. Wie erklären Sie folgenden Widerspruch? Frau Sandt hat gerade gesagt, die Gelenkklassen brauchen Zeit. Gleichzeitig sollen diese Klassen aber bereits nächstes Schuljahr eingeführt werden. Wir meinen, die Gelenkklassen wären dann von vorneherein, wie das G8, zum Scheitern verurteilt. Im Übrigen bedauere ich die Wortwahl von Frau Kollegin Sandt, die von einer zweiten Chance gesprochen hat. Das unterstellt automatisch, dass man sonst keine Chance hat.

(Beifall bei den Freien Wählern und der SPD)

Das ist doch der Grund, warum die Hauptschule zu einer Schule geworden ist, die nicht mehr die Anerkennung erhält, die sie verdient. Allein diese Worte "zweite Chance" machen das deutlich. Alle Kinder haben bei uns Chancen.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Und das im Alter von 11 Jahren!)

Ich bitte deshalb, bei der Wortwahl besser aufzupassen.

Sie sagen, was die Gelenkklassen anbelangt, das muss harmonisiert werden. Fragen Sie doch einmal Herrn Kollegen Schneider, denn der kommt aus einem Landkreis, in dem es in den 70er-Jahren die Orientierungsstufe gab. Diese Orientierungsstufe hatte sich bewährt, und es gab harmonisierte Lehrpläne. Die CSU hat damals aber nicht gewollt, dass die Orientierungsstufe durchgeführt wird. Es war aber ein bewährter Schulversuch, an dem man ruhig anknüpfen kann, wenn man merkt, dass sich die Zeiten geändert haben.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Herr Staatsminister, bitte schön.

Verehrte Frau Gottstein, ich danke Ihnen für die Information, dass die Probezeit schon seit längerer Zeit

abgeschafft ist. Das hatte ich mir, mit meinem schlichten Gemüt, noch nicht so gut eingeprägt. Dafür bedanke ich mich ausdrücklich.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Dann sollten Sie nicht Minister werden!)

- Über Schlichtheit können wir in den nächsten fünf Jahren im Ausschuss noch viel diskutieren, Herr Ausschussvorsitzender.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Das ist in Ordnung!)

Zum obligatorischen Übertrittszeugnis: Wenn verantwortliche Grundschullehrkräfte bereits auf die Eltern zugegangen sind, dann ist das ein Leistungsausweis für die bayerische Grundschule. Aber die obligatorische Ausreichung ist der Unterschied zur bisherigen Regelung. In Zukunft werden einige Tausend junge Menschen mehr in Bayern ein solches Zeugnis ausgehändigt bekommen. Da wird nichts gedreht oder geschoben, sie bekommen ein solches Zeugnis aufgrund ihrer Leistung. Sie haben auf ein bestimmtes Klientel hingewiesen, das vielleicht bildungsfern ist oder das beispielsweise Probleme mit der Sprachkompetenz hat. Wir werden hier zusätzliche Bildungschancen eröffnen, das möchte ich ausdrücklich unterstreichen. Das Beispiel, das Sie genannt haben, möchte ich positiv hervorheben. Ich möchte aber genauso ausdrücklich die Entscheidung meines Vorgängers betonen, dass das Zeugnis obligatorisch wird. Das ist ein ganz wichtiges Moment.

Wir haben heute eine Ministerbefragung. Wir werden im Kabinett am 3. März die entscheidende Beratung hinsichtlich des neuen Übertrittsverfahrens bzw. über die Vorlage führen. Ihnen wird diese Vorlage dann selbstverständlich zur Verfügung gestellt werden. Die Frage der Korridore wird dann im Feinschliff zu sehen sein. Ich persönlich bin auch der Meinung, dass man sehr sorgfältig abwägen muss. Sie haben darauf hingewiesen, wir brauchen auch eine Art Vertrauensschutz. Das Wort stammt, glaube ich, von Ihnen oder von Frau Kollegin Tolle. Wir brauchen das für die Kinder im laufenden vierten Schuljahr. Das wird eine Gesamtabwägung der Staatsregierung sein müssen, weil wir an diesem Punkt gesellschaftspolitische Verantwortung tragen. Ihre Bemerkung, wir würden hier den zweiten Schritt vor dem ersten machen, nehme ich deshalb sehr ernst. Wir werden sehr gut überlegen und eine Güterabwägung vornehmen.

Zur Frage nach den abgestellten Grundschullehrern: Nach meiner Kenntnis ist es für jede Schule möglich, Grundschullehrer zur Verfügung zu stellen. Bei privaten Schulträgern wird gegen Kostenersatz ein Angebot gemacht. Das muss allerdings noch verhandelt werden.

Ob ein Lehrer für jede Gruppe vorhanden sein wird, das muss man noch sehen. Das kann ich Ihnen nicht garantieren. An jeder Schule ist diese Kompetenz aber zur Verfügung zu stellen.

Was die Schulpsychologen und die Beratungslehrer anbelangt, so ist natürlich eine Fortentwicklung notwendig. Aus der Erfahrung meiner Grundschulbesuche und aus meiner eigenen familiären Erfahrung kann ich sagen, gerade an den Grundschulen ist diese Kompetenz sehr stark vorhanden. Ich sage es noch einmal: Die Eröffnung von Übertrittsmöglichkeiten für mehrere Tausend Kinder im Land steht nicht gegen eine Schulentscheidung für die Hauptschule. Die Frage ist doch, wer von der Übertrittsentscheidung Gebrauch macht. Sie haben die Gruppen genannt, die aus familiären oder sozialen Problemen Schwierigkeiten hatten, dies zu erkennen. Es waren aber auch einige Tausend, die sich ganz bewusst für die Hauptschule entschieden haben, wie sich auch die Eltern von 20 oder 25 % der Realschüler - man helfe mir bei den Zahlen - ganz bewusst für die Realschule entschieden haben. Dabei hätten diese Kinder bzw. Jugendlichen aufgrund ihrer Notendurchschnitte durchaus die Möglichkeit gehabt, ein Gymnasium zu besuchen. Mein Haus sieht sich deshalb im Moment nicht in der Lage, Prognosen zu machen.

Die Gelenkklassen brauchen Zeit. Die Gelenkklasse ist ein Teil der Übertrittsphase. Wenn es so kommt, dass mit der kommenden vierten Klasse bzw. mit der jetzigen dritten Klasse begonnen wird - wie gesagt, den Feinschliff muss man der Kabinettsentscheidung überlassen -, dann kommt die fünfte Klasse im Jahr darauf, únd das heißt: Ich kann überlegen, wie ich die Förderklasse einbaue. Die Intensivierungsstunde am Gymnasium ist hierfür sicher ein Vorbild. Die Hauptschule hat andere Anforderungen an ein solches Förderelement. Das müssen wir anders aufstellen. Ich sehe hier also überhaupt keinen Widerspruch zur Frau Kollegin Sandt.

Ihre letzte Frage kann ich nicht mehr genau lesen. Geht es hier um die Übergangsklasse? - Es tut mir leid, das letzte Wort kann ich nicht lesen.

(Zuruf)

Es geht also um die Orientierungsklassen mit der Grundentscheidung für ein differenziertes Schulwesen und einem Übertrittsmoment nach der vierten Klasse. Frau Kollegin Pranghofer, ich habe ganz bewusst keine Studien zitiert, denn das ist nicht der Sinn der Sache. Die Frage ist doch, zu welcher verantwortlichen Güterabwägung die Bildungspolitik in der Frage nach einer ersten Entscheidung über die Schullaufbahn nach der vierten Klasse kommt. Sie hat den Vorteil, dass man dann in den darauffolgenden Klassen schon früh und

differenziert fördern kann. Man kann dann besser Chancen ausloten. Die Alternative wären andere Bewertungen mit einer längeren gemeinsamen Schulzeit. Die wird aus meiner Sicht das Problem eines Übergangs, nennen wir ihn "institutionellen Bruch" nicht lösen. Wir müssen uns vielmehr dem zuwenden, was der Übergang von einer Schulart in die andere bedeutet. Wenn ich das um ein Jahr hinausschiebe, dann ist die Grundanforderung an die zweite Seite eines differenzierten Schulwesens nicht befriedigend gelöst. Deswegen - ich sage es noch einmal - sehe ich darin keine bildungspolitische Glaubensfrage.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Danke schön, Herr Staatsminister.

Wir haben keine weiteren Nachfragen. Damit ist die Ministerbefragung beendet.

Ich gebe jetzt das Ergebnis der namentlichen Abstimmung zur Verfassungsstreitigkeit, betreffend Schreiben des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Oktober 2008, betreffend Verfassungsbeschwerde gegen das Bayerische Versammlungsgesetz vom 22. Juli 2008 bekannt. Mit Ja haben 110 Mitglieder gestimmt, mit Nein 57, Stimmenthaltungen eine. Dem Votum des Verfassungsausschusses auf der Drucksache 16/395 ist damit zugestimmt worden.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 1)

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:

Aktuelle Stunde gem. § 65 GeschO auf Antrag der FDP-Fraktion "Schluss mit der Planwirtschaft im Gesundheitswesen - Für eine bürgernahe Versorgung mit Haus- und Fachärzten."

Für die heutige Sitzung ist die FDP-Fraktion vorschlagsberechtigt. Sie hat eine Aktuelle Stunde beantragt zum Thema "Schluss mit der Planwirtschaft im Gesundheitswesen - Für eine bürgernahe Versorgung mit Haus- und Fachärzten".

In der Aktuellen Stunde dürfen die einzelnen Redner grundsätzlich nicht länger als fünf Minuten sprechen. Auf Wunsch einer Fraktion erhält einer ihrer Redner bis zu zehn Minuten Redezeit. Dies wird auf die Anzahl der Redner der jeweiligen Fraktion angerechnet.

Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung für mehr als zehn Minuten das Wort, erhält auf Antrag einer Fraktion eines ihrer Mitglieder Gelegenheit, fünf Minuten ohne Anrechnung auf die Zahl der Redner dieser Fraktion zu sprechen.

Erster Redner ist Herr Kollege Dr. Otto Bertermann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich dachte, es sei nicht nötig, heute noch eine zweite Aktuelle Stunde über die Gesundheitspolitik zu machen, nachdem die Freien Wähler schon das letzte mal eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragt hatten, inhaltlich gut argumentiert und auch positioniert. Ich denke aber, dass wir uns den Themen inhaltlich doch ein bisschen detaillierter zuwenden müssen.

Ich war heute Nachmittag auf dem Marienplatz bei einer Demonstration der Fachärzte und komme gerade aus einer Diskussion mit 60 Fachärzten aus dem Gebiet München-Land. Ich denke, dass das Versprechen von maximal 5 % Einkommenszuwachs keine Beruhigungspille für die Fachärzte war. Ich meine, sie wollen einfach wissen, in welche Richtung das Gesundheitswesen in Zukunft weiterentwickelt wird. Wie können wir den einzelnen Ärzten Planungssicherheit geben und wie können wir letztlich auch den Patiente, den Menschen in unserem Land Sicherheit geben?

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, die Bürger verstehen das Gesundheitssystem nicht mehr, wenn sie in die Apotheke gehen und ihre bisherigen Medikamente nicht mehr bekommen, selbst wenn eine Zuzahlung von 10 oder 15 Cent möglich wäre. Das ist ein Stück Wahlfreiheit, die begrenzt wird. Das ist ein Weg zur Fremdbestimmung, zur Planwirtschaft.

(Beifall bei der FDP)

Der Beitragssatz ist von 14,8 auf 15,5 % gestiegen. Wenn man mehr bezahlt, muss man normalerweise auch eine bessere Leistung bekommen. Ich frage mich: Was an besserer Leistung haben unsere Patienten nach der Beitragssatzerhöhung bekommen? Ich denke, es ist teurer und schlechter geworden. Das ist ein Stück Gesundheitspolitik der Großen Koalition, die groß mit Worten, aber klein in Taten ist.

(Beifall bei der FDP)

Der Gesundheitsfonds, meine Damen und Herren, ist zum Spielball der Politik geworden. Vor Wahlen wird der Beitrag gesenkt. Gesundheitspolitik wird je nach Kassenlage gemacht. Am besten wäre es, wenn wir es wieder so hätten wie früher, dass wir einen Fünfjahresplan aufstellen und die Gesundheit in den nächsten fünf Jahren beurteilen und auch die Krankheiten einschätzen könnten. Wenn wir dieses System wieder benutzen wollen, ist das in meinen Augen Planwirtschaft.