Herr Präsident, Kollegin nen und Kollegen! Wir hatten seit dem vergangenen Sommer herauszufinden, ob es auch in Bayern von seiten der bayerischen Behörden Fehler und Fehlein schätzungen gegeben hat, die dazu beigetragen haben, dass die schreckliche Mordserie des NSU nicht gestoppt oder nicht zumindest früher aufgeklärt werden konnte. Herr Kollege Schindler, ich glaube, wir sind vom Innenministerium in jeder von uns ge wünschten Weise unterstützt worden. Wir haben uns abgesprochen, dass wir darüber sprechen werden, falls eine Lockerung der Geheimhaltungspflichten not wendig ist. Eine solche Initiative hat es aber nicht ge geben. Das will ich hier auch feststellen.
Wir hatten die Aufgabe, in nur einem Jahr diesen komplexen Sachverhalt aufzuklären. Ich will unter streichen, dass diese Aufklärung über Fraktions- und Parteigrenzen hinweg mit großer Kooperationsbereit schaft möglich war. Das war auch das Ziel unserer Ar beit. Ich möchte mich deshalb beim Kollegen Schind ler und bei allen Kolleginnen und Kollegen, die in vielen Sitzungen mitgewirkt haben, ganz herzlich be danken.
Die Frage nach einem Minderheitenvotum wurde vor hin gerade lautstark gestellt. Wir legen über weite Strecken einen gemeinsamen Abschlussbericht vor, der von allen Mitgliedern getragen wird und somit auch einstimmig beschlossen wurde. Das bedeutet aber nicht, dass wir uns in allen Punkten einig gewor den sind. Vor allem bei den Schlussfolgerungen hat ten wir unterschiedliche Auffassungen. Solche unter schiedlichen Einschätzungen gehören aber auch zur parlamentarischen Arbeit.
Uns war es bei diesem Untersuchungsausschuss wichtig, ein starkes Signal aller Demokraten zu set zen, dass wir den Rechtsextremismus in unserer Ge sellschaft nicht tolerieren. Wenn es Fehler gegeben hat, wollten wir sie gemeinsam aufzeigen und darüber diskutieren, welche Konsequenzen daraus gezogen werden müssen, damit sich eine solche Mordserie nicht wiederholen kann. Das gemeinsame Ziel war es – das möchte ich hier betonen, und deshalb hat es am Ende über weite Strecken einen gemeinsamen Bericht gegeben -, dass wir einen Beitrag zur Be kämpfung des Rechtsextremismus’ leisten und in die sem Hause diesem politischen Irrweg mit keinerlei To leranz gegenübertreten wollen.
Der Abschlussbericht umfasst in der Druckfassung gut 200 Seiten. Am Ende finden sich etwa neun Sei ten, auf denen wir unsere unterschiedlichen Meinun gen dargestellt haben. Der Rest des Berichts wird von allen Fraktionen mitgetragen. Das ist, glaube ich, schon ein beachtenswertes Miteinander. Herzlich danken möchte ich auch unseren Mitarbeitern, die in vielen Sitzungen und Gesprächen diesen Konsens soweit vorangetrieben haben, dass wir auf politischer Ebene nur noch über Weniges entscheiden mussten.
Nun aber zu den Ergebnissen aus meiner Sicht: Wir hatten herauszufinden, wie weit bayerische Sicher heitsbehörden Fehler und Fehleinschätzungen ge macht haben. Unser Fokus lag, um auch das deutlich zu machen, auf Bayern. Wir haben uns nicht damit befasst, was in anderen Bundesländern oder im Bund passiert ist. Auch mit der föderalen Struktur des Ver fassungsschutzes haben wir uns nicht befasst, weil wir, was Bayern anbelangt, keinen Änderungsbedarf sehen.
Zusammenfassend sind wir zu dem Ergebnis gekom men, dass sich die Sicherheitsbehörden bei der Auf klärung dieser Mordfälle sehr engagiert bemüht haben, dass es aber trotzdem verschiedene Fehlein schätzungen gegeben hat. Der Vorsitzende hat schon eine ganze Reihe von Punkten angesprochen. Beto nen will ich aber – das ist, glaube ich, wichtig -, dass es keinen einzigen Fehler gegeben hat, von dem man nach unserer Auffassung rückblickend sagen könnte: Hätte man diesen Fehler nicht gemacht, dann wäre man dem Trio mit großer Wahrscheinlichkeit auf die Spur gekommen. Diesen – ich will es einmal so nen nen – Kardinalfehler hat es nach heutigem Wissen nicht gegeben.
Meinem Bericht will ich auch vorausschicken und be tonen, dass wir die Vorgänge von damals aus heuti ger Sicht ganz anders beurteilen können, als es den Sicherheitsbehörden damals möglich war. Dies muss bei aller Kritik fairerweise mit ins Kalkül gezogen wer den.
Bei der Polizei bezieht sich der Kern unserer Kritik da rauf, dass sie sich bei der Ermittlung der Mordserie von vornherein zu sehr auf die Ermittlungsrichtung or ganisierte Kriminalität fixiert hat, ohne für andere Er mittlungsrichtungen ausreichend offen zu sein, ob wohl der damalige Innenminister Dr. Günther Beckstein frühzeitig ein solches Gefühl zum Ausdruck gebracht hat.
Wir erkennen an, dass es für einen möglichen rechts extremistischen Hintergrund außer der Tatsache, dass alle Opfer türkischer oder griechischer Herkunft waren, keine konkreten Anhaltspunkte gab, während
es für einen möglichen Hintergrund im Bereich der or ganisierten Kriminalität eine Vielzahl von Hinweisen gegeben hat, die jedoch alle am Ende nicht zielfüh rend waren. Wir haben viele Polizeibeamte als Zeu gen vernommen, die glaubhaft und sehr eindrücklich dargestellt haben, mit welch hohem persönlichen En gagement sie die Ermittlungen durchgeführt haben. Unsere Kritik bezieht sich deshalb auch nicht darauf, dass bei der Polizei etwa nachlässig gearbeitet wor den wäre. Unsere Kritik bezieht sich darauf, dass man im Kollektiv immer nur die Spur der organisierten Kri minalität vor Augen hatte und erst viel zu spät und mit zu wenig Nachdruck in andere Richtungen gedacht hat. Diese Kritik üben wir vor allem deshalb, weil im Bereich der organisierten Kriminalität zu keinem Zeit punkt wirklich Spuren generiert werden konnten. Vor dem Jahr 2006 ist nie wirklich mit Nachdruck einem möglichen rechtsextremistischen Hintergrund der Mordtaten nachgegangen worden. Man hatte sie zwar im Blick und darüber auch diskutiert. Daraus sind aber keine konkreten Ermittlungsschritte entstanden.
Beim Landesamt für Verfassungsschutz bezieht sich unsere Kritik im Kern darauf, dass es die Polizei bei der Ermittlungsarbeit nicht aktiv genug unterstützt und rechtsextremistische Strategien nicht ausreichend ge kannt hat. Themen wie führungsloser Widerstand, Werwolfkonzept und ähnliche waren dem Verfas sungsschutz und auch der Polizei nicht ausreichend bekannt. Deshalb haben wir bei den Schlussfolgerun gen unter anderem auch empfohlen, dass sowohl dem Verfassungsschutz als auch der Polizei Informa tionen über solche strategischen und grundsätzlichen Entwicklungen zur Verfügung gestellt werden sollten.
Auf der einen Seite haben wir festgestellt, dass das Landesamt für Verfassungsschutz viele Zugänge zur rechtsextremistischen Szene hatte und auch über ein flächendeckendes Lagebild verfügte. Anzuerkennen ist, dass das Landesamt bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus’ in Bayern durchaus viele Erfolge vorweisen kann. Beispielhaft nenne ich die vielen Ver einsverbote, die in Bayern aufgrund der Arbeit des Verfassungsschutzes möglich waren und an denen der Verfassungsschutz maßgeblichen Anteil hatte. Dies gilt auch für die Vereitelung des Attentats bei der Grundsteinlegung für das jüdische Gemeindezentrum in München im Jahr 2003. Dieser Anschlag konnte durch einen V-Mann verhindert werden.
Auf der anderen Seite mussten wir feststellen, dass sich das Landesamt für Verfassungsschutz bürokra tisch und wenig engagiert verhalten hat, als die Poli zei dort Informationen über Rechtsextremisten ange fordert hat. Im Einzelnen ist das schon geschildert worden. Eine Informationsanfrage der Polizei im Jahr 2006 wurde zunächst, wie ich glaube, aus Rechts
gründen zutreffenderweise abgelehnt. Allerdings hat das Landesamt für Verfassungsschutz dann nicht bei der Polizei nachgefragt, wie es deren Ermittlungen zur Mordserie unterstützen könnte. Hier wäre mehr Zu sammenarbeit erforderlich gewesen. Letztlich gilt bei diesem Vorgang für beide Seiten Folgendes: Das Landesamt für Verfassungsschutz hätte bei der Poli zei nachfragen können und müssen, welche Daten sie benötigt. Die Polizei wiederum hätte die Datenanfor derung beim Landesamt für Verfassungsschutz mit mehr Nachdruck betreiben müssen. Das hat sie nicht getan. Dieser Beispielfall zeigt uns, dass gerade in der Frage des Informationsaustausches zwischen Verfassungsschutz und Polizei ein Schwerpunkt der Reformüberlegungen zu sehen ist.
Letzen Endes müssen ein paar wenige Fragen offen bleiben. Wir konnten zum Beispiel nicht klären, ob das NSU-Trio über ein Unterstützerumfeld in Bayern – ich betone: ein Unterstützerumfeld in Bayern – verfügt, was verschiedentlich vermutet wird. Einen Beweis dafür hat auch der Untersuchungsausschuss nicht fin den können. Inwieweit es deutschlandweit ein solches Unterstützerumfeld gegeben hat, wird möglicherweise in dem anhängigen Strafprozess vor dem Oberlan desgericht München geklärt werden können.
Eine Frage, die aus unserer Sicht allerdings nicht of fengebllieben ist - und da unterscheiden wir uns in un seren Positionen -, ist die Frage, ob den bayerischen Sicherheitsbehörden der Begriff "NSU", und zwar be zogen auf das Trio, nicht nur der Begriff "Nationalso zialistischer Untergrund" bereits vor dem 04.11.2011 bekannt gewesen ist. Sämtliche Zeugen, mit einer einzigen Ausnahme, haben dies verneint. Auch aus den Akten ergeben sich keine Hinweise auf eine Kenntnis des Begriffs "NSU" vor dem November 2011. Es gibt die Aussage eines einzigen Zeugen, der etwas anderes behauptet. Diese Aussage war aber nach unserer Überzeugung in sich nicht schlüssig und wenig glaubhaft, sodass es für uns nach dem Ergeb nis des Untersuchungsausschusses feststeht, dass auch den bayerischen Sicherheitsbehörden die Exis tenz des NSU vor dem 04.11.2011 nicht bekannt ge wesen ist.
Lassen Sie mich zu einigen Schlussfolgerungen kom men. Die Vergangenheit zu untersuchen, ist eine Sache und eine wichtige Grundlage. Wichtiger ist aber die Frage, welche Konsequenzen aus den jetzt gewonnenen Erkenntnissen zu ziehen sind. Hier gibt es - darauf habe ich eingangs bereits hingewiesen -, einige Unterschiede zwischen uns und der Opposi tion. Für uns ist und bleibt der Verfassungsschutz ein wesentlicher Bestandteil unserer Sicherheitsarchitek tur. Der Verfassungsschutz hat sich aus unserer Sicht über all die Jahre als ein Instrument der wehrhaften
Demokratie grundsätzlich bewährt. Die Verfassungs schutzbehörden, auch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz, wurden dafür kritisiert, dass ihnen die Existenz der Terrorgruppe NSU nicht bekannt ge wesen ist. Das ist möglicherweise unter anderem da rauf zurückzuführen, dass sich dieses Trio, wie auch der Generalbundesanwalt festgestellt hat, weitestge hend aus der rechtsextremistischen Szene zurückge zogen hatte, sodass alle Informationsquellen zwar an gezapft wurden, aus diesen Quellen aber letztendlich hier in Bayern keine Erkenntnisse gewonnen werden konnten. Das Bayerische Landesamt für Verfassungs schutz hat jedoch aus dieser Erfahrung heraus eine Reihe von Reformen eingeleitet, die zu einer noch in tensiveren Beobachtung des gewaltbereiten Rechts extremismus’ führen sollen. Das begrüßen wir aus drücklich. Ich kann das hier nicht im Einzelnen darstellen, aber wir haben uns im Untersuchungsaus schuss eingehend damit befasst.
Der Verfassungsschutz darf aus unserer Sicht des halb nicht abgeschafft oder nur noch auf den Rechts extremismus zugeschnitten werden. Er muss stattdes sen durch weitere Reformen gestärkt werden. Es macht keinen Sinn, den Verfassungsschutz in seinen Aufgaben zu beschneiden. Eine wehrhafte Demokra tie kann auf einen Nachrichtendienst, der verfas sungsfeindliche Bestrebungen ohne exekutive Befug nisse im Vorfeld aufklärt – was der Polizei gerade nicht möglich ist -, der die Verfassung schützt und als Ansprechpartner für andere Nachrichtendienste im In- und Ausland dient, nicht verzichten.
Kolleginnen und Kollegen, eine Gefahr für unsere De mokratie geht nicht nur vom Rechtsextremismus oder von rassistischen Bestrebungen aus, auch der Links extremismus, der islamische Extremismus und Terro rismus, die organisierte Kriminalität und neuerdings auch die Cyberkriminalität stellen präsente Gefahren für die Demokratie dar. Diese Gefahren müssen nach unserer Auffassung auch weiterhin mit nachrichten dienstlichen Mitteln, die unserer Polizei vor dem Hin tergrund unserer Geschichte aus guten Gründen nicht zur Verfügung stehen, intensiv beobachtet werden. Die Polizei kann die Aufgaben dieser Vorfeldlaufklä rung nicht übernehmen. Es ist Aufgabe der Polizei, Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwenden und Verbrechen aufzuklären. Dabei ist sie an das Legalitätsprinzip gebunden. Wir denken, das Trennungsgebot würde eine solche Aufgaben übertragung überhaupt nicht zulassen.
Aufgaben und Funktionen des Verfassungsschutzes können auch nicht durch Akteure der Zivilgesellschaft, wie etwa wissenschaftliche Dokumentationsstellen, wahrgenommen werden, weil ihnen hoheitliche Befug nisse fehlen; ihnen fehlt auch die legislative Kontrolle.
Wir können, wie von der Opposition gefordert, auch nicht generell auf den Einsatz von V-Leuten verzich ten. Dabei sind wir uns selbstverständlich auch über die Unzulänglichkeiten des Systems der V-Leute im Klaren. Zu deren Einsatz gibt es aber keine wirkliche Alternative. Die Verfassungsschutzbehörden müssen wissen, was sich in der rechtsextremistischen Szene abspielt, was geplant wird, was besprochen wird.
Mit technischen Überwachungsmaßnahmen wird man das nicht erreichen können. Wir wollen auch keine flä chendeckende technische Überwachung. Wir wollen nicht flächendeckend den Telefon- und Internetver kehr von Personen überwachen, die vielleicht nur lose Kontakte zur extremistischen Szene haben. Ich erin nere an dieser Stelle an das Thema NSA, über das wir derzeit heftig diskutieren. All das müsste man aber letzten Endes tun, wenn man über ein richtiges Lage bild verfügen wollte.
Der richtige Weg ist aus unserer Sicht, den Einsatz von V-Leuten künftig strikter zu regeln und zu kontrol lieren. Auch verdeckte Ermittler - auch das wird immer wieder als Alternative ins Gespräch gebracht -, also Beamte des Verfassungsschutzes, die unter einer Le gende agieren, können V-Leute nicht ersetzen. Der Aufbau einer Legende dauert Jahre, abgesehen davon, dass es sehr fraglich ist, ob man überhaupt genügend und geeignetes Personal finden könnte. Das Ganze ist schließlich auch nicht ungefährlich, wie wir wissen.
Wir halten deshalb, zusammengefasst, den Weg, den die Innenministerkonferenz einstimmig, auch mit den Stimmen der SPD-regierten Länder, beschlossen hat, für richtig, den Verfassungsschutz durch Reformen zu stärken. Das ist teilweise schon geschehen, auch beim Bund. Dies ist der richtige und erfolgverspre chende Weg.
Meine Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen, das sind aus meiner Sicht die wesentlichen Punkte, bei denen wir uns in den Schlussfolgerungen von SPD und GRÜNEN unterscheiden. SPD und GRÜNE haben in ihrem abweichendem Votum auch eine Reihe weiterer Vorschläge unterbreitet, die uns durch aus diskutabel erscheinen. Es war uns aus zeitlichen Gründen aber nicht möglich, diese Überlegungen in den Bericht einzuarbeiten und abzustimmen. Das ist sicher Aufgabe des neuen Landtages.
Einig sind wir uns über die Parteigrenzen hinweg, dass der Informationsaustausch zwischen Polizei und Verfassungsschutz, aber auch zwischen den Ländern sowie mit dem Bund verbessert werden muss. Auch das wurde teilweise schon in Angriff genommen. Das ist eine entscheidende Konsequenz aus den Erkennt
nissen des Untersuchungsausschusses. Wie dies um gesetzt werden kann, muss sorgfältig geprüft und dis kutiert werden. Wir haben hier keine Schnellschüsse abgegeben; denn das Bundesverfassungsgericht hat Ende April in seiner Entscheidung zur Antiterrordatei eigentlich einen sehr strengen Rahmen für diesen In formationsaustausch zwischen Nachrichtendiensten und Polizei vorgegeben. Es muss jetzt sehr genau ge prüft werden, welche rechtlichen Spielräume es gibt. Wir sind allerdings schon der Meinung, dass die Spielräume, die diese Entscheidung lässt, möglichst aktiv genutzt werden sollten.
Herr Kollege Schindler, Sie haben etwas verklausu liert zum Ausdruck gebracht, es bestünde hier in Bay ern ein Grund zum Rücktritt. Ich glaube das nicht, auch wenn das in anderen Bundesländern zum Teil auf der Ebene der Polizei und auch sonst der Fall war. Ich habe schon darauf hingewiesen, dass der da malige Innenminister sehr frühzeitig die andere Ermitt lungsstrategie ins Auge gefasst und auch die Sicher heitsbehörden danach gefragt hat. Das Ergebnis war, dass es keine Anhaltspunkte gab, dass die Quellen, die befragt worden sind, keine Informationen liefern konnten, was sicher damit zu tun hatte – das habe ich schon erwähnt -, dass sich die drei weitestgehend aus der Szene zurückgezogen hatten. Deshalb lagen in Bayern keine Informationen vor. Die Quellen konnten nicht liefern, was sie nicht hatten.
Ich glaube, dass die Kommunikation mit dem Innen ministerium, aber auch mit dem Justizministerium sehr gut war. Wir haben keine ernsthaften Defizite bei den Sicherheitsbehörden erkennen können. Ich meine auch, dass bei der Staatsregierung das Thema "Be kämpfung des Rechtsextremismus’" eine ganz erheb liche Rolle gespielt hat. Wir haben uns per Beweisbe schluss darlegen lassen, welche Handlungsempfehlungen es gegeben hat. Am Ende zu sagen, der eine oder andere Rücktritt wäre fällig gewesen, ist übertrieben und nicht zutreffend. Es gibt dafür wirklich keinen Grund. Wir haben bei unseren Untersuchungen so etwas nie im Fokus gehabt.
Letztendlich gibt es schon Anlass – das sehen Sie auch an unseren Vorschlägen -, das aufzuarbeiten, was wir festgestellt haben, welche Schlussfolgerun gen wir ziehen und welche Empfehlungen wir geben. Es obliegt dem nächsten Landtag, sich damit ausei nanderzusetzen und dort, wo es notwendig ist, Verän derungen vorzunehmen.
Ich möchte betonen, dass wir wirklich sehr konstruktiv zusammengearbeitet und uns bemüht haben, in der Sache aufzuklären. Die Bekämpfung des Rechtsext remismus’ ist durch unsere Arbeit, die Ergebnisse und die Schlussfolgerungen vorangebracht worden. In die
sem Sinne bedanke ich mich für die Zusammenarbeit und das Ergebnis, das wir gemeinsam erreicht haben.
Als näch ster Redner hat Herr Kollege Professor Dr. Piazolo von den FREIEN WÄHLERN das Wort. Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Enver Simsek, Abdurrahim Özüdogru, Habil Kilic, Ismail Yasar und Theodoros Boulgarides – fünf Namen, fünf Opfer, alle in Bayern ermordet, zwi schen dem 9. September 2000 in Nürnberg und dem 15. Juni 2005 in München, ermordet, weil sie Auslän der oder weil sie ausländischer Herkunft waren. Diese schreckliche Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds, NSU, hat uns alle schockiert, hat die Be völkerung in Bayern beschäftigt wie wenige Ereignis se der letzten Jahre.
Die fünf Genannten lebten in Bayern, sie haben ver sucht, sich hier eine Existenz aufzubauen. Sie hatten Hoffnungen, sie verlangten Sicherheit, aber diese konnten sie nicht bekommen. Hoffnungen sind zer stört worden, Hoffnungen, die natürlich nicht nur die ausländischen Mitbürger bei uns haben, sondern wir alle. Aber in diesem Falle hat es diese fünf getroffen.
Auf der anderen Seite geht es nicht nur um Hoffnung, sondern es geht auch um Schuld. Diese Schuld tra gen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschä pe, drei Täter, die Hoffnungen zerstört haben, die Leben vernichtet haben, und zwar in einer Brutalität, wie man sie nur selten erlebt hat, mit einer Unerbitt lichkeit und einem inneren Hass, die beispiellos sind. Zwei der Täter, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, haben sich selbst gerichtet, Beate Zschäpe steht im Moment in München vor Gericht. Es war nicht die Auf gabe des Untersuchungsausschusses, Schuld festzu stellen. Das ist nicht unsere Aufgabe; das ist die Auf gabe der Gerichte. Wir sollten uns aber bewusst sein, dass es auch um diese Dimensionen geht, dass Hoff nungen zerstört wurden, dass schuldhaft gehandelt wurde. Das wird aktuell untersucht.
In diesem Untersuchungsausschuss ging es uns um die Frage nach Verantwortung, nach politischer Ver antwortung. Es geht also nicht um Schuld, sondern um Verantwortung, es geht darum, welche Fehler ge macht worden sind und welche Versäumnisse und strukturellen Defizite es gegeben hat. Es ist schon vieles in der letzten Stunde gesagt worden, und man läuft Gefahr, einiges zu wiederholen. Ich hoffe, das größtenteils zu vermeiden.
Ich bin der Auffassung, dass die politische Verantwor tung auch in Bayern von der politischen Spitze zu tra gen ist. Ich sage bewusst: politische Verantwortung. Ich will versuchen, das zu begründen. Die Möglichkeit eines fremdenfeindlichen bzw. rechtsextremistischen Tatmotivs war seitens der politischen Spitze in Bayern bereits unmittelbar nach dem Mord als denkbar er kannt worden, und sie wurde – auch das wurde ge sagt – nie ganz aus dem Auge verloren.
Heute, viele Jahre danach, kann man dem damaligen Innenminister eine gewisse Hellsichtigkeit, ein gewis ses Bauchgefühl unbedingt bescheinigen, mit allen Weiterungen, die das hat. Ich möchte daran erinnern, dass Kollege Beckstein, der damalige Innenminister, drei Tage nach dem ersten Mord eine Randnotiz an einen Artikel der "Nürnberger Zeitung" gemacht hat. Sie lautete: Bitte mir genau berichten. Ist ausländer feindlicher Hintergrund denkbar? – Es war ein Gefühl, ein Bauchgefühl, das sich vielleicht aus den Erfahrun gen vieler Jahre speiste. Er war nicht der Einzige. Auch der Zeuge Hegler hat gesagt: Bei Morden an Ausländern denken wir auch immer an einen auslän derfeindlichen Hintergrund. Wir denken zumindest daran, inwieweit wir ihn dann prüfen, ist eine andere Frage.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf ein Inter view aus dem Jahr 2012 in der SZ hinweisen. Damals hat Herr Beckstein in der Rückschau erklärt, von An fang an auch an ausländerfeindliche Motive gedacht und auch später danach gefragt zu haben. Er habe oft vor der Gewaltbereitschaft der Rechtsextremisten ge warnt und sogar teilweise von einer Braunen Armee Fraktion gesprochen. Er hat uns als Zeuge berichtet, dass der Begriff der Braunen Armee Fraktion sehr kri tisch gesehen wurde und er von anderen zurückge wiesen worden ist. Ich möchte aber noch einmal da rauf hinweisen, dass das Bauchgefühl da war. Es gab auch die Forderung an die Ministerien und die Behör den, die die Untersuchungen zu verantworten hatten, ihm zu berichten.
Inwieweit das geschehen ist, haben wir natürlich auch untersucht. Es gab auch Quellenbefragungen, aber diese Quellenbefragungen sind sehr schnell im Sande verlaufen. Sie sind nicht in der gleichen Intensität be trieben worden wie vieles andere.
Die bayerischen Ermittlungsbehörden – das ist eine zweite These, die ich hier aufstelle – blendeten entge gen dieser ersten Vermutung – ich möchte es nicht Verdacht nennen – die Möglichkeit eines fremden feindlichen Tatmotivs lange und weitgehend aus, sie stellten die Vermutung hintan und betrieben zugleich Ermittlungen in alle anderen denkbaren Richtungen. Das heißt, wenn man davon ausgeht, dass man zwei
Richtungen hat – die eine im Bereich der organisier ten Kriminalität, die andere im Bereich Fremdenfeind lichkeit -, dann sind jahrelang Ermittlungen praktisch nur in die eine Richtung unternommen worden. Es ist sehr viel in diesem Bereich passiert. Was hat man nicht alles untersucht! Schutzgelderpressung, vom Ausland aus agierende politische Organisationen, zum Beispiel wurde die PKK genauer untersucht - Ak tionen ausländischer Geheimdienste, Schuldeneintrei bung, Glücksspiel, Prostitution, persönliche Auseinan dersetzungen, religiöse Motivation, BTM-Handel. Der Einfallsreichtum war kaum zu überbieten. Zeugen wurden vernommen, noch und nöcher, es gab um fangreiche Kontakte zu supranationalen und ausländi schen Institutionen, zu Europol, den türkischen Poli zeibehörden, den polizeilichen Betrieb von DönerStänden sowie den Einsatz von als Journalisten und Detektive getarnten Hilfspersonen. Ausgedehnte Poli zeisuch- und –überwachungsmaßnahmen gab es auch gegenüber den Familien der Opfer. Man kann nicht sagen, dass in diesem Bereich zu wenig Ermitt lungen stattgefunden haben. Das ist zuvor schon ge sagt worden.
Demgegenüber ist bis 2006 in die andere Richtung – mögliche fremdenfeindliche Motive – außer den ge nannten Quellenbefragungen nichts passiert. Das Ar gument, man habe keine Spuren, kein Bekenner schreiben gehabt, verfängt nur teilweise. Denn in die andere Richtung gab es auch keine Spuren. Das heißt: Weder nach dem ersten Mord noch nach den weiteren Taten existieren, von vorübergehenden Er mittlungsansätzen zu höchst unterschiedlichen und damit auch nicht auf einen gemeinsamen Nenner für alle Mordanschläge hindeutenden Tatmotiven abge sehen, Anhaltspunkte weder für den Bereich der orga nisierten Kriminalität noch für den Bereich der Frem denfeindlichkeit, des Rechtsextremismus’. Insofern stellt man sich schon die Frage, warum in dem einen Bereich so intensiv ermittelt wurde und in dem ande ren Bereich praktisch gar nicht. Das ist schon ein Un terlassen, das wir im Untersuchungsausschuss inten siv untersucht haben, aber auf das wir, ehrlich gesagt, keine Antworten gefunden haben, das auch unerklär lich bleibt und deshalb in der Verantwortung derjeni gen bleibt, die an der Spitze, also auch in der politi schen Verantwortung, stehen.
Das Bild hätte sich mit der zweiten operativen Fall analyse Mitte 2006 wandeln können. Dies ist eben falls bereits angesprochen worden. Hier ist plötzlich ein weiteres Fenster aufgegangen, eine Tür hat sich aufgetan, man hat eine Chance in die Hand bekom men; denn – das muss man aus heutiger Sicht sagen – das, was der Profiler, Herr Horn, auch Zeuge, fest gestellt hat, welche Motive er angegeben hat, das ist ganz nah an den späteren Tätern gewesen. Ich glau
be, es war Herr Kollege Fischer, der einmal gesagt hat, wenn man das durchlese und wenn man sehe, wie genau die Beschreibung auf die heute bekannten Täter passt, laufe es einem kalt den Rücken herunter.