Protokoll der Sitzung vom 26.03.2009

zehn Jahren auf 21 % ausbauen. Herzlichen Glückwunsch zu dieser Innovation. Dafür wollen Sie sich zehn Jahre Zeit nehmen. Sie haben schon zehn Jahre versäumt, um die Ganztagsschulen auszubauen, und Sie brauchen weitere zehn Jahre, um nur einen Teil des Bedarfs abzudecken. Das heißt: Sie brauchen 20 Jahre, um dem Anspruch einer modernen Schulpolitik in Sachen Ganztagsschule gerecht zu werden. Das ist beschämend angesichts des hier immer wieder vorgetragenen Anspruchs, Bayern sei das Bildungsland Nummer eins. Gar nichts sind Sie; im Reden sind Sie das Bildungsland Nummer eins, aber im Handeln sind Sie Schlusslicht in Deutschland. Das ist der Punkt.

(Beifall bei der SPD )

Wir müssen die Ganztagsschulen weiter ausbauen, sowohl die offene als auch die gebundene Form. Wir müssen mehr und schneller Angebote schaffen, nicht in Trippelschritten, wie Sie das hier vorschlagen.

Ich komme zum Thema Klassengrößen. 40 % aller Gymnasialklassen haben mehr als 30 Schüler; nahezu 50 % aller Klassen an der Realschule haben über 30 Schülerinnen und Schüler. Jetzt kommt die Innovation dieser Koalition daher: Sie haben 2008/2009 die Höchstgrenze der Klassenstärke an Realschulen und Gymnasien von 34 auf 33 gesenkt. Herzlichen Glückwunsch; das ist wirklich kraftvolle Politik, Frau Will. Dazu fällt einem wirklich nichts mehr ein. Das Ziel der Koalition ist es, bis 2013/14, also in fünf bis sechs Jahren, die Höchstgrenze von Klassen an Gymnasien und Realschulen auf 30 Schülerinnen und Schüler zu reduzieren. Schön. Jeder Schüler weniger, den wir in den Klassen haben, tut gut, aber dieses Ziel ist überhaupt nicht zu vereinbaren mit Ihrem Anspruch, Bildungsland Nummer eins zu sein. Nein, wir müssen kraftvoll dafür sorgen, dass keine Klasse an weiterführenden Schulen mehr als 25 Schülerinnen und Schüler hat, keine Grundschulklasse sollte mehr als 20 Schüler haben. Natürlich kostet das viel Geld, dass wissen wir schon auch. Aber man muss es mindestens als politisches Ziel formulieren. Aber noch nicht mal dazu sind Sie bereit.

Ich komme zum Thema Sitzenbleiben. Auch davon redet keiner mehr bei dem Versuch, Bildungsgerechtigkeit 60-mal zu erklären. Jeder dritte Schüler in Bayern hat im Verlauf seiner Schullaufbahn mindestens einmal die Jahrgangsstufe wiederholt. Ich will gar nicht über die Sinnhaftigkeit von Klassenwiederholungen reden. Ich will Ihnen Folgendes sagen: Diese Klassenwiederholungen in Bayern kosten schätzungsweise 270 Millionen Euro pro Jahr. Kolleginnen und Kollegen, das nehmen Sie jedes Jahr in Kauf. Wir könnten das Geld besser verwenden, und zwar um Klassen zu verkleinern und Ganztagsschulen einzuführen. Bei den Klassenwiederholern sind Sie - wie so oft - Schlusslicht.

In Baden-Württemberg liegt die Quote der Klassenwiederholer bei 1,8 %, in Bayern bei 3,8 %. Sie haben überhaupt keinen Grund, immer wieder zu behaupten, dass Bayern das Bildungsland Nummer 1 wäre.

Ich möchte zum Schluss noch zwei Anmerkungen machen, obwohl ich noch viel zu den Themen Übertrittsklassen, Gelenkklassen und Kombiklassen sagen könnte. Ich kann mich an einen Hauptschulkongress in Ingolstadt erinnern. Das war der Beginn der Hauptschulinitiative. Wer redet davon eigentlich noch? Wo ist denn Herr Staatsminister Schneider? Er hat doch diese Hauptschulinitiative gestartet. Nichts ist passiert. Jetzt gibt es einen weiteren Hauptschulkongress. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie brauchen keine Kongresse mehr. Wir brauchen auch keine Modellversuche mehr. Wir brauchen keine Gelenkklassen oder sonstige bildungspolitische Mobiles. Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen mehr Lehrer.

(Beifall bei der SPD)

Wir brauchen kleinere Klassen. Wir brauchen eine Strategie zum Erhalt wohnortnaher Schulen. Die Freunde der Hauptschule haben in den letzten Jahren über 40 % der Hauptschulstandorte platt gemacht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, redet darüber noch jemand?

(Georg Schmid (CSU): Es gab auch weniger Kinder!)

Wir brauchen eine Strategie der individuellen Förderung. Wir brauchen eine Strategie, die die Bildungspolitik in den Mittelpunkt des Haushalts stellt, und zwar entscheidend. Da genügt es nicht, mit 2700 Lehrern ein paar Almosen zu verteilen.

(Georg Schmid (CSU): 2.700 Lehrer sind Almosen? Ihnen fehlt jedes Maß!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, hätten Sie vor Jahren die Forderungen der Opposition nach einer Bildungsmilliarde umgesetzt, stünden wir heute besser da.

Zusammenfassend möchte ich behaupten: Diese Koalition ist nicht in der Lage, eine echte Bildungsreform umzusetzen, weder hinsichtlich der Verbesserung der Rahmenbedingungen noch bei der Schulentwicklung. Sie werden es mit diesen Modellen, Konzepten und Mobiles nicht schaffen. Die FDP wird sich noch wundern, wie ihr Anspruch von der CSU kaputt gemacht werden wird. Ich sage Ihnen: Verlassen Sie diese Koalition. Es wäre besser für Sie.

(Lang anhaltender Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Pfaffmann, ich darf Sie bitten, noch einmal ans Rednerpult zu kom

men. Herr Kollege Prof. Dr. Barfuß möchte eine Zwischenbemerkung machen.

Herr Kollege Pfaffmann, ich finde es schade, dass Sie alles so heruntermachen. Das ist der Sarkasmus des Verlierers.

(Widerspruch bei der SPD)

Ich muss das so sagen. Wenn Ihnen das, was Sie wollen, tatsächlich so wichtig wäre, hätten Sie nachgesehen, was uns in den Koalitionsgesprächen gelungen ist. Zwischen Null - was Sie erreicht haben, weil Sie keine Macht haben - und dem, was wir erreicht haben, besteht ein Unterschied. Sind Sie wirklich so blauäugig zu glauben, dass man in einer Koalition alles durchsetzen könnte? Sie wissen das offenbar nicht, weil Sie schon lange keine Koalitionsverhandlungen mehr geführt haben.

(Beifall bei der FDP)

Wir sind auf einem besseren Weg als Sie; denn Sie können nur Null umsetzen und unsere Null ist etwas größer.

(Beifall bei der FDP - Harald Güller (SPD): Bei einer Koalition mit uns kriegen Sie hier 100 % durch!)

Ich kann verstehen, dass Sie das verärgert. Wir werden diese Koalition nicht verlassen, beharrlich weiterarbeiten und den Minister unterstützen. Wir freuen uns schon auf die nächste Debatte, wo Sie wieder für leere Sprüche klatschen werden.

(Beifall bei der FDP und der CSU)

Herr Kollege Pfaffmann, Sie dürfen darauf antworten.

Frau Präsidentin, vielen Dank. Herr Kollege Prof. Dr. Barfuß, mir ist schon klar, dass Sie die Koalition nicht verlassen wollen, weil Ihnen Macht wichtiger als Inhalt ist.

(Beifall bei der SPD)

Lieber Herr Kollege, mir ist bewusst, dass man in einer Koalition nicht alles, was man im Programm hat, umsetzen kann. So blauäugig sind wir nicht. Aber Sie haben gar nichts umgesetzt.

(Franz Maget (SPD): Nicht einmal den Integrationsbeauftragten durften Sie machen!)

Im Gegenteil: Ich denke nur an das Übertrittszeugnis. Da haben Sie die Lage verschlimmbessert. Wenn Sie nur ein paar Ihrer Ansprüche umgesetzt hätten, wäre

es ja gut. Sie sind der Verlierer dieser Koalition, nichts anderes.

(Beifall bei der SPD)

Ich darf in der Debatte fortfahren und Frau Kollegin Gottstein für die Fraktion der Freien Wähler ums Wort bitten.

Sehr verehrte Frau Präsidentin, liebe Kollegen und Kolleginnen! Sehr verehrter Herr Minister, Sie haben bereits am 22. Januar fast das Gleiche wie heute gesagt.

(Georg Schmid (CSU): Das kann man nicht oft genug sagen!)

- Ich gebe Ihnen recht, dass man zum Thema Bildung nicht oft genug reden kann.

Herr Minister, damals lautete die Überschrift Ihres Berichtes nicht wie heute "Qualität und Gerechtigkeit Bayerns Schulen stark machen für die Zukunft", sondern "Qualität und Gerechtigkeit - Bildung in Bayern". Ich glaube, Ihnen ist aufgefallen, dass die ursprüngliche Überschrift "Qualität und Gerechtigkeit Bildung in Bayern" erschreckend und ein Armutszeugnis ist. Diese Überschrift würde eher zu einer Rede passen, die das Bildungssystem in Bayern vor 200 Jahren betrifft oder zu einer Diskussion über Bildungssysteme in Entwicklungsländern und Schwellenländern.

Wenn bei uns noch darüber diskutiert werden muss, dass Bildung etwas mit Gerechtigkeit zu tun hat, ist das ein Armutszeugnis. Diese Überschrift legt den Schluss nahe, dass bei uns die Bildung ungerecht sei.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Herr Minister, ich habe Respekt vor Ihnen, weil Sie dies - sicher notgedrungen durch Studien wie Pisa, die inzwischen vorliegen - öffentlich eingestehen. Ich bewerte es positiv, dass inzwischen auch in Bayern erkannt wird, dass hier viel im Argen liegt. Erst wenn ein Problem erkannt und definiert worden ist, kann man es lösen. Herr Minister, für diese Erkenntnis spreche ich Ihnen Respekt aus.

Die Themenstellung ist sehr eingeschränkt. In der Überschrift heißt es "Schulen stark machen", aber es geht nach wie vor um die Bildung in Bayern. Hier sehe ich das erste Problem: Die Bildung beginnt viel früher. Bildung ist nicht Wissensvermittlung. In unseren Reden und bei den Lösungsmöglichkeiten, die wir suchen, lassen wir die frühkindliche Bildung weg. Wir beginnen also mit der Diskussion erst an dem Punkt, wo das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Dass wir keine Bil

dungsgerechtigkeit haben, hängt zu einem großen Teil mit Versäumnissen bei der frühkindlichen Erziehung zusammen.

Damit beschäftigen wir uns heute leider überhaupt nicht. Das hängt wiederum damit zusammen, dass hierfür zwei Häuser zuständig sind, nämlich das Sozialministerium und das Kultusministerium. Wir bedauern dies, weil die heutige Debatte gezeigt hat, dass diese Schnittstelle entscheidend ist. Aus rein organisatorischen Gründen sprechen wir heute nur über die eine Hälfte und lassen den wichtigen Vorspann weg.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Thema Schule: Sie bekennen sich zum vielgliedrigen Schulsystem. Wie Sie aus unseren Äußerungen entnehmen können, tun wir dies auch. Ich möchte aber an dieser Stelle betonen, dass wir dies nicht aus Überzeugung tun, sondern, weil es in der Wissenschaft sowohl Meinungen gibt, die das differenzierende Schulsystem unterstützen, als auch Meinungen, die für ein Gesamtschulsystem eintreten. Wir sehen das pragmatisch, meinen aber, dass parallel dazu ein Konzept für eine fünfjährige, sechsjährige oder gesamte gemeinsame Schulzeit entwickelt werden soll. Deshalb haben wir den letzten diesbezüglichen Antrag der SPD unterstützt. Ein Wohl auf die Autohersteller, die momentan Konzepte in der Schublade haben und deshalb auf die jetzige Krise reagieren können! Wir versteifen uns nicht auf ein Konzept des vielgliedrigen Schulsystems, das die Freien Wähler aus pragmatischen Gründen momentan unterstützen. Ich bedauere aber nach wie vor, dass der Antrag einer Konzeptentwicklung für andere Systeme im Hohen Haus überhaupt nicht auf Wohlwollen gestoßen ist, weil es vielleicht sehr schnell nötig sein könnte, grundlegende Änderungen durchzuführen. Man wird überrascht, ohne sich etwas überlegt zu haben. Ich bitte auch die Kollegen der GRÜNEN und der SPD, die eine längere gemeinsame Schulzeit fordern, Konzepte zu entwickeln und mitzuteilen, wie man sich ein G 7 oder ein G 6 vorstellt.

(Zuruf von den GRÜNEN)

- Nein, die Bevölkerung weiß die Details nicht. Eine längere gemeinsame Schulzeit hieße dann auch G 7 und R 5 oder G 6 und R 4 oder ein Gesamtschulsystem. Legen Sie Details vor, damit man darüber diskutieren kann.

Herr Minister Dr. Spaenle sagt in seinen verschiedenen Reden zu dem Thema, Schwerpunkt in einem vielgliedrigen Schulsystem - ich denke, in jedem Schulsystem - sei das Kind. Das Kind muss an der Schule sein, die seiner Begabung und seinem familiären und eventuellen Migrationshintergrund entspricht.

Sie nennen verschiedene Schwerpunkte, die ich aufgreifen möchte. Sie sagen, man kümmere sich um die Schüler mit Migrationshintergrund, damit es gerechter wird, man kümmere sich um Schüler mit Behinderungen, damit das Schulsystem gerechter wird, und man kümmere sich um den Übertritt, damit Ungerechtigkeiten beseitigt werden. Man schaffe Kooperationsschulen und Gerechtigkeit mit dem Erhalt der wohnortnahen Hauptschule.

Ich komme zum Komplex Schüler, Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund. Wir befürworten die Maßnahmen, die zum Islamunterricht entwickelt werden, sehr. Das war überfällig. Ich stimme Herrn Pfaffmann zu, der fragt, woher man die Lehrer nehmen wolle. Ich bitte Sie, nicht nur auf Papier etwas Schönes zu schreiben, sondern zu versuchen, das so schnell wie möglich umzusetzen. Das wäre ein sehr wichtiger Schritt zur Integration dieser Schüler.