Protokoll der Sitzung vom 07.05.2009

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CSU)

Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Der federführende Ausschuss für Verfassung, Recht, Parlamentsfragen und Verbraucherschutz empfiehlt, den Dringlichkeitsantrag abzulehnen.

(Harald Güller (SPD): Wir haben den Antrag für erledigt erklärt!)

- Sie haben ihn für erledigt erklärt.

(Zuruf von der SPD: Genau!)

- Gut, dann brauche ich darüber nicht abstimmen zu lassen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:

Abstimmung über Verfassungsstreitigkeiten und Anträge, die gem. § 59 Abs. 7 GeschO nicht einzeln beraten werden (s. a. Anlage 1)

Hinsichtlich der jeweiligen Abstimmungsgrundlagen mit den einzelnen Voten der Fraktionen verweise ich auf die Ihnen vorliegende Liste.

(siehe Anlage 1)

Wer mit der Übernahme seines Abstimmungsverhaltens bzw. dem jeweiligen Abstimmungsverhalten seiner Fraktion entsprechend der aufgelegten Liste einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenstimmen bitte ich anzuzeigen. - Keine. Stimmenthaltungen? - Auch keine. Damit übernimmt der Landtag diese Voten.

Außerhalb der Tagesordnung gebe ich gemäß § 26 Absatz 2 der Geschäftsordnung bekannt: Die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN hat mitgeteilt, dass Herr Kollege Dr. Christian Magerl als Mitglied des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ausscheidet. An dessen Stelle wurde als neues Mitglied Frau Claudia Stamm benannt. Ich bitte um entsprechende Kenntnisnahme.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, vielen Dank. Damit gehen wir in die Mittagspause. Wir beginnen bitte pünktlich wieder um 14.00 Uhr mit den Dringlichkeitsanträgen.

(Unterbrechung von 13.23 bis 14.02 Uhr)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich hoffe Sie haben die Mittagspause genutzt, um sich zu stärken. Ich begrüße die nächsten Besuchergruppen. Wir fahren nun in der Tagesordnung fort.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: Beratung der zum Plenum eingereichten Dringlichkeitsanträge Zur gemeinsamen Behandlung rufe ich auf:

Dringlichkeitsantrag der Abg. Margarete Bause, Sepp Daxenberger, Ulrike Gote u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Erfolgreiche Zusammenarbeit im Beratungsnetzwerk der Landeskoordinierungsstelle Bayern gegen Rechtsextremismus fortsetzen - Ausschluss der Antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München e.V. (a.i.d.a.) zurücknehmen (Drs. 16/1256)

und

Dringlichkeitsantrag der Abg. Franz Maget, Helga Schmitt-Bussinger, Florian Ritter u. a. und Fraktion (SPD) Rücknahme der Einstufung der Antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München e.V. (a.i.d.a.) als linksextremistisch und Rücknahme des Ausschlusses aus dem Beratungsnetzwerk der Landeskoordinierungsstelle Bayern gegen Rechtsextremismus (LKS) (Drs. 16/1267)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Als erster Rednerin erteile ich Kollegin Tausendfreund von der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie haben wahrscheinlich in der letzten Woche selber in der Presse verfolgt, dass die Diskussion um a.i.d.a. ziemlich hochgeschwappt ist. Wir GRÜNEN protestieren gegen die Weisung des Kultusministeriums, a.i.d.a. aus der Landeskoordinierungsstelle gegen Rechtsextremismus, also dem bayernweiten Beratungsnetzwerk, auszuschließen. Wir setzen uns dafür nicht alleine ein, da viele namenhafte Organisationen ebenfalls ihre Solidarität mit a.i.d.a. erklärt haben. Die Einstufung als linksextremistische Organisation und die Bezeichnung ihrer Vertreter als bekannte Linksextremisten ist verfehlt und kontraproduktiv. Der Verfassungsschutz versucht krampfhaft, a.i.d.a. eine Unterwanderungsstrategie anzudichten. Dem Verein wird unterstellt, sich nur deshalb

gegen Rechtsextremismus einzusetzen, um seine eigentlichen Ziele zu verbergen.

In Wahrheit haben wir ganz andere Probleme: Wallfahrten zu Gräbern von alten und neuen Nazis, Zulauf und Wahlerfolge bei der NPD und anderen Naziorganisationen, Fremdenfeindlichkeit, Gewalt gegen Ausländer, Antisemitismus, Anschläge auf Synagogen, rechte Schlägertrupps, die durch die Straßen ziehen, und Konzerte, bei denen den Besuchern Hass und Gewalt eingehämmert werden. Die Entwicklung der gewaltbereiten Gruppen, der Ideen- und der Geldgeber in der rechtsextremistischen Szene sind äußerst bedenklich und gefährlich für unsere Gesellschaft. Ein breites gesellschaftliches Bündnis muss hierzu Flagge zeigen und sich diesen Entwicklungen entgegenstellen.

Vorbildlich Flagge zeigt seit 1990 die Antifaschistische Informations- und Archivstelle München e.V., kurz a.i.d.a. Trotz ihrer wertvollen Arbeit ist a.i.d.a. ins Visier des Verfassungsschutzes gekommen. Dies geschah jedoch völlig zu Unrecht. Damit wird das zivilgesellschaftliche Engagement gegen die Nazis empfindlich geschwächt, und die lachenden Dritten sind die rechten Gruppen.

Der gemeinnützige Verein a.i.d.a. sammelt allgemein zugängliche Informationen über die rechte Szene und deren Aktivitäten. Darüber hinaus werden diese Informationen aufbereitet und als Hintergrundmaterial zur Verfügung gestellt. a.i.d.a. leistet journalistische Recherchearbeit, die nötig ist, um einen Überblick über die rechte Szene zu erhalten und ihr wirksam entgegenzutreten. a.i.d.a. ist für die geleistete Arbeit mehrfach ausgezeichnet worden: 2005 und 2006 vom bundesweiten Bündnis für Demokratie und Toleranz sowie 2008 von der Landeshauptstadt München, dem Ausländerbeirat und dem Verein Lichterkette.

Obwohl die Vorwürfe nicht stichhaltig und einfach nur lächerlich sind, hat das Kultusministerium den Bayerischen Jugendring, der Träger der Landeskoordinierungsstelle ist, trotz dessen Protest angewiesen, a.i.d.a. aus dem Beratungsnetzwerk auszuschließen. Ungeachtet dessen, dass a.i.d.a. die ohnehin sehr vagen und aus der Luft gegriffenen Vorwürfe samt und sonders schriftlich entkräftet hat. a.i.d.a. wird die Strategie unterstellt, Bündnisse mit demokratischen Organisationen einzugehen. Das ist einer der vielen Vorwürfe. Einem Vertreter von a.i.d.a. wird vorgeworfen, dass er nicht unter seinem richtigen Namen auftrete. Dabei handelt es sich um einen Journalisten, der unter einem Pseudonym arbeitet. Die Verwendung eines Pseudonyms ist bei vielen Journalisten, Autoren und Künstlern üblich. Loriot heißt auch nicht Loriot, und Carl Amery heißt auch nicht Carl Amery.

(Tobias Thalhammer (FDP): Claudia Jung heißt auch nicht Claudia Jung!)

Stimmt, Claudia Jung heißt auch nicht Claudia Jung. Was in der Regel als normal bezeichnet wird, wird in diesem Fall als gravierendes Indiz herangezogen. Dem Journalisten wird unterstellt, ein Verfassungsfeind zu sein. Dabei handelt der Verfassungsschutz fahrlässig, da die Sicherheit des betroffenen Journalisten gefährdet wird. Aufgrund der Veröffentlichung des richtigen Namens kann die rechte Szene durch entsprechende Recherche an den Journalisten herantreten. Dadurch kann er schnell in Gefahr geraten.

(Zuruf des Abgeordneten Bernhard Pohl (FW))

A.i.d.a. wird vorgeworfen, dass ein Mitarbeiter des Landesamts für Verfassungsschutz bei einer Veranstaltung den Saal verlassen musste. Bei dieser Veranstaltung ist der Journalist als Referent aufgetreten. Jedoch war a.i.d.a. nicht der Veranstalter. Da es eine Abstimmung gegeben hat, sollte der Verfassungsschützer den Saal verlassen. Der Journalist hat an der Abstimmung überhaupt nicht teilgenommen. Hierbei handelt es sich auch um einen völlig leeren Vorwurf.

A.i.d.a. werden die Inhalte eines Flugblattes zur Last gelegt, das nachweislich nicht von a.i.d.a. stammt und nicht von a.i.d.a. verbreitet worden ist. A.i.d.a. werden Inhalte auf Internetseiten zur Last gelegt, die mit der a.i.d.a.-Internetseite verlinkt sind oder auf einen Link verweisen, der auf die a.i.d.a.-Internetseite aufmerksam macht. Darauf kann jedoch kein Einfluss genommen werden, sodass a.i.d.a. für die Verlinkungen nicht verantwortlich gemacht werden kann. Übrigens wird vom Verfassungsschutz auch Kapitalismuskritik als linksextrem eingeschätzt. Darüber kann man sich doch wahrlich streiten.

Den Vertretern von a.i.d.a. werden frühere Straftaten vorgehalten. Bei näherer Betrachtung bleibt von diesen Vorwürfen allerdings nichts übrig. Die Straftaten waren entweder harmlos, erklärbar, oder das Verfahren hat sich als ungerechtfertigt herausgestellt, und sie standen auch überhaupt nicht im Zusammenhang mit der Arbeit von a.i.d.a. Verfahren aus dem Jahr 1990 oder aus dem Jahr 1996 werden herangezogen. Ich war damals auch jedes Wochenende in Wackersdorf und habe dort protestiert. Ich wäre da auch leicht in ein Verfahren hineingeraten. Ich hatte wegen einer Sitzblockade gegen die Stationierung von Pershing-Raketen ein Nötigungsverfahren am Hals.

Absurd werden die Argumentationen des Verfassungsschutzes, wenn a.i.d.a vorgeworfen wird, sich mit den Beschreibungen und Auswirkungen des Rechtsextremismus der Mitte auseinanderzusetzen; das ist ja ein ganz schwerer Vorwurf. Hierzu gibt es allerdings viele

Untersuchungen anerkannter Wissenschaftler und Universitäten, die sich mit genau diesem Thema auseinandersetzen. Zu nennen sind die Untersuchungen von Oliver Decker und Elmar Brähler in der Studie der Friedrich- Ebert-Stiftung "Vom Rand zur Mitte - rechtsextreme Einstellungen und ihre Einflussfaktoren in Deutschland" aus dem Jahr 2006, die Untersuchungen "Deutsche Zustände" von Wilhelm Heitmeyer und die Studie der Universität Leipzig von Doris Liebscher und Christian Schmidt "Grenzen lokaler Demokratie" aus dem Jahr 2007. In der zuletzt genannten Studie heißt es: "Die These von Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft ist mittlerweile gut belegt."

Bereits im Jahr 2000 sagte der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse - ich zitiere:

Jetzt begreifen wir, dass der Rechtsextremismus nicht nur am Rande der Gesellschaft angesiedelt ist, nicht isolierbar ist, sondern dass ausländerfeindliche Einstellungen, Intoleranz, zunehmende Gewaltbereitschaft weit bis in die Mitte der Gesellschaft hineinreichen.

Nach der strengen Auffassung des Verfassungsschutzes wäre also diese Aussage von Wolfgang Thierse ein Paradoxon in einer freiheitlich-demokratisch geprägten Gesellschaft, wäre ein Argumentationsmuster eines linksextremistischen Antifaschismusverständnisses. Da ist das Landesamt für Verfassungsschutz wohl nicht auf der Höhe der Zeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die notwendige Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Rechtsextremismus’ der Mitte jetzt als Verfassungsfeindlichkeit zu brandmarken, ist abwegig und zeugt von Blindheit gegenüber den Tatsachen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Beim Verfassungsschutz und beim Innenministerium muss bei den Einschätzungen dessen, was gegen die freiheitlich- demokratische Grundordnung verstößt, was zu tolerieren und was gerade im Sinne unserer Demokratie ist, dringend nachjustiert werden. Für die wissenschaftliche und politische Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus, nazistischen Tendenzen und stiller Unterstützung in der Bevölkerung von rechtsextremistischem Gedankengut ist jedenfalls die Zusammenarbeit mit Institutionen wie a.i.d.a. sehr wichtig und sehr hilfreich. Wir wollen, dass a.i.d.a wieder an diesen Tisch zurückkehren kann. Wir halten die Haltung des Verfassungsschutzes, diese wertvolle Infrastruktur zivilgesellschaftlichen Engagements zu zerschlagen, nicht für gerechtfertigt und fordern Sie auf, dieses zurückzunehmen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin. Als nächster Rednerin erteile ich für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Helga Schmitt-Bussinger das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Ich will anfangs deutlich machen, dass es natürlich Aufgabe des Verfassungsschutzes ist, auf demokratiefeindliche Tendenzen und Entwicklungen hinzuweisen. Weiterhin ist es Aufgabe des Verfassungsschutzes, dabei Links- und Rechtsextremisten gleichermaßen im Auge zu behalten und diese gegebenenfalls zu erfassen,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

wenn entsprechende Erkenntnisse vorliegen. Sie, verehrter Herr Minister Herrmann, stufen zusammen mit der Verfassungsschutzbehörde die Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München, kurz a.i.d.a., als linksextremistisch ein, ohne eine stichhaltige und nachvollziehbare Begründung zu liefern, im Gegenteil: Sie setzen noch eins drauf und lassen a.i.d.a. aus dem Beratungsnetzwerk der Landeskoordinierungsstelle gegen Rechtsextremismus ausschließen. Hier sind Sie eindeutig zu weit gegangen. Her Innenminister Herrmann, ich fordere Sie dazu auf: Nehmen Sie das zurück, kehren Sie zu einer Politik des Augenmaßes zurück!

(Beifall bei der SPD)

Beenden Sie die Hetze gegen den allgemein anerkannten Verein und dessen Diffamierung. Was werfen Sie a..i.d.a. überhaupt vor? Im Verfassungsschutzbericht nennen Sie lediglich eine Vortragsveranstaltung über den Stand der extrem rechten Szene in München, das im Café Marat stattgefunden hat, auf die Gegenproteste von Rechtsextremen folgten. Interessanterweise war das Motto der rechten Gegenproteste anlässlich dieser Veranstaltung "Linksextreme Strukturen erkennen a.i.d.a.-Archiv verbieten". Sollen die Rechtsextremen tatsächlich ihr Ziel erreichen?

Frau Kollegin Tausendfreund hat die weiteren, nicht im Verfassungsschutzbericht genannten, aber in den Medien veröffentlichten und von Ihnen auch weitergegebenen Vorwürfe ausführlich vorgetragen. Ich glaube, all diese Vorwürfe können entkräftet werden. Sie stehen nicht im Verfassungsschutzbericht.

Ich will darauf hinweisen - wie das auch Frau Kollegin Tausendfreund schon getan hat -, dass a.i.d.a. von der Stadt München und von verschiedenen Organisationen und Gruppierungen, zuletzt vom Bündnis für Demokra

tie und Toleranz, in dessen Beirat Abgeordnete und namhafte Wissenschaftler sitzen, geehrt wurde. Zuletzt bekam a.i.d.a. den "Förderpreis Münchner Lichtblicke". Der Vereinsvorsitzende arbeitet inzwischen in einer von der Stadt München eingerichteten und finanzierten Recherchestelle.