Protokoll der Sitzung vom 27.05.2009

Für die Staatsregierung hat Herr Staatsminister Dr. Spaenle ums Wort gebeten. Bitte schön, Herr Staatsminister.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bildungspolitik in Bayern steht ohne Zweifel vor großen Herausforderungen. Die Frage der Sicherstellung einer wohnortnahen Versorgung mit weiterführenden Schulen ist eine der zentralen Aufgaben, die sich die Koalition gestellt hat. Eine andere Frage ist, wie wir die Durchlässigkeit, die Chancen- und Teilhabegerechtigkeit im differenzierten Bildungswesen weiter nach vorn entwickeln. Mit dem gemeinsamen Unternehmen, ein Kooperationsmodell einzufüh

ren, ist ein wichtiger neuer Ansatz gemacht worden. Das Kooperationsmodell verfügt über einen völlig neuen bildungspolitischen Baustein, und zwar über die Intensivierungskurse. Mit ihnen werden zum ersten Mal schulartübergreifend, auch in den Kernfächern, den jungen Menschen Angebote zur Verbesserung der Durchlässigkeit außerhalb des Pflichtunterrichts gemacht.

Wenn ich der Meinung bin, dass das differenzierte Schulwesen die richtige Grundlage ist, um den verschiedenen Talenten und Begabungen gerecht zu werden, dann ist es aus unserer Sicht ein komplett falscher Ansatz, stückweise etwas herauszubrechen. Deshalb haben wir das auch nicht im Koalitionsvertrag vorgesehen, wie das Frau Kollegin Will und Herr Kollege Eisenreich deutlich herausgearbeitet haben. Deshalb können wir die Standortfrage auch nicht herauslösen. Das Kooperationsmodell, wie wir es jetzt konzipiert haben, verbessert die Durchlässigkeit und die individuelle Chancengerechtigkeit und wird das Schulsystem weiter entwickeln. Frau Kollegin Will hat es angesprochen, es ist eine Modellphase. Deshalb weiß ich um den Meinungsbildungsprozess in vielen Landkreisen. Deshalb werden wir eine zweite Ausschreibungsrunde für das Schuljahr 2010/2011 durchführen, wie das Frau Kollegin Will angesprochen hat.

(Beifall der Abgeordneten Renate Will (FDP))

Lassen Sie mich jetzt zum wichtigen Problem eines wohnortnahen weiterführenden Schulangebots und der Hauptschulstruktur in den ländlichen Räumen kommen. Ich möchte mit zwei falschen Vorstellungen aufräumen: Erstens. Es ist falsch zu glauben, man könnte einzelne Hauptschulstandorte dadurch sichern, dass man einzelne Elemente aus anderen Schularten herausreißt und sie an zahlenmäßig schwache einzügige Hauptschulen anklebt. So kann man diese Standorte nicht langfristig sichern. Wer das behauptet, der handelt unredlich.

Zweitens. Nehmen wir ein Rechenbeispiel: Wenn man von einer Bruttosumme von 100 Schülern an einem Standort ausgeht und dort 50 Schüler die Hauptschule besuchen und 50 Schüler eine andere Schulart wählen, dann wird es nicht möglich sein, diese Schülerinnen und Schüler an dem Schulstandort zu halten, indem man stückweise Elemente aus anderen Schularten herausreißt. So kann man das nicht organisieren. Das ist eine Milchmädchenrechnung und Augenwischerei. Wer diese beiden Elemente in die bildungspolitische Debatte einbringt, der handelt - ich sage es noch einmal - unredlich, und er spricht ohne Sachkenntnis.

Wir wollen die Hauptschule und die Hauptschulstruktur im ländlichen Raum mit einem Zwei-Säulen-Programm

zukunftsfest und langfristig sichern. Dazu werden wir, und ich weiß deshalb gar nicht, weshalb sich alle über den 13. Juli aufregen, die Zukunft der mittleren Schule, der Hauptschule, die Pflichtschule ist und flächendeckend einen mittleren Schulabschluss anbietet, inhaltlich weiterentwickeln. Dabei fußen unsere Vorstellungen auf Überlegungen der Hauptschulinitiative meines Vorgängers Siegfried Schneider. Wir werden uns damit intensiv auseinandersetzen und dann die richtige Antwort geben.

Das strategische Ziel, möglichst viele Standorte möglichst lange zu halten, werden wir mit einem Paradigmenwechsel in der Schulorganisationspolitik des Freistaats Bayern ansteuern. Wir stehen vor einem Wechsel in der Blickweise. Wir wollen mehr Verantwortung wagen, und zwar dort, wo sie hingehört, an die Schule, an die Gemeinde, in die Landschaft hinein. Verantwortung soll dorthin gehen, wo die Schulen wohnortnah organisiert werden, wenn das bildungspolitisch verantwortbar ist.

(Martin Güll (SPD): Aber ohne Entscheidungskompetenz!)

Wir werden die Dialogforen als zentrale Elemente der bildungspolitischen Willensbildung mit der Pilotphase noch vor der Sommerpause starten, und zwar in acht Landkreisen, je einer in jedem Regierungsbezirk und in Oberbayern zwei. Wir werden, und die Anfrage ist groß, zeitnah weitere Landkreise, die an diesem Prozess interessiert sind, in diesen Dialogprozess aufnehmen. Die Dialogforen sind ein völlig neues Instrument der schulpolitischen Debatte vor Ort. Sie haben auf der einen Seite die Administration, das Schulamt, den rechtlichen Leiter, den fachlichen Leiter, einen Vertreter der Regierung, die Bürgermeister und die Schulleiter.

Auf der anderen Seite haben Sie die Schulfamilie mit Schülern, Eltern, Lehrern, interessierten Gruppen und Verbänden. Diese sollen gemeinsam für ihren Verantwortungsbereich, also zunächst für die Landkreise - für die kreisfreien Städte müssen wir je nach Größe der Stadt andere Lösungen finden -, eine für den jeweiligen Landkreis passende Schullandkarte entwickeln, wie es Präsident Wenzel gefordert hat. Das ist die Ebene des Landkreises. Jetzt gehen wir einen völlig neuen Schritt. Die Kollegen haben es bereits ausgeführt. Wir geben die Entscheidungskompetenz vor Ort an einen eigenverantwortlichen Schulverbund ab. Der Schulverbund wird in Zukunft Aufgaben und Kompetenzen bekommen, die bislang bei der Schuladministration angesiedelt waren. Für Entscheidungen wie die Budgetzuteilung, die Klassenbildung oder die Schulstandortentwicklung wird in Zukunft der Schulverbund vor Ort zuständig sein.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Das gibt es doch schon!)

Wir geben die Verantwortung nach unten ab. Wir geben die Budgetierung von Lehrerwochenstunden, Schulleitungsstunden und Stundenkontingenten für die Verwaltungsangestellten an die Schulverbünde ab. Diese werden sich dann in eigener Kompetenz und Verantwortung entwickeln und dabei auch die Sprengelgrenzen aufheben.

(Maria Noichl (SPD): Nicht nur die Verantwortung, sondern auch Geld sollt ihr abgeben!)

Das ist ein völlig neuer und konstruktiver Ansatz in der Schulorganisation des Freistaates Bayern. In Zukunft wird dort entschieden, wo die Kompetenz angesiedelt ist.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Wenn sie etwas entscheiden dürfen!)

- Sie werden dürfen, Frau Werner-Muggendorfer. Wir wollen Verantwortung auf die Schulverbünde übertragen, die dann unterhalb der Ebene der Landkreise für die Schulstandorte, die sich auf einen gemeinsamen Weg gemacht haben, freiwillig und gemeinsam Modelle der Organisation der Pflichtschulen entwickeln können.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Dürfen sie auch einen Realschulzweig gründen?)

Das ist ein Paradigmenwechsel in der schulpolitischen Organisationshoheit, den wir ganz bewusst vornehmen. Die Verantwortung muss näher beim Menschen sein. Die Schulentwicklung vor Ort muss nachvollziehbar sein.

Die zweite Säule der Reform ist die Entwicklung der Hauptschule zu einer leistungsfähigen und attraktiven mittleren Schulart, die einen attraktiven mittleren Schulabschluss anbietet. Darüber werden wir uns intensiv austauschen und Gedanken machen.

Eines möchte ich den Kolleginnen und Kollegen von der Opposition aber noch mitgeben. Sie sprechen von einer Schieflage im bayerischen Bildungssystem. Wenn ich die Schullaufbahnentscheidung von 10.000 bayerischen Familien, die für ihre Kinder eine gymnasiale Bildung wollen, als Schieflage diffamiere, dann ist die Ernsthaftigkeit im bildungspolitischen Dialog verloren gegangen. Das möchte ich hier sehr laut sagen.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Wenn Sie andere Schulorganisationsformen in diesem Land dauerhaft etablieren wollen, dann nennen Sie die doch beim Namen. Wenn Sie eine Schulform wollen,

bei der alles miteinander gemacht wird, sagen Sie doch, dass Sie für Bayern die Gesamtschule wollen. Wenn Sie die integrierte Gesamtschule für Bayern wollen, sagen Sie es doch. Vermitteln Sie aber nicht den Bürgermeistern vor Ort den Eindruck, dass Sie mit dem Herausnehmen von Elementen einer anderen Schulart den Standort einer bestimmten Schulart, der aufgrund der Bevölkerungs- und Schülerzahlentwicklung gefährdet ist, auf Dauer sichern könnten. Das ist bildungspolitische Spiegelfechterei. Das löst die Probleme nicht.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Wir nehmen den Auftrag, den die Hauptschule als Pflichtschule wahrzunehmen hat, ernst. Wir nehmen die Stärken der Hauptschule ernst. Die besondere Stellung der Hauptschule besteht in der starken Vorbereitung auf die berufliche Bildung und im Weg zu einem mittleren Abschluss, den wir weiterentwickeln wollen. Wir nehmen das Klassenlehrerprinzip als pädagogisches Angebot der Hauptschule, welches auch für die Integration große Chancen bietet, ernst. Wir diffamieren Schularten nicht. Wir spielen sie nicht gegeneinander aus. Das hat sich bei Ihnen aber im Laufe der letzten Jahre nicht verändert. Wir wollen die Schularten in ihren Stärken und mit ihren Merkmalen weiterentwickeln. Wir wollen ein wohnortnahes Schulangebot mit einem völlig neuen Ansatz in der Schulorganisation auf Dauer sichern. Wir wollen die Verantwortung vor Ort haben, wo man über die Entwicklung der Schullandschaft in einem freiwilligen Schulverbund über Gemeindegrenzen, Sprengelgrenzen, Landkreisgrenzen und sogar über Bezirksgrenzen hinweg richtige Lösungen finden kann. Wir vertrauen den Menschen in diesem Land. Deshalb weiß sich die Koalition in der Bildungspolitik bei der wichtigen Frage nach der wohnortnahen Versorgung mit weiterführenden Schulangeboten auf dem richtigen Weg.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, damit ist die Aktuelle Stunde zu Ende. Bevor ich in der Tagesordnung weiterfahre, ist es mir eine große Freude, Gäste auf der Ehrentribüne zu begrüßen, nämlich eine Delegation der österreichischen ÖVP. Herzlich willkommen bei uns allen hier im Hohen Haus. Stellvertretend für die Delegation darf ich den ehemaligen Landeshauptmann von Tirol und jetzigen Präsidenten des Landtags von Tirol ganz herzlich in unserer Mitte begrüßen.

(Allgemeiner Beifall)

Herr Präsident, Sie und die Damen und Herren Ihrer Delegation sind schon seit heute Morgen zu Gast im Bayerischen Landtag. Sie haben auch schon intensive Gespräche mit uns geführt. Es ist schön, dass Sie auch

noch der Parlamentsdebatte beiwohnen. Wir waren gerade bei der Bildungspolitik und gehen jetzt zur Landwirtschaftspolitik über. Einen guten Aufenthalt bei uns!

Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:

Regierungserklärung des Staatsministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zum Thema: "Agrarpolitik - eine gesellschaftliche Herausforderung Modern, leistungsstark, umweltfreundlich und vielfältig"

Das Wort hat Herr Staatsminister Brunner.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Die Landwirtschaft hat allgemein Existenz- und Zukunftssorgen, aber innerhalb der deutschen Landwirtschaft - das haben mir die erbitterten, zähen Verhandlungen gezeigt - gibt es alles andere als eine Gemeinsamkeit aller Interessen.

Diese Worte beschreiben doch ganz treffend, was wir in den letzten Wochen und Monaten in Sachen Milchpreise erlebt haben. Das Zitat stammt jedoch von Franz Josef Strauß aus dem Jahr 1987, also aus einer Zeit, als die EU ebenfalls mit übervollen Agrarmärkten zu kämpfen hatte. Auch damals war man sich nicht einig über den richtigen Weg. Auch damals ist Bayern seinen eigenen Weg gegangen. Das hatte einen bestimmten Grund: Bayern hat einen anderen Bezug zur Landwirtschaft als viele andere Länder. Bayern hat auch andere Strukturen. Bayern ist nach wie vor das Agrarland Nummer eins in Deutschland.

(Zuruf von der SPD: Mich würde nur interessieren, was die Österreicher dazu sagen!)

Ein Strukturbruch in der Landwirtschaft hätte hochdramatische Folgen für den gesamten ländlichen Raum. Nicht nur die Kulturlandschaft, auch das wirtschaftliche und soziale Gefüge auf dem Land wären ernsthaft in Gefahr.

Ich habe deshalb für meine Agrarpolitik ein anderes Leitbild als viele meiner Kollegen in den anderen Ländern. Unsere Bauern haben damals wie heute ihre Probleme nicht selbst verursacht. Sie haben gerade jetzt mit der Liberalisierung der Agrarmärkte, mit der Globalisierung der Wirtschaft und mit den Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise zu kämpfen. Wir erleben Preisschwankungen in nahezu allen Bereichen und bei allen Produkten, wie wir sie bisher nur vom sogenannten Schweinezyklus kannten.

Es ist Aufgabe der Politik, in Notsituationen zu helfen. Die Politik hat die Landwirte damals auf ihrem Weg in die Zukunft unterstützt. Wir werden dafür sorgen, dass die Landwirtschaft auch weiterhin in Bayern Zukunft haben wird.

(Beifall bei der CSU)

Meine Damen und Herren, Landwirtschaftspolitik, bayerische Agrarpolitik, ist nicht nur Bauernpolitik. Sie ist schlechthin Gesellschaftspolitik. Herr Ministerpräsident Horst Seehofer hat als Bundesagrarminister dafür gesorgt, dass die Landwirtschaft nach den armseligen Jahren unter der rot-grünen Bundesregierung wieder in der Mitte der Gesellschaft verankert ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, was uns derzeit am meisten bewegt - hier schließe ich die Opposition ein - ist die Situation unserer Milchbauern. Die EU hat in den letzten Jahren, vor allem im Jahre 2008, am Ende einer weltweiten Preis-Hausse aus Kostengründen den Rückzug aus der Steuerung des Milchmarktes beschlossen. Der Milchmarkt ist aus dem Gleichgewicht geraten. Ich bin der Meinung, er muss möglichst schnell wieder ins Gleichgewicht kommen; denn bei einem Selbstversorgungsgrad, der in Bayern bei der Milch bei 170 % und bei Käse bei 300 % liegt, leiden unsere Milchbauern besonders.

Über den Weg zu diesem Gleichgewicht gibt es jedoch großen Dissens. Experten und EU setzten bisher in erster Linie auf eine rasche Erschließung des Weltmarkts für Milch und Milchprodukte. Die Weltmarktanteile werden jetzt vergeben, so die Experten. Allerdings erfolgt die Erschließung durch die Unternehmen viel zu langsam. Ich bin der Meinung, dass die bereits von der EU zugesagten Hilfen zur Entlastung des Marktes bei Weitem nicht ausreichen. Wir dürfen aber unsere Milchbauern in dieser ungemein schwierigen Phase nicht allein lassen. Deshalb halte ich an meinen Forderungen fest:

Erstens. Ich fordere die sofortige EU-weite Aussetzung der Milchmenge um 5 % im laufenden Milchwirtschaftsjahr.

(Beifall bei der CSU)

Zweitens. Ich möchte, dass die Milchmarktanalyse auf das Jahr 2009 vorgezogen wird.

Drittens. Exporterstattungen und Intervention müssen fortgeführt werden.