Vielen Dank, Herr Staatsminister. Ich eröffne die Aussprache. Im Einvernehmen mit den Fraktionen wurde hierzu eine Redezeit von 30 Minuten pro Fraktion vereinbart. Das Wort hat zunächst Herr Kollege Dr. Wengert.
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Um keine falschen Hoffnungen zu wecken, will ich es gleich vorwegnehmen. Werter Kollege Zeil, bei aller Freundschaft: Ich bin enttäuscht vom Inhalt Ihrer Regierungserklärung, deren Redevorlage die Überschrift trägt "Die Krise meistern - neues Wachstum schaffen". Was Sie hier vorgetragen haben, ist eine Mischung aus Leerformeln, Selbstverständlichkeiten, manchmal Plattitüden, eine buchhalterischer Zustandsbeschreibung mit längst bekannten Zahlen und - das halte ich für das Bemerkenswerteste - bereits wieder erkennbar aufkeimendem Marktliberalismus.
Ich vermisse langfristige Perspektiven und vor allem Visionen für die Zukunft. Diese haben mit gewissen Abstufungen zwar auch schon Ihren Vorgängern im Amt des bayerischen Wirtschaftsministers gefehlt - das sei durchaus zugestanden -,
aber Mittelmäßigkeit ist nicht die Antwort - ich habe von Abstufungen gesprochen - auf Herausforderungen dieser Zeit, die Sie zu Recht angesprochen haben. Deregulierung, Entstaatlichung und Privatisierung, Sozialabbau und Flexibilisierung der Arbeitsmärkte gaben dem Finanzkapitalismus die Macht, wieder die schamlosen Privilegien durchzusetzen, die der Sozialstaat halbwegs gebändigt hatte. Die konservativen Regierungen, insbesondere in London und Washington, waren Ende der Siebziger-, Anfang der Achtzigerjahre die Wegbereiter des Marktradikalismus. Geblendet von den Erfolgen, spielten immer mehr Regierungen im globalen Casino mit. Die Politik kann sich von ihrer Mitverantwortung für diese Krise nicht freisprechen. Sie hat freiwillig oder unter dem Druck offener Märkte die Liberalisierung des Kapitalverkehrs gefördert und damit die Schleusen geöffnet.
Der Finanzmarkt - oder Turbokapitalismus - verfolgte aber nur die Interessen der Kapitalmärkte, nicht einmal die der Wirtschaft, geschweige denn die unserer Gesellschaft. Die Gewinner waren wenige, die Zeche müssen nun alle zahlen mit der stärksten Schrumpfung der Weltwirtschaft seit 1945, dem Zusammenbruch traditionsreicher Unternehmen, massiven Arbeitsplatzverlusten, einem explosiven Anstieg der Verschuldung und einer tiefgehenden Verunsicherung und Perspektivlo
Wo, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, bleiben denn die eigenen bayerischen politischen Ideen für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung, etwa im Bereich der Umwelttechnologie, der Kfz-Herstellung, der Entwicklung alternativer und regenerativer Energien? Die Zurückhaltung auf diesem Gebiet bekommen wir immer wieder zu spüren, wenn wir entsprechende Anträge stellen. Sie hinken der Wirtschaft eher hinterher, die Ihnen meist mehr als einen Schritt voraus ist.
Dabei hätten Sie es doch so leicht gehabt, wenn Sie in die jüngste Enzyklika des Papstes "Caritas in veritate" hineingeschaut hätten, die das Institut der Deutschen Wirtschaft als "Fundgrube" für kluge, weitreichende unternehmens- und wirtschaftsethische Handlungsweise für Unternehmer, Manager und Politiker würdigt.
Was ich besonders vermisse, ist eine qualifizierte Aussage zu den Auswirkungen der Krise auf diejenigen, die sie nicht zu verantworten haben und dennoch am meisten darunter leiden: Hunderttausende von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die arbeitslos geworden sind oder in Kurzarbeit auf ein Drittel ihres Einkommens verzichten müssen, und diejenigen, die jeden Tag um ihren Arbeitsplatz fürchten müssen. Nur in einer einzigen Zeile tauchen "die betroffenen Arbeitnehmer und ihre Familien" auf, die Sie im Hinblick auf deren Schicksal in einem Atemzug in die Nähe der Position von Kostgängern abschieben, die die Zukunft aller belasten könnten. Das, sehr verehrter Kollege Zeil, ist nicht gerecht. Das würdigt nicht die Leistungen der Menschen in diesem Land, die maßgeblich zum wirtschaftlichen Erfolg beigetragen und bisher nie dagewesene Erträge erwirtschaftet haben.
Ihre Zukunft ist Ihnen zwar Erwähnung, aber keine weitere Würdigung wert. Ja, es scheint so, als würden Sie sie in Mithaftung nehmen wollen, wenn Sie die Verantwortung für ein Unternehmen und dessen Zukunft nicht nur von den Unternehmen und seinen Inhabern, sondern auch von den Mitarbeitern abfordern. Ihrer Verantwortung sind unsere mittelständischen, oft eigentümergeführten Unternehmen in Bayern mit Sicherheit in den allermeisten Fällen nachgekommen. Aber das gilt auch für die Belegschaften dieser Unternehmen, die für Qualität, höchste Produktivität und Loyalität zu ihrem Arbeitgeber stehen. Sorgen Sie doch bitte mit dafür, dass die Belegschaften auch dort Mitverantwortung übernehmen können, wo sie davon ausgeschlossen sind, nämlich in x Betrieben ohne Betriebsrat.
Nun zum Einzelnen. Sie, die Staatsregierung und die sie tragenden Fraktionen, bekennen sich klar zur Renaissance der sozialen Marktwirtschaft. Wir Sozialdemokraten, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben uns niemals von der sozialen Marktwirtschaft verabschiedet. Deshalb brauchen wir uns auch nicht zu einer Renaissance bekennen.
Es ist geradezu entlarvend, welche Worthülsen und Sprechblasen nun bemüht werden, um davon abzulenken, dass genau Sie, die Marktradikalen, Herr Kollege Hacker, und Neoliberalen es gewesen sind, die die soziale Marktwirtschaft nicht nur vergessen, sondern geradezu konterkariert haben,
um sich nun im Sinne des "Haltet den Dieb!" endlich wieder auf diese soziale Marktordnung zu besinnen. Das ist Tatsache, da können Sie sich noch so sehr darüber aufregen. Diese Fakten sind nicht mehr aus der Welt zu schaffen.
Und auch das ist bezeichnend: Sie engen die soziale Marktwirtschaft, Herr Kollege Zeil, gleich wieder auf ihre ordnungspolitischen Leitlinien ein. Die soziale Komponente bleibt völlig außen vor. Sie geben für das staatliche Handeln enge Grenzen und strenge Kriterien vor einverstanden, da bin ich bei Ihnen. Wir können nicht mit dem Füllhorn übers Land ziehen und jedes unternehmerische Versagen mit staatlichen Rettungsgeldern aus unserer Gemeinschaftskasse belohnen.
Aber wo waren Sie und Ihre politischen Freunde, als es an der Zeit gewesen wäre, dem Casino-Kapitalismus, dem finanzpolitischen Abenteurer- und Raubrittertum kraftvoll Einhalt zu gebieten? Es war doch auch die Ideologie der FDP, die den Liberalismus wie das goldene Kalb umtanzt und jegliche kritische Überprüfung als Teufelszeug abgetan hat.
Bekennen Sie sich doch wenigstens ein Mal, nur ein einziges Mal dazu, in die falsche Richtung marschiert zu sein. Das haben wir doch bis in die Kommunen hinein spüren müssen. Das können alle früheren kommunalen Kolleginnen und Kollegen in diesem Parlament über alle Parteigrenzen hinweg bestätigen. Mit Ihren ständigen Privatisierungsforderungen haben Sie uns mehr als schlaflose Nächte mit Ihren ständigen Privati
sierungsforderungen bereitet. In einem Nebensatz sei hinzugefügt: In Ihrer hartnäckigen Forderung nach Abschaffung der Gewerbesteuer schwächen Sie die Investitionskräfte unserer Städte, Landkreisen und Gemeinden nachhaltig, und zwar in einem Ausmaß, das gerade der mittelständischen Wirtschaft teuerst zu stehen kommt, wenn es nicht gelingt, dies zu verhindern.
Ich habe die Kurzarbeit bereits angesprochen, ein Instrument, das von allen und über alle politischen Überzeugungen hinweg als das wirkungsvollste Instrument angesehen wird, um aus dem beschäftigungspolitischen Tal herauszukommen.
Nachdem Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CSU und FDP, nicht müde werden, alles scheinbar Negative in der Bundesregierung der SPD anzuhängen, sei mir der Hinweis erlaubt, dass es der sozialdemokratische Bundesarbeitsminister Olaf Scholz war, der die beiden Verlängerungen des Kurzarbeitergeldes in der Bundesregierung vorgeschlagen und durchgesetzt hat.
Ich will ausdrücklich anerkennen, dass es Ihnen, vor allem aber unserer LfA, der Bayerischen Förderbank, gelungen ist, einer großen Zahl von Unternehmen in den vergangenen Monaten in der Krise zu helfen. Es gab aber schon einen Wirtschaftsminister, der frühzeitig mit seiner Spürnase kritische Fälle geortet und geholfen hat, sie wieder ins Lot zu bringen, bevor sie aus dem Takt gekommen sind.
Bayern - auch das ist, glaube ich, eine gemeinsame Feststellung - lebt in weiten Teilen vom Mittelstand. Wenn Sie bemerken: Bei uns in Bayern kommt die Politik nicht nur zu den Großen, dann ist das eher banal. Sie vernebeln aber auf diese Weise auf sehr gefährliche Art die Tatsache, dass alle Hilfen, die den sogenannten Großen gewährt werden, Tausenden von kleinen und kleinsten Zulieferbetrieben zugute kommen und Hunderttausende von Arbeitsplätzen retten können. Da sollten wir uns als Politiker in diesem Land und darüber hinaus einig sein und sollten nicht das noch fördern, was draußen immer wieder diskutiert wird: dass nur den Großen geholfen wird und den Kleinen nicht. Indem wir einigen Großen helfen, helfen wir zugleich vielen, vielen Kleinen.
Wir Sozialdemokraten wissen um die Bedeutung des Mittelstands. Uns braucht man nichts von kleinen Handwerksbetrieben und mittelständischen Unternehmen zu erzählen. Schon Friedrich Ebert war gelernter Sattler. Wir haben da eine über hundertjährige reiche Geschichte und vor allem sehr viel Erfahrung.
Daher haben wir in diesem Hohen Haus ein eigenes bayerisches Konjunkturprogramm beantragt, von dessen 800 Millionen Euro weitgehend mittelständische Betriebe profitiert hätten. Das war ein astreines Mittelstandsförderprogramm. Sie haben es als überflüssig bezeichnet und abgelehnt, ohne auch nur in eine nähere Prüfung eingestiegen zu sein.
Dafür sprechen Sie jetzt davon, das Investitionsprogramm von Bund und Land Anfang Mai verabschiedet zu haben. Damit täuschen Sie vor, dass auch das, was Bundesmaßnahmen betrifft, in der Hand der Bayerischen Staatsregierung gelegen hätte. Weit über eine Milliarde Euro konnten Sie auf diese Weise den Kommunen zur Verfügung stellen im Vergleich zu dem niedrigen Zubrot aus der eigenen Staatskasse.
Ihr Appell an die Kommunen, jetzt zur raschen Umsetzung beizutragen, mutet angesichts der Tatsache, dass Bayern ein ebenso zeitaufwendiges wie umstrittenes Verteilungsverfahren gewählt und damit die Mittelvergabe um Monate hinausgezögert hat, schon sehr seltsam an. In anderen Ländern dieser Republik sind die Bagger schon aufgefahren. Die Kräne drehen sich. Die Arbeiter sind am Werkeln. Bei uns können jetzt erst die Aufträge vergeben werden. Seien Sie versichert, Herr Staatsminister - das gilt für die ganze Staatsregierung -: Die Kommunen, ihre Bürgermeister und Bürgermeisterinnen, Landräte und Landrätinnen, Stadt-, Kreisund Gemeinderäte und -rätinnen wissen immer noch am besten, wofür sie das Geld am ehesten brauchen.
Gerade der Mittelstand leidet zurzeit unter der unbestreitbaren Kreditklemme. Ich bin froh, dass Sie das angesprochen haben. Man kann nicht genug deutlich machen -der sprunghafte Anstieg der Leistungen unserer LfA Förderbank sind augenfälliger Beweis dafür -: Fast die Hälfte der Unternehmen klagt über die sehr restriktive Haltung der Banken. Sie sind uns aber leider die Antwort schuldig geblieben, wie Sie der Kreditklemme konkret entgegentreten wollen. Welche landespolitischen Möglichkeiten wollen Sie denn nutzen?
Die sozialdemokratischen Fraktionschefs aus BadenWürttemberg und Hessen haben zusammen mit Franz Maget eine befristete Aussetzung von Basel II vorgeschlagen. Eine andere, zumindest zyklenneutrale Gestaltung von Basel II hat etwa der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft gefordert. Dessen Regularien wirken sich zyklenverschärfend aus und konterkarieren die Ziele des Stabilitätsgesetzes, das uns antizyklisches Verhalten vorgibt. Wie stehen Sie dazu? Auch dazu haben wir heute leider nichts gehört.
Es kann doch nicht sein, dass die europäische Zentralbank den Leitzins auf nahe null senkt, aber die Banken im Gegenzug ihre Kreditzinsmargen erhöhen. Hätten die Banken die Elle, mit der sie jetzt Kreditvergaben gerade an mittelständische Unternehmen messen, zum Maßstab ihres eigenen Handelns im Interbanken- und Investmentgeschäft, insbesondere beim Handel mit ABS-Papieren, gemacht, wäre uns der ganze Schlamassel erspart geblieben.
Es kann und darf nicht sein, dass sich diejenigen, die unter die staatlichen Rettungsschirme geflüchtet sind, jetzt zulasten derer mästen, denen die Hilfe eigentlich zuteil werden sollte.
Herr Staatsminister, Sie wehren sich zwar wie immer reflexartig gegen Einmischungen, Ermahnungen und selbst gute Ratschläge aus Berlin; aber beim Einfordern von Mitteln und Maßnahmen sind Sie da schon ein gutes Stück großzügiger.
Ich will es hier in einem Satz zusammenfassen; Kollegin Karl wird nachher noch näher darauf eingehen: Noch niemals zuvor ist so viel Geld für die Schienen- und Straßeninfrastruktur nach Bayern geflossen, wie es unter einem sozialdemokratischen Verkehrsminister in den letzten Jahren der Fall gewesen ist. Das ist mit Fakten, Zahlen und Daten hieb- und stichfest zu beweisen.
Der Zeitplan für die Schuldenbremse steht. Selten zuvor wurden so viele Mittel in die Zukunft und in die Forschung investiert wie jetzt. Die Unternehmensteuerreform 2008 als krisenverschärfend zu geißeln, ohne sie insgesamt zu bewerten, ist nur die halbe Wahrheit.
Wenn Sie eher nebulös eine Begrenzung der Ausgabendynamik - welch ein schönes Wort; ich weiß nicht, ob die Zuhörerinnen und Zuhörer damit etwas anfangen können - fordern, dann sollten Sie fairerweise dazusagen, wo denn weniger Geld ausgegeben werden soll. Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten liegt das auf der Hand. Es werden wieder die Kleinen und Schwachen sowie die Ärmeren in unserer Gesellschaft sein, auf deren Kosten gespart werden wird. Davon versuchen Sie durch großzügige Steuersenkungsankündigungen abzulenken.
Was Sie, Ihre Partei und die CSU, insbesondere der Ministerpräsident, den Menschen angesichts des 27. September an Wolkenkuckucksheimen versprechen, ist nicht mehr akzeptabel.