Protokoll der Sitzung vom 14.10.2009

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Außerdem ist es unchristlich, auf Leistungserhebungen zu verzichten und damit das Risiko einzugehen, dass Kinder in weiterführende Schulen geschickt werden, obwohl absehbar ist, dass sie die von den Eltern gewünschte Schule nicht bestehen können.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das ist doch jetzt so! Über 30 % sind in der falschen Schule!)

Ohne ordentliche Leistungsabschätzung ist absehbar, dass diese Kinder scheitern werden. Das ist nicht richtig. Das sollten wir vermeiden.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das ist doch jetzt so, Herr Dr. Huber!)

Ich glaube, mit der Empfehlung, in den 3. und 4. Klassen der Grundschulen Lernzielkontrollen einzuführen und den Lehrkräften die nötige Flexibilität zu gewähren, ist ein Schritt getan, um die Prüfungserhebung transparenter, gerechter und berechenbarer zu machen. Damit haben die Kinder weniger Stress.

(Beifall bei der CSU und der FDP - Eva Gottstein (FW): Na hoffentlich!)

Ich habe keine weiteren Wortmeldungen vorliegen. Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: Beratung der zum Plenum eingereichten Dringlichkeitsanträge

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Thomas Hacker, Renate Will, Brigitte Meyer u. a. und Fraktion (FDP), Georg Schmid, Karl Freller, Georg Eisenreich und Fraktion (CSU) Aufklärungsarbeit an bayerischen Schulen über die DDR (Drs. 16/2229)

Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat Frau Kollegin Sandt das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! "Wer die DDR verlassen wollte, hatte selbst Schuld, wenn an der Grenze auf ihn geschossen wurde." Jeder fünfte Schüler in Deutschland hält diese Aussage für richtig. Das hat eine Studie der Freien Universität Berlin im letzten Jahr ergeben.

Fast die Hälfte der Schüler ist sich nicht darüber im Klaren, dass die DDR eine Diktatur war. Ein kleiner Trost für die CSU: Bayerns Schüler wissen relativ am besten Bescheid. Aber auch hier ist es so, dass Haupt- und Realschüler weniger darüber wissen. Dadurch, dass sie weniger wissen, ist ihr Blick auf den SED-Staat milder. In dem Maße, wie konkretes Wissen über die DDR vorhanden ist, steigt der Anteil derer, die diese Diktatur ablehnen. Interessant daran ist, dass in Bayern, wo das Wissen relativ hoch ist, die SED-Nachfolgepartei weniger erfolgreich als in anderen Ländern ist. Aber auch das ist leider nur relativ: 6,5 % sind zu viel.

(Beifall der Abgeordneten Tobias Thalhammer (FDP), Georg Eisenreich (CSU) und Karl Freller (CSU))

Die Linkspartei lässt sich ungern als SED-Nachfolgepartei bezeichnen. Bis heute hat sie ihre Vergangenheit nicht richtig aufgearbeitet. Sie verweist sehr gerne auf den Lafontaine-Flügel. Was Gysi und Lafontaine im Wahlkampf versprochen haben, nämlich die Verstaatlichung weiter Teile der Wirtschaft, führt zu Planwirtschaft und zu Enteignung, und das hat zur Pleite geführt. Dafür zahlen die Steuerzahler noch heute, nach zwanzig Jahren die Zeche.

Wer sich ernsthaft mit dem SED-Regime beschäftigt, wird sich die Frage stellen, warum das SED-Regime ein ganzes Volk einmauern musste: Weil das Versprechen der Verteilungsgerechtigkeit und Gleichmacherei nur durch Zwangsmaßnahmen einzulösen ist. Die Menschen sind nun mal verschieden. Was die Menschen brauchen, sind gerechte Chancen. Diese hatten sie in der DDR nicht. Leistungsträger, engagierte Bürger, kritische Geister konnten sich in der DDR nicht entfalten. Sie wollten weg. Deshalb sperrte man sie ein.

Bis zu 250.000 politische Gefangene gab es in der DDR. Um zu verstehen, was diese Zahl bedeutet, muss man wissen, was die Stasi-Haft bedeutet. Wer könnte das authentischer vermitteln als Zeitzeugen?

Schüler, die die Gelegenheit hatten, mit Zeitzeugen aus dem NS-Regime zu sprechen, waren davon zumeist tief beeindruckt. Sie werden von dem, was sie dort gehört und erfahren haben, noch ihren Kindern erzählen. Diese Arbeit ist außerordentlich wertvoll. Leider gibt es immer weniger Zeitzeugen, die in der Lage sind, Schülern davon zu erzählen.

Mir geht es darum, die Kultur des Erinnerns zu stärken. Ich weiß von vielen von Ihnen aus der Besprechung zum Bürgerkulturpreis, dass Sie auch der Auffassung sind, dass wir die Kultur des Erinnerns stärken müssen. Ich möchte, dass die Schüler in diesem Land aus der Geschichte lernen. Sie sollen verinnerlichen, dass der Extremismus eine Gefahr ist - zunächst für die Meinungsfreiheit, später für Leib und Leben.

In der Ausstellung "Feind ist, wer anders denkt" hier im Landtag wurde anschaulich vor Augen geführt, was dies bedeutet. Der 20. Jahrestag des Mauerfalls steht bevor. Wir werden in einer der nächsten Plenarsitzungen im Hohen Haus eine Gedenkstunde dazu abhalten.

Die DDR war ein Staat, der von den Menschen nicht anerkannt wurde und der nur mit Gewalt gegen die eigenen Bürger erhalten werden konnte. Sie war keine freiheitliche Demokratie, sondern ein Unterdrückungsstaat, der die Menschen gegen ihren Willen einsperrte

und mit Brutalität eine von der Mehrheit nicht gewollte Gesellschaftsordnung durchsetzen wollte. Der Machthaber SED bediente sich eines perfiden Unterdrückungs- und Bespitzelungsapparats, der Staatssicherheit. Deren Mitarbeiter waren psychologisch geschult. Sie waren darauf spezialisiert, Schwächen aufzuspüren und auszunutzen. Menschen wurden gezielt verunsichert. Stellen Sie sich vor, Sie kommen nach Hause und alle Uhren sind verstellt. Zwischenmenschliche Beziehungen wurden gezielt zerstört. Zunächst waren das Gerüchte. Oft führte das zum Selbstmord des - wie es zynisch hieß - "Zielobjekts". In den Gefängnissen der Stasi wurden Menschen körperlich und seelisch gefoltert. Es wurden während des Verhörs Geruchsproben genommen, wenn die Leute geschwitzt haben, und in Konservengläsern aufbewahrt, um diese "Zielobjekte" mit Hunden aufspüren zu können. In der Haft gab es perfide Foltermethoden, die man sich gar nicht vorstellen kann. Zum Beispiel wurden von Häftlingen schallisolierte Zellen in Einzelhaft als Folter empfunden. Das kann man sich nicht vorstellen. Andere mussten nächtelang in einer knöchelhoch mit Wasser gefüllten Zelle stehen. Viele der ehemaligen Gefangenen leiden noch heute gesundheitlich und psychisch unter den Folgen der Haft. Andere haben ihren Wunsch nach Freiheit mit dem Leben bezahlt. Es gab nämlich nicht nur Mauerschützen, nein, es gab auch Hinrichtungen politischer Gefangener in den DDR-Gefängnissen.

Mit ihrer mutigen und friedlichen Forderung nach freien Wahlen und Mitbestimmung schrieben die DDR-Bürger vor 20 Jahren Geschichte. Sie veränderten so das Antlitz Deutschlands und der ganzen Welt. Auch 20 Jahre nach dem Mauerfall muss unsere demokratische Gesellschaft das Bewusstsein des Unrechtsregimes der DDR aufrechterhalten und einer Verklärung standhaft entgegentreten. Der beste Weg, einer Verklärung à la Ostalgie entgegenzuwirken, ist eine gute Bildung der Schülerinnen und Schüler.

Ich bitte Sie, unserem Antrag parteiübergreifend zuzustimmen. Ich möchte, dass es jungen Menschen auf breiter Basis ermöglicht wird, von Zeitzeugen und Betroffenen der SED-Diktatur hautnah zu erfahren, wie es in der DDR wirklich war. Das verdeutlicht Geschichte viel besser, als es ein Schulbuch jemals könnte.

(Beifall bei der FDP und der CSU)

Danke schön, Frau Kollegin Sandt. Als Nächste hat Frau Kollegin Karin Pranghofer das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Herr Präsident, liebe Kollegen und Kolleginnen! Frau Sandt, ich danke Ihnen für den Geschichtskurs, den Sie uns hier erteilt haben,

aber ich möchte mich mit Ihrem Antrag auseinandersetzen. Wir in der SPD-Fraktion haben uns jedenfalls gefragt, warum die Regierungskoalition etwas beantragt, was die Schule sowieso schon tut, und warum wir etwas beschließen sollen, was die Schule sowieso schon macht.

(Beifall bei der SPD)

Es ist doch bekannt, dass es wichtig ist - auch Sie haben es als bedeutungsvoll bezeichnet -, dass Zeitzeugen in die Schulen eingeladen werden. Schulen laden Zeitzeugen ein, um nicht nur Wissen aus Geschichtsbüchern, sondern authentischen Geschichtsunterricht zu bieten. Das ist das Ziel. Das passiert auch in den Schulen, und es stellt sich die Frage, warum Sie dafür noch einen Antrag stellen müssen. Ich stelle jedenfalls fest, dass der Antrag - ich möchte fast sagen ein Krampf ist bzw. als Quatsch zu beurteilen ist.

(Beifall bei der SPD)

Was sollen wir denn noch beschließen, wenn es schon getan wird? Es sei denn - jetzt komme ich darauf -, es wäre tatsächlich so, wie Sie es im Antrag schreiben, dass die Staatsregierung den Schulen auf breiter Basis ermöglichen soll, dass ehemalige politische Häftlinge der Staatssicherheit der DDR und andere Opfer des SED-Regimes über ihre Erlebnisse berichten können. Ist denn die Staatsregierung sozusagen der Zensor der Unterrichtsstunden? Ist denn die Staatsregierung wirklich diejenige, die bestimmt, ob so etwas in den Schulen sein darf oder nicht? - Wenn das so wäre, dann müssten wir hier einen ganz anderen Antrag stellen, nämlich die Zensur im Unterricht abzuschaffen. Das wäre eine sinnvolle Sache.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte noch auf einige grundsätzliche Anliegen, die Sie in der Begründung des Antrags formuliert haben, eingehen. Ich sage Ihnen: Die politische Bildung findet nicht nur durch Tatsachenberichte statt. Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen. Wer Demokratie will, der muss sie praktizieren und in den Schulen zulassen.

(Beifall bei der SPD)

Wer Demokratie will, der muss in den Schulen die Möglichkeit geben, dass man nicht nur etwas über demokratische Strukturen liest, sondern sie auch lebt. Das ist für uns politische Bildung. In diesem Fall reicht es nicht aus, die DDR zu dämonisieren, was zum einen eine Geschichtsfälschung wäre, weil das falsch wäre, und zum anderen die Gegenreaktionen erzeugen würde, die darin bestehen würden, dass man das System verklärt. Schwarzfärben führt nun einmal zur Schönfärberei. Ich glaube, an einigen Tendenzen bei gesellschaft

lichen Gruppen im Osten kann man das schon erkennen.

Wir sollten hier nicht so tun, als könnten Schulen das, was Sie in Ihrem Antrag fordern, nicht schon umsetzen. Wir sind jedenfalls nicht bereit, Ihrem Antrag zuzustimmen, weil wir ihn nicht für nötig halten.

(Beifall bei der SPD - Karl Freller (CSU): Ist das schwach!)

Danke schön, Frau Kollegin. Als Nächster hat Herr Kollege Bernhard Pohl das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, der Antrag ist wichtig genug, dass eine Mehrheit dieses Hauses der Debatte lauschen sollte. Ich bin einigermaßen enttäuscht darüber, dass bei einem Antrag dieser Bedeutung so viele Plätze leer sind.

12 % für die Linkspartei bei der letzten Bundestagswahl - das sollte einen Demokraten aufrütteln. 12 % der Menschen in Deutschland haben eine linksradikale Partei gewählt. Wenn man sieht, dass der Vorsitzende der Linkspartei in Thüringen, Herr Ramelow, im Februar dieses Jahres gesagt hat, die DDR sei kein Unrechtsstaat, er habe ein gewisses Verständnis für die Mauer, die ein Ausbluten der DDR verhindern sollte, dann denke ich, ist das, was die Kollegin Sandt fordert, sehr richtig und wichtig. Sie fordert, dass wir unseren Schülern das Wissen über das Unrecht des Kommunismus, über das Unrecht der DDR mit auf den Weg geben.

Es ist zwar richtig, Frau Kollegin Pranghofer, dass der Antrag in der Form nicht richtig gestellt ist. Es ist natürlich jetzt schon möglich, den Kindern die Opfer vorzustellen. Wenn Sie den Antrag aber ein klein wenig umformulieren und sagen "die Schulen zu ermutigen", dann können möglicherweise alle in diesem Hause zustimmen.

(Zuruf der Abgeordneten Johanna Werner-Mug- gendorfer (SPD))

Aber selbst wenn wir den Antrag so lassen - ich denke nicht, dass wir hier beckmesserisch sein sollten -, ist das Anliegen wichtig genug, dass wir uns als Demokraten alle dahinterstellen sollten.

(Beifall bei den Freien Wählern, der CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, der Kampf gegen links ist eine dringende Aufgabe für alle Demokraten; das sollte die Bundestagswahl gezeigt haben, das sollten die letzten Landtagswahlen gezeigt haben. Auch der Kampf

gegen rechts ist nur glaubwürdig, wenn wir ihn in gleicher Schärfe auch gegen links führen. Was ist denn die Konsequenz? - In der Weimarer Republik war es umgekehrt: Da war man auf dem rechten Auge blind, und Hitler kam an die Macht. Was ist, wenn wir auf dem linken Auge blind sind? Wollen wir in diesem Land eine linke Diktatur haben? - Ich will es jedenfalls nicht, und solange ich politische Verantwortung trage, werde ich mich aktiv und mit aller Kraft dagegen einsetzen.

(Beifall bei den Freien Wählern und der FDP)

Meine Damen und Herren, als Schüler habe ich vor einigen Jahrzehnten an dem Geschichtswettbewerb "Alltag im Nationalsozialismus" von der Körber-Stiftung teilgenommen. Ich hatte die Möglichkeit, selber zu forschen und selber Zeitzeugen zu befragen. Ich kann Ihnen sagen, das war ein prägendes Erlebnis für mein ganzes Leben. Ich möchte behaupten, das war sicher mit ein Grund, warum ich begonnen habe, mich politisch zu betätigen.

In gleichem Maße halte ich es für wichtig, dass unseren Schülern, unseren Kindern und Jugendlichen das Unrecht in der DDR von denen erzählt wird, die es am eigenen Leib erfahren mussten. Die DDR war ein Unrechtsstaat. In der DDR gab es Morde und Folter, aber keine Meinungsfreiheit. In der DDR wurden Menschen gleichgeschaltet. Die DDR hat viele Opfer gefordert. Wenn das den Menschen heute und morgen nicht bewusst wird, werden sie für irgendwelche Heilsbringer und Rattenfänger von der anderen Seite anfällig.