Protokoll der Sitzung vom 27.10.2009

(Beifall bei der FDP, der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Professor Barfuß. Die Aussprache ist hiermit geschlossen.

Im Einvernehmen mit dem Ältestenrat schlagen wir im Präsidium vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuss für Kommunale Fragen und Innere Sicherheit als federführenden Ausschuss zu überweisen. Besteht darüber Einverständnis? - Das ist so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 f auf:

Gesetzentwurf der Abgeordneten Franz Maget, Isabell Zacharias, Christa Steiger u. a. und Fraktion (SPD) zur Änderung des Aufnahmegesetzes (Drs. 16/2275) - Erste Lesung

Der Gesetzentwurf wird von Frau Kollegin Weikert begründet. Sie hat gebeten, Aussprache und Begründung zusammenfassen zu dürfen.

(Kopfschütteln der Abgeordneten Angelika Wei- kert (SPD))

- Nein? Dann bekommen Sie fünf Minuten für das Eine und fünf Minuten für das Andere. Ich eröffne die Aussprache. Bitte schön, Frau Weikert.

Vielen Dank an das Präsidium - weiblich besetzt in dieser Stunde. - Kolleginnen und Kollegen! Wir legen heute einen Gesetzentwurf zur Änderung des Aufnahmegesetzes vor. Sie können sich vielleicht daran erinnern, dass es bereits im April eine Anhörung im Landtag über die Unterbringungssituation

von Flüchtlingen gab. Diese Anhörung hat zutage gebracht, dass die Unterbringungssituation in Bayern im Grunde von allen Beteiligten ganz besonders kritisiert wird: von den Kommunen, die es vor Ort erleben, von den Organisationen, die sich speziell um Flüchtlinge kümmern, aber auch von Wohlfahrtsverbänden und von vielen anderen darüber hinaus.

Es fehlt die Entscheidung vom Landtag. Es ist immer noch kein Zeitpunkt festgesetzt, wann endgültig über diese Problematik entschieden wird. Frau Meyer, wir haben im Sozialausschuss gesagt, dass wir alles bündeln und ausreichend diskutieren werden. Wir haben heute einen Gesetzentwurf vorgelegt, Kolleginnen und Kollegen, der eine zentrale Botschaft hat: Die Unterbringung von Flüchtlingen in Wohnungen wird zur Regelunterbringung und damit, sozusagen im Umkehrschluss, wird die bisherige Regelung, dass Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften leben müssen, aufgehoben.

(Beifall bei der SPD)

Unser Gesetzentwurf ist praxistauglich, unser Gesetzentwurf bezieht sich genau auf diejenigen Regelungsbestandteile, die das Land Bayern für sich regeln kann. Er greift also nicht weiter in die vom Bundestag vorgegebenen Dinge, wie Asylbewerberleistungsgesetz bzw. Anerkennung von Asylbewerbern und das ganze gesetzliche Gerüst, das darüber steht, ein.

(Beifall bei der SPD)

Unser Gesetzentwurf sieht weiterhin vor, dass, solange der Prozess läuft, der noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird, bis die Flüchtlinge in Privatwohnungen untergebracht sein werden, die Gemeinschaftsunterkünfte für diese Zeit "aufgemotzt" werden müssen. Unser Gesetzentwurf regelt Mindeststandards für Gemeinschaftsunterkünfte und er sagt auch, dass Personen mit besonderen Bedürfnissen nicht in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden dürfen. Dazu haben wir neun Punkte aufgezählt, die in der bisherigen Diskussion unstrittig waren. Was Personen mit besonderen Bedürfnissen ausmacht, das ist hier charakterisiert.

Kolleginnen und Kollegen, dieser Gesetzentwurf - ich spreche besonders die FDP-Fraktion an - kann von Ihnen eigentlich nicht abgelehnt werden.

(Beifall bei der SPD)

Denn er beinhaltet genau das, was auch Sie, Frau Meyer, öffentlich, in Interviews verkündet haben. Sie haben genau dieses gekennzeichnet: Die Abkehr von der Regelunterbringung in Gemeinschaftsunterkünften hin zur Unterbringung in Privatwohnungen. Deshalb

kann dieser Gesetzentwurf meiner Meinung nach von diesem Haus nicht abgelehnt werden.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte ein letztes Argument einbringen, die Wirtschaftlichkeit. Es gibt von Flüchtlingsorganisationen und Wohlfahrtsverbänden eine Reihe von Vorlagen, in denen ausgerechnet wird, wie viel die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften im Vergleich zu der in Privatwohnungen kostet. Hier sehen wir einen deutlichen Vorteil für die Privatwohnungen. Davon haben Sie sich auch im Rahmen der Delegationsreise nach Leverkusen überzeugen können. Dort gab es quasi dieselbe Aussage. Ein wirtschaftliches Argument würde als Grund für eine Ablehnung nicht zählen. Es ist längst Aufgabe der Ministerien, dieser Frage der Kosten einmal wirklich nachzugehen und tatsächlich gegenüberzustellen, wieviel eine Gemeinschaftsunterkunft im Verhältnis zu einer Privatunterkunft kostet. Es ist deutlich humaner, es ist deutlich angemessner gegenüber denjenigen Menschen, die in Bayern Schutz und Zuflucht suchen.

Frau Präsidentin, ich spare mir einige Minuten für die Aussprache auf, weil mich interessiert, wie die Fraktionen von CSU und FDP gedenken, mit unserem Gesetzentwurf umzugehen. Ich werde mich dann, je nach Situation, in die Diskussion einbringen. Vorab vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. Als nächste Wortmeldung ist für die Fraktion der CSU Herr Seidenath angemeldet. Bitte.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir befassen uns in Erster Lesung mit einem Gesetzentwurf, mit dem das Aufnahmegesetz - das Gesetz über die Aufnahme und Unterbringung der Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz - geändert werden soll. Ziel soll es sein, bei der Unterbringung von Flüchtlingen in Gemeinschaftsunterkünften das Regel-AusnahmeVerhältnis umzukehren. Folgendermaßen steht es, Frau Weikert, in § 53 des Asylverfahrensgesetzes: Flüchtlinge, die sich noch im Asylverfahren befinden, werden "in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht". Sie sagen in Ihrem Gesetzentwurf: Diese Flüchtlinge werden in aller Regel nicht in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. Das passt mit der Vorschrift aus Artikel 31 des Grundgesetzes, Bundesrecht bricht Landesrecht, nicht zusammen. Es ist anders, Frau Weikert, als Sie es in Ihrer Begründung formuliert haben: Der vorliegende Gesetzentwurf ist keineswegs unabhängig von einer Änderung des Bundesgesetzes; im Gegenteil, die Änderung wäre eine

Voraussetzung, eine conditio sine qua non für Ihren Gesetzentwurf.

Wenn ich es mir leicht machen würde, könnte ich hiermit schon Schluss machen. Das tue ich aber nicht. Da die Verbesserung der Unterbringung von Asylbewerbern auch und ganz klar ein Anliegen der CSU-Fraktion ist, wie wir es in diesem Haus inzwischen schon öfter besprochen haben. Deswegen möchte ich noch einige Gedanken zur inhaltlichen Seite anfügen. Schon heute, nämlich auf Basis des geltenden Rechts, könnten ohne jede gesetzliche Änderung deutlich mehr Menschen in Privatwohnungen untergebracht werden, nämlich die sogenannten Fehlbeleger. Sie sind längst nicht mehr verpflichtet, in Gemeinschaftsunterkünften zu wohnen. Das betrifft immerhin 13 % der Bewohner in Gemeinschaftsunterkünften in Bayern.

Das Problem geht also tiefer. Es gibt demnach andere Gründe als die Gesetzeslage, die es verhindert, dass Menschen aus Gemeinschaftsunterkünften ausziehen. Ein Grund kann sein, dass sie in einer bestimmten Stadt, beispielsweise in München, bleiben wollen, oder auch, dass sie sich in ihrer Situation gut eingerichtet haben. Ein Grund ist aber vor allem, dass der Wohnungsmarkt vor Ort oft eine passende Wohnung nicht hergibt. Das ist auch der Unterschied, Frau Weikert, zu den Städten, die Sie genannt haben, etwa Leverkusen. Dort gibt es eine bessere Möglichkeit, auf dem privaten Wohnungsmarkt fündig zu werden.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch daran erinnern, dass bei uns in Bayern sehr viele Flüchtlinge von vornherein nicht gemeinschaftsunterkunftspflichtig sind. Knapp die Hälfte der Menschen, die unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallen, wohnen bereits in privaten Wohnungen. Aus persönlichen Gründen, insbesondere bei einer Behinderung oder bei Krankheit, ist der Auszug aus einer Gemeinschaftsunterkunft schon heute möglich und auch üblich. Wenn man dann noch die 13 % Fehlbeleger hinzunimmt, sind mehr als die Hälfte der zu uns kommenden Flüchtlinge schon aufgrund der geltenden Rechtslage nicht verpflichtet, in Gemeinschaftsunterkünften zu wohnen. Diesen Kreis kann man durchaus - deswegen danke ich für den Katalog - noch um weitere Gruppen ausdehnen. Dazu werden auch wir als CSU-Fraktion Vorschläge machen, die wir dem Hohen Haus vorlegen werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie sagen, die Gemeinschaftsunterkünfte sollen als äußerster Notnagel in Reserve gehalten werden und begründen das damit, dass die Zahl der Asylbewerber massiv zurückgegangen ist. Das ist richtig. Aber anders herum wird auch ein Schuh daraus: Die verhältnismäßig niedrigen Zahlen sind nicht für alle Zeiten in Stein gemeißelt. Wir müssen

auch dafür gewappnet sein, wenn sie wieder steigen. In den letzten zwei Jahren sind diese Zahlen wieder gestiegen. Angesichts so mancher Krise auf diesem Erdball ist das auch nicht unrealistisch, wie ich meine. Die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften aufzugeben, hieße, sich auch der Möglichkeit zu begeben, kurzfristig auf einen stärkeren Anstieg von Flüchtlingszahlen zu reagieren. Niemandem ist gedient, wenn wir die Flüchtlinge, die in einer elementaren Notlage zu uns kommen, nicht mehr aufnehmen könnten. Wir werden deshalb auch künftig Gemeinschaftsunterkünfte brauchen.

Letzter Kritikpunkt an dem Gesetzentwurf ist, dass Sie nicht nach dem Aufenthaltsstatus differenzieren. Sie werfen alle Flüchtlinge, ob sie sich im laufenden Asylverfahren befinden oder solche, die bereits rechtskräftig und vollziehbar abgelehnt wurden, in einen Topf. Diese mangelnde Differenzierung ist nicht zu rechtfertigen.

Ich fasse zusammen:

Erstens. Die Unterbringung von Flüchtlingen in Privatwohnungen zur Regel zu machen, ist mit dem Bundesgesetz nicht vereinbar.

Zweitens. Schon jetzt könnten mehr Flüchtlinge in Privatwohnungen wohnen als es tatsächlich der Fall ist.

Drittens. Bei der Unterbringung von Flüchtlingen muss nach deren Aufenthaltsstatus differenziert werden, was Ihr Gesetzentwurf, Frau Weikert, nicht tut. Deshalb werden wir ihn ablehnen.

(Beifall bei der CSU)

Danke, Herr Kollege Seidenath. Für die Freien Wähler hat sich Herr Dr. Fahn zu Wort gemeldet. Ich bitte Sie nach vorne.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wenn Kollege Seidenath sagt, Unterbringung in Privatwohnungen sei mit dem Bundesrecht nicht vereinbar, mag das formal so stimmen. Aber da kann ich natürlich antworten, dass man das Bundesrecht auch ändern kann.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Ja, so etwas soll es geben!)

Im Bund gibt es auch die Koalition zwischen CSU und FDP. Da ist mir nicht verborgen geblieben, dass die FDP auch im Bund versucht, das einzubeziehen. Ich habe es zwar im Koalitionsvertrag leider nicht gefunden -

(Jörg Rohde (FDP): Alles wird gut!)

- So wie ich das mitbekommen habe, arbeitet die FDP auch im Bund daran, dass dies geändert wird. Dann müssen Sie sich auch von der CSU damit auseinandersetzen.

Wir von den Freien Wählern begrüßen diesen Gesetzentwurf der SPD ausdrücklich. Einfach deshalb, weil wir jetzt zum dritten Mal über ein so sensibles Thema im Bayerischen Landtag diskutieren, und ich muss sagen: sachlich diskutieren. Das ist sehr wichtig vor diesem Hintergrund, dass in Bayern immer noch 7.000 Flüchtlinge leben und eben Unterbringungsprobleme haben. Es sind eben trostlose Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünfte, die relativ ungeeignet erscheinen, ohne Privatsphäre usw. Es passieren immer noch Dinge in München, wie beispielsweise am 13.10.2009 in der "Süddeutschen Zeitung" stand. Das heißt, wir müssen schon etwas tun. Das hat uns natürlich verwundert. Denn die GRÜNEN hatten ja am 08.05.2009 einen Antrag gestellt, der die Schließung dieser Erstaufnahmeeinrichtung beantragt hat. Dieser Antrag wurde von der Regierungskoalition abgelehnt.

Wir begrüßen es ausdrücklich, dass die SPD diesen Gesetzentwurf eingebracht hat. Denn damit wird auch im Bayerischen Landtag ausführlich über dieses Thema diskutiert. Den Vorschlag, Flüchtlinge in Privatwohnungen unterzubringen, können wir im Grundsatz mit vollem Herzen unterstützen. Das entspricht auch einem Gesetzentwurf, den die Freien Wähler am 23.06.2009 eingebracht haben, einem Entwurf zum Flüchtlingsaufnahme- und Integrationsgesetz.

Es gab auch diese Reise des Sozialausschusses am 30.09.2009 nach Leverkusen. Das muss man ja auch irgendwie umsetzen. Da zeigte sich, dass das Leverkusener Modell ein vielversprechender Ansatz ist. Da wurde bestätigt, dass mit der Einführung dieses Konzepts eine Verbesserung der humanitären Lage der Flüchtlinge eingetreten ist.

Zur gleichen Zeit hat das dazu geführt, dass es in Leverkusen keine Brennpunkte mehr im Bereich der Sammelunterkünfte gibt. Die Flüchtlinge sind dort gut integriert. Und - die Kosteneinsparung wird auch immer gebracht - in Leverkusen hat das eben sogar zu einer Kosteneinsparung geführt. Wenn man die humanitären und die Kostengründe bedenkt, dann spräche doch gar nichts dagegen, dass man das ändert. Herr Seidenath, dann muss man eben schauen, dass man das Bundesgesetz ändert.

Im Gesetzentwurf der SPD ist von der sofortigen Unterbringung in Privatwohnungen die Rede. Der Grundsatz der Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften wird dadurch umgekehrt, hat Herr Seidenath von der CSU gesagt. Da muss ich sagen, das geht uns von den

Freien Wählern auch etwas schnell, vor allem wenn insgesamt kein ausreichender Wohnraum zur Verfügung steht. Die Erfahrungen aus Leverkusen zeigen, dass viele Flüchtlinge sofort nach ihrer Flucht oft gar nicht in der Lage sind, auf dem freien Wohnungsmarkt eine Wohnung zu finden. In Leverkusen übernimmt das die Caritas. Da geht es auch um die Fortbildung der Flüchtlinge im sprachlichen Bereich. Es muss ihnen auch der Umgang mit Mietern und Nachbarn usw. vermittelt werden. Die Erfahrung in Leverkusen zeigt, dass man dazu ein Jahr braucht. Gut, das kann man in der Form in den Ausschüssen diskutieren.

Dann gibt es noch einen Punkt im Gesetzentwurf der SPD, das ist die volle Mietkostenübernahme nach den Regelungen des SGB II und SBG XII, also Unterkunft, Heizung, Grundsicherung im Alter. Das wird in Leverkusen auch so gemacht. Dort gibt es allerdings einen Abschlag von 20 %. Dies scheint uns schon der Diskussion wert zu sein, ob man das hier auch macht. In Leverkusen hat man mit diesem Abschlag von 20 % gute Erfahrungen gemacht. Dort beschwert sich keiner. Die Diskussion geht immer auch darum, wenn wir die vollen Kosten übernehmen, wie das im Vergleich zu einem Deutschen aussieht, der viele Jahrzehnte lang gearbeitet hat. Dann soll er zumindest finanziell besser stehen, als jemand, der neu hierher zieht. Das ist ein Punkt, der auf jeden Fall diskutiert werden müsste.

Ich möchte betonen, dass der Gesetzentwurf der SPD genau in die richtige Richtung geht.