Protokoll der Sitzung vom 17.12.2009

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich kann jetzt zwischendurch das Ergebnis der vorher stattgefundenen namentlichen Abstimmung zum Dringlichkeitsantrag, betreffend die Besetzung des Verwaltungsrats bei der Bayerischen Landesbank, bekannt geben. Es handelt sich um den Dringlichkeitsantrag der Freien Wähler auf Drucksache 16/2960. Mit Ja haben 73 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 95, eine Stimmenthaltung. Damit ist der Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 1)

Wir fahren fort in der Aussprache zu den aufgerufenen Dringlichkeitsanträgen. Die nächste Wortmeldung stammt von Frau Kollegin Karin Pranghofer. Bitte sehr.

(Von der Rednerin nicht au- torisiert) Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt eine Lebensweisheit, die heißt: Erfahrung ist eine Reihe von Fehlschlägen. Nun hätte man annehmen können, dass man aus dem Fehlstart des G 8 und aus der jahrelangen Kritik an der Reform und an deren Umsetzung eigentlich etwas gelernt hätte.

(Beifall bei der SPD - Johanna Werner-Muggen- dorfer (SPD): Das hätte man meinen können!)

- Das hätte man meinen können. Ich glaube aber, die Kritik an der Oberstufenreform zeigt, dass man leider nichts gelernt hat. Wenn ich mir den Dringlichkeitsantrag von CSU und FDP mit dem Titel "Neue Oberstufe

am Gymnasium begleiten" ansehe, muss ich mich nicht wundern. Uns erreichen flehende Mails von Eltern. Schülerinnen und Schüler kommen auf uns zu und klagen über den großen Leistungsdruck. In Briefen und Resolutionen, auch von Philologen, werden uns Möglichkeiten oder Vorschläge zu Änderungen aufgezeigt. In dieser Situation läuten alle Alarmglocken. Und was sagen CSU und FDP: Sie möchten von der Staatsregierung einen Rechtfertigungsbericht. Ich meine, das ist zu wenig. Wir brauchen keine Rechtfertigungsberichte der Staatsregierung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir brauchen Lösungen, und zwar jetzt und sofort.

(Beifall bei der SPD)

Außerdem, meine Damen und Herren der Koalition, können wir nicht feststellen, dass die Konzeption des neuen Gymnasiums, der gymnasialen Oberstufe gut gelungen ist; denn wir haben Hinweise, dass das Abitur möglicherweise inzwischen sogar zum Glücksspiel wird.

Herr Minister, ich frage Sie direkt: Stimmt es oder stimmt es nicht, dass Plätze an W- und P-Seminaren an einigen Gymnasien in Bayern über Losverfahren vergeben werden? Wenn das stimmt, dann sagen Sie uns auch, ob das rechtlich zulässig ist. Wenn es nicht stimmt, sagen Sie uns, dass Sie das widerlegen können.

(Beifall bei der SPD)

Wir versuchen mit unserem Antrag - auch der Antrag der GRÜNEN, den wir unterstützen, geht in diese Richtung -, diese Kritik und diese Hilferufe ernst zu nehmen. Wir wollen, dass wir hier vor allem auch diejenigen berücksichtigen, die draußen derzeit mit dieser Situation zurechtkommen müssen. Wenn uns Eltern schreiben, der Lehrplan der neuen gymnasialen Oberstufe Q 11 sei in der Form unmöglich umsetzbar, er sei viel zu umfangreich und steige in fast allen Fächern viel zu tief in die Materie ein, dann muss die Lehrplankommission nacharbeiten und dann muss das Ganze überprüft und überarbeitet werden. Eltern schreiben auch, alle Schülerinnen und Schüler der Q 11 litten jetzt schon am Burn-out-Syndrom, seien zum Teil krank geschrieben oder verließen das Gymnasium. Der Leidensdruck sei mittlerweile so groß, so schreiben die Eltern, dass viele Schüler nachfolgender Jahrgänge nach der zehnten Klasse einen Schulwechsel planten. Wenn das tatsächlich die Bilanz der ersten Monate der 11. Klasse am Gymnasium ist - und daran haben wir wirklich keine Zweifel -, dann muss sofort gehandelt werden. Herr Minister, wir raten dringend dazu, dass Sie sich jedes Gymnasium anschauen und konkrete Unterrichtsver

besserungen herbeiführen. Dazu gehört für uns - das haben wir in unserem Antrag auch niedergeschrieben - die Verkleinerung der Klassengrößen und Kursgrößen, die Anpassung der Leistungsdefinition in den vierstündigen Grundlagenfächern, die Vorlagen von Musterabituraufgaben für das erste G-8-Abitur und deren Einbindung in den Unterricht. Dazu gehört für uns auch die unverzügliche Reduzierung des verpflichtenden Anteils der Lerninhalte und damit die Möglichkeit der Schwerpunktsetzung.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich meine, und damit spreche ich auch die Situation der Kinder an, es muss berücksichtigt werden, dass Kinder, deren Stundenplan teilweise 34 bis 36 Pflichtstunden in der Woche umfasst, daneben zusätzlich noch Hausaufgaben zu machen haben, sich zusätzlich noch für Prüfungen vorbereiten sowie Seminaraufgaben bewältigen müssen. Wir sollten also dafür sorgen, dass Schülerinnen und Schüler dieses Gymnasium nicht als Lernmaschine erleben, sondern wir sollten ihnen hier sofort Lösungen anbieten, damit sie das Abitur erreichen und wir sie entsprechend ihrer Rechte auf ein gutes Studium und einen guten Beruf vorbereiten.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Frau Kollegin, bleiben Sie bitte noch am Rednerpult. Es gibt eine Zwischenintervention von Frau Kollegin Zacharias. Bitte sehr.

(Von der Rednerin nicht au- torisiert) Liebe Kollegin, Sie haben eben ausgeführt, wie die Situation der Schülerinnen und Schüler am G 8 ist. Vielleicht können Sie noch einmal genauer ausführen, wie sich ihr Freizeitverhalten tatsächlich verändert hat. Denn wir wissen alle, dass das informelle Lernen, also das, was ich außerhalb der Schule lerne, für meinen Bildungserfolg genauso wichtig ist, etwa Partizipationen an Sportvereinen, Musikkapellen, an Orchestern und Tanzvereinen. Vielleicht können Sie darauf nochmals eingehen.

(Beifall bei der SPD)

Jawohl. Bitte sehr, Frau Pranghofer.

(Von der Rednerin nicht au- torisiert) Wenn wir die Schilderungen der Schülerinnen und Schüler sehen und hören - ich habe häufig Kontakte zu Schülerinnen und Schülern -, dann müssen wir feststellen, dass das kaum noch stattfindet, dass sie eigentlich nur noch auf Schule und Lernen fixiert sind und in ihrer Freizeit auch zeitlich keine Möglichkeiten mehr für diese Erlebnisse haben, die für soziale Prägungen

ganz wichtig sind. Es gibt auch Hinweise von Sportvereinen, von Musikgruppen und Musikschulen, dass solche Aktivitäten rückläufig sind und dass man damit den Schülerinnen und Schülern dieses Erlebnis nicht mehr garantieren kann.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Eisenreich. Herr Eisenreich, Sie haben das Wort.

(Vom Redner nicht autori- siert) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben eine neue Oberstufe mit einer neuen Konzeption. Die ersten Schülerinnen und Schüler sind jetzt in dieser sogenannten Qualifizierungsphase. Wir haben ein ganz großes Ziel: Wir wollen diese Schülerinnen und Schüler, die Schulen und Eltern begleiten. Deswegen stehen wir in einem intensiven und regelmäßigen Austausch mit Schulen, mit Elternvertretungen und mit Schülern. Wir nehmen diese Rückmeldungen, die Sie, aber auch wir schon seit einiger Zeit bekommen haben, sehr, sehr ernst, weil uns das Gelingen dieser neuen Oberstufe sehr am Herzen liegt.

Wir wollen zwei Ziele erreichen: Wir wollen Überlastung vermeiden. Unser Ziel ist es - das kennen Sie -, zu fordern und zu fördern, aber ohne zu überfordern. Und: Wir wollen natürlich für diese Schülerinnen und Schülern die Chancengleichheit sichern. Das heißt, sie sollen die gleichen Startchancen haben wie die anderen Jahrgänge auch. Deswegen sind wir gerne bereit, wenn wir diese Rückmeldungen bekommen und Handlungsbedarf sehen, dort, wo es notwendig und möglich ist, auch umzusteuern.

Die erste Maßnahme nach dem Eingang der Rückmeldungen war, dass sofort eine Umfrage an den bayerischen Gymnasien durchgeführt worden ist, um sich ein realistisches Bild zu verschaffen. Dafür bin ich dem Kultusministerium sehr dankbar.

Eines der Themen ist die Anzahl der Wochenstunden. Ich würde Sie schon bitten, dort, wo es möglich ist, nachzusteuern. Das ist die Voraussetzung. Ich bitte auch, zur Kenntnis zu nehmen: Die KMK setzt für die Oberstufe 66 Stunden voraus. Das ist keine Erfindung Bayerns, sondern eine Bedingung der KMK. 66 Stun den, das bedeutet im Schnitt zweimal 33 Stunden. Das verlangt die KMK von uns.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Plus/minus wie viel?)

Es gibt eine Reihe von Schülern, die mehr Stunden haben; das ist richtig. Aber das sind meistens freiwillige Entscheidungen, die dazu geführt haben, dass jetzt bei

einem Teil eine Überlastung vorliegt. Deswegen war die Reaktion darauf: Wer jetzt in der Qualifizierungsphase gemerkt hat, dass diese Stundenbelastung zu hoch ist, der erhält nicht nur in den ersten vier Wochen des Schuljahrs, sondern eben bis zum Halbjahreszeugnis die Möglichkeit, umzuwählen. Die Oberstufenkoordinatoren - die Kollegstufenbetreuer heißen jetzt anders - sind sensibilisiert und beraten hier die Schülerinnen und Schüler.

Das zweite Thema ist der Nachmittagsunterricht. Wir haben viele Schulen, die den Nachmittagsunterricht auf zwei- bis dreimal begrenzen können; einige haben viermal Nachmittagsunterricht. Wenn es auch möglich ist mit zwei Nachmittagen auszukommen, kann es nicht an der grundsätzlichen Konzeption liegen. Das muss man ganz deutlich feststellen. Ich glaube, dass hier noch der richtige Umgang mit etwas Neuem gefunden werden muss, aber auch der richtige Mittelweg zwischen der Fächervielfalt, also dem Angebot für die Schülerinnen und Schüler, auf der einen Seite und kompakten Stundenplänen auf der anderen Seite.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Viele Schulen haben diesen Mittelweg schon gefunden. Ich denke, auch die anderen Schulen werden im nächsten Jahr das Handling dafür haben.

Die Schulen und auch wir können nichts dafür, dass die Raumsituation die Stundenplangestaltung erschwert. Wenn die Fachräume fehlen, sind die Sachaufwandsträger gefordert.

Der dritte Bereich ist das Anforderungsniveau im Abitur. Hier ist die Sorge, dass das Anforderungsniveau zu hoch sei. Dazu muss man sagen, es gibt keine Leistungskurse mehr. Das System Grundkurse/Leistungskurse ist abgeschafft und damit auch die fünfstündige Vorbereitung auf Leistungskursfächer. Somit kann es auch kein Leistungskursniveau mehr in den Abiturprüfungen geben. Wir haben jetzt eine andere Konzeption mit den Fächern Deutsch, Mathematik und Fremdsprache für alle. Damit muss die Orientierung schon in den Grundkursen erfolgen, und das wird auch der Fall sein.

Die Musteraufgaben, die jetzt im Netz sind, sind sehr anspruchsvoll und setzen eine vollständige Umsetzung der Konzeption des G 8 voraus. Diese ist natürlich im ersten Jahrgang noch nicht erfolgt. Insofern brauchen wir in der Übergangsphase auch noch entsprechende Abituraufgaben. Das Kultusministerium wird in den nächsten Wochen Handreichungen und Hinweise geben, welche Abiturprüfungen verwendet werden können.

Abschließend möchte ich feststellen, dass wir, nachdem uns das Gelingen dieser Oberstufe sehr am Her

zen liegt, diese Oberstufe gut ausgestattet haben. Wir haben in diesem Jahr das Budget um 3,6 % erhöht. Ich glaube, damit haben wir unser Möglichstes getan. Deswegen noch einmal: Wir brauchen keine neue Konzeption für die Oberstufe, sondern wir müssen eine gute Umsetzung erreichen. Wir begleiten das Ganze und sind über jede Rückmeldung, aber auch für jede Kritik dankbar. Dort, wo es dann notwendig ist, werden wir für die Schülerinnen und Schüler nachsteuern.

(Beifall bei der CSU)

Herr Kollege Eisenreich, Sie dürfen noch kurz am Rednerpult bleiben. Frau Kollegin Schopper hat sich zu einer Zwischenbemerkung gemeldet.

Herr Kollege Eisenreich, ich kann Ihnen gleich eine Rückmeldung geben. Mein Sohn ist auch in einer Q-11-Klasse. Wenn er und seine Klassenkameraden nun hören, dass Sie sagen "wir werden die Schüler begleiten; wir sind in einem regen Austausch; wir nehmen die Rückmeldungen ernst; wir werden Überlastungen vermeiden", dann geht denen, ehrlich gesagt, der Hut hoch.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Was glauben Sie denn? Die Schüler schreiben pro Woche zwei Klausuren; sie müssen Referate ausarbeiten. Sie pfeifen aus dem letzten Loch. Und Sie sprechen von einer guten Konzeption. Da fallen Theorie und Praxis zwischen dem, was Sie sagen, und dem, was die Kinder und Jugendlichen vor Ort erleben, zu 150 % auseinander.

Wenn Sie nun sagen, Sie würden noch rücksteuern und umändern, dann überlegen Sie doch einmal: Die Schüler stehen schon jetzt mitten im Abitur und es geht darum Punkte zu sammeln. Sie müssen doch genau jetzt schon diesen Anforderungen genügen. Glauben Sie, dass es da noch Vertrauen gibt, dass sich da was ändert? In den Schulen brennt es und Sie geben hier Beruhigungspillen aus. Sie sagen, Sie gingen aufs Eis, und dabei ist das Eis schon gebrochen.

Menschenskinder, Sie müssen umsteuern und zwar so, dass Sie das Vertrauen der Jugendlichen wiedergewinnen und sie überzeugen, dass sie nicht die Versuchskaninchen sind! Die Jugendlichen müssen irgendwann tatsächlich noch sagen können: Eigentlich bin ich ganz gerne in die Schule gegangen. Wie es momentan ist, können sie nichts außerhalb der Schule machen. Es gibt kaum eine Möglichkeit, noch einmal in einem Fußballclub mitzumachen. Die Jugendlichen schwänzen das Training, damit sie halbwegs in der Schule hinkommen.

(Widerspruch bei der CSU)

Ich muss Ihnen ehrlich sagen, da ist es mit dem Weihnachtsfrieden bei mir wirklich zu Ende.