Protokoll der Sitzung vom 11.03.2010

Wenn man den Worten von Herrn Dr. Bloeck Glauben schenken darf, enthalten die Pakete nicht einmal das, was gesetzlich vorgeschrieben ist. Das ist nicht nur unsere Meinung, sondern die Meinung aller Experten, die im letzten Jahr an der Anhörung beteiligt waren. Diese Experten kamen aus den Bereichen der Medizin, der Juristerei, aus Flüchtlingsverbänden und aus Wohlfahrtsverbänden.

Aktuell liegt mir ein Schreiben des Katholikenrats der Region München vor, in dem steht:

Anstatt den Flüchtlingen zu gestatten, selbst Lebensmittel einzukaufen, werden sie mit normierten Essenspaketen versorgt. Man kann sich vorstellen, welche beschädigenden psychischen und gesundheitlichen Folgen, auch Langzeitfolgen, diese Lebensbedingungen für die Menschen haben.

Das Schreiben schließt mit der Forderung des Katholikenrats, die Umstellung auf Essenspakete endlich vorzunehmen. Dieser Forderung können wir uns nur anschließen. Ich möchte dem Hohen Haus empfehlen, das Protokoll der Anhörung noch einmal aufmerksam zu lesen. Dann wüssten Sie, dass das von den Experten geäußert wurde und dass wir in der jetzigen Entwicklung weit hinter dem herhinken, was bereits vor einem Jahr festgestanden ist. Seitdem wird im sozialpolitischen Ausschuss und im Plenum nur verzögert, taktiert und verwässert. Für die Menschen, die davon

betroffen sind, ist es ein Debakel, dass für sie immer noch nichts passiert ist.

Ich fordere Sie auf, endlich umzudenken und diesen Menschen Bargeld in die Hand zu geben. Sie können es tatsächlich für sich richtig benützen. Sie werden staunen, auch das sind mündige Bürger, die sich alleine Essen kaufen und auch zubereiten können. Die brauchen keine Pakete, die mit gewaltiger Logistik zusammengestellt und verwaltet werden. Sie wollen selbstständig leben. Sie brauchen auch keine Gemeinschaftsunterkünfte, in denen sie zwangsverwaltet werden. Sie können nach einem Jahr Aufenthalt in den Gemeinschaftsunterkünften diese verlassen und eine dezentrale Wohnung nehmen, die - wie bereits bewiesen ist - nicht nur besser und individueller, sondern zudem auch kostengünstiger ist. Gleiches gilt für die Versorgung mit Lebensmitteln. Diese sind gesünder, kostengünstiger und menschenwürdiger.

Denken Sie bitte darüber nach und stimmen Sie entsprechend ab.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Für die CSU hat sich Herr Seidenath zu Wort gemeldet. Bitte schön.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum wir Ihren Dringlichkeitsantrag ablehnen werden, liegt schon an seiner Überschrift "Gesunde Selbstversorgung statt teurer Essenspakete!". Dieser platte Titel wird der bestehenden Situation nicht im Geringsten gerecht.

Essenspakte für Asylbewerber, die sie als Sachleistung erhalten, werden seit einigen Jahren nach einem individuellen Bestellsystem verteilt. Sie werden nach ernährungsphysiologischen Gesichtspunkten ausgesucht, und der Eindruck in Ihrer Überschrift, die Essenspakete seien nicht gesund, ist falsch. Genauso falsch und verzerrend ist es in diesem Zusammenhang, von einer "entmündigenden Versorgung" zu sprechen, wie Sie es in Ihrer Begründung tun, oder gar von einer "Nötigung", wie es Frau Ackermann soeben gemacht hat. Ein individuelles Bestellsystem ist das ganze Gegenteil von einer entmündigenden Versorgung. Wenn Sie, Frau Ackermann, hier sagen, dass es sich um eine Perversion des Fürsorgeprinzips handelt, wenn wir Flüchtlinge, die zu uns kommen, mit Nahrungsmitteln versorgen, halte ich diese Aussage für eine Ungeheuerlichkeit. Das ist staatliche Fürsorge, wenn wir den Flüchtlingen Essenspakete geben.

(Beifall bei der CSU - Zuruf der Abgeordneten Re- nate Ackermann (GRÜNE))

Tut mir leid, das ist eine Ungeheuerlichkeit.

Sie schreiben von "teuren Essenspaketen". Die Kosten für Essenspakete sind geringer als es eine Selbstversorgung wäre. Das leuchtet schon wegen der großen Menge ein, die abgenommen und an die Flüchtlinge weitergegeben wird.

Sie können auch nicht mit dem Leverkusener Modell argumentieren, weil es dort vor allem um die Unterbringung in Privatunterkünften geht. Die Folge wäre die Versorgung mit Bargeld. Das wäre die Konsequenz daraus. Bei den Kosten des Leverkusener Modells steht Aussage gegen Aussage, und die Rahmenbedingungen sind bei uns andere als in Nordrhein-Westfalen.

Mir ist noch Folgendes wichtig: Sie sagen, in den Essenspaketen wäre nicht alles enthalten, was den Flüchtlingen zusteht. Das ist eine Mutmaßung und eine Verdächtigung, die in keiner Weise von den Fakten gedeckt wird.

Hinzu kommen schließlich all die Argumente, die wir in diesem Hohen Hause inzwischen mit schöner Regelmäßigkeit - etwa alle zwei Monate - zum Thema "Essenspakete" austauschen: Das Hauptargument ist, dass das Bundesrecht das nicht zulässt. Das Asylbewerberleistungsgesetz sieht das Sachleistungsprinzip und damit die Essenspakete vor. Wollten wir die Abkehr vom Sachleistungsprinzip vornehmen, müsste das Asylbewerberleistungsgesetz des Bundes geändert werden. Deswegen gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder wird das Bundesgesetz vollzogen oder es wird geändert. Auf Landesebene gibt es keine legale Möglichkeit, Geldleistungen zu zahlen anstatt Essenspakete zu liefern. Deswegen ist Ihr Antrag glatt rechtswidrig.

Auf Bundesebene ist im Koalitionsvertrag die Evaluierung des Sachleistungsprinzips vorgesehen. Das wird erfolgen. Die Erfahrungen mit dem Bestellsystem werden einfließen. Da spielt die Musik. Da können Sie ansetzen, aber nicht mit den ständig immer gleichen Anträgen im Landtag, die inhaltlich im Übrigen auch nicht zutreffen. Sachleistungen und Essenspakete kommen als Nahrungsmittel bei den Bedürftigen an. Das ist im Fall von Geldleistungen nicht gesichert. Es besteht die Gefahr, dass sich Flüchtlinge diese Summen buchstäblich vom Munde absparen, um sie etwa Verwandten in der Heimat oder gar Schleppern zukommen zu lassen. - Soviel nur zum Thema "gesunde Selbstversorgung".

(Zuruf der Abgeordneten Renate Ackermann (GRÜNE))

Was mich an Ihrem Antrag vor allem stört, ist, dass er den Anstrengungen nicht gerecht wird, die die Verantwortlichen in den Regierungen Tag für Tag unterneh

men, um Flüchtlinge optimal mit Lebensmitteln zu versorgen. Wenn es Qualitätsprobleme gibt, müssen diese abgestellt werden. - Keine Frage. Das darf nicht sein. Aber auch und gerade in Niederbayern wird die Qualität ständig geprüft. Wie Sie an das Thema herangehen, wird dem Thema nicht gerecht und erst recht nicht den Menschen, die in einer elementaren Notlage zu uns gekommen sind. Man kann zu den aktuellen Vorgängen in Niederbayern nur raten, sich bei entsprechenden Problemen an die jeweilige Regierung zu wenden, anstatt die Versorgung der Flüchtlinge mit Essenspaketen öffentlichkeitswirksam zu boykottieren. Essenspakete sind gesund und nicht teurer. Deswegen werden wir den Antrag ablehnen.

(Beifall bei der CSU und Abgeordneten der FDP)

Herr Seidenath, Kollegin Ackermann hat eine Zwischenintervention angezeigt.

Herr Kollege Seidenath, abgesehen davon, dass es bereits Bundesländer gibt, die die Versorgung mit Bargeld praktizieren und die vermutlich auch nicht rechtswidrig handeln,

(Bernhard Seidenath (CSU): Doch!)

weil es eine große Auslegungsbreite gibt, frage ich Sie, wie Sie sich die Diskrepanz der Höhe zwischen dem vorgeschriebenen Preis in der Verordnung und der Angabe des Herrn Dr. Bloeck, die um 30 Euro differiert, erklären? Wollen Sie mit Ihrer Misstrauenspolitik weitermachen, die da sagt: Flüchtlinge sind nicht in der Lage, sich Essen einzukaufen, sie würden das Geld in die Heimat schicken? Wollen Sie damit weitermachen oder wollen Sie irgendwann einmal umdenken und auch diesen Menschen zutrauen, dass sie selbst für ihr Essen sorgen können, das natürlich gesünder ist, weil es zum einen aus einem regionalen Umfeld kommt und zum anderen die riesige Logistik nicht benötigt wird, die Sie für die Zwangsernährung brauchen?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Seidenath.

Frau Ackermann! Erstens. Nach meiner Auffassung handeln die anderen Länder, die vom Sachleistungsprinzip abweichen, rechtswidrig.

Zweitens. Die Diskrepanz kann ich nicht erklären. Ich kann Sie nur bestreiten. Sie müssen denjenigen fragen, der diese Zahlen geliefert hat. Ich kenne diese Zahlen nicht. Ich gehe davon aus - und so ist es auch -, dass das Gesetz so angewendet wird, dass alles in den Es

senspaketen enthalten ist, was drin sein muss, sonst wäre das wiederum rechtswidrig.

Drittens. Wenn Sie, Frau Ackermann, mir Misstrauenspolitik vorwerfen, muss ich Sie bitten, mit Ihrer Misstrauenspolitik gegenüber den Regierungen aufzuhören, die - ich wiederhole mich - aufopferungsvoll alles tun, um den Flüchtlingen in unserem Land vernünftiges Essen und gesunde Nahrung zu bieten.

(Beifall bei der CSU)

Weitere Wortmeldungen gibt es nicht. Die nächste reguläre Wortmeldung für Zwischeninterventionen kommt von Frau Weikert für die SPD.

(Von der Rednerin nicht au- torisiert) Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst dem Kollegen Seidenath sagen, dass der Satz, das Asylbewerberleistungsgesetz werde im Hinblick auf das Sachleistungsprinzip evaluiert, nicht nur im Berliner Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP steht, sondern auch im Münchner Koalitionsvertrag von CSU und FDP. Es ist also auch Ihre Verpflichtung, das Sachleistungsprinzip zu evaluieren. Dazu haben Sie sich beide verpflichtet. Sie haben das im Prinzip schon getan. Wir hatten eine Anhörung. Dort wurde das Sachleistungsprinzip von allen, die daran beteiligt waren, in Grund und Boden geredet. Es wurde nichts daran für gut befunden. Von allen kamen Vorschläge, das Sachleistungsprinzip zu überarbeiten.

Sie sind nach Leverkusen gefahren, Kolleginnen und Kollegen, haben sich dort überzeugt, dass es völlig anders geht. Sie haben, zumindest den Pressemitteilungen zufolge, nicht verkündet, dass die dortigen Behörden rechtswidrig handeln. Sie können handeln; Sie können darüber entscheiden. Das Asylbewerberleistungsgesetz des Bundes lässt dem Freistaat Bayern so viel Spielraum, dass Sie dieses Prinzip ändern können; das ist unstrittig.

Kolleginnen und Kollegen, die ganze Diskussion krankt daran, dass sich CSU und FDP in Sachen Asyl nicht einigen können.

(Beifall bei der SPD)

Fast in jeder Plenarsitzung - je länger das dauert, desto mehr einzelne Dringlichkeitsanträge werden wir haben - gibt es zu einzelnen Aspekten aus diesem Bereich Dringlichkeitsanträge, auch im Sozialausschuss. Ich kann Sie nur nachdrücklich dazu auffordern, endlich zu einer Meinung zu kommen, sie im Sozialausschuss sachgerecht zu diskutieren und dann eine Entscheidung zu treffen.

Die Sozialdemokraten - das ist mein letzter Satz; ich habe leider ganz wenig Redezeit zu diesem Thema stimmen dem Antrag der GRÜNEN zu. Auch wir haben uns dafür ausgesprochen, das Sachleistungsprinzip aufzugeben, die Menschen ernst zu nehmen und sie das ist uns wichtig - zu einem selbstbestimmten Leben zu erziehen. Das geht nicht mit Hilfe von Einkaufslisten mit bunten Bildern, sondern das geht nur dadurch, dass die Menschen einen eigenen Etat selbst verwalten können. Sie werden ihnen ja wohl etwas zu essen geben wollen.

(Beifall bei der SPD)

Danke, Frau Kollegin. Für die Freien Wähler spricht Herr Hanisch, bitte.

(Vom Redner nicht autori- siert) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der Antrag passt nicht ganz zum jetzigen Konzept, zumal in einer Zeit, in der wir darüber diskutieren, Hartz-IV-Empfängern Sachleistungen statt Geld zu geben. Auch wir sind der Auffassung, dass diese Frage generell bundesrechtlich geregelt werden muss, damit es eine saubere Basis für alle Länder gibt. Über Geschmack lässt sich streiten, auch über die Zusammenstellung eines Essenspaketes. Was die Qualität anbelangt, habe ich aber schon Vertrauen in die Zusammensetzung dieser Pakete. Auf den Paketen befinden sich konkrete Angaben beispielsweise zum Nährwert. Darauf verlassen wir uns, und deswegen stimmen wir diesem Antrag nicht zu.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Zum Abschluss spricht für die FDP noch Frau Meyer, bitte.

Verehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Ministerpräsident! Es wird Sie nicht verwundern, dass das Sachleistungsprinzip nicht der Meinung der Mehrheit der FDP und auch nicht meiner persönlichen Meinung entspricht; das habe ich immer deutlich gemacht. Die ausschließliche Sachleistungsgewährung schränkt in unseren Augen den individuellen Spielraum für die Lebensgestaltung von Asylbewerbern in erheblichem Maße ein. Aus diesem Grund habe ich bei dieser Frage, welche die Lebensbedingungen der Asylbewerber betrifft, ein gewisses Verständnis für die Asylbewerber. Wenn wir jedoch das Prinzip der Sachleistung zugunsten anderer Formen der Selbstversorgung wirklich verändern wollen, dann soll das auch auf der Ebene geschehen, die dafür zuständig ist, und das ist nun einmal der Bund.

(Angelika Weikert (SPD): Ja, dann stellen Sie einen Antrag beim Bund!)

Auf Initiative der FDP-Fraktion hin sieht der Koalitionsvertrag in Berlin vor, dass das Sachleistungsprinzip zu evaluieren ist. Wir haben kürzlich hier im Landtag mit einem Dringlichkeitsantrag bestätigt, dass zum einen die Residenzpflicht gelockert und dass zum anderen das Sachleistungsprinzip evaluiert werden soll. Darauf werden wir hinarbeiten, und das wird auch passieren.

Man muss hier aber schon ein bisschen differenzieren und sollte die Essenspakete nicht pauschal verteufeln. Wir haben uns in verschiedenen Einrichtungen informiert, und ich habe mich kürzlich mit dem Regierungspräsidenten von Schwaben über dieses Thema unterhalten. Man versucht großteils schon, auf diese Leute einzugehen. Den Begriff "Zwangsernährung" finde ich in diesem Zusammenhang wirklich verfehlt; der ist hier nicht angebracht.

(Beifall bei der FDP und der CSU)

Wir werden diesem Antrag nicht zustimmen, weil sein Anliegen hier nicht auf der richtigen Ebene angesiedelt ist und weil wir dieses Thema in einem Gesamtzusammenhang sehen wollen. Ich habe für das Anliegen auch großes Verständnis. Als Ausschussvorsitzende ist es mir ein persönliches Anliegen, dass wir dieses Thema zu einem Abschluss bringen und eine gemeinsame Linie finden. Wir arbeiten intensiv daran. Ich bin wirklich zuversichtlich, dass es sich nur noch um wenige Wochen handeln wird; unser Ziel war der 25. März. Ich bitte Sie noch um ein wenig Geduld. Wir werden Ihnen dann eine gemeinsame Linie vorlegen. Ich bin mir ganz sicher, dass wir dann auch zu Verbesserungen für die Flüchtlinge in unserem Land kommen werden.