Protokoll der Sitzung vom 10.06.2010

Sie müssen sich heute schon entscheiden, ob Sie in der Grundüberzeugung, dass die Länder den Bund

tragen, dass in den Ländern gewirtschaftet wird und dass das Steueraufkommen in den Ländern zu verankern ist, den Länderfinanzausgleich neu ausrichten oder ob Sie ihn vertikalisieren wollen.

Der Weg der Vertikalisierung ist falsch. Haben Sie heute den Mut und lehnen Sie ihn ab. Mit Wischiwaschi kommen Sie an der Stelle nicht weiter.

(Beifall bei der CSU - Christa Naaß (SPD): Wie wollen Sie es machen?)

Zum Zweiten: Sie wissen, dass die Landeshauptstadt München für einen wesentlichen Teil der bayerischen Steuereinnahmen, des Steueraufkommens in ganz Bayern steht. Sie wissen aber auch, dass nicht nur, aber auch die Politik der Bayerischen Staatsregierung, die Landeshauptstadt in ihren Strukturen zu unterstützen, einen wesentlichen Beitrag dazu liefert.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Das Gegenteil ist der Fall!)

Das fängt mit den Entscheidungen zum Ausbau der Technischen Universität und der Ludwig-MaximiliansUniversität an und reicht bis zu den Gründerzentren, die Sie im Großraum München finden. Mit dem ersten Gründerzentrum, das noch unter Franz Josef Strauß in Ottobrunn angelegt wurde, haben wir die Grundlage dafür gelegt, dass der Großraum München als Hightech-Großraum in der Welt einen eigenen Ruf hat. Das waren landespolitische Initiativen. In der Landeshauptstadt ist insbesondere wegen der Politik von Rot-Grün bezüglich der Technologiefreundlichkeit sehr viel nachzuarbeiten.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Halt, Herr Staatsminister, es gibt eine weitere Zwischenintervention. Herr Kollege Hallitzky, bitte.

(Staatsminister Georg Fahrenschon: Ich war noch nicht fertig. Es waren drei Punkte.)

Entschuldigen Sie. Bitte fahren Sie fort.

Wir müssen bei der Fragestellung festhalten, worum es bei der Unterhaltung über den Wettbewerbsföderalismus geht. Die Erbschaftsteuer steht erstens ganz offensichtlich dem Land zu. Zweitens ist offensichtlich, dass wir eine Wertentwicklung in der Republik haben und man den Norden nicht mit dem Süden und den Osten nicht mit dem Westen vergleichen kann. Deshalb ist es drittens nur denklogisch, dass wir deshalb, weil wir mehr Kompetenzen bei der Steuerpolitik haben, den Ring schließen und die Erb

schaftsteuer den Ländern zuteilen, weil die Wertermittlung zutiefst regional ist. Deshalb sollte der Bund den Ländern die Freiheit geben, in den Ländern über die Erbschaftsteuer zu entscheiden, weil sie dort hingehört. Dieser Punkt muss in die Verhandlungen zum Länderfinanzausgleich eingebracht werden.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Jetzt freue ich mich auf eine weitere Zwischenintervention.

Zunächst Herr Hallitzky mit einer Zwischenbemerkung, danach Herr Professor Bauer.

Lieber Herr Minister, Sie haben Herrn Kollegen Halbleib durchaus nachvollziehbar gesagt, man solle am Anfang keine Wischiwaschi-Position aufbauen. Ich bitte Sie, lesen Sie Ihren Antrag durch. Als einziger Handlungsauftrag steht dort: "Die Staatsregierung wird aufgefordert, darauf hinzuwirken, dass möglichst rasch Gespräche unter den Ländern und zwischen Bund und Ländern aufgenommen werden." Das ist Ihre Position, die Sie in einem Antrag zum Länderfinanzausgleich heute darbieten. Trotzdem werfen Sie irgendeinem anderen vor, er habe eine Wischiwaschi-Position. Sie haben überhaupt keine Position.

(Beifall bei den GRÜNEN - Georg Schmid (CSU): Sie müssen den Antrag ganz lesen!)

Das ist der Text Ihres Antrags.

Zweitens zur Vertikalisierung: Unstrittig ist, dass die Vertikalisierung maximale Anreizfunktion hat, weil die zusätzlichen Steuereinnahmen bei den Ländern bleiben. Soweit ist sie gut. Sie sagen, die Vertikalisierung würde zu einem Länderfinanzausgleich nach Kassenlage führen. Das können Sie erfinden. Das können Sie auch für den jetzigen horizontalen Finanzausgleich unterstellen. Das ist aber völlig an der Wirklichkeit vorbei. Das hat nie jemand gefordert. Es ist völlig klar, dass es dazu genauso verbindliche und von der Kassenlage unabhängige Regeln geben wird, wie das heute der Fall ist. Es geht nicht darum, dass der Bund das jährlich neu beschließt. Im Übrigen stünde dem das Verfassungsgebot der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse entgegen.

Drittens. Übertragen Sie Ihre Argumente und Ihre Philippika auf den kommunalen Finanzausgleich in Bayern. Stellen Sie sich vor, im kommunalen Finanzausgleich in Bayern wären wesentliche Teile horizontal organisiert. Wissen Sie, was Sie hätten? - Was Bayern jetzt inszeniert, würden Burghausen und andere Städte Jahr für Jahr inszenieren - wer immer die Zah

ler sind. Deshalb gibt es einen guten politischen Grund, den Finanzausgleich auf die Regionen, auf die er sich bezieht, zu bündeln. Das ist die Idee des vertikalen Finanzausgleichs. Darüber sollten Sie - unabhängig von dem, was Sie jetzt antworten - in einer ruhigen Stunde nachdenken.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Staatsminister.

Sehr geehrter Herr Abgeordneter Hallitzky, ich bitte Sie zum einen, nicht nur wunderbare Fundstellen aus einem umfangreichen Antrag herauszunehmen, sondern den kompletten Antrag zu zitieren. Wir markieren mit dem Antrag zu Recht, und zwar im Geleitzug mit zwei weiteren Bundesländern, die Handlungsweise. Wir wollen jetzt den Diskussionsprozess anstoßen, und wir stehen zu den gefundenen Kompromissen bis zum Jahr 2019. Wir wollen aber jetzt mit der Diskussion beginnen, um zu wesentlichen Veränderungen zu kommen, von denen wir zutiefst überzeugt sind. Diesen richtigen Gedankengang haben sich die beiden Regierungsfraktionen zu eigen gemacht. Als zuständiger Ressortminister kann ich diesen Gedanken nur unterstreichen.

Zweitens. Sie müssen sich vorhalten lassen, dass Sie die Gesamtheit der Länder an den Tropf des Bundes hängen. Wir würden am Ende ein gutes Stück unserer Autonomie auf dem Altar eines nur vermeintlich besseren Ausgleichs opfern. Ich und die Regierungsfraktionen verstehen den Föderalismus und den Staatsaufbau in Deutschland anders. Die wesentliche Kraft Deutschlands liegt in den 16 Bundesländern, in den unterschiedlichen Herangehensweisen und auch darin, dass in den 16 Bundesländern die richtigen wirtschaftlichen Impulse und Anreize gesetzt werden, wenn wir einen Länderfinanzausgleich haben. Würden wir das alles nach Berlin delegieren, hätten wir französische Verhältnisse. Damit wäre Deutschland nicht gut aufgestellt. Deshalb kämpfen wir für den Föderalismus, für einen sachgerechten und am Ende mit richtigen Anreizen versehenen Länderfinanzausgleich. Die Vertikalisierung in Ihrem Sinne wäre eine Fehlentscheidung.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Herr Staatsminister, nun kommt eine Zwischenbemerkung von Herrn Prof. Bauer.

Herr Staatsminister, die Regierungsfraktionen haben einen Dringlichkeitsantrag gestellt. Sie haben in Ihrer Rede

die Dringlichkeit bestätigt. Gleichzeitig steht im Antrag eine unbestimmte Zeit. Die Jahre 2015 und 2019 können keine Dringlichkeit bedeuten. Ich frage Sie, wann Sie konkret mit den Verhandlungen beginnen, um das Problem zu lösen.

Herr Professor Bauer, ich habe vorhin deutlich gemacht, dass die Staatsregierung bereits handelt, weil wir gemeinsam mit den Kollegen in Baden-Württemberg und in Hessen beispielsweise mit einer Auftragsvergabe an den Professor Seiler aus Tübingen die notwendige Grundlage gelegt haben, um die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Basis für ein weiteres Vorgehen auszuloten. Insoweit glaube ich, dass wir heute im besten Einvernehmen mit den die Staatsregierung tragenden Regierungsfraktionen feststellen können, dass wir uns dieses wesentlichen Themas annehmen und koordiniert mit anderen Bundesländern vorangehen. Wir werden die Zeit nutzen, um für die Zeit nach 2019, wo die Schuldenbremse im Grundgesetz für alle Bundesländer gilt, einen Länderfinanzausgleich zu haben, der uns nicht behindert, sondern der in allen 16 Bundesländern die richtigen Strukturen und Anreize hinterlegt.

Vielen Dank, Herr Staatsminister. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Dazu werden die Anträge wieder getrennt. Ich beginne mit den beiden einfachen Abstimmungen, und danach werden wir die namentliche Abstimmung durchführen.

Wer dem Dringlichkeitsantrag der SPD-Fraktion auf Drucksache 16/5035 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das sind die Fraktionen der SPD und der Freien Wähler. Gegenstimmen? - Das sind die Fraktionen der CSU und der FDP. Enthaltungen? Das ist die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Damit ist der Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

Wer dem Dringlichkeitsantrag der GRÜNEN auf Drucksache 16/5046 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das sind die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Gegenstimmen? - Das sind die Fraktionen der CSU und der FDP. Enthaltungen? - Das ist die Fraktion der Freien Wähler. Damit ist dieser Dringlichkeitsantrag ebenfalls abgelehnt.

Wir kommen zur namentlichen Abstimmung über den Dringlichkeitsantrag der Fraktionen der CSU und der FDP auf Drucksache 16/5026. Die Urnen stehen bereit. Sind Sie mit drei Minuten einverstanden? - Das ist der Fall. Die Abstimmung ist eröffnet.

(Namentliche Abstimmung von 16.59 bis 17.02 Uhr)

Die drei Minuten sind um. Damit ist die Abstimmung geschlossen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze wieder einzunehmen.

Ich gebe zunächst das Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Aiwanger, Schweiger, Prof. Dr. Piazolo und anderer und Fraktion der Freien Wähler, betreffend Direktwahl des Bundespräsidenten auf Drucksache 16/5024 bekannt. Mit Ja haben 24 Mitglieder des Hohen Hause gestimmt, mit Nein 127. Es gab vier Stimmenthaltungen. Damit ist dieser Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 4)

Die Dringlichkeitsanträge auf den Drucksachen 16/5027, 16/5028, 16/5030, 16/5031, 16/5032 und 16/5049 werden den zuständigen Ausschüssen zur federführenden Beratung überwiesen.

Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 11 und 12 auf:

Antrag der Abgeordneten Dr. Simone Strohmayr, Christa Steiger, Diana Stachowitz u. a. (SPD) Hilfsangebote für Schwangere in Not ausbauen, Babyklappen erhalten und anonyme Geburt weiter ermöglichen (Drs. 16/3086)

und

Antrag der Abgeordneten Hubert Aiwanger, Tanja Schweiger, Prof. (Univ Lima) Dr. Peter Bauer u. a. und Fraktion (FW) Leben schützen - Babyklappen erhalten (Drs. 16/3240)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Erste Rednerin ist Frau Kollegin Dr. Strohmayr.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Hilfsangebote für Schwangere in Not ausbauen, Babyklappen erhalten und anonyme Geburt ermöglichen - wir setzen auf diesen Dreiklang, weil wir glauben, dass nur alle drei Maßnahmen zusammen dazu beitragen, Leben zu retten und schwangeren Frauen in Not nachhaltig zu helfen.

Wir brauchen einen weiteren Ausbau der Hilfsangebote für Schwangere in Not, obwohl wir damit schon jetzt nicht schlecht dastehen. Mir ist klar, dass es in Bayern eine ganze Menge an Angeboten gibt. Es gibt eine ganze Menge an Beratungsangeboten. Es gibt aber noch nicht überall die anonyme Beratung, es gibt noch nicht überall die begleitende Beratung in dieser

schwierigen Frage. Es gibt zwar das sehr gute und bewährte Projekt Moses. Davon gibt es in Bayern 18 Angebote. Man kann dieses Projekt aber sicher noch ausbauen. Es gibt auch noch nicht überall einen Notruf für Frauen über 24 Stunden. Dieser ist besonders wichtig, weil sich schwangere Frauen in Not in einer extremen Ausnahmesituation befinden, in der sie sich vielleicht erst in letzter Minute dazu entschließen, Hilfe anzunehmen. Deswegen muss ein Notruf über 24 Stunden am Tag bereitgehalten werden.

Die Hilfsangebote müssen niederschwellig sein. Sie dürfen keine weiteren Hürden aufbauen, die die Frauen davon abhalten, solche Angebote anzunehmen. Deswegen muss die Beratung und Begleitung der Frauen absolut anonym erfolgen können. Ziel der Beratung muss es auf jeden Fall sein, Frauen in Not mit persönlichen Lösungsansätzen zu helfen, damit sie ihre Kinder in einer medizinisch kontrollierten Umgebung gebären können. Diese Angebote müssen bei den Frauen noch bekannter werden. Es muss möglich sein, für diese Angebote zu werben. Wir brauchen auch eine bessere Vernetzung der verschiedenen Angebote, die wir bereits haben.

Darüber hinaus muss es auch die Babyklappe und die anonyme Geburt geben. Nur mit einem so umfassenden Angebot kann letztendlich Leben gerettet werden.

Es gibt nicht einfach die schwangere Frau in Not. Die Herkunft der Frauen und die Gründe für die Not sind vielfältig. Gründe können zum Beispiel Illegalität oder Schwierigkeiten aufgrund der Religion sein. Oft befinden sich die Frauen jedenfalls in absoluten Ausnahmesituationen. Sie sind überfordert. Sie fühlen sich in ihrer Existenz bedroht, und deswegen kann man nicht nur ein Angebot bereithalten, sondern wir brauchen einen breiten Strauß an Angeboten, damit jede Frau ihr Hilfsangebot findet.