Protokoll der Sitzung vom 15.06.2010

Ihre Redezeit ist wirklich vorbei, Frau Kollegin. Herr Kollege Fischer, Sie haben für die FDP das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist schade, dass Sie sich mit Ihrem Antrag, liebe Kollegen aus der SPD-Fraktion, auf den Koalitionsvertrag in Berlin beziehen, diesen aber offensichtlich nicht gelesen haben. Wenn Sie fordern, dass wir statt des Warnschussarrestes und der Erhöhung des Höchstmaßes der Jugendstrafe Präventionskonzepte stärken und ausbauen sollten, dann klingt das so, als ob wir gerade das nicht tun wollten. Genau das ist aber der Fall.

Die Regierungskoalition in Berlin ist sich einig darin: Prävention hat Vorrang vor Repression.

(Beifall bei der FDP)

Da Sie es offensichtlich nicht wissen, möchte ich Ihnen die drei Punkte darlegen, die die Regierungskoalition in Berlin in den Mittelpunkt der Bekämpfung der Jugendkriminalität gestellt hat. Da heißt es zunächst an allererster Stelle, die Jugendkriminalität solle dadurch bekämpft werden, dass alle Anstrengungen unternommen werden, um deren Ursachen entgegenzuwirken. In diesem Zusammenhang setzen wir uns dafür ein, Präventionskonzepte zu stärken und auszubauen. Unter Einbeziehung aller Verantwortlichen wollen wir erzieherische Ansätze verbessern. Das steht im Vordergrund.

(Beifall bei der FDP)

An zweiter Stelle steht - ich glaube, auch darin sind wir uns alle einig -, dass wir Vollzugsdefizite bei der konsequenten Durchsetzung des geltenden Jugendstrafrechts abbauen wollen. Auch hierbei gibt es, so glaube ich, keinen Dissens. Natürlich muss man aber auch die dritte Seite in Betracht ziehen: Prävention schließt eine angemessene Sanktionierung der Straftaten von Jugendlichen nicht aus, im Gegenteil. Es geht aber darum, das mit Augenmaß zu tun. Hierfür hat die FDP gesorgt. Eine pauschale Anwendung des Erwachsenenstrafrechts auf Heranwachsende wird es nicht geben. Auch in Zukunft kommt es bei heranwachsenden Tätern auf den Entwicklungsstand an, und das ist richtig.

(Beifall bei der FDP)

Neben all dem muss es aber - ich sage das mit großem Nachdruck - auch spürbare Reaktionen des Staates auf jugendliche Kriminalität geben. Damit komme ich zum Inhalt Ihrer beiden Spiegelstriche. Der Warnschussarrest ist keine Erfindung der CSU; der Warnschussarrest neben der zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe stand auch im Wahlprogramm der FDP zur Bundestagswahl.

(Zuruf des Abgeordneten Horst Arnold (SPD))

Dazu stehen wir auch. Auch wenn der Warnschussarrest sicher kein Allheilmittel ist, so ist er doch im Hinblick auf den Erziehungsgedanken im Jugendstrafrecht durchaus richtig.

Frau Kollegin Kamm, Sie sagten, es gebe keine Untersuchungen. Ich halte Ihnen entgegen: Es gibt sehr wohl Untersuchungen, die eines belegen, dass nämlich jeder Straftat die Sanktion, also die Strafe, auf dem Fuß folgen muss. Der Warnschussarrest soll den Betroffenen neben einer Bewährungsstrafe verdeutlichen, welche Konsequenzen weitere Straftaten haben. Damit werden nicht nur die pädagogischen Reaktionsmöglichkeiten erweitert; damit wird auch gerade verhindert, dass die betroffenen Jugendlichen die Bewährungsstrafe als eine Art Freispruch empfinden und vielleicht noch feiern.

(Beifall bei der FDP)

Damit komme ich zum zweiten Spiegelstrich, zur Erhöhung der Höchststrafe von zehn auf 15 Jahre. Hier gilt es eines vorauszuschicken: Wir reden hier nicht über Jugendliche oder Heranwachsende aus der mittleren oder gar kleinen Kriminalität. Wir reden auch nicht über ein Massenphänomen. Wir reden über ganz wenige Jugendliche oder Heranwachsende, die wegen Mordes vor Gericht stehen. Wenn Sie hier sagen, kein Mord wäre dadurch verhindert worden, so mögen Sie durchaus recht haben, aber das gilt genauso im Erwachsenenstrafrecht. Dann müssten Sie konsequenterweise auch für die Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe bei Mord plädieren.

(Lachen bei der SPD)

Das ist kein gültiges Argument.

Interessant ist etwas anderes. Interessant ist vielmehr, dass wir in der Tat gerade in diesem Punkt ein großes Ungleichgewicht zwischen Jugendstrafrecht und Erwachsenenstrafrecht haben. Dieses Ungleichgewicht führt dazu, dass ein Täter, der soeben das 21. Lebensjahr vollendet hat, eine lebenslange Freiheitsstrafe erhalten kann, während sein Mittäter, der etwas jünger ist, nur zehn Jahre inhaftiert wird, von denen er dann nur - das wurde ausgeführt - ein Drittel absitzen muss. Das ist weder den Opfern angemessen noch entspricht es einem Gleichklang von Jugendstrafrecht und Erwachsenenstrafrecht.

Deswegen unterstützen wir die Koalitionsvereinbarung. Die FDP steht hinter dieser Koalitionsvereinbarung. Sie ist der richtige Weg und berücksichtigt alle Ansätze.

(Beifall bei der FDP und Abgeordneten der CSU)

Danke, Herr Kollege Fischer. Bitte bleiben Sie am Rednerpult. Zu einer Zwischenintervention erteile ich Herrn Arnold das Wort. - Bitte.

Herr Kollege Dr. Fischer, zu der Ein-Drittel-Regelung möchte ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, wer den Strafvollzug beaufsichtigt? - Das ist die Jugendstrafkammer am Ort selbst. Ist Ihnen auch bekannt, dass diese Kammer nicht sklavisch daran gebunden ist, dass nur ein Drittel der Strafe abzusitzen ist, sondern dass es in den meisten Fällen zum Absitzen von nur einem Drittel nicht kommt, gerade bei diesen Straftaten?

Meine nächste Frage: Sie tun so, als ob es auf die Jugendlichen keinen Eindruck machen würde, wenn ein Jugendlicher oder ein Heranwachsender zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wird. Haben Sie so viel Misstrauen gegenüber unseren bayerischen Richterinnen oder Richtern, dass Sie glauben, diese wären nicht dazu in der Lage, eine ordentliche Bewährungsbelehrung abzugeben? Mit dieser Regelung will der Staat sein Vertrauen darauf zeigen, dass der Strafvollzug nicht unbedingt notwendig ist, um aus einem, der gefehlt hat, einen vernünftigen Menschen zu machen, sondern dass diese Warnung genau dazu dient. Wollen Sie etwa die ganze Bewährung abschaffen, um mit Ihren Worten zu reden? Das müssen Sie mir mal erklären.

(Beifall bei der SPD)

Kollege Arnold, ich antworte sehr gerne auf Ihre beiden Fragen. Zunächst zur ersten Frage: Natürlich ist mir bekannt, dass die Ein-Drittel-Regelung nicht zwingend ist. Es geht aber darum, dass sie möglich ist, dass tatsächlich, wie ich ausgeführt habe, die Möglichkeit besteht, dass ein verurteilter Jugendlicher nach einem Drittel dieser zehn Jahre freikommt. Ich habe nicht gesagt, dass das in allen Fällen so ist. Allein diese Möglichkeit halte ich für problematisch. Das gesamte System muss stimmen. Es besteht ein Ungleichgewicht zwischen Jugendstrafrecht und Erwachsenenstrafrecht, das mit dieser Änderung beseitigt wird.

(Beifall bei der FDP)

Zur zweiten Frage: Selbstverständlich will ich in keiner Weise in Abrede stellen, dass sowohl die Richter an den zuständigen Kammern als auch die Bewährungshelfer eine gute Arbeit leisten. Sie können aber doch nicht ernsthaft bestreiten, dass trotz dieser guten Arbeit bei vielen Betroffenen der Eindruck herrscht: Na ja, Bewährung, erst mal passiert nichts. Diesem Eindruck müssen wir entgegenwirken. Diesem Eindruck wirken wir dadurch entgegen, dass an die Jugendli

chen durch den Warnschussarrest eine klare Warnung ausgesprochen wird. Das halten wir für sinnvoll, und das schließt eine Lücke im System.

(Beifall bei der FDP)

Danke, Herr Dr. Fischer. Für die Staatsregierung hat sich noch Frau Dr. Merk zu Wort gemeldet, bitte schön.

Frau Präsidentin, Hohes Haus! Mit ihrem Antrag fordert die SPD eine Abkehr von den Zielen, die wir im Koalitionsvertrag zum Jugendstrafrecht vereinbart haben. Wir lehnen das dezidiert und kategorisch ab. Ich bedanke mich bei den Kollegen Rieger und Fischer und auch beim Kollegen Pohl dafür, dass sie die Aussage widerlegt haben, es gehe uns bei diesem Koalitionsvertrag nur um Strafe und nicht um Prävention und - vor allen Dingen - der Erziehungsgedanke würde nicht berücksichtigt. Das ist Unsinn.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie kennen mich gut genug, um zu wissen, dass ich die Prävention in meiner Amtszeit sowohl im Jugendstrafrecht als auch im Vollzug immer mit großem Nachdruck und Priorität auf der Agenda hatte. Sie wissen auch, dass wir diesbezüglich einiges vorzuweisen haben. Ich bin besonders da erfolgreich, wo ich in vergangenen Jahren die Dinge eigenständig erledigen konnte und nicht auf den Bundesgesetzgeber und die damalige Bundesjustizministerin angewiesen war. Sie können sich dessen sicher sein: Die Prävention kommt nicht zu kurz und ist natürlich auch - das hat Kollege Fischer gerade sehr deutlich dargestellt - im Koalitionsvertrag fixiert.

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein. - Das Jugendstrafrecht - in dieser Haltung stehen wir alle zusammen - hat sich bei nicht festgefahrenen Straftätern bewährt. In diesem Sinne wollen wir es auch weiter fortführen und vielleicht dort anpassen, wo das notwendig ist. Im Großen und Ganzen muss man aber ganz klar sagen, dass es sich bewährt hat.

(Unruhe)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie wissen genauso gut wie ich, dass in der Jugendkriminalität leider eine Entwicklung hin zu mehr brutaler, rücksichtsloser Gewalt festzustellen ist. Ich sage Ihnen ganz klar, das sage ich auch Ihnen, Frau Kamm: Wenn es einmal so weit ist, dann helfen weiche Maßnahmen alleine nicht mehr.

(Beifall bei der CSU und Abgeordneten der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Entwicklung mussten wir leidvoll erfahren. Denken Sie nur an die U-Bahn-Schläger, denken Sie an die Schweizer Jugendlichen, oder denken Sie an den grausamen Mord an Dominik Brunner. Diese Taten haben uns die neue Brutalität in voller Deutlichkeit vor Augen geführt.

(Unruhe)

Wenn wir hier reagieren müssen, geht es zunächst nicht um Prävention, sondern es geht um etwas anderes.

(Unruhe)

- Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube, das ist schon ein wichtiges Thema.

(Glocke des Präsidenten)

- Danke. Es geht darum, dass Strafmaßnahmen nicht nur aus der Sicht der Täter gesehen werden dürfen, sondern dass wir uns auch einmal auf die Seite der Opfer stellen und Strafe aus deren Sicht anschauen müssen.

(Beifall bei der CSU und Abgeordneten der FDP)

Es geht darum, ob die Strafe der Schuld angemessen ist. Es gibt von 16-Jährigen begangene Straftaten, angesichts derer zehn Jahre Jugendstrafe als Höchststrafe einfach nicht mehr ins System passen. Die vorhin genannten Taten sprechen Bände. Der Richter, der den Mord an der kleinen Vanessa in Gersthofen abzuurteilen hatte, hat deutliche Worte gefunden und seinerzeit ganz klar gesagt: Zehn Jahre Höchststrafe sind hier zu wenig. Deshalb steht im Koalitionsvertrag die Anhebung auf 15 Jahre Höchststrafe für diese wenigen, aber bedeutsamen Fälle. Das mögen zwar Einzeltaten sein, aber sie passieren viel zu oft, und sie sind bittere Realität.

Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie wissen auch, dass es jugendliche Kriminelle gibt, die grinsen, wenn sie mit einer kurzen Bewährungsstrafe den Gerichtssaal verlassen und die diese Entscheidung nicht ernst nehmen. Es geht nicht darum, ob ihnen die Entscheidung übermittelt worden ist, sondern wie sie damit umgehen. Deswegen steht der Warnschussarrest im Koalitionsvertrag. Ich finde es witzig, dass Sie damit argumentieren, es gebe damit noch keine Erfahrung, da es dieses Instrument noch gar nicht gebe.

Wenn ein solcher Jugendlicher eine Bewährungsstrafe bekommt, soll er spüren, was es bedeutet, eingesperrt zu sein. Er soll es zu einem Zeitpunkt spüren, zu dem die Strafe noch gering ausfällt und die Abschreckung noch Aussicht auf Erfolg hat. Das Zauberwort, meine sehr geehrten Damen und Herren, heißt "differenzierte Strafen". Dazu gehört auf der einen Seite, dass wir die Prävention ernst nehmen. Mein Vorschlag eines Drei-Monats-Arrests mit begleitender Therapie ist als Chance für delinquente Jugendliche zu verstehen, aus ihrem Umfeld herauszukommen, Betreuung, Fürsorge und entsprechende Erziehung zu bekommen, um nicht mehr straffällig zu werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dazu gehören schnelle und konsequente Strafen, die angemessen sind und bei denen das Opfer merkt, dass der Staat hinter ihm steht. Deshalb lehnt die Koalition Ihren Antrag ab.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Frau Ministerin, bleiben Sie noch einen Moment, Frau Kollegin Kamm hat sich zu einer Zwischenbemerkung gemeldet.

Frau Ministerin, Sie geben vor, dass Ihnen Prävention ein großes Anliegen sei. Wie erklären Sie sich dann, dass die Betreuung aufgrund jugendrichterlicher Weisungen, wie Arbeitsweisung und Betreuungsweisung und so weiter, und auch präventive Maßnahmen wie arbeitsmarktbezogene Hilfen, Schuldenregulierung, Elternarbeit und so weiter, stets freiwillige Leistungen der Kommunen sind, auf finanzielle Zuschüsse der Kommunen, Bußgelder und Spenden angewiesen sind und daher in Bayern nicht flächendeckend angeboten werden können? Steht das nicht im Konflikt zu Ihrer Aussage, dass Prävention wichtig sei?

Frau Ministerin.