Protokoll der Sitzung vom 14.07.2010

(Beifall bei der CSU)

Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag und danke herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CSU)

Bitte bleiben Sie noch, Herr Kollege. Ich habe mittlerweile zwei Anmeldungen zu Zwischenbemerkungen. Als Erste hat sich Frau Kollegin Ackermann von den GRÜNEN zu Wort gemeldet.

Herr Kollege Seidenath, könnte es sein, dass die Formulierung "empörend" vom Flüchtlingsrat deshalb kam, weil die lange Zeit der Hoffnung durch den Kompromiss, den Sie gebracht haben, zerstört wurde? Sie hatten wirklich gedacht, Sie würden einen großen Schritt nach vorne machen. Aber jetzt müssen sie wieder sehen, die Flüchtlinge bleiben sechs Jahre in der Einrichtung. Ein großer Teil kommt überhaupt nicht in den Genuss, weil er mit einem völlig unklaren Rechtsbegriff als "an der Mitwirkungspflicht gescheitert" bezeichnet wird.

Es werden massenhafte Einzelfallprüfungen angekündigt, welche die Willkür von Ausländerbehörden stärken und den Flüchtlingen keine Gleichbehandlung sichern. Wie steht es um die Ernsthaftigkeit Ihres Asylkompromisses, wenn die Regierungen jetzt noch keine Ausführungsbestimmungen haben? Sie wissen noch nicht, wie sie bei diesen Richtlinien handeln sollen.

Vielen Dank. Herr Kollege Seidenath, bitte.

Frau Ackermann, ich bin zwar weder Germanistikprofessor noch Deutschlehrer, aber ich weiß, dass der Begriff "empörend" etwas anderes bedeutet, als zu sagen, der Flüchtlingsrat sei enttäuscht. Sie haben gerade von Enttäuschung gesprochen; das könnte man verstehen. Eine Empörung über diese Regelung, die tatsächlich humanitäre Verbesserungen mit sich bringt, ist unangebracht. Darüber habe ich mich in der Tat - und ich denke, zu Recht - empört.

(Beifall bei der CSU)

Zu den beiden Punkten, die ich genannt habe, nämlich Residenzpflicht und Leitlinien, liegen Ausführungsbestimmungen vor. Das sind gültige, anwendbare Rechtsvorschriften.

Die weiteren Punkte - die Möglichkeit, aus Gemeinschaftsunterkünften auszuziehen, oder die genannte Obergrenze - werden jetzt durch den Antrag geregelt, dem wir hoffentlich alle zustimmen. Darin wird die Staatsregierung aufgefordert, die Eckpunkte, die ich geschildert habe, in gültiges Recht zu überführen. Das kann die Staatsregierung aber erst tun, nachdem wir den Antrag beschlossen haben. Wir gehen, wie ich vorhin schon gesagt habe, davon aus, dass das dann rasch geschehen wird.

Vielen Dank, Herr Kollege. Als Nächster hat sich Herr Dr. Fahn von den Freien Wählern zu Wort gemeldet; bitte schön.

Ich habe noch eine Frage zum Sachleistungsprinzip. Sie sagen immer, Sie müssten § 3 des Asylbewerberleistungsgesetzes beachten. Das ist doch ein Bundesgesetz, und wenn ich mich recht erinnere, ist Ihre Partei auch in der Bundesregierung vertreten. Wenn es Ihnen mit dieser Sache ernst ist, könnten Sie doch auf Bundesebene tätig werden, zumal sich 13 andere Bundesländer auch dafür einsetzen, dass das geändert wird. Herr Seidenath, das müsste doch möglich sein. Sie verstecken sich immer wieder hinter § 3 und behaupten, Sie dürften das nicht tun, und die anderen, die das machen würden, täten das alle illegal. Sie müssen das schon offensiver vertreten, damit Ihre Aussage glaubhaft ist.

Sie sagen, das werde evaluiert. Sagen sie mir doch bitte konkret, was das bedeutet. Ich kenne nur die Aussage von Innenminister Herrmann: Wir wollen die bundespolitische Meinungsbildung abwarten. Das ist doch keine Evaluation. Was verstehen Sie darunter?

Ihr Gesetzentwurf bringt eigentlich viel zu wenig, weil immer der Finanzierungsvorbehalt im Wege steht. Frau Ackermann hat das ganz richtig gesagt: Wenn Sie die Richtlinien alle umsetzen, wird das Kosten bedeuten, und das Geld dafür müssen Sie aufbringen; sonst erwecken Sie nur falsche Hoffnungen. Die vorgebrachten Bedenken sind also daher richtig. Definieren Sie also, was Sie unter Finanzierungsvorbehalt verstehen. Bedeutet das, dass Sie überall sagen, Finanzierungsvorbehalt, Finanzkrise, das geht nicht?

Herr Kollege Seidenath, Sie haben das Wort zur Erwiderung.

Herr Dr. Fahn, Sie haben sich selbst die Antworten auf beide Fragen

schon gegeben. Zur zweiten Frage brauche ich nichts zu sagen, weil ich darauf gar nicht eingegangen bin. Sie haben zum Sachleistungsprinzip sehr treffend ausgeführt, dass man natürlich die Regelung auf Bundesebene ändern muss. Es gibt im Koalitionsvertrag die Passage - das habe ich in meinen Ausführungen dargestellt -, dass das Sachleistungsprinzip daraufhin evaluiert wird, ob es geändert werden muss oder nicht. Die Bundesregierung steht gerade in dieser Prüfung, und man muss abwarten, was dabei herauskommt. Das bedeutet meine Aussage und nichts anderes. Darauf müssen Sie warten. Das passt sehr gut, zu dem, was der Innenminister hier betont, dass einfach die bundesrechtlichen Regelungen abzuwarten sind. Ich sage noch einmal: Sie haben sich die Antworten gerade selbst gegeben.

(Dr. Hans Jürgen Fahn (FW): Sie können sich doch offensiv dafür einsetzen!)

Vielen Dank, Herr Kollege. Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen zu Zwischenbemerkungen vor. Wir fahren daher in der Rednerliste fort. Ich darf Kollegin Brigitte Meyer für die FDP-Fraktion das Wort erteilen, bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Es war in der Tat ein langer und anstrengender Weg, den wir in der Asylpolitik in den letzten Monaten zurückgelegt haben. Rückblickend möchte ich sagen, dass es für mich auf diesem Weg zwei besonders starke Eindrücke gegeben hat, zum einen die Expertenanhörung im Sozialausschuss im April 2009 und zum anderen die Besichtigung von einigen Gemeinschaftsunterkünften, wo Asylbewerber untergebracht sind. Die Experten haben uns bei der Anhörung des sozialpolitischen Ausschusses die Situation der Asylbewerber sehr realistisch geschildert. Die Zustände in solchen Gemeinschaftsunterkünften sind in der Tat deprimierend. Jeder von den Kollegen, die hier im Landtag sitzen, sollte einmal eine solche Unterkunft von innen gesehen haben.

(Beifall bei der FDP, der SPD und den GRÜNEN)

Im September des Jahres 2009 haben die Mitglieder des Sozialausschusses eine Informationsreise nach Leverkusen gemacht. Was wir dort erfahren haben, hat über die Parteigrenzen hinweg bei vielen von uns Visionen von einer modernen Asylpolitik geweckt. Das von der Stadtverwaltung Leverkusen, dem Caritasverband, dem Ausländerbeirat und dem Flüchtlingsrat gemeinsam entwickelte Leverkusener Modell ist ein Konzept zur Unterbringung von Flüchtlingen in dezentralen Privatwohnungen. Ziel des Modells ist es, die Integration der Flüchtlinge zu fördern und ihre Selbstständigkeit und Eigenverantwortung zu stärken.

Man kann dieses Modell allerdings nicht unmittelbar auf Bayern übertragen.

(Dr. Hans Jürgen Fahn (FW): Warum nicht?)

Ich bedauere, dass es bei uns in Bayern zunächst noch eine Vision bleiben wird.

(Dr. Hans Jürgen Fahn (FW): Warum?)

Nach all den zähen und langwierigen Verhandlungen mit dem Koalitionspartner sind wir ein gutes Stück auf dem Weg zu einer humanen Asylpolitik vorwärtsgekommen; das empfinde ich wirklich so. Es entspricht nicht meinem Naturell, Dinge schönzureden; deshalb kann ich das Ergebnis auch nicht als hundertprozentig zufriedenstellend bezeichnen. Es ist aber Bewegung in die Asylpolitik in Bayern gekommen, die - darin werden Sie mir sicher zustimmen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition - man sich vor eineinhalb Jahren überhaupt noch nicht vorstellen konnte.

(Beifall bei der FDP)

So haben wir von der FDP erreicht - das war unsere Initiative, die wir in der Koalition mit einem Antrag bestätigt und unterstützt haben -, dass im Koalitionsvertrag in Berlin festgeschrieben wird, dass das Sachleistungsprinzip evaluiert werden soll und die Residenzpflicht im Grundsatz zu überprüfen ist. Das sind zwei Anliegen, die auf Bundesebene angepackt werden müssen.

Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Menschen mit Essenspaketen zu versorgen, widerspricht der Vorstellung der FDP vom Umgang mit mündigen Menschen. Menschen, die es geschafft haben, aus ihrem Heimatland zu fliehen, haben aus unserer Sicht eindrucksvoll bewiesen, dass sie selbstständig und stark sind. Wir glauben daran, dass diese Menschen in der Lage sind, sich selbst zu versorgen und bei uns ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

(Beifall bei der FDP, den Freien Wählern und den GRÜNEN)

Deshalb warten wir gespannt auf das Ergebnis der Evaluation in Berlin. Wie Sie schon gesagt haben, Herr Dr. Fahn, ist die FDP an der Koalitionsregierung in Berlin beteiligt. Deswegen werden wir uns dafür stark machen - wir befinden uns bereits in Gesprächen -, dass hier etwas passiert.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Wir können alle ganz besonders - das sollte man wirklich einmal von allen Seiten anerkennen - auf die Lo

ckerung der Residenzpflicht stolz sein. Es ist ein ganz, ganz großer Erfolg, dass sich Asylbewerber nicht nur in einem Landkreis oder in ihrer kreisfreien Stadt, sondern im gesamten Regierungsbezirk und darüber hinaus noch in den Nachbarlandkreisen frei bewegen können. Damit haben wir die liberalste Regelung in ganz Deutschland geschaffen.

(Beifall bei der FDP)

Manche Kritiker sagen immer noch, das gehe nicht weit genug und die Bewegungsfreiheit müsste für ganz Bayern gelten. Das würde ich zwar unterstützen, aber im Rahmen der derzeit geltenden Gesetze auf Bundesebene ist das nicht möglich. Wir sind mit unserer Regelung bis an die Grenzen des rechtlich Zulässigen gegangen. Eine weitere Lockerung ist nur mit einer Änderung des Asylverfahrensgesetzes möglich. Deshalb haben wir hier beantragt, dass das auf Bundesebene überprüft wird. Frau Weikert hat sehr ehrlich und korrekt gesagt, dass in der Vergangenheit alle Parteien in irgendeiner Weise an den bestehenden, bis heute geltenden Gesetzen auf Bundesebene mitgewirkt haben.

Ich möchte nicht zurückschauen, sondern nach vorne. Tatsache ist, dass die Lockerung der Residenzpflicht nicht nur eine räumliche, sondern auch eine finanzielle und menschliche Verbesserung für die Flüchtlinge darstellt. Jetzt müssen sie nicht mehr für jeden Besuch in die Nachbarstadt als Bittsteller beim Ausländeramt auftreten und dafür noch eine Gebühr entrichten. Erfreulich ist, dass die neue Regelung seit einigen Wochen von den Behörden angewandt wird, obwohl die diesbezügliche Verordnung zunächst den regulären Verfahrensablauf durchlaufen muss. Für diese unbürokratische und schnelle Lösung möchte ich an dieser Stelle dem Innenministerium und den Ausländerbehörden Danke sagen.

(Beifall bei der FDP)

Eine in meinen Augen sehr wichtige Verbesserung, für die wir uns als FDP eingesetzt haben, ist die frühe Diagnostik vulnerabler Flüchtlinge in den Erstaufnahmeeinrichtungen. Traumatisierte Flüchtlinge brauchen therapeutische Hilfe. Viele Flüchtlinge haben in ihrem Herkunftsland schlimme Dinge erlebt und hatten eine beschwerliche Reise hierher. Um ihnen eine echte Chance auf ein zukünftiges normales Leben zu geben, bedarf es einer zeitnahen Aufarbeitung der Erlebnisse.

Selbstverständlich wissen wir, dass die zwei Stellen zunächst einmal nur ein Einstieg sein können. Sie sind der Tropfen auf dem heißen Stein. Sie reichen nicht aus. Dennoch sind sie ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Die Verbesserung der Gemeinschaftsunterkünfte stand im Fokus der Gesetzentwürfe der SPD, der Freien Wähler und der GRÜNEN. Auf diesem Weg konnten kleine Verbesserungen erzielt werden. Wir werden sie im gemeinsamen Antrag der CSU und der FDP zur Abstimmung stellen und dafür um Ihre Zustimmung werben.

Von nun an soll die Gemeinschaftsunterkunftspflicht nach Abschluss des behördlichen Erstverfahrens für Familien sowie für Alleinerziehende mit Kindern enden, sobald ein rechtliches oder faktisches Ausweisungs- oder Abschiebungshindernis besteht. Das ist richtig. Über den Satz, Schwangere sollten eine besondere Berücksichtigung erfahren, kann diskutiert werden. Es handelt sich um einen Kompromiss.

Der bisher geltende Vier-Stufen-Plan für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge soll im Zuge der Rücknahme der Vorbehaltserklärung der UN-Kinderrechtskonvention überprüft werden. Für alle Asylbewerber gilt von nun an: Nach einem Ablauf von vier Jahren und nach Abschluss des Erstverfahrens entfällt die Gemeinschaftsunterkunftspflicht. Eine private Wohnsitznahme kann in Anspruch genommen werden. Unabhängig davon muss niemand in einer Gemeinschaftsunterkunft wohnen, dem es aufgrund humanitärer Gründe wie Krankheit, Behinderung oder posttraumatischen Belastungsstörungen nicht möglich ist, dort zu verbleiben. Wer über Einkommen oder Vermögen verfügt - also arbeiten gehen kann -, seinen Lebensunterhalt eigenständig bestreitet oder Teil einer sogenannten Mischfamilie ist, ist ebenfalls von der Gemeinschaftsunterkunftspflicht befreit.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich spreche vor allem die Kolleginnen und Kollegen aus der Opposition an. Wir haben uns als FDP sehr stark für Verbesserungen in der Asylpolitik eingesetzt. Wir haben um jeden einzelnen Schritt gekämpft. Das Ergebnis ist ein Kompromiss. Wenn Sie diesen Kompromiss nicht mittragen, wird sich gar nichts verändern.

(Beifall bei der FDP)

Viele der Punkte, die Sie in Ihren Gesetzentwürfen fordern, sind in unserem Antrag enthalten oder zum Teil schon angestoßen. Einige der von der FDP befürworteten Punkte ließen sich leider noch nicht verwirklichen. Den Kompromiss, den wir heute verabschieden, müssen wir mit Leben erfüllen und umsetzen. Frau Ackermann, Sie haben eben darauf hingewiesen. Jetzt kommt es auf die Art der Umsetzung an. Hier werden wir gefordert sein. Wir werden weiter für die Anliegen der Flüchtlinge kämpfen.

Die intensive Beschäftigung mit der Situation der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, deren Schick

sal mir sehr am Herzen liegt, hat gezeigt, dass dieser Punkt unbedingt geklärt werden muss. Mit dem Antrag fordern wir Information darüber, inwieweit Bayern Veränderungen vornehmen muss. Ich erwarte mit Spannung die Ergebnisse der Anfrage, die wir an die Regierung gestellt haben.

Ich gebe zu, ich hatte am Anfang dieser Diskussion vor einem Jahr eine Vision. In meiner Vision haben wir am Ende dieses einjährigen Weges in der Asylpolitik Verbesserungen erzielt, die wir alle gemeinsam tragen können. Alle Kolleginnen und Kollegen, auch innerhalb der CSU, haben für diese Vision gekämpft. Selbst wenn das Ergebnis noch hinter den Wünschen zurückbleibt, sind deutliche Verbesserungen im Sinne der Menschen, die heute bei uns sind, erkennbar. Ziele erreicht man auch mit kleinen Schritten. Ich bitte um Ihre Unterstützung.