Protokoll der Sitzung vom 14.10.2010

Die Zukunft Bayerns als eines weltoffenen Landes hängt entscheidend davon ab, inwieweit Unternehmer, Existenzgründer und Fachkräfte aus aller Welt bereit sind, am Standort Bayern zu wirtschaften und zu arbeiten.

(Beifall bei der FDP - Markus Rinderspacher (SPD): Hört, hört!)

Meine Damen und Herren, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, abschließend darf ich festhalten: Die Staatsregierung führt Bayern mit Innovationen, mit Investitionen und mit neuen Talenten in die Zukunft. Wir sind ein Land, in dem es sich für Unternehmen lohnt, zu investieren. Wir sind ein arbeitnehmerfreundliches Land, weil hier attraktive Arbeitsplätze der Zukunft entstehen. Wir sind ein innovationsfreundliches Land und wollen bei neuen Technologien an der Spitze stehen. Wir sind ein weltoffenes Land, und das werden wir auch bleiben.

(Beifall bei der FDP und Abgeordneten der CSU)

Meine Damen und Herren, so wird Bayern auch in Zukunft beste Lebensperspektiven für alle seine Menschen bieten. Lassen Sie uns gemeinsam dafür kraftvoll arbeiten.

(Anhaltender Beifall bei der FDP und der CSU)

Vielen Dank, Herr Staatsminister. Ich eröffne die Aussprache. Im Einvernehmen mit den Fraktionen wurde im Ältestenrat eine Redezeit pro Fraktion von 30 Minuten vereinbart. Ich darf als Erstem für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen Roos das Wort erteilen. Bitte schön, Herr Kollege.

Verehrte Frau Präsidentin, Hohes Haus, sehr geehrter Herr Minister Zeil! Zukunft durch Talente, intensive Einbindung von Migranten in das Erwerbsleben, Akquirierung qualifizierter Fachkräfte aus dem Ausland. Türkischer Ingenieur, tunesischer Mathematiker - ist das so gemeint? Weiß das der Herr Ministerpräsident Seehofer? Ich stelle ab auf die unverantwortliche Stimmungsmache eines vermeintlichen Spitzenpolitikers, der auf niedrige Instink

te a là FPÖ in Wien setzt. So darf man Wahlerfolge, Stimmungserfolge nicht erzielen.

(Beifall bei der SPD)

Herr Ministerpräsident, das ist immer noch die alte Lebenslüge der CSU, dass Deutschland, dass Bayern kein Einwanderungsland ist. Dagegen müssen wir uns wenden.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe Mitleid mit einem aus den Reihen der CSU, nämlich mit dem Migrationsbeauftragten. Lieber Martin, Du hast nicht verdient, dass Dein Ministerpräsident und Parteivorsitzender so vorgeht.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Jetzt wende ich mich wieder an die Reihen der FDP: Gestern war ein Empfang der CSU für Hochzeitslader. Möge jeder denken, was er will. Ob Sie schon wieder auf Brautschau sind?

(Thomas Hacker (FDP): Die SPD haben Sie nicht gemeint?)

Herr Zeil, ich empfehle Ihnen: Beim Schafkopf spielen Sie einen Wenz, wo der Unter den Ober sticht! Anscheinend gibt es hier zu wenig Experten.

(Heiterkeit bei der SPD - Thomas Hacker (FDP): Das war zu kompliziert! Wir müssen mehr in die Bildung investieren!)

Zu den Fakten: Deutschland und Bayern sind tendenziell auf dem Weg zum Abwanderungsland. Seit dem Jahr 2008 verlassen Deutschland mehr Migranten und Deutsche als zuwandern. Das ist Anlass, die Alarmglocken zu läuten. Die SPD in Bund und Land würde Bayerns Regierung bei der Forderung unterstützen, einen Punktekatalog für die Zuwanderung einzuführen, auch für die Zuwanderung aus Ländern außerhalb der EU. Angesichts der demografischen Entwicklung sollten wir jedoch nicht zu wählerisch sein. Gut 100.000 Deutsche haben zwar einen Job, aber ohne jedwede Ausbildung. Was fällt SchwarzGelb zu diesem Qualifizierungsbedarf ein? Sie kürzen die Zuschüsse an die Bundesagentur für Arbeit und die Bildungsträger gehen in die Insolvenz. Eine Beschäftigungsbrücke? Eine Beschäftigungskrücke. Sie sollten die Berufsschulen und die Hochschulen für die Weiterbildung von Erwachsenen öffnen. Hier schließe ich mich meiner Kollegin Isabell Zacharias an.

(Beifall bei der SPD)

Krise mit Bravour gemeistert? Herr Zeil, Sie sprechen von 3,2 % Wirtschaftswachstum in Vergleich zum

Jahr 2009. Ich frage Sie: Warum vergleichen Sie das Wirtschaftswachstum nicht mit den Jahren 2007 und 2008? Herr Brossardt von der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. - vbw - schätzt, dass noch mindestens ein bis zwei Jahre ins Land gehen werden, bis wir den damaligen Status erreichen, ganz zu schweigen von einem Wachstum darüber hinaus. In der Politik sollte man ehrlich sein und keine rosa Schminke verteilen.

(Beifall bei der SPD)

Die Exporte ziehen an. Das ist richtig. Die Binnenkaufkraft darbt jedoch nach wie vor. Da die Wachstumstreiber gleichwertig sind, muss hinsichtlich des ökonomischen Mehrwerts mehr getan werden. Sie leisten sich eine einsame Einschätzung: Der Bau ziehe wieder an. Wo haben Sie das her? Die Verbände der bayerischen Bau- und Wohnungswirtschaft berichten von einem Einbruch in Höhe von 13,5 % im Jahre 2009 gegenüber 2008. In der Oberpfalz beläuft sich der Einbruch auf sagenhafte 34 % und in der Aufsteigerregion Niederbayern, aus der ich komme, auf ein Minus von 22 %. Die Zahl der neu gebauten Wohnungen befindet sich auf einem historischen Tiefststand von 30.000. 1995 waren es gut 110.000. Ein nachhaltiges und wirksames Konjunkturprogramm wäre es, in diesem Bereich alljährlich zweistellige Zuwachsraten zu schaffen, um Wachstum zu generieren.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben die Unternehmen, die Tarifparteien und die Staatsregierung als Krisendompteure benannt. Was ist mit den Menschen? Sie haben in Ihrer Rede einen kleinen Halbsatz ergänzt, dass es des Fleißes der Menschen bedürfe. Es bedarf aber durchaus auch des Geldbeutels der Bürger. Der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank Weise, hat gestern auf einer Veranstaltung, die wir beide besuchten, gesagt, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer 6 Milliarden Euro zur Krisenbewältigung beigetragen hätten, indem sie durch Kurzarbeiterregelungen auf Einnahmen verzichtet hätten. Die Unternehmen haben 7 Milliarden Euro beigetragen. Dies ist ein Beitrag auf Augenhöhe, der wertgeschätzt werden muss. Dieser Beitrag darf nicht einfach unter den Tisch fallen.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sollten uns schon daran erinnern, dass es Olaf Scholz, der Bundesarbeitsminister der schwarz-roten Koalition war, der die Kurzarbeit gegen den Widerstand der Konservativen und der Liberalen privilegiert und ausgebaut hat. Das ist noch nicht so lange her. Das war

die Basis für das bayerische Jobwunder. Hier liegt das Copyright.

(Beifall bei der SPD)

Unverschämt wird es beim Konjunkturpaket II. Herr Minister Zeil, die Wahrheit ist doch, dass der Freistaat mit klebrigen Fingern Geld von den Kommunen abgezweigt hat.

(Beifall bei der SPD)

Den Kommunen wurden etwa 400 Millionen Euro vorenthalten. Ich habe die niederbayerischen Zahlen noch genau im Kopf: Statt 141 Millionen Euro kamen 65 Millionen Euro bei den Kommunen an.

Wo Kritik, da auch Lob. Schließlich will ich nicht einseitig sein. Ich nenne zunächst den hohen Industrieanteil. Ich freue mich außerordentlich, dass der Weg in die Wissensgesellschaft nicht nur über die Dienstleistung läuft, sondern dass diese Gesellschaft auch Fertigung und Technologie braucht, industrienahe Dienstleistung und hybride Unternehmen. Respekt für diese Erkenntnis in der Tradition eines Karl Schiller und vielleicht auch eines Otto Wiesheu, um die CSUler zu besänftigen.

(Thomas Hacker (FDP): Apropos Hochzeitslader!)

Herr Seehofer, Sie stehen aber nicht in dieser Tradition. Sie sagen, eine Reindustrialisierung sei unnötig. Sagen Sie einmal den Menschen im Bayerischen Wald, dass die Reindustrialisierung nicht notwendig sei. Ich sehe das ganz anders.

(Beifall bei der SPD)

Ich gebe Herrn Zeil auch recht, wenn er sagt: Mehr Ingenieure, weniger Finanzjongleure. Haben Sie sich Ihre Koalitionäre einmal wirklich angesehen? Haben Sie eine politische Due-Diligence-Prüfung gemacht? Hier sitzen nach wie vor ein Schmid und ein Huber, die zehn Milliarden des bayerischen Volksvermögens in die Binsen gehauen haben. Man kann das nicht anders sagen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Das sind politische Finanzjongleure, Hasardeure und Bankrotteure, die den Steuerzahler nach wie vor viel Geld kosten. Die letzten Tage haben es gezeigt: Ministerpräsident a. D. Dr. Stoiber hat Amnesie. Warnhinweise österreichischer Experten beim HGAA-Deal wurden in den Wind geschlagen. Korruption und Vetternwirtschaft: Die CSU ist Teil der Krise, die wir miteinander bewältigen müssen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN - Alexan- der König (CSU): Ist heute der 1. Mai?)

Sparen und investieren? Auf dürftigen 13 Zeilen wollen Sie duschen, ohne nass zu werden. Ausgeglichener Haushalt? Vor der Sommerpause hatten Sie sich zu massiven Investitionen in Familie, Bildung und Innovation bekannt. Nun opfern Sie diese auf dem Altar des Stoiberschen Dogmas - inzwischen in der Seehofer-Adaption - vom ausgeglichenen Haushalt. Das geschieht zulasten der Kommunen, zulasten der Unternehmen, zulasten der Familien, der Bildung und der Innovation.

Sehr geehrter Herr Zeil, so verkommt die Abkürzung FBI zu "Fehler, Banalitäten und Ignoranz".

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Zukunft durch Innovationen: Die Wir-sind-wir-Mentalität und das An-der-Spitze-stehen gehören zum bayerischen Programm. Dies ist allerdings auch bildlich gesprochen; denn es fehlt allerorten an Dynamik. Stillstand wäre zwar übertrieben, aber statische Selbstzufriedenheit trifft die Situation sehr gut.

Die Forschungs- und Entwicklungszielsetzung bis zum Jahr 2013 liegt bei 3,2 % des Bruttoinlandsprodukts. Welch anspruchsvolles Ziel. Sie nicken. Es ist aber nicht so; denn Baden-Württemberg, das wir angeblich überholt haben, weist heute schon 4,4 % auf.

Thomas-Frank Dapp von Deutsche Bank Research hat die Innovationskraft der deutschen Bundesländer in einem aufwändigen und ebenso anerkannten Verfahren verglichen. In der Niveau-Betrachtung für das Jahr 2007 kommt er in der Tat zu einem schmeichelhaften Ergebnis für beide Staaten der Südschiene. Auf Platz eins liegt Baden-Württemberg, Bayern liegt gleichauf. Die Wertung der Dynamik und der Veränderungen in den Jahren von 2003 bis 2007 trennt jedoch die bayerische Spreu vom baden-württembergischen Weizen. Baden-Württemberg liegt hier auf Platz 1, Bayern auf Platz 9, kurz vor MecklenburgVorpommern und Bremen. Das ist ein toller Benchmark.

Das gleiche Bild ergibt sich bei den Forschungs- und Entwicklungsausgaben mit einem Minus von 0,15 %. Bei den Hochschulabsolventen haben wir ein kleines Plus von 4 %. Bremen hat 16 %. Bei den Patentanmeldungen haben Sie pro einhunderttausend Einwohner ein Minus von sechs Prozent. Bei den Erwerbstätigen haben wir bei uns ein Plus von einem Prozent, in Berlin-Brandenburg ist es ein Plus von 4,7 %. Das liest sich wie das Psychogramm eines Leistungssportlers, der sich auf den Lorbeeren der Vergangenheit ausruht.

Den Vogel allerdings schießen Sie mit einer allzu rosa gefärbten Bilanz der Breitbandinitiative ab. Sie haben es nicht vermocht, den Geburtsfehler zu beseitigen, den unter anderem auch Erwin Huber verursacht hat. Er hat den Kommunen die Verantwortung für Breitbandanschlüsse zugeschoben. Gerade kleinere Gemeinden haben keine Chance, gegenüber der Marktmacht der großen Telekommunikationsanbieter zu bestehen. Sie sind in ihrer Unprofessionalität Mvox relativ wehrlos ausgeliefert.

(Beifall bei der SPD)

Ansiedlungswillige müssen ebenso wie Private mit vorsintflutlichen Übertragungsraten auskommen, die eine Ansiedlung unmöglich machen Darauf müssen Sie den Fokus richten. Sie müssen die Staatsstraßen des Glasfasernetzes ausbauen. Österreich haben wir, die SPD-Fraktion, schon vor zwei Jahren als beispielgebend gesehen. Vor etwa einem Jahr sind zumindest Teile der CSU-Fraktion nach Oberösterreich gefahren. Geholfen hat es aber immer noch nicht. Jetzt kommt der Clou: Klammheimlich wollen Sie, Herr Zeil, das Programm im Jahr 2011 fortschreiben. Ursprünglich wollten Sie 2010 fertig sein. Zum Jahresende 2010 wollten Sie die weißen Flecken auf der Landkarte gelöscht haben. Das ist nicht geschehen. Das ist für mich ein blankes Eingeständnis des Scheiterns.