Protokoll der Sitzung vom 27.10.2010

anwendbar sei. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und GRÜNEN, verstehe ich Ihre Krokodilstränen um die nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Paul Wengert (SPD))

In diesen Wildwuchs an Regelungen traf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Es hat dazu geführt, dass ein gefährlicher Gewaltverbrecher eine Entschädigung in Höhe von 50.000 Euro zugesprochen bekam, weil eine über die zulässige Höchstdauer hinausgehende Sicherungsverwahrung eines Verurteilten gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt. Das ist ein Ergebnis, das uns alle nicht befriedigen kann und dringenden Handlungsbedarf angemahnt hat. Deswegen sage ich ganz ausdrücklich: Es ist höchste Zeit, dass die Reform der Sicherungsverwahrung angepackt wurde, und die Reform ist richtig.

Die Reform hat drei Kernelemente. Sie verzichtet auf die nachträgliche Sicherungsverwahrung. An dieser Stelle kann ich die Auffassung des Herrn Kollegen Dr. Herrmann nicht teilen. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung ist unvereinbar mit der Menschenrechtskonvention. Wer das nicht sehen will, riskiert weitere Verurteilungen der Bundesrepublik. Das ist nicht zielführend.

Die nachträgliche Sicherungsverwahrung ist überflüssig. Etwa 100 Anordnungen von Gerichten sind meist in letzter Instanz aufgehoben worden. Viele Gefangene sind freigelassen worden, da die Notwendigkeit einer Sicherungsverwahrung nur bei wenigen bestätigt werden konnte. Gegenwärtig befinden sich 6.000 bis 10.000 Strafgefangene in Haft, bei denen unklar ist, ob die Sicherungsverwahrung verhängt werden kann. Dass dies rechtstaatlich nicht unproblematisch ist, leuchtet ein.

Schließlich ist die Sicherungsverwahrung ein bürokratisches Monstrum, das nicht erfolgreich war. Deswegen ist die Entscheidung, sie abzuschaffen, richtig. Sie muss jedoch einhergehen mit einem Ausbau der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung. Das ist ebenfalls ein Bestandteil der Regelung, die jetzt getroffen wird.

Die vorbehaltene Sicherungsverwahrung wird ausgedehnt. Herr Kollege Schindler, ich begrüße das. Ich halte es für richtig, dass nicht erst abgewartet werden muss, bis ein Täter zum zweiten Mal eine schwere Straftat begeht, sondern dass schon beim Ersttäter die vorbehaltene Sicherungsverwahrung greifen kann. Das ist ein Beitrag zu mehr Sicherheit, den wir unseren Bürgerinnen und Bürgern schuldig sind.

(Beifall bei der FDP)

Die primäre Sicherungsverwahrung wird auf die Fälle beschränkt, die wirklich wichtig sind, nämlich auf Sexual- und Gewaltdelikte. Bei reinen Vermögensdelikten wird sie nicht mehr angewendet werden. Das ist ein richtiger Weg.

Fazit: Wir haben die Lösung für ein schwieriges Feld, die von den fachlich zuständigen Polizeigewerkschaften begrüßt wird. Die Gewerkschaft der Polizei - GdP - spricht davon, dass der schwierige Spagat zwischen der größtmöglichen Sicherheit für die Bevölkerung und den Grundsätzen der Menschenrechte gewagt werden müsse. Der Vorsitzende hat gesagt, eine bessere Lösung falle ihm auch nicht ein.

Die Deutsche Polizeigewerkschaft begrüßt diese Regelung ebenfalls und sagt, die Länder müssten rasch entsprechende Einrichtungen schaffen, die sich deutlich vom Strafvollzug unterschieden. Ich bin zuversichtlich, dass in Bayern diese Einrichtungen geschaffen werden und dass im Zusammenwirken von Bund und Ländern eine tragfähige Lösung zum Schutz unserer Bevölkerung gefunden wird.

(Beifall bei der FDP und der CSU)

Als Nächste hat Frau Kollegin Petra Guttenberger das Wort.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Sicherungsverwahrung ist heikel. Sicherungsverwahrung ist ein Übel. Sich mit Sicherungsverwahrung zu beschäftigen, ist fantasielos. Meine sehr verehrten Damen und Herren, solche Aussagen werden der Sache nicht gerecht.

(Beifall bei der CSU)

Es geht nicht darum, Menschen, die eventuell zu Straftätern werden könnten, in die Sicherungsverwahrung zu stecken. Die Bevölkerung muss vielmehr geschützt werden, damit sie nicht erneut Opfer von Tätern wird, die durch ihr Täterprofil und die Wiederholungen ihrer Taten eine potenzielle Gefahr für die Menschen in unserem Land darstellen. Für diese Personen ist die Sicherungsverwahrung gedacht. Sie wird auch so angewendet. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Entscheidung, eine Sicherungsverwahrung auszusprechen, keinem Richter und keiner Richterin leicht fällt. Das Gleiche gilt für die Anordnung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat sich in verschiedenen Urteilen mit dem Themenbereich befasst. Er bestätigte die Sicherungsverwahrung für Täter, die wiederholte Einbruchsdiebstähle bege

hen, ausdrücklich. Als nicht den Normen entsprechend - das haben wir heute schon einmal gehört wurde eine nachträgliche Verlängerung der bislang durch Gesetz auf zehn Jahre beschränkten Sicherungsverwahrung erachtet.

Uns geht es darum, auch zukünftig sicherzustellen, dass im Rahmen dieser Neuordnung gefährliche Täter nach Absitzen ihrer Straftat - dann immer noch gefährlich - davon abgehalten werden, Straftaten zu begehen. Die Altfallregelung - Kollege Dr. Herrmann hat dies bereits angesprochen - trägt die klare Handschrift der CSU. Ich freue mich sehr, dass die Bundesjustizministerin hier eine entsprechende Regelung schaffen will. Nach wie vor - das bestreite ich nicht sehen wir eine Regelungslücke darin, dass ein Täter, der nicht psychisch krank ist, sich aber in Haft als äußerst gefährlich erweist, künftig aufgrund der beabsichtigten Regelung nicht mehr in Sicherungsverwahrung genommen werden kann. Dies ist eine Regelungslücke. Das möchte ich an einem Beispiel darstellen. Derzeit sitzen acht Täter in Sicherungsverwahrung, die aufgrund der nachträglichen Anordnung berücksichtigt worden sind. Sie befinden sich in der Sicherungsverwahrung, obwohl sie nicht psychisch krank, aber dennoch überaus gefährlich sind. Deshalb appellieren wir an die Bundesjustizministerin, den § 66 b des Strafgesetzbuches zu erhalten. Er findet dann nur bei einer sehr kleinen Zahl der Gefangenen Anwendung.

(Franz Schindler (SPD): Wollen Sie also doch die nachträgliche Sicherungsverwahrung?)

Es ist wichtig, dieses Thema noch einmal einer gesonderten Betrachtung zuzuführen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, für uns ist die Sicherungsverwahrung nicht das Übel, sondern ein wichtiges Instrument - ich stimme mit Herrn Kollegen Dr. Fischer voll und ganz überein -, um die Bürger zu schützen. Die Altfallregelung soll umgesetzt werden, obwohl wir für die nachträgliche Anordnung bei nicht psychisch kranken, aber extrem gefährlichen Tätern einen Nachbesserungsbedarf sehen.

(Beifall bei der CSU - Franz Schindler (SPD): Stimmt die CSU zu oder nicht?)

Als Letzte hat Frau Staatsministerin Dr. Merk das Wort.

Herr Präsident, geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich sehr über die sachliche Diskussion und über die einhellige Meinung, dass die Sicherungsverwahrung unbedingt notwendig ist. Wir sehen sie als Ultima Ratio und geben der Bevölkerung damit Si

cherheit, soweit das rechtlich und tatsächlich notwendig, aber auch geboten ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Reform der Sicherungsverwahrung, wie sie jetzt vorliegt, ist ein sehr wichtiger Schritt in der Rechts- und Sicherheitspolitik. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist von vielen Leuten so gedeutet worden, als ob es keinerlei Möglichkeit mehr gäbe, die von dieser Entscheidung betroffenen Straftäter in Verwahrung zu halten. Das muss man ganz klar und ganz deutlich sagen. Wir haben uns eingehend mit dem Thema befasst und rechtspolitisch sehr intensiv gearbeitet. Wir haben für die Altfälle einen Weg in ein dorniges Dickicht geschlagen, sozusagen mit dem Breitschwert. Dabei meine ich nicht den Kollegen, sondern das Schwert.

(Allgemeine Heiterkeit)

Ich möchte Herrn Kollegen Schindler deutlich widersprechen. Er legt den Schwerpunkt auf die Abschaffung der nachträglichen Sicherungsverwahrung. Bei der Diskussion zum Thema Sicherungsverwahrung muss man jedoch eine andere Systematik zugrunde legen.

Letztlich geht es darum, dass zwei wesentliche und voneinander getrennte Felder besprochen werden müssen. Das sind zunächst die sogenannten Altfälle, das sind die Fälle, in denen Leute eine Tat zu einem Zeitpunkt begangen haben, zu dem man Sicherungsverwahrung nur für zehn Jahre verhängen durfte. Als 1998 das Gesetz geändert wurde und Sicherungsverwahrung unbefristet vorgesehen werden durfte, saßen diese Personen schon in Sicherungsverwahrung, und man hat auf sie dieses Gesetz nachträglich angewendet. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat gesagt, eine solche Rückwirkung dürfe es nicht geben. Das hat er aber auf etwas bezogen, was wir so nicht sehen. Er hat nämlich die Sicherungsverwahrung als Strafe angesehen, während wir in unserem Strafgesetzbuch die Sicherungsverwahrung gerade nicht als Strafe qualifizieren, sondern als Maßregel der Besserung und Sicherung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir müssen uns vor allen Dingen damit auseinandersetzen, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ganz klar begründet hat, warum er die Sicherungsverwahrung als Strafe ansieht. Er hat deutlich gesagt, dass ein Abstand zur Strafe gehalten werden muss und dass er diesen Abstand nicht sieht. Wir mussten bislang davon ausgehen, dass wir richtig gehandelt haben; denn das Bundesverfassungsgericht hat klar gesagt - zuletzt zum Beispiel in der Entscheidung vom Jahr 2004 -, dass die Sicherungsverwahrung so, wie

sie bei uns im Land und auch in den einzelnen Bundesländern vollzogen wird, der Verfassung entspricht.

Deswegen ist das Therapieunterbringungsgesetz, das jetzt im Zusammenhang mit dieser Reform auf den Weg gebracht werden soll, sehr stark an dieser Urteilsbegründung orientiert und knüpft nicht nur an eine begangene Straftat an, sondern zusätzlich an eine psychische Störung des Täters. Über die Anordnung der Unterbringung wird nicht mehr vom Strafrichter, sondern vom Zivilrichter entschieden, und es wird klar geregelt, dass der Vollzug der Unterbringung räumlich und organisatorisch vom Strafvollzug getrennt ist. Damit nutzen wir vorhandene Spielräume aus.

Ich muss ganz klar sagen: Hier wurde behauptet, dass Gefährlichkeit nicht unbedingt etwas mit Krankheit zu tun hat. Das stimmt zwar, aber wir sprechen hier von den 20 bis 25 Menschen in Bayern, die von der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte betroffen sind, die alle gefährlich sind und sich deswegen in Sicherungsverwahrung befinden. Deshalb erübrigt sich diese Diskussion.

(Zuruf des Abgeordneten Franz Schindler (SPD))

- Das habe ich nicht gesagt. Das hat im Übrigen auch die Bundesjustizministerin nicht gesagt. In jedem einzelnen Fall muss geprüft werden, inwieweit eine derartige psychische Störung vorliegt. Sie müssen auch berücksichtigen, dass der Begriff "psychische Störung" sehr weit ist, viel weiter, als das zum Beispiel im Unterbringungsgesetz der Fall ist. Gerade deswegen knüpfen wir an den Begriff "psychische Störung", um ihn nicht zu weit zu fassen, mit der Formulierung an, dass von den Betroffenen die Gefahr ausgehen muss, dass sie wiederum ein Verbrechen begehen. Dass muss man ganz klar dazu sagen. Das ist der eine Punkt.

Herr Schindler, dann haben Sie die Änderungen im Recht der Sicherungsverwahrung wirklich nur partiell beleuchtet. Sie haben einen Teil ausgeblendet. Das ist aber klar; denn sonst hätten Sie uns loben müssen, und das lag nun nicht in Ihrem Interesse.

Also schauen wir uns das einmal genau an: Der Richter hat nach dem neuen Gesetz eine breitere Möglichkeit, im Urteil zu reagieren. Das heißt, dass die vorbehaltene Sicherungsverwahrung deutlich erleichtert wird, dass von uns ständig beklagte und ständig reklamierte Lücken endlich geschlossen werden. Ich möchte jetzt nicht gleich spekulieren, ob unsere Richter damit entweder zu locker oder zu stringent umgehen, aber ich möchte sagen, dass doch gerade unsere Richter deutlich gemacht haben, wie verantwortungsbewusst sie mit dem Thema Sicherheit

und Sicherungsverwahrung als Ultima Ratio umgehen.

Des Weiteren: Im Zusammenhang mit der originär zu verhängenden Sicherungsverwahrung wurde der Tatenkatalog enger gesetzt. Herr Schindler, es muss doch in Ihrem Interesse sein, dass wir klar gesagt haben: Es sind nicht die Vermögensdelikte, die wir hier mit einer Ultima Ratio belegen können; das passt irgendwie auch nicht zusammen. Das bedeutet dann auch - damit habe ich auch gleich Ihr nächstes Argument gekillt -, dass wir die Anzahl der Sicherungsverwahrten dadurch natürlich deutlich zurückschrauben.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

- Herr Kollege Wengert, das ist aber nicht in irgendeiner Weise strafrechtlich relevant. Herr Streibl spricht von anderen europäischen Ländern. Dazu muss ich schlicht sagen: Liebe Leute, ich reise auch im Land herum, ich reise auch in Europa und darüber hinaus herum. Was tun denn andere europäische Länder, zum Beispiel das Vereinigte Königreich? - Die halten die hochgefährlichen Täter im Gefängnis, so lange sie gefährlich sind. Da gibt es nicht die Möglichkeit einer Sicherungsverwahrung, die etwas anderes ist als eine Strafhaft.

Bei uns ist daher eine völlig andere Situation gegeben. Ich habe es vorhin schon erläutert - Sie hatten es angesprochen: Es handelt sich gerade nicht um eine Strafe. Der Grundsatz "Ne bis in idem" - für eine Tat darf man nicht zweimal gestraft werden - ist hier nicht anzuwenden, sondern es handelt sich um eine Maßnahme der Besserung und Sicherung.

Herr Streibl, Sie haben auch die Fußfessel angesprochen. Wenn es keine andere Möglichkeit gibt - das ist der Hintergrund, den die Bundesjustizministerin ganz klar aufgezeigt hat - und wenn ein hochgefährlicher Straftäter nach Recht und Gesetz doch auf freien Fuß gesetzt werden muss, muss man alle Möglichkeiten anwenden können, um ihn zu beobachten, um herauszufinden, wohin er geht, und um ihn möglicherweise auch daran zu erinnern, dass er binnen kürzester Zeit gefasst wird. Die Fußfessel ist keine Alternative zur Sicherungsverwahrung. Sie muss auch technisch erst entwickelt werden; darin sind wir uns alle einig. Sie ist aber eines von mehreren Instrumenten, die wir nicht einfach in die Ecke stellen dürfen, sondern die wir selbstverständlich in den Kanon der Sicherheitsmaßnahmen aufnehmen müssen. Das ist eine ganz klare Sache.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sind gerade dabei, etwas für die Sicherungsverwahrung zu tun. Im Rahmen unserer Möglichkeiten - Sie kennen die haushaltsrechtliche Situation - sind wir auch mit

den Vorplanungen befasst. Den Rest - das muss ich Ihnen zurückspielen - müssen Sie uns gewähren, damit wir eine solche Einrichtung so schnell wie möglich schaffen können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bleibe bei meiner Meinung zur nachträglichen Sicherungsverwahrung. Ich habe aber mitgenommen, dass die Bundesjustizministerin in ihrem Konzept klar sagt: Die Fälle werden dadurch erfasst, dass wir eine erleichterte Möglichkeit haben, Sicherungsverwahrung originär oder vorbehaltlich anzuwenden. Wir werden genau beobachten, welche Situation sich im Vollzug ergibt. Wir sind uns darin einig: Wenn Handlungsbedarf besteht, werden wir nachbessern. Warten wir aber erst ab und schauen uns das an! Verehrter Herr Schindler und liebe Frau Stahl, wenn ich Ihre Äußerungen der vergangenen Jahre Revue passieren lasse, dann meine ich, dass das auch in Ihrem Interesse sein müsste.

(Franz Schindler (SPD): Stimmen Sie der Abschaffung der nachträglichen Sicherungsverwahrung zu, ja oder nein?)

- Es ist bereits eine Zustimmung im Kabinett erfolgt.

(Zuruf des Abgeordneten Franz Schindler (SPD))

Fazit: Wir haben in einer schwierigen Situation eine zielführende Handhabe bekommen. Dort, wo Kritik notwendig ist, werden wir sorgfältig beobachten und uns ganz klar artikulieren. Gerade zu den Altfällen sage ich noch einmal: Wir haben das Menschenmögliche getan. Wir können nur hoffen, dass wir so viel Sicherheit wie möglich schaffen können, aber Sie wissen, dass das außerordentlich schwer ist.

(Beifall bei der CSU)