Protokoll der Sitzung vom 11.11.2010

Für die Bedeutung der Bildung für die eigenen Kinder müssen wir die Eltern sensibilisieren. In der Türkei ist es so: Wenn ich die Kinder an der Schule abgebe, übernimmt der Lehrer die volle Verantwortung. Bei uns ist das nicht so. Das muss ich sagen. Jeder Mensch braucht drei Dinge: Erstens Bildung, zweitens Bildung und drittens Bildung. Aus dieser Bildung entstehen Ausbildung, Fortbildung und Weiterbildung. Nur eines braucht man nicht, nämlich die Einbildung, wegen seiner Nation oder seiner Religion etwas Besseres zu sein.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Schule ist der Integrationskatalysator. Deshalb hat der Freistaat Bayern gemeinsam mit dem Bundesamt das Projekt Campus gegründet, mit dem Studenten bzw. Abiturienten mit Migrationshintergrund als Lehrer in die Schulen gebracht werden. Das Projekt funktioniert und wird immer mehr angenommen. Wir führen in Bayern auch interkulturelle Schulungen für Lehrer in Dillingen durch. Ich denke, dass die Mittelschule eine Riesenchance ist, die Potenziale und Talente zu entdecken, die wir brauchen, und die passgenau für diese jungen Menschen ist. Bayern ist dabei auf einem guten Weg.

Schüler und Eltern müssen Partner werden. Ob es jedoch reicht, die Kinder mit Zuwanderungshintergrund zu schulen, um die demografische Entwicklung zu unterbrechen, daran habe ich meine Zweifel. Ich glaube, wir müssen offen und ehrlich auch über eine qualifizierte Zuwanderung reden. Wir müssen offen und ehrlich darüber reden, wie das in der Zukunft in Deutschland funktionieren wird. Wir müssen über die

qualifizierte Zuwanderung reden. Dabei müssen bürokratische Hemmnisse abgebaut und muss eine Willkommenskultur aufgebaut werden.

(Beifall bei der FDP und den GRÜNEN)

Zuwanderung muss sich am Arbeitsmarkt orientieren, auch am Alter, der Qualifikation, der Integrationsbereitschaft und am Werteverständnis. Wir leben in Europa in einem Wettbewerb aller Länder um hochqualifizierte Menschen. Wir müssen dabei ein Angebot machen. Ich sehe das als Dreiklang: Zuerst deutsche Arbeitslose qualifizieren, dann aus Europa, dann aber auch - nicht zu vergessen -, Zuwanderer wegen deren Qualifikation nach Deutschland holen. Dazu zählt auch die Anerkennung von Abschlüssen.

(Beifall bei der FDP und den GRÜNEN)

Die schon lange anstehende Regel muss endlich umgesetzt werden. Die Qualität der deutschen Abschlüsse darf aber nicht infrage gestellt werden.

Bayern investiert sehr viel in Integration, aber ich weiß nicht, ob es reicht, wenn wir die wirksamsten und tollsten Maßnahmen machen, ohne die einheimische Bevölkerung einzubeziehen. Wir können nicht zulassen, dass die Integration wie bisher eine Elitediskussion bleibt. Wir brauchen bei all diesen Diskussionen hinsichtlich der Integration die Menschen, die Mehrheitsgesellschaft, damit Vorurteile und Ängste abgebaut werden. Ohne Zustimmung der Menschen können wir nicht Politik machen.

Integration heißt für mich, Menschen darüber zu informieren, was wir wollen, Transparenz zu schaffen, zu überzeugen statt zu überreden und die Teilhabe der Menschen am Prozess der Integration zu ermöglichen. Vielleicht ist es sinnvoll, dass wir Politiker am Anfang nicht zu viel fordern, weil die Menschen oft überfordert sind. Wir müssen die Sorge der Bevölkerung ernst nehmen, weil die Menschen oftmals das Gefühl haben, alleine gelassen zu sein. Wenn Zeitungen - wie kürzlich die "Süddeutsche Zeitung" - über Mobbing gegen deutsche Schülerinnen und Schüler an Schulen in Berlin schreiben, dann muss ich auch das sehr ernst nehmen.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Ich muss die Gefühle der Menschen aufnehmen. Integration ist auch eine Herzensangelegenheit. Weder Gesetze noch allein der Euro reichen. Wichtig ist die innere Einstellung zu diesen Menschen.

Einheimische befürchten, durch den Wandel der Zeit und den Wandel der Welt die eigene Identität zu verlieren. Deshalb darf es keine Tabus bei der Diskussi

on geben. Es muss eine tabufreie Diskussion geben, weil Integration sonst eine Vorlage für politische Extremisten ist. Wir haben momentan das Glück, dass wir in der deutschen Parteienlandschaft keine derart orientierte Partei in einem deutschen Parlament haben - außer in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. Alle anderen Länder in Europa haben am rechten Rand Parteien, die auch im Europaparlament sitzen, nur wir nicht, und das liegt auch an einer vernünftigen Sozial- und Integrationspolitik.

(Beifall bei der CSU)

Viele Menschen haben Angst vor dem Islam. Wenn man über Erlebnisse und Beobachtungen in der Zeitung liest, dann werden diese Themen oftmals verallgemeinert. Es wird über Machogehabe von jungen Türken gesprochen, ebenso über Aggression und Kriminalität, den Missbrauch sozialer Leistung, Rückzug in Familien und Moscheen, Parallelgesellschaft, Vorwürfe gegen die Mehrheitsgesellschaft, starke und bewusste Belege der Tradition, religiöse Auswüchse bis hin zum Extremismus.

All diese Phänomene werden einer Gruppe der Muslime zugeschrieben. Es gibt auch gewisse Ängste der Menschen vor Unterwanderung. Die Debatte, die wir führen, ist keine bayerische, sondern eine europäische Debatte. Deshalb ist es notwendig, diese Debatte öffentlich und offen zu führen. Sarrazin ist das Verdienst zuzuschreiben, dass wir die Debatte so führen, wie wir sie jetzt führen. Wir haben die Debatte noch nie so offen geführt wie jetzt, und dafür bin ich dankbar.

Die Diskussion beruht teilweise auch auf einem Missverständnis bezüglich der Entwicklung der Gesellschaft. Ich habe vorhin schon von Gastarbeitern gesprochen. Man hat das Wort Gastarbeiter sehr ernst genommen in der Bedeutung "Gast" und "arbeiten". Deshalb hat man weder die Notwendigkeit gesehen, die Sprache zu erlernen, noch die Notwendigkeit der Integration noch die Notwendigkeit, sich als Mitbürger zu fühlen. Integrationsbemühungen sind immer beidseitig. Sie können nicht erwarten, dass immer nur der andere es macht, man darf nicht immer nur auf den anderen zeigen. Das bringt uns nicht weiter.

Der Grund dafür, dass wir eine intensive Integrationspolitik machen müssen, liegt im Familiennachzug seit den 80er Jahren. Erst danach hat sich das Denken in der Integrationspolitik gewandelt. Es fehlten zu lange klare Regelungen und Rahmenbedingungen. Das führte dazu, dass sich die Menschen in ihren eigenen Räumen verschlossen haben, ihre heimische Tradition gepflegt und einen Rückzug in die eigene Welt geschaffen haben. Viele, die aus Anatolien gekommen

sind, haben auch hier ihre hierarchische Familienkultur gepflegt. Die konservative Religiosität, die klare Rollenverteilung der Geschlechter - waren wichtig für die menschliche Identitätsstiftung, aber schlecht für die Betroffenen, weil sie sich in der neuen Sprache nicht ausdrücken konnten und ohne entsprechende Bildung auch Chancen am Arbeitsmarkt vertan haben.

Gerade junge Menschen fühlen und fühlten sich durch diese mangelnde Perspektive ausgeschlossen und nehmen dann eine Opfermentalität ein, die sehr schädlich ist. Die Ideologie des Multikulti ist schlecht. Sie suggeriert, sich nicht anpassen zu müssen. Wir wollen Kulturvielfalt und keinen Kulturmischmasch. Wir brauchen in der Integration klare Regeln und Rahmenbedingungen. Die Zuwanderer müssen sich akzeptiert und gleichwertig fühlen.

Den Rahmen der Integration bilden die Bayerische Verfassung, das deutsche Grundgesetz, die Werte Freiheit, Demokratie und Gleichberechtigung sowie die Menschenrechte. Der Zentralrat der Muslime schreibt in einer Abhandlung: Diese Gesetze und die Menschenrechte sind lokale Gesetze, die wir so lange beachten, solange wir in der Diaspora leben, im Gegensatz zum Koran. Das ist eine Unverschämtheit des Zentralrats der Muslime.

Kulturvielfalt bedeutet auch, die kulturelle Identität zu bewahren. Identität braucht jeder Mensch, ob in der Mehrheitsgesellschaft oder der zugewanderten Gesellschaft. Freiheit ist das oberste Gebot für uns, und Religionsfreiheit ist ganz wichtig. Aber Religionsfreiheit kann nicht grenzenlos sein; denn Religionsfreiheit funktioniert nur so lange, so lange man die Freiheit des anderen nicht einschränkt.

Wir brauchen in Deutschland keine radikalen Islamisten, wir brauchen keine islamischen Prediger, wir brauchen keine Salafiten oder Wahhabiten. Wir müssen dabei radikal und streng vorgehen. Wir müssen die Sanktionen, die wir haben, einsetzen, und wir müssen offen über Zwangsverheiratung reden. Terres des Femmes sagt, in Deutschland gebe es jährlich 30 000 Zwangsverheiratungen. Auch Ehrenmorde müssen angesprochen werden. Auch Genitalverstümmelungen müssen angesprochen werden. Dank der GRÜNEN haben wir diesem Gesetzentwurf auch zugestimmt. Dieser ist wichtig, weil in Deutschland, der Schweiz und in Europa Genitalverstümmelungen durch Wanderprediger stattfinden. Das muss man angehen. Es entsteht sonst ein Schaden für die Frauen, der für ihr ganzes Leben entscheidend ist. Deshalb müssen wir diese Themen angehen.

Das Gleiche gilt für den Moscheenbau. Wir müssen die Menschen fragen: Wer finanziert deine Moschee?

Wer predigt? Warum finanziert er es? Wer ist der Imam? Man muss auch über die Imam-Ausbildung nachdenken. Ich muss aber darüber nachdenken, dass die meisten Moscheen DITIB-Moscheen sind, das heißt, es sind Einrichtungen des türkischen Staates. Wer bezahlt die Imame? Die Imame werden jetzt aus der Türkei bezahlt.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Das letzte Wort des Imam bei jeder Predigt ist: Gott schütze die Regierung. Damit ist aber nicht die deutsche, sondern die türkische Regierung gemeint. Hier ist noch sehr viel zu tun. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das müssen wir offen und ehrlich angehen.

(Beifall bei der CSU)

Die große Mehrheit der Menschen ist bei uns integriert. Wer Integration verweigert und unsere Gesetze und Werte ablehnt, muss mit Sanktionen rechnen. Die Gesellschaft erwartet zu Recht, dass wir die uns zur Verfügung stehenden Sanktionen anwenden. Wer Integration verweigert und unsere Gesetze und Werte ablehnt, muss mit Sanktionen rechnen. Wir haben diese Sanktionen. Wir brauchen keine neuen Sanktionen. Die, die wir bereits haben, sollten angewandt werden.

(Markus Rinderspacher (SPD): Sie sind in der Exekutive, sie haben das durchzusetzen!)

Denkbare Sanktionen wären die Streichung von ALG II und die Ausweisung nach einer Abmahnung.

Herr Rinderspacher, die Zahl der Integrationskurse ist in diesem Jahr erhöht worden. Dafür sind 15 Millionen Euro mehr investiert worden. Die Integrationskurse in Deutschland sind ein Erfolg. Sie haben vom Jahr 2005 bis zum Jahr 2010 eine Milliarde Euro gekostet.

(Margarete Bause (GRÜNE): Wer hat sie eingeführt?)

- Wer sie eingeführt hat, ist doch mittlerweile egal. Wichtig ist, dass sie erfolgreich sind. 350.000 Menschen sind verpflichtet, an diesen Kursen teilzunehmen. Nach Angaben unseres Innenministers de Maizière brechen 20 % den Kurs ab und 10 % gehen erst gar nicht hin. Die muss ich strafen, auch im Interesse derjenigen, die hingehen.

(Beifall bei der CSU)

Wir müssen die uns zur Verfügung stehenden Sanktionen durchführen, bevor wir neue installieren.

Ich zitiere Sigmar Gabriel aus der "Süddeutschen Zeitung" vom 21.09.2010: "Wer sich nicht integriert, muss gehen." Meine sehr verehrten Damen und Herren, Integration bedeutet, alle Menschen in diesem Integrationsprozess mitzunehmen. Ob das gelingt, ist eine der Schicksalsfragen unseres Landes. Über eines müssen wir uns klar sein: Zuwanderer und Menschen mit Migrationshintergrund sowie Einheimische haben nicht dieselbe Vergangenheit, aber die gleiche Zukunft.

(Anhaltender Beifall bei der CSU und der FDP)

Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, möchte ich den ehemaligen Premierminister der Republik Montenegro, Herrn Ðukanovic, herzlich begrüßen: Herzlich willkommen im Bayerischen Landtag.

(Allgemeiner Beifall)

Der nächste Redner ist Herr Kollege Felbinger. Ihm folgt Frau Kollegin Ackermann.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, sehr geehrte Frau Staatsministerin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das, was Herr Kollege Neumeyer gerade geboten hat, war eine Trauerveranstaltung.

(Widerspruch bei der CSU)

Er hat die jahrzehntelangen Versäumnisse auch der Unionsregierung dargelegt. Die Äußerungen zu dieser Regierungserklärung sind enttäuschend.

(Margarete Bause (GRÜNE): Er hat wenigstens etwas gelernt, die anderen nicht!)

"Eine Gesellschaft muss sich öffnen. Aber der, der sich dieser Gesellschaft anschließt, muss auch wissen, auf was er sich einlässt." Dieses Zitat ist vor zwei Tagen nicht weit von hier im Senatssaal gefallen, es stammt vom Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln Heinz Buschkowsky. Wer diesen beeindruckenden Vortrag gehört hat, wird mir recht geben, wenn ich sage, dass er sehr treffend und klar geschildert hat, wo wir in der Integrationsdebatte stehen. Aus diesen Worten geht aber auch klar und treffend hervor, wie sich eine seit den vergangenen Jahrzehnten im Wandel begriffene und verändernde Gesellschaft in Deutschland und auch in Bayern positionieren muss. Wenn ich von Gesellschaft spreche, meine ich alle. Miteinander leben ist - das ist nicht nur in einer guten Ehe so, sondern erst recht im gesellschaftlichen Leben ein Geben und Nehmen und verlangt Toleranz für den anderen, Sensibilität im Umgang mit Neuem,

aber auch Anerkennung und das Respektieren von Regeln und traditionellen Werten.

Wir, die Freien Wähler, wollen von unserem Grundverständnis her ein offenes Bayern und ein lebendiges Miteinander, das sich an der Maxime der Freien Wähler orientiert, gemeinsam konstruktiv an den Problemen unserer Zeit zu arbeiten und den Menschen dabei in den Mittelpunkt zu stellen.

(Beifall bei den Freien Wählern)