Protokoll der Sitzung vom 15.12.2010

Die realen Zustände in Bayern - das können Sie nicht leugnen - werden von Kirchen, Sozialverbänden und auch ehrenamtlichen Organisationen angeprangert. Dafür musste sich Frau Haderthauer vor mehr als einem Jahr in den "Tagesthemen" bundesweit rechtfertigen.

Deshalb, Kolleginnen und Kollegen, ist es schon zynisch, wenn Frau Haderthauer in einem Interview sagt: Ich brauche die Flüchtlinge in den Unterkünften nicht zu besuchen, ich lasse mir regelmäßig von den Regierungen berichten.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Wunderbar!)

Beziehen Sie Ihr christliches - jetzt kann ich Sie leider nicht ansprechen -, bezieht Frau Haderthauer ihr christliches Menschenbild vom Schreibtisch aus?

(Dr. Hans Jürgen Fahn (FW): Wahrscheinlich!)

Denn Sie behaupten, die Unterbringung sei menschenwürdig, ohne sich ein eigenes Bild von der Lage zu machen.

Sind Sie eigentlich vonseiten des Sozialministeriums den vielen Beschwerden, die es bei der Anlieferung von Essenspaketen gibt, nachgegangen? Ist es rich

tig, dass die Pakete verschimmelt ankommen, oder ist es nicht richtig? Es wäre Ihre Aufgabe, Ihr Job, auch dafür zu sorgen, dass die Lieferanten - denn da geht es auch um viel Geld - ihre Verpflichtungen einhalten und letztlich das liefern, was bestellt wurde.

Im Sozialausschuss haben - das wurde schon erwähnt -, alle Mitglieder, Herr Seidenath, Ihrer Fraktion, auch die Mitglieder der FDP zugestanden und auch zugegeben, dass es hier erheblichen Handlungsbedarf gibt, nicht nur "ein bisschen Nachholbedarf", wie Frau Haderthauer es ausdrückt,

(Beifall der Abgeordneten Margarete Bause (GRÜNE))

sondern erheblichen Handlungsbedarf. Wir brauchen neue Unterkünfte, wir brauchen eine neue Erstaufnahmeeinrichtung. Wir haben erheblichen Sanierungsbedarf. Die Bezirksregierungen haben einen erheblichen Personalbedarf. Es fehlt zum Beispiel an Hausmeistern. Es fehlen auch entsprechende Zuordnungen zu den Einrichtungen. Es fehlt an der Beauftragung. Die mit der Betreuung beauftragten Organisationen können bestenfalls verwalten. Bei der individuellen Beratung und Betreuung heißt es ebenfalls: Fehlanzeige.

Anstatt sich um diese Missstände zu kümmern, was die Aufgabe des Sozialministeriums wäre, greift Frau Haderthauer in eine alte Mottenkiste. Sie kramt die Missbrauchsthese hervor und schreit diese in die Welt. Mit schönen Schaubildern, die uns gestern noch in die Fächer gelegt wurden, will uns Frau Haderthauer die Welt erklären. Da kann ich nur sagen, Kolleginnen und Kollegen: Mit meinen Reden hier im Parlament und im sozialpolitischen Ausschuss habe ich genau diese Daten und Fakten, die uns Frau Haderthauer jetzt erklärt, immer wieder eingebracht. Aber, Kolleginnen und Kollegen - und das gehört auch zur Wahrheit -, die Missbrauchsthese, die von Frau Haderthauer in die Welt gesetzt wird, ist eben nur die halbe Wahrheit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Ab- geordneten Dr. Hans Jürgen Fahn (FW))

Denn Frau Haderthauer muss gerade als Sozialministerin wissen, dass viele der Flüchtlinge, die nicht sofort einen Rechtsstatus als Flüchtlinge erhalten, im Nachhinein sehr wohl anerkannt werden. Durch die sogenannte Bleiberechtsregelung, die inzwischen bundesweit Gesetz ist und die im Jahr 2006 auch mit Zustimmung des damaligen bayerischen Innenministers verabschiedet wurde, wurde beispielsweise im Nachhinein vielen tausend Flüchtlingen ein Bleiberecht gewährt. In der Zwischenzeit haben Integrationsmaßnahmen stattgefunden. Diese Menschen sor

gen selbst für ihren Lebensunterhalt und haben sich in unserer Gesellschaft hervorragend integriert.

Es gehört auch dazu, Kolleginnen und Kollegen, dass man über die Härtefallkommission in Bayern nachdenkt. Alle Fälle in der Härtefallkommission wurden bisher anerkannt. Vom Innenministerium wurde ein nachträgliches Bleiberecht ausgesprochen. Wer also in diese Mottenkiste greift, sollte dann bitte schön auch in gesellschaftspolitischer Verantwortung immer die ganze Wahrheit sagen.

Eines gehört unbedingt dazu, und das muss gerade von einer Sozialministerin deutlich nach außen betont werden: Die Menschen, die zu uns kommen, sind nicht Täter

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der GRÜNEN und des Abgeordneten Dr. Hans Jürgen Fahn (FW))

und sie missbrauchen auch nicht unser Gastrecht. Sie sind vielmehr Opfer einer ungerechten Weltwirtschaftsordnung. Sie sind Opfer von diktatorischen und menschenverachtenden Regimen, sie sind Opfer von Fehlentwicklungen in vielen einzelnen Staaten, wo auch die internationale Staatengemeinschaft nicht sofort Abhilfe schaffen kann. Das erreichen wir auch nicht durch den Bundeswehreinsatz in Afghanistan, auch nicht durch eine Imagekampagne des Ministers.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Ab- geordneten Dr. Hans Jürgen Fahn (FW))

Sie kennen alle die weltweite Problemlage. Und deshalb gehört es gerade zu den Aufgaben einer Sozialministerin, genau diese Opferrolle zu beschreiben, zu bezeichnen und in unserer Gesellschaft dafür zu sorgen, dass entsprechend verantwortlich damit umgegangen wird. Es gehört auch dazu - deshalb ist es für mich völlig unverständlich, dass das in diesem Zusammenhang nicht geäußert wird -, zu betonen, dass in der Bundesrepublik, in Bayern nur ein ganz kleiner Teil der weltweiten Flüchtlingsbewegungen überhaupt aufgefangen wird. Die allermeisten Flüchtlinge flüchten von einem armen Staat in einen noch ärmeren Staat. Es gibt arme Staaten, die ihr Gastrecht wirklich so ausnutzen und die Menschen unter wirklich ärmsten Bedingungen aufnehmen. Vom Missbrauch des Gastrechts in einem reichen Land wie Bayern zu sprechen ist schäbig, Frau Sozialministerin.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der GRÜ- NEN und des Abgeordneten Dr. Hans Jürgen Fahn (FW) - Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Frechheit!)

Ich frage mich, Kolleginnen und Kollegen, wie Frau Haderthauer nächste Woche in die Kabinettssitzung gehen will. Nach solchen Äußerungen in der Öffentlichkeit könnte ich mir gut vorstellen, dass ihre Kabinettskollegen, wenn es um die Verteilung der Finanzen geht, bei den Verhandlungen sagen: Ja, für was brauchen wir denn da mehr Geld? Schließlich missbrauchen die ja alle unser Gastrecht. Insofern richte ich diesen Vorwurf an Sie, Frau Haderthauer: Sie müssen für ihre Belange kämpfen. Es gibt viel zu tun, damit wir uns in Bayern nicht weiter für diese Wahrnehmung der Belange der Flüchtlinge schämen müssen.

(Beifall bei der SPD, Abgeordneten der GRÜNEN und des Abgeordneten Dr. Hans Jürgen Fahn (FW))

Danke schön, Frau Kollegin. Der Ordnung halber möchte ich nur darauf hinweisen, nachdem die Frau Staatsministerin mehrmals angesprochen wurde: Sie steht noch im Stau, 4 Kilometer von hier entfernt. Aber das Ministerium ist hier im Haus ordnungsgemäß vertreten. Herr Staatssekretär Sackmann wird der Frau Staatsministerin selbstverständlich alle Dinge, die hier gesagt wurden, korrekt übermitteln.

(Harald Güller (SPD): Der kann doch selber reden!)

Als Nächster hat Herr Professor Bauer das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen, liebe Kollegen! Wiederum stehe ich hier, um zu einem wichtigen Thema zu sprechen, und zwar deswegen, weil sich in der letzten Zeit leider nicht viel geändert hat. Wir drehen uns mehr oder weniger im Kreis, wir müssen die Diskussion immer wieder anstoßen, und es ist richtig, dass wir dies immer wieder tun.

Ich möchte zwar nicht sagen, dass sich in der letzten Zeit nichts geändert hat, seit dem 5. Mai nichts Positives passiert ist. Wir haben die Richtlinien zu Art und Größe der Ausstattung von Gemeinschaftsunterkünften erhalten, und es sind einige Unterkünfte geschlossen worden, die sich in einem unzureichenden hygienischen und baulich maroden Zustand befunden haben. Alle im Landtag vertretenen Fraktionen waren einmütig dafür. Dennoch hat sich die Wohnsituation in anderen Gemeinschaftsunterkünften leider nicht verbessert. Die meisten der aktuell circa 8.500 Flüchtlinge müssen weiterhin in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden. Deren Wohnsituation können wir nicht akzeptieren.

Wir fordern, dass hier die Richtlinien nicht nur für Neu- und Umbauten angewandt, sondern für alle bestehenden Gemeinschaftsunterkünfte Schritt für Schritt konsequent umgesetzt werden.

(Zuruf von den GRÜNEN: Der erste Schritt ist noch nicht erfolgt! Es gibt keine einzige Einbin- dung!)

Wir fordern zudem, die maximale Aufenthaltsdauer für Flüchtlinge in einer derartigen Einrichtung auf zwölf Monate zu beschränken. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, schwerbehinderte Personen über 65 Jahre, Schwangere, Alleinerziehende mit Kindern sowie traumatisierte Personen sollten nicht mehr in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden. So steht es auch im Gesetzentwurf der Freien Wähler, der im Landtag im Jahr 2009 eingebracht und leider mehrheitlich abgelehnt worden ist. Vor allem Jugendliche brauchen eine Perspektive sowie eine umfassende soziale und psychische Betreuung. Wenn dies nicht umgesetzt wird, treffen die hohen Folgekosten den Staat und unsere Sozialsysteme massiv. Es wird also unter dem Strich immer teurer.

Auch Alternativmodelle der Unterbringung dürfen kein Tabuthema mehr sein. Wir müssen dies diskutieren und offen ansprechen. Wir wollen statt Essenspaketen Essensgutscheine, wie es schon in den meisten Bundesländern der Fall ist, weil dadurch Verwaltungskosten eingespart werden. Dieses Geld kann an anderer Stelle sinnvoller eingesetzt werden.

(Beifall bei den Freien Wählern und den GRÜ- NEN)

Ich halte es für problematisch - aber das ist meine persönliche Meinung -, dass die Situation als inhuman bezeichnet wird. Ich möchte hier nicht weiter Öl ins Feuer gießen. Dennoch ist es wichtig, den Finger immer wieder in die Wunde zu legen. Wir sollten hier auf die Ebene einer sachlichen Diskussion zurückgehen im Interesse der Flüchtlinge und der Menschen, die zu uns kommen, hier eine Bleibe, Schutz und Sicherheit suchen und die dieses auch verdient haben.

Wir halten es außerdem nicht für zielführend und für unsinnig, dass wir in Bayern nach und nach über jede Gemeinschaftsunterkunft diskutieren; denn Teillösungen bringen nichts. Wir fordern deshalb ein Gesamtkonzept für alle bayerischen Gemeinschaftsunterkünfte. Die Freien Wähler fordern die Staatsregierung auf, hier endlich konsequent zu handeln. Der erste Schritt ist mit der Erstellung der Richtlinien gemacht worden. Aber wir müssen diese Richtlinien wirklich umsetzen. Wir sitzen gemeinsam in einem Boot und müssen hier vorankommen.

Zum Schluss möchte ich Ihnen - wir sind in der Weihnachtszeit - noch eine kleine Weisheit zu bedenken geben: "Nie stille steht die Zeit, der Augenblick entschwebt, und den Du nicht genutzt, den hast Du nicht gelebt."

(Beifall bei den Freien Wählern und Abgeordne- ten der SPD)

Als Nächste hat Frau Kollegin Brigitte Meyer das Wort; bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Von 1933 bis 1941 flüchteten rund 500.000 Deutsche vor ihren NS-begeisterten Landsleuten ins Ausland. 1986 enthüllte die Universität Istanbul eine Marmortafel zum Gedenken an jene, die in der Türkei Asyl fanden. Bundespräsident Richard von Weizsäcker war dabei. "Alle", so sprach er, "die damals in der Türkei Zuflucht fanden, haben die überwältigende Gastfreundschaft, die Offenheit und Hilfsbereitschaft des türkischen Volkes als großes Geschenk dankbar empfunden." So ist in einem Artikel zu lesen, der am 14.05.2009 in der "Main-Post" stand.

Mich persönlich haben die Erzählungen meiner Eltern und Großeltern aus dieser Zeit sehr geprägt. Ich hatte schon immer ein tiefes Mitempfinden für Menschen, die damals keinen anderen Ausweg sahen, als das Land fluchtartig zu verlassen, und schließlich dafür unendlich dankbar waren, in einem anderen Land Asyl gefunden zu haben.

Es ist unsere Geschichte, die ich im Hinterkopf habe, wenn ich heute Flüchtlinge treffe, die ihr Land, ihre Heimat, ihre Familie und ihre Freunde verlassen haben, um in Deutschland Zuflucht zu finden. Das ist mein ganz persönlicher Ansatz für meinen Einsatz in der Flüchtlings- und Asylpolitik.

(Beifall des Abgeordneten Tobias Thalhammer (FDP))

Die Gründe für eine Flucht können unbestritten unterschiedlich sein. Wir sollten aber nicht immer von vornherein unterstellen, dass es in erster Linie wirtschaftliche Gründe sind, die die Menschen zur Flucht bewegen.

(Beifall bei der FDP, der SPD, den Freien Wäh- lern und den GRÜNEN)

Ich habe von meinen persönlichen Beweggründen für mein Engagement gesprochen. Die Beweggründe meiner Kolleginnen und Kollegen der FDP-Landtagsfraktion sind vielleicht andere. Aber die Fraktion ist geschlossen im Ziel.

(Beifall des Abgeordneten Tobias Thalhammer (FDP) und Abgeordneten der Freien Wähler)

Wir setzen uns für einen menschenwürdigen Umgang mit Menschen ein, die zu uns kommen und bei uns Asyl begehren.

Es gibt bundesweit Kriterien, die festlegen, ob es einen Rechtsanspruch auf Asyl gibt oder nicht. Wer absolut kein Recht hat, bei uns zu bleiben, der muss unser Land wieder verlassen, und das möglichst zeitnah. Wer aber bei uns bleibt, weil zum Beispiel einer Abschiebung bestimmte Hinderungsgründe entgegenstehen, hat ein Anrecht auf eine menschenwürdige Behandlung.

(Beifall bei der FDP und Abgeordneten der SPD)

Wir haben hierzu ein Papier des Sozialministeriums erhalten, auf dem in einem Schaubild die Unterscheidung zwischen Flüchtlingen und abgelehnten Asylbewerbern deutlich dargestellt ist. Fakt ist - das ist in diesem Papier nachlesbar -, dass in Bayern derzeit 8.435 Personen in 104 Gemeinschaftsunterkünften leben. Diese Personen leben hier, manchmal über viele Jahre hinweg. Die FDP-Landtagsfraktion vertritt die Ansicht, dass wir auch für diese Menschen eine Fürsorgepflicht haben.