Herr Minister, machen Sie doch mal etwas. Die Hochschulentwicklung und die Hochschulausbauplanung, insbesondere die Frage, ob und wo wir eventuell neue Hochschulstandorte brauchen, diskutieren derweil andere. Der Finanzminister reist zur Ausstellungseröffnung von Porzellanikon nach Selb und kündigt eine Hochschule Selb an. Am nächsten Tag schreibt er Ihnen dazu einen Brief, und Sie sind dann der Ausführende. Oder wie soll das gehen? So ist es gelaufen. So war es doch. Der Brief ist am selben Tag eingegangen. Wer hat denn in der Hochschulpolitik die Richtlinienkompetenz? Der Herr Finanzminister oder der Herr Seehofer auf seinen Wahlkampftouren, wenn er mal in Straubing, mal in Augsburg - wo auch immer - neue Hochschulstandorte verspricht? Passau ist das aktuellste Beispiel.
Herr Minister, wir warten im Hochschulausschuss schon lange, schon sehr lange, auf Sie. Wir warten, dass Sie zu uns kommen und Ihre Hochschulentwicklungspolitik erklären.
Jetzt runzeln Sie die Stirn. Ich kann es Ihnen konkret sagen: Unser Antrag zum mittelfristigen Hochschulausbau und zur Hochschulentwicklungsplanung wurde vor mehr als einem Jahr eingereicht und im April 2010 von diesem Haus einstimmig verabschiedet. In diesem Antrag stand, die Staatsregierung werde aufgefordert, im Ausschuss für Hochschule, Forschung und Kultur über ihre Planung bis zum 1. Juli 2010 zu berichten. - Herr Minister, bis zum Juli 2010! Wo ist der Bericht? Wo waren Sie? Bei uns waren Sie noch nicht - wir warten.
Herr Minister, jetzt ist Halbzeit. Es wird langsam Zeit. Kommen Sie jetzt nicht wieder mit dem Berufungsrecht; das trägt nicht für eine ganze Legislaturperiode.
Was ist mit mehr Demokratie an den Hochschulen? Wie stellen Sie sich der Herausforderung "inklusive Hochschule"? Wo ist Ihr Konzept für die nachhaltige Hochschule? Es ist nicht alles gut an den bayerischen Hochschulen. Gestern hat Herr Professor Grüske dankenswerterweise in der Anhörung noch einmal darauf hingewiesen: Wir sind auf dem Niveau von 2005 keinen Schritt weiter -, was die Ausstattung der Hochschulen betrifft. Ich möchte mit einem Hochschulexperten schließen, auf den Ihr Vorgänger, der jetzt leider nicht da ist - es wäre gut, wenn er das im Protokoll nachlesen würde -, große Stücke hielt.
Darüber, ob er das zu Recht getan hat, wird er, wenn er das gelesen hat, vielleicht auch anderer Meinung sein. Die Rede ist von Professor Jürgen Mittelstraß. Professor Jürgen Mittelstraß war in Bayreuth und hat dort einen Vortrag gehalten. Er hat ganz interessante Dinge gesagt. Ich lese Ihnen das jetzt vor:
Für die, die sich nicht erinnern können: Es gab eine Mittelstraß-Kommission, die die ganze Hochschullandschaft umgekrempelt hat. Vielleicht kommt Ihnen einiges von dem, was jetzt kommt, bekannt vor:
Die Zukunft der deutschen Universität sieht in den Augen von Prof. Jürgen Mittelstraß alles andere als rosig aus: Die Uni sei zu verschult, statt Forschung werde Lehre großgeschrieben und die Exzellenzinitiative verursache mittelalterliche Strukturen.
Vier Dinge stoßen dem Vorsitzenden des Österreichischen Wissenschaftsrates besonders auf: Marginalisierung, Politisierung und Ökonomisierung, Streben nach Exzellenz und Wettbewerb sowie Differenzierung der Universitätslandschaft. "Die Wissenschaft gehört immer weniger sich selbst." Die Uni werde von einem diffusen Veränderungswillen geprägt. Es gebe gerade seit der Bologna-Reform Seminare und Praktika mit Hunderten von Studenten, Klausurenberge und endlose Prüfungstermine. Mittelstraß: "Die Lehre wird groß, die Forschung wird klein geschrieben." Gleichzeitig mischen sich laut Mittelstraß politische und ökonomische Strukturen in die doch eigentlich wissenschaftliche Einrichtung.
Studenten würden zu Kunden, Professoren zu Dienstleistern und vor allem gebe es zig Agenturen, die den Hochschulen von außen beispielsweise Evaluierungen aufdrängen. "Und diese Beratungsinstitute schlucken viel Geld", sagt Mittelstraß. Zudem werfe der inflationäre Exzellenzbegriff einen Schatten. "Die Hochschulpolitik schwelgt in Superlativen und verliert damit ihre meist sehr leistungsfähige Normalität", meint Mittelstraß. Ideal wäre ein System wie im Fußball. Hier werde in der Spitze gepunktet. Ihren Ausgang nehme Genialität aber im Mittelfeld. "Dafür bedarf es nicht noch mehr Wettbewerb, sondern der geduldigen Pflege von Stärken." Differenzierung schließlich bedeutet für die Universität laut Mittelstraß die Auflösung ihrer Einheit. Die Aufteilung zu Lehr- und Forschungsprofessuren oder die vorgeschlagene Einrichtung von sogenannten
Colleges und Professional Schools unter dem Dach einer Uni bedrohe diese Einheit. "Eine Institution ohne Idee ist tot", sagt Mittelstraß. Eine Uni, die sich nur noch über Rankings, Drittmittel und Absolventenquoten definiert, habe aufgehört, die Gesellschaft mitzugestalten. "Wir müssen raus aus dem System, das Exzellenz und Qualität im Munde führt und doch das Durchschnittliche fördert und das Evaluierung zu Legitimationszwecken einsetzt."
Sehr geehrte Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die bayerischen Universitäten stehen in der Tat vor großen Herausforderungen. Der demografische Wandel muss bewältigt werden. Wir haben nicht nur den doppelten Abiturjahrgang vor uns, sondern nach dem Studierendenberg werden die Studentenzahlen abnehmen. Die Wirtschaft klagt derzeit über Fachkräftemangel. Es werden immer mehr gut ausgebildete Personen, gerade auch Studenten, gesucht. Andererseits wird die Studierendenschaft immer heterogener. Der klassische Student, der nach dem Abitur an die Hochschule drängt, bleibt natürlich weiterhin in der Mehrheit, aber wir müssen die Hochschulen auch für andere Gruppen öffnen. Das ist ganz wichtig. Dahin geht auch dieser Gesetzentwurf. Insofern ist er groß. Er ist gar nicht so klein, sondern dieser Gesetzentwurf ist groß.
In einer immer globaler und schneller werdenden Welt ist es wichtig, dass wir die Menschen vor Ort ernst nehmen. Wir haben 17 Hochschulen für angewandte Wissenschaften und 9 Universitäten. Wir wollen ihnen immer mehr Kompetenzen zugestehen. Deswegen ist es uns so wichtig, mit diesem Gesetzentwurf die Eigenverantwortung zu stärken. Da können Sie schon die Linien herauslesen, die wir haben. Wir wollen natürlich den Hochschulstandort Bayern weiterhin an der Spitze halten. Wir wollen, dass Bayern Innovationsland und Wissenschaftsland Nummer 1 bleibt. Die großen Grundlinien sind es, dass wir dieses Potenzial, das in der bayerischen Bevölkerung steckt, - es gibt natürlich noch anderes Potenzial - heben. Das ist uns wichtig. Auf der anderen Seite wollen wir die Eigenverantwortung der Hochschulen stärken.
Deswegen haben wir diese zweite Hochschulrechtsnovelle in den Landtag eingebracht. Die zwei liberalen Leitmotive der Hochschulpolitik möchte ich an dieser Stelle ganz konkret für Sie herausarbeiten. Sie haben sie anscheinend nicht zur Kenntnis genommen. Wenn Sie diesen Gesetzentwurf genauer durchgelesen hätten, meine Damen und Herren von der Opposition, dann hätten Sie Linien erkannt.
Wir wollen diese Potenziale in der bayerischen Bevölkerung ausschöpfen und wenden uns deswegen an die beruflich Qualifizierten. Die beruflich Qualifizierten sollen die Möglichkeit bekommen, am Abend und am Wochenende unsere Hochschulen zu besuchen. Das ist der Einstieg in den Aufstieg. Es ist nicht zu Ende mit einem Beruf. Wenn sie sich weiterbilden wollen, haben sie die Möglichkeit. Ich wundere mich schon, dass zwar ein bisschen Lob von der SPD kam, es müsste Ihnen doch besonders gut gefallen, gerade was die beruflich Qualifizierten angeht. Insofern verstehe ich nicht, wo Ihre Kritik ist. Das Ganze ist mit Kosten verbunden. Ja, wir wollen das möglich machen. Wir wollen, dass in Bayern so etwas funktioniert, damit es weitergeht. Wie sollen wir es denn sonst handhaben? Es ist uns wichtig, dass beruflich Qualifizierte eine Möglichkeit haben, einzusteigen und nach oben durchzustarten.
Modulstudien - da sagen Sie, das sei auch nicht so perfekt. Hier können Teilkompetenzen erworben werden. Es können auch Menschen studieren, die eventuell aus bildungsferneren Schichten kommen und noch niemals eine Universität von innen gesehen haben. Schauen Sie sich das bitte einmal an. So etwas ist möglich. Herr Piazolo, mir ist egal, wie das genannt wird, ob das Teilzeitstudium oder postgraduales Studium oder sonst wie heißt. Es geht darum, dass Menschen die Möglichkeit haben, lebenslanges Lernen zu erfahren. Das sind die wichtigen Grundlinien in unserer Politik.
Jetzt komme ich zu einer wichtigen Gruppe. Aufgrund des demografischen Wandels haben wir auch häufiger Menschen, die einen individuellen Bedarf durch individuelle Lebensläufe haben. Sie pflegen zum Teil ihre Angehörigen. Sie sollen die Möglichkeit haben, ihre Prüfungsleistung während der Beurlaubung abzulegen. Natürlich betrifft das auch die Familien. Das haben wir schon längst gemacht. Es geht nicht nur um die Pflege von Angehörigen. Die in Familien Tätigen haben bereits die Möglichkeit, wenn sie beurlaubt sind, Prüfungen abzulegen. Die vernachlässigen wir
nicht. Deswegen haben wir - darauf möchte ich noch zurückkommen - die Rechtsstellung der Frauenbeauftragten gestärkt. Es geht darum, dass wir das Potenzial in unserer weiblichen Bevölkerung gestärkt sehen, dass wir einen Blick darauf werfen. Da bestehen noch Möglichkeiten.
Die zweite Grundlinie, das zweite Wichtige an liberaler Hochschulpolitik ist, die Eigenverantwortung zu stärken, passgenaue Lösungen vor Ort anzubieten. Deswegen schmeißen wir die Hochschulgliederungsverordnung in den Mülleimer. Die brauchen wir nicht mehr. Wir wollen, dass sich unsere Hochschulen selbst gliedern können, dass sie sich selbst in Fakultäten oder in Abteilungen einteilen können. Da müssen wir nicht mehr das Ministerium am Salvatorplatz fragen. Das kann die Hochschule vor Ort selbst regeln.
Mit den Forschungsprofessuren ist nicht die Einheit von Forschung und Lehre gefährdet, Herr Piazolo. Das humboldtsche Prinzip ist uns wichtig, ganz klar. Die Forschungsprofessuren sind in der Praxis begrenzt, da die Projektförderung, die Gelder der Deutschen Forschungsgemeinschaft - DFG - und die Drittmittel irgendwann aufgebraucht sind. Insofern wird der Professor nicht ein Leben lang forschen können. Im Gegenteil, es ist wichtig, dass die Forschung irgendwann in der Lehre ihren Ausdruck findet. Ein Professor, der lange geforscht hat, sollte seine Forschungsergebnisse in der Lehre umfassend kundtun. Davon profitiert die Lehre. Ich sehe Humboldt nicht in Gefahr. Das ist ein wichtiger Schritt zur Stärkung unserer Wettbewerbsfähigkeit.
Zur Stärkung der Eigenverantwortung an den Hochschulen ist die Masterzulassung von großer Bedeutung. Die Entwicklung gemeinsamer Strukturvorgaben im Rahmen der Kultusministerkonferenz hat dazu geführt, dass die Eigenverantwortung der Universitäten hinsichtlich der Zulassungskriterien für den Masterstudiengang gestärkt werden konnte. Das ist wichtig. Im Personalrecht gibt es Veränderungen. Die BachelorKarriere ist möglich. Trotzdem möchte ich darauf hinweisen, dass das Teilzeitstudium ebenfalls möglich ist. Mit der Modularisierung des Studiums im Rahmen der Bachelor- und Masterstudiengänge kann dieses noch besser umgesetzt werden. Ein Teilzeitstudium ist insbesondere für Familien mit unterschiedlichen
Bedarfen und unterschiedlichen Lebenssituationen geeignet. Dem wollen wir natürlich gerecht werden. Das ist unsere Zukunftspolitik.
- Vielen Dank, lieber Tobi, dass du mir hier die Stange hältst. Das muss ich noch einmal ganz deutlich sagen.
Liberale Hochschulpolitik besteht in der Stärkung der Eigenverantwortung der Hochschulen. An vielen Stellen der Hochschulrechtsnovelle kommt dies zum Ausdruck. Wir wollen das Potenzial der bayerischen Bevölkerung nutzen. Da gibt es viel zu tun. Wir sind aufgrund der demografischen Entwicklung dazu gezwungen, neue Personenkreise an die Universität zu bringen.
Frau Gote, ich halte die Diskussion über Professor Mittelstraß schon für interessant. Ich möchte jedoch davor warnen, mit einer Ökonomisierung der Hochschullandschaft den Teufel an die Wand zu malen. Es ist wichtig, dass die Hochschulen effektiv arbeiten und ein gesundes Maß gefunden wird. Ich freue mich auf eine Diskussion über Mittelstraß mit Ihnen. Ich denke jedoch, wir sind auf einem guten und richtigen Weg. Mir ist um die Zukunft der bayerischen Hochschulen nicht bange.
Herr Dechant ist auch noch da. Zu dritt stellen Sie einen hohen Prozentsatz der FDP. Das würde ich nicht zu gering schätzen. Zuletzt hat Herr Staatsminister Dr. Heubisch das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren! Herr Dr. Rabenstein hat gesagt, er sehe sehr viel Positives. Herr Dr. Piazolo hat gesagt, wir wären einiges angegangen. Frau Gote sagte, vieles sei richtig. Die GRÜNEN enthalten sich. Von der Opposition erhalte ich die höchste Form der Anerkennung. Ich bedanke mich für Ihre Wortbeiträge, die ich nicht nur als lehrreich und informativ, sondern ebenfalls als unterstützend auslege. Ich finde mich jedenfalls in meiner Politik bestätigt.
An dieser Stelle möchte ich einiges Revue passieren lassen. Herr Dr. Piazolo, Sie haben vergessen, dass
wir in dieser Legislaturperiode bereits die zweite Novellierung durchführen. Frau Gote, auch wenn Sie es nicht mehr hören können, gehen wir es noch einmal kurz durch.
Wir haben das Berufungsrecht an den Hochschulen eingeführt. Wir haben den Meistern den Hochschulzugang ermöglicht.