Protokoll der Sitzung vom 02.03.2011

Ich darf mich vielmals bedanken. Stimmen Sie bitte meinem Antrag zu.

Für den nachgezogenen Dringlichkeitsantrag rufe ich nun Herrn Hubert Aiwanger für die Freien Wähler zum Mikrophon.

(Vom Redner nicht autori- siert) Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass wir alle merken und wissen, in welch prekärer Situation die Bundeswehr momentan ist. Mitten in einer Reform tritt ein Verteidigungsminister zurück, der noch in seiner Abschiedsrede geäußert hat, dass er diese Reform angestoßen hat. Sie alle wissen, dass selbst innerhalb der CSU die Ziele der Wehrreform sehr umstritten waren. Anfangs fand ein gewisses Kräftemessen zwischen dem Ministerpräsidenten und dem Verteidigungsminister unter anderem über die Aussetzung der Wehrpflicht statt. Zumindest nach außen hatte man den Eindruck, dass man den Herrn Verteidigungsminister unter anderem auch deshalb gewähren ließ, um ihn politisch nicht zu beschädigen. Man woll

te ihn nicht zurückpfeifen. Man hat sich auf die Zunge gebissen und vieles geduldet, was von außen gesehen noch nicht genug durchdacht gewesen war.

Ich glaube, das zentrale Thema ist die Personalsituation. Wir stellen jetzt fest, dass aufgrund der ausgesetzten Wehrpflicht Zeitungsanzeigen geschaltet werden müssen, um Freiwillige zu bekommen. Gleichzeitig wird die Rekrutierungsbasis ausgeweitet, indem man verstärkt Ausländer und auch Minderqualifizierte in die Bundeswehr aufnehmen will, weil man mit qualifiziertem Personal personell zu dünn aufgestellt sei. Das sollte uns zu denken geben. Wir wollen hier nicht zum Rückzug blasen, aber zumindest dazu appellieren, innezuhalten, nachzudenken und zu schauen, ob wir mit den jetzigen Rekrutierungsmaßnahmen gewährleisten können, dass wir ausreichend qualifiziertes Personal bekommen. Oder stellen wir in ein paar Jahren fest, dass wir die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr gefährdet haben?

(Beifall bei den Freien Wählern)

Meine Damen und Herren, ich habe vor Kurzem mit einem Reservisten höheren Ranges gesprochen. Er hat gesagt, seine größte Sorge sei, dass die Durchhaltefähigkeit der Bundeswehr in Einsatzfällen gefährdet sein könnte, wenn nicht mehr genügend Reservisten in der Hinterhand sind. Alle, die mit der Sache mehr zu tun haben, wissen, dass man eine Mehrfachbesetzung braucht, um einen längeren Einsatz durchhalten zu können. Die normale Stammbesetzung genügt nicht, sondern man muss nachschieben können. Dieses Personaltableau wird in den nächsten Jahren zusammenbrechen. Wir müssen schon darüber nachdenken dürfen, ob wir so weitermachen wie bisher vielleicht können die Anzeigen in den Zeitungen noch ein wenig größer und farbiger werden, oder man könnte Schüler anwerben - oder ob wir gezielt die Attraktivität der Bundeswehr steigern. Ich denke dabei an ganz kleine Maßnahmen. Früher war es möglich, den Lkw-Führerschein bei der Truppe zu machen, der dann auf den Zivilbereich umgeschrieben werden konnte. Für viele war das ein Anlass, die Bundeswehr in Kauf zu nehmen. Heute geht das nicht mehr. Man könnte darüber nachdenken, die Zeit bei der Bundeswehr irgendwie auf das Studium anzurechnen und dergleichen mehr. Solche Konzepte fehlen. Wenn ich sehe, dass im März nur sehr wenige Freiwillige - ich glaube, es waren 1.250 und 270 Zeitsoldaten - über diese Schiene eingezogen werden können, dann glaube ich, dass wir nicht einmal mehr ein halbes Jahr zu warten brauchen, um zu merken, dass wir agieren müssen. Mein Appell lautet daher, keine Schuldvorwürfe zu erheben, weil uns das nicht weiterhilft, sondern genau zu überlegen, ob gewährleistet ist, dass wir genügend qualifiziertes Personal nachziehen.

(Unruhe)

Da sehe ich große Probleme. Hier müssen wir ansetzen. Ich will nicht, dass wir in ein paar Jahren mit Söldnern arbeiten müssen, die sich mit der Bundesrepublik Deutschland vielleicht gar nicht ausreichend identifizieren.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Wir müssten bei Auslandseinsätzen dann auf Leute setzen, die ein Loyalitätsproblem haben, um das vorsichtig auszudrücken.

Die zweite Baustelle ist die Strukturpolitik. Wir wissen heute nicht, wie viele von den 68 bayerischen Standorten im Feuer stehen. Vorhin hat ein Kollege gesagt, die Städtebaumittel sind von seinerzeit 650 Millionen auf jetzt 450 Millionen gekürzt worden. Ich weiß, dass in meiner eigenen Gemeinde Rottenburg die Umwandlung eines aufgelassenen Kasernenstandorts nur durch Mittel der Städtebauförderung möglich gewesen ist. Das war notwendig, um keine Geisterkaserne zu hinterlassen. Meine Damen und Herren, stellen Sie bitte sicher, dass für jeden Standort bis zuletzt gekämpft wird. Wir dürfen keine billigen Rechenkünstler ranlassen, welche die 68 Standorte auf 40 zusammenstreichen wollen. In der Regel führt das dazu, dass die verbleibenden Standorte deutlich ausgebaut werden müssen. Dafür müssten wir dann das Geld ausgeben, das wir vorher eingespart haben. Eine solche Streichung würde weiterhin zu einem Rückgang der Verzahnung von Bevölkerung und Truppe führen. Wenn es nur noch wenige größere Standorte gibt, wird die Wohnortnähe geringer, was wiederum das Rekrutieren erschwert.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Wenn der Kasernenstandort wohnortnah ist, wird sich ein Bürger leichter dafür entscheiden, dort länger zu dienen, wenn auch seine Familie dort angesiedelt ist, als wenn er in einen 50 oder 100 km entfernten Standort umziehen muss. Ich bitte, auch das zu berücksichtigen. Wir müssen für die Standorte auch unter dem Gesichtspunkt der leichteren Rekrutierung kämpfen. Die Rekrutierung wird schwerer, wenn wir nur noch wenige Standorte haben.

Ein Drittes treibt mich massiv um: Die Reform wurde damit begründet, dass das Endprodukt der äußeren Sicherheit durch die Reform preisgünstiger zu haben wäre. Es wurde argumentiert, dass man rund acht Milliarden einsparen könnte. Sie kennen die Meldungen, die in den letzten Tagen hinausgegangen sind, dass diese Einsparziele bei Weitem nicht erreicht werden können, dass die Bundeswehr nach der Reform vielleicht noch mehr kosten wird als vorher, zum Beispiel,

wenn man noch mehr drauflegen muss, um gute Leute zu bekommen. Da fragt man sich am Ende, was die ganze Reform überhaupt bewirken soll. Ich will nicht, dass wir bei dieser Reform so wie bei der Polizeireform am Ende feststellen müssen, dass viel umgekrempelt wurde, dass die Sache am Ende mehr kostet als das ursprüngliche Modell, sodass wir sagen müssen: Außer Spesen nichts gewesen.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Ich bitte, genau auf die Kosten zu schauen. Wir sind davon ausgegangen, dass durch Reduzierungen der Personalstärke neue und bessere Waffensysteme finanziert werden könnten und die Ausrüstung verbessert werden könnte. Hierfür ist heute schon kein Geld mehr da. Das müssen wir uns wirklich vor Augen führen.

Der Streit ging darüber, ob man auf eine Stärke von 180.000 oder 160.000 geht. Man hat sich dann für die Lösung von 180.000 entschieden. Ich will nicht, dass wir bei der Bundeswehrreform dorthin kommen, wo wir mit der Bildungspolitik gelandet sind. Dort muss man feststellen, dass man gerne mehr Lehrer einstellen würde, dass man sie aber nicht bekommt. Vielleicht ist das eigentliche Ziel eine Personalstärke von 160.000. Nach außen hin sagt man aber, dass man 180.000 anstrebt. Nach drei Jahren sagt man, dass man nicht genügend Leute bekommt, um eine Stärke von 180.000 zu erreichen, so dass man auf 160.000 zurückgehen muss. Ich bitte Sie, dieses mögliche Zahlenspiel zu berücksichtigen.

Herr Kollege Aiwanger, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

(Vom Redner nicht autori- siert) Ich bin gleich fertig, dann kann er Stellung nehmen. - Ich bitte Sie, diese drei Überlegungen zu berücksichtigen: qualifiziertes Personal gewinnen, Strukturen erhalten und darauf achten, ob finanziell wirklich etwas zu gewinnen ist. - Nun bitte die Frage.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Herr Kollege Aiwanger, jetzt kommt eine Zwischenbemerkung. Herr Professor Bausback, Sie haben das Wort.

Herr Kollege Aiwanger, Ihre Ausführungen hinterlassen mich etwas ratlos, weil ich nicht weiß, was Sie wollen.

(Beifall bei der CSU - Hubert Aiwanger (FW): Bei Ihnen weiß ich es auch nicht.)

Was wäre denn Ihrer Meinung nach das Richtige gewesen im Hinblick auf die tatsächliche Situation der inneren und äußeren Wehrgerechtigkeit, im Hinblick darauf, dass über Jahre hinweg nur ein ganz geringer Teil der männlichen Bevölkerung zum Wehr- und Zivildienst herangezogen wurde? Hätten Sie an diesem System festhalten wollen?

(Vom Redner nicht autori- siert) Ich habe fünf Minuten lang ausgeführt,

(Zuruf von der CSU: Aber keiner hat es verstan- den!)

dass eine Aussetzung der Wehrpflicht von einer entsprechenden Honorierung der Freiwilligen begleitet werden muss. Ich habe den Lkw-Führerschein und die Anrechnung der Wehrpflicht auf das Studium angesprochen. Das sind nur zwei kleine Beispiele.

(Zuruf der Abgeordneten Ulrike Gote (GRÜNE))

Man müsste eine Reihe flankierender Maßnahmen ergreifen, um den Dienst für Freiwillige attraktiv zu machen. Man darf die Wehrpflicht nicht hoppla hopp aussetzen, ohne einen Plan B in der Tasche zu haben, ohne sich zu überlegen, welche Auswirkungen das auf die sozialen Dienste, die Pflege usw. hat. Auf diese Fragen sind Sie bis heute Antworten schuldig geblieben.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Wenn Sie die Wehrpflicht aussetzen, müssen Sie sich überlegen, wie Sie qualifizierte Freiwillige in ausreichender Zahl finden, statt darauf zu hoffen, dass sich aufgrund von Zeitungsanzeigen schon paar finden werden. Damit sind Sie bisher definitiv gescheitert.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Vielen Dank, Herr Kollege Aiwanger. Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, darf ich Ihnen noch mitteilen, dass die CSU-Fraktion namentliche Abstimmung über den Antrag der SPD-Fraktion beantragt hat.

(Zurufe von der SPD: Oh, oh!)

Ich sage Ihnen das, damit Sie sich schon einmal darauf einstellen können.

Nun fahre ich in der Rednerliste fort und übergebe das Wort an Johannes Hintersberger für die CSUFraktion.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Professor Gantzer, weder ein

Fallschirmmann noch ein Panzermann sind Etappenhengste. Was uns unterscheidet: Wir kämpfen in dieser Sache mit offenem Visier und nicht mit Nebelkerzen.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Kamerad Gantzer, das kann ich nicht verstehen, und ich komme noch darauf zu sprechen, warum nicht.

(Hubert Aiwanger (FW): Wie geht es weiter mit den Standorten?)

- Darauf komme ich auch noch, nur ruhig. - Kolleginnen und Kollegen der SPD, es ist in der Tat verwunderlich, dass Sie auf der einen Seite, zum Beispiel auf Ihrem Parteitag 2008, mit großer Mehrheit die Aussetzung der Wehrpflicht fordern, während Sie andererseits jetzt in Ihrem Antrag die Maximalforderung stellen, keinen einzigen bayerischen Standort zu schließen. Ihr Verhalten richtet sich nach dem Motto: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Das ist Augenauswischerei; das ist nicht redlich; das sind Nebelkerzen, und das ist keine verantwortliche und klare Politik gegenüber den Menschen, für die wir da sind.

(Zuruf des Abgeordneten Hubert Aiwanger (FW))

Kollege Wägemann hat ein Beispiel angesprochen, das für Sie typisch ist, dass nämlich Rot-Grün 2001 bei der kleinen Bundeswehrreform den größten deutschen Panzerstandort, die Hahnenkamm-Kaserne in Heidenheim, platt gemacht hat. Von daher sind das also keine scheinheiligen Krokodilstränen, sondern ist eine klare, offene und verantwortliche Politik gegenüber den Menschen, für die wir da sind.

(Beifall bei der CSU und der FDP - Hubert Aiwan- ger (FW): Das heißt, Schließungen in Kauf nehmen!)

Das heißt, dass die eingeleitete Reformpolitik und der Reformprozess mit dem Wehrrechtsänderungsgesetz, die nicht in der Kompetenz eines Landes, sondern in der des Bundes stehen, planungssicher und konsequent fortzusetzen sind. Alles andere wäre gerade dann unverantwortlich, wenn wir es mit der Bundeswehr gut meinen. Warum? - Die Bundeswehr hat den entscheidenden Auftrag, die internationale Einsatzfähigkeit der Soldatinnen und Soldaten im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung, nämlich für Frieden, Freiheit und Sicherheit zu sorgen, zu gewährleisten und zu verbessern.

(Hubert Aiwanger (FW): Mit Söldnern, weil es gar nicht anders geht!)